Zynische Instrumentalisierung: Die Resolution zum Schutz jüdischen Lebens
Mit der Resolution zum Schutz jüdischen Lebens planen Ampel und Union, die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit einzuschränken sowie die rassistische Repressions- und Abschiebepolitik weiter voranzutreiben. Mit Bekämpfung von Antisemitismus hat das wenig zu tun.
Seit Monaten diskutieren die Regierungsfraktionen der SPD, Grünen und FDP sowie die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag über die Verabschiedung einer gemeinsamen Resolution zum „Schutz jüdischen Lebens“. Im Juli einigten sie sich schließlich auf einen geheimgehaltenen, aber mittlerweile geleakten Entwurf mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Volker Beck und das Netzwerk jüdischer Hochschullehrender drängen auf die baldige Umsetzung, vor allem hagelt es jedoch Kritik. Zahlreiche jüdische Künstler:innen, Autor:innen und Wissenschaftler:innen warnen in einem Protestbrief vor der Abwürgung der freien Meinungsäußerung und der Gefährdung ethnischer und religiöser Minderheiten. Die Resolution würde „die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland eher schwächen als stärken, indem sie alle Juden mit den Handlungen der israelischen Regierung in Verbindung bringt – eine notorische antisemitische Trope“, so die Initiator:innen. Eine Gruppe von Jurist:innen bezeichnete den Entwurf währenddessen als „verfassungsrechtlich nicht haltbar“.
Was steht in dem Entwurf?
Gleich zu Beginn der Resolution wird ein Bezug zum 7. Oktober hergestellt und so unmissverständlich klargemacht, dass die Bekämpfung von „israelbezogenem Antisemitismus“ im Zentrum steht. Die Verfasser:innen schwingen die Hufeisenkeule und verweisen auf einen „zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus“.
Wir leugnen nicht, dass Antisemitismus auch in der Linken vorkommen kann. Dieser muss energisch bekämpft werden – der Staat ist dafür allerdings der falsche Ansprechpartner. Die vorgenommene Gleichsetzung verschleiert die Tatsache, dass Gewalt und Terror gegen Juden:Jüdinnen in überwältigender Mehrheit von Rechten ausgeht, antisemitische Ideologie aber auch in der bürgerlichen „Mitte“ anschlussfähig ist. Die anfängliche Benennung des Rechtsextremismus dient den Politiker:innen aber ohnehin nur als Feigenblatt: Bei der weiteren Lektüre wird deutlich, dass es ihnen in allererster Linie um Angriffe auf Linke, die Unterdrückung von Kritik an ihrer pro-israelischen Politik und die Kriminalisierung der Solidarität mit Palästina geht.
Der Hinweis, es handle sich beim Antisemitismus um einen „Angriff auf die Werte und Grundsätze, auf denen unser Zusammenleben und unsere Demokratie fußt“ kommt in Anbetracht der Geschichte der BRD reichlich heuchlerisch daher. Die liberale bundesdeutsche Demokratie, die hier verteidigt wird, wurde maßgeblich von ehemaligen Nazis aufgebaut. Von 283 Spitzenbeamt:innen in den Bonner Bundesministerien und im Kanzleramt waren mindestens 105 ehemalige NSDAP-Mitglieder (bei weiteren 99 Personen ist dies unsicher). Auch die Großkapitalist:innen, bedeutendste Unterstützer:innen Hitlers, kamen in der BRD unbescholten davon. Ihre durch Zwangsarbeit und Enteignungen der Juden:Jüdinnen erwirtschafteten Vermögen durften sie behalten und wurden zu den größten Profiteur:innen des „Wirtschaftswunders“ der Nachkriegszeit.
Doch auch in der jüngsten Vergangenheit zeigte sich die Duldung des Antisemitismus in der politischen Elite: Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger durfte trotz der Veröffentlichung eines von ihm verfassten holocaustverherrlichenden Pamphlets im Amt bleiben und die CDU stellte Hans Georg-Maaßen trotz seiner hinlänglich bekannten Verbreitung antisemitischer Verschwörungsmythen bei der letzten Bundestagswahl als Direktkandidaten auf. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach sich erst vor wenigen Wochen dafür aus, zukünftig Wehrmachtsoldaten im Rahmen der militärischen Traditionspflege zu ehren.
Gleichzeitig verdeutlicht die Berufung auf „unsere Werte“ auch, worauf die Resolution tatsächlich abzielt: Kritische linke Stimmen, die die bestehende Ordnung infrage stellen, sollen mundtot gemacht werden. So wird gefordert, allen kulturellen und wissenschaftlichen Projekten, die sich nicht der deutschen Staatsraison beugen, künftig die Mittel zu streichen, was einen gefährlichen Vorstoß der staatlichen Zensur darstellt:
Bei Bundesfördermittelanträgen von zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die Förderprojekte auf eine Unterstützung oder Reproduktion von antisemitischen Narrativen zu überprüfen. Zudem dürfen sich die Inhalte nicht gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. In diesem Zusammenhang sind der Beschluss der Bundesregierung vom 20. September 2017, der die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus politisch bekräftigt, und der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, in dem sich der Bundestag zur IHRA-Arbeitsdefinition bekennt, zugrunde zu legen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf Länder und Kommunen dahingehend einzuwirken, dass sie entsprechende Regelungen implementieren und, sofern noch nicht geschehen, die IHRA-Antisemitismusdefinition zugrunde zu legen.
Worum geht es den Parteien wirklich?
Die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remebrance Alliance (IHRA) bestimmt Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Diese Definition ist höchst ungenau und höchst umstritten. So wurde 2019 von zahlreichen internationalen Wissenschaftler:innen, die in der Antisemitismusforschung und in verwandten Bereichen arbeiten, in der Jerusalemer Erklärung eine präzisere Bestimmung getroffen, die klar zwischen Antisemitismus und Antizionismus differenziert.
Die betonte Vagheit der IHRA-Definition macht sie zwar recht unbrauchbar für ein wissenschaftliches Verständnis von und den Kampf gegen Antisemtismus, dafür aber umso geeigneter für die Instrumentalisierung des Begriffs. Begleitet wird sie von elf Beispielen, die angeblich dabei helfen sollen, Antisemitismus zu erkennen. Sieben davon beziehen sich auf den zionistischen Staat, darunter „die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen“. In Anbetracht der langen Geschichte gezielter ethnischer Säuberung der Palästinenser:innen, des Nationalstaatsgesetzes, welches Israel als jüdischen Ethnostaat festschreibt und des vielfach dokumentierten und belegten Apartheidsystems, ist die Unterstellung, Israel als rassistisch zu bezeichnen, wäre antisemitisch, offensichtlich absurd. Die IHRA-Definition öffnet die Tür für Diffamierung und Kriminalisierung von praktisch jeglicher Opposition zum israelischen Staat und jeglicher Solidarität mit dem palästinensischen Volk.
Dass auch Juden:Jüdinnen durch die staatliche „Antisemitismusbekämpfung“ im Namen der IHRA-Definition angegriffen werden, zeigen zahlreiche Beispiele wie die Entlassung der anti-zionistischen Jüdin Udi Raz vom Jüdischen Museum oder die Kontosperrung der Organisation Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost.
Der Resolutionsentwurf ist somit durchzogen von der Ineinssetzung aller Juden:Jüdinnen mit dem Zionismus. Indem Menschen, die nichts mit den Verbrechen des israelischen Staates zu tun haben und sie in vielen Fällen scharf kritisieren und bekämpfen, für diese verantwortlich gemacht werden, wird der Antisemitismus geschürt, anstatt ihm etwas entgegenzusetzen. Zugleich instrumentalisieren die Politiker:innen den vermeintlichen Schutz jüdischen Lebens, um ihre rassistische Migrationspolitik zu legitimieren. Es gelte, „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen. […] Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“. Zu denken ist dabei etwa an die Koppelung der deutschen Staatsbürger:innenschaft an ein Bekenntnis zu Israel, das bereits in manchen Bundesländern besteht und laut Politiker:innen wie Justizminister Buschmann (FDP) auch bundesweit eingeführt werden soll, aber auch an die von der Regierung angekündigte Abschiebeoffensive. Wieder einmal wird der haltlose Mythos des „importieren“ Antisemitismus heraufbeschworen. Wie die jüdischen Initiator:innen des Protestbriefs richtigerweise festhalten:
Wir haben keine Angst vor unseren muslimischen Nachbar*innen und auch nicht vor unseren Künstlerkolleg*innen, Schriftsteller*innen und Akademiker*innen. Wir fürchten die wachsende Rechte, wie sie sich in Massenversammlungen von Neonazis zeigt, die durch ein nationales Klima der fremdenfeindlichen Angst ermutigt werden.
Die Repression gegen die palästinasolidarische Bewegung hat bereits extreme Ausmaße angenommen. Den Politiker:innen geht das aber anscheinend immer noch nicht weit genug: Sie fordern, nach Samidoun müssten „weitere extremistische Organisationen überprüft und, sofern möglich, verboten werden.“ Selbst für BDS, eine eher staatsbürgerlich geprägte Kampagne, die sich vor allem auf das internationale Recht beruft, soll „ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot“ geprüft werden.
Auch die Einschränkung der akademischen Freiheit und die Angriffe auf palästinasolidarische Studierende werden in der Resolution ausdrücklich begrüßt. Das neue Berliner Hochschulgesetz, welches Exmatrikulation aus politischen Gründen – und damit für viele Studierende den Verlust ihrer gesamten Existenzgrundlage – wieder zulässt, soll nach Willen von Ampelkoalition und CDU/CSU zum Vorbild für Universitäten in ganz Deutschland werden: „Antisemitisches Verhalten muss Konsequenzen haben, von der Anwendung des Hausrechts über den temporären Ausschluss von Studium oder Unterricht bis hin zu einer möglichen Exmatrikulation“. Die Verfasser:innen fordern „auf die Länder einzuwirken, eine Überprüfung der Hochschulgesetze auf Lücken und Anpassungen im Sinne notwendiger Sanktionsmöglichkeiten durchzuführen“.
Während der israelische Staat neben dem laufenden Genozid in Gaza den Krieg gegen den Libanon eskaliert, der in wenigen Wochen Tausenden das Leben kostete, steht der deutsche Staat weiterhin an seiner Seite. Mit dem Schutz jüdischen Lebens hat das rein gar nichts zu tun. Vielmehr geht es um die Sicherung eines Bollwerkes des Imperialismus und Deutschlands Großmachtstreben in der Welt.
Die Resolution für den Schutz jüdischen Lebens reiht sich in eine Serie autoritärer, repressiver und rassistischer Angriffe ein, die insbesondere seit dem Beginn des Genozids in Gaza an Fahrt aufgenommen haben. Der vermeintliche Kampf gegen Antisemitismus der Regierung ist ein fauler Deckmantel, um den deutschen Imperialismus und die Gräueultaten, die er mitverantwortet, ideologisch zu legitimieren. Die Resolution ist klar als Teil des Rechtsrucks zu werten und muss, wie alle anderen Repressionen, sofort gestoppt werden.
Gegen die zynische und schädliche Instrumentalisierung des deutschen Staates müssen die politische Linke, Arbeiter:innenorganisationen und die palästinasolidarische Bewegung überall für den Schutz von Juden:Jüdinnen und ihren Einrichtungen vor antisemitischen Angriffen eintreten und gegen antisemitische Lügen vorgehen. Wenn jüdische Einrichtungen wie Synagogen attackiert werden, müssen wir selbst die Verteidigung organisieren und dürfen uns auf keinen Fall darauf verlassen, dass der Staat das tut. Dahingehend treten wir ein für den Zusammenschluss aller Ausgebeuteten und Unterdrückten im Kampf gegen Krieg und Genozid, antisemitische und rassistische Spaltung und Unterdrückung und das kapitalistische System, das diese fördert.
Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Kampf gegen Antisemitismus empfehlen wir die Artikelreihe Antisemitismus, Antizionismus und Revolution: