Zwischen den Behemoths: Deutschland im Umbruch der Weltlage 

28.12.2024, Lesezeit 30 Min.
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Damals und heute: Hegemonien im Umbruch. Bild: Philip James de Loutherbourg: Defeat of the Spanish Armada, 8. August 1588 / gemeinfrei

Während Deutschland aus der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 als Sieger hervorging, kann ein neuer Handelskrieg den Platz im Zentrum der Krise bedeuten. Und das in einer Zeit, in der der Behemoth – das Ungeheuer – die Weltordnung selbst ist.

Die Weltlage hat sich beschleunigt: Die fortgesetzte Invasion der Ukraine; der ausgeweitete Krieg in Westasien mit Israels Genozid; die Ereignisse um das Rote Meer; das „kalte“ Duell der USA und Chinas im Indopazifik mit Blick auf Taiwan; die Einbeziehung Nordkoreas in den Ukrainekrieg. 

Das Klima, in dem wir die Weltlage diskutieren, ist nicht nur rau und veränderlich wie die großen Ozeane. Es deutet auch auf das „Ende eines Zyklus“ hin – in Wirtschaft, Geopolitik, Ideen und Klassenbeziehungen. Die neoliberale Ordnung mit den USA als Hegemon ist im offenen Zerfall – und vielleicht in ihrer letzten, tödlichen Krise. Der größte Antagonist der USA ist China geworden, aber auch eine Reihe an Mittelmächten mischen mit, wie Brasilien, Türkei oder Indien.

Der Protektionismus ist zurück. Der Großkrieg ist zurück in Europa. Der Völkermord in Gaza findet offen statt, vor den Augen der Welt. Die Blockbildung ist noch instabil, wobei China-Russland-Nordkorea-Iran als Block deutlicher erkennbar sind. 

Donald Trumps zweite Amtszeit – und im Allgemeinen der Aufstieg verschiedener extrem rechter  Varianten – ist sowohl ein morbides Symptom als auch ein Beschleuniger dieser Trends der „Unordnung der Weltordnung“.

Wir befinden uns damit zwar am Ende eines Zyklus, aber noch nicht notwendig am Anfang eines „dritten Weltkriegs“. Vielmehr blicken wir einem gefährlichen Interregnum entgegen, einer Zwischenherrschaft und einer einer Art Konstellation „vor 1914“ in Vergleich zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Dies gibt der Charakterisierung des frühen 20. Jahrhunderts als Zeit der Krise, Kriege und Revolutionen unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts eine neue Bedeutung, wie Claudia Cinatti es im Jacobin darstellt.

Der Wiedergänger Trump

Die radikalen Kräfte werden in diesem Kabinett des Wiedergängers Trump stärker sein. Der Totgeglaubte ist wie ein Zombie aus seinem Grab gestiegen. Sehen wir auf sein Gruselkabinett: Der designierte Außenminister Marco Rubio hat sich bisher als Falke in Bezug auf Venezuela, Iran und China hervorgetan; er ist ein Befürworter von Mitteln wie Handelskriegen zur Durchsetzung protektionistischer Ziele. Der designierte Verteidigungsminister und christliche Rechtsradikale Pete Hegseth ist ein militärischer Hardliner und Veteran aus Afghanistan und Irak, dessen Einheit Kriegsverbrechen im Irak begangen hat. Der designierte Sicherheitsberater Michael Waltz ist ebenfalls ein China-Falke, so auch der Federal Communications Commission Chairman Brendan Carr. Robert Lighthizer für den Bereich Handel ist wieder mit an Bord und soll Handelskriege und Zölle durchsetzen.

Der Großteil des Kabinetts hat gemeinsam, direkt von Trump abhängig zu sein, eines Bonaparten, der sich für ein großes Projekt zeitweise über den bürgerlichen Staat erhebt. Dieses große außenpolitische Projekt ist der von Strategen lange erwartete und schon unter Obama angekündigte „Pivot“ (Schwenk) des US-Imperialismus nach Ostasien, gegen China. 

Dieses Projekt hat Trump  in seiner ersten Amtszeit bereits begonnen und Biden hat es anschließend fortgesetzt – etwa mit dem CHIPS-Gesetz zur Unterstützung der nationalen Halbleiterindustrie, das dann in der EU und Taiwan kopiert wurde. Jetzt aber erlaubt und erzwingt die Weltlage der niedergehenden US-Hegemonie, der stärkeren multipolaren Tendenz und der nie überwundenen kapitalistischen Krisenperiode seit 2009 extremere Mittel. Und Trump selbst hat ein klareres Programm mit einer breiteren Basis für seine bonapartistische Unternehmung. Entsprechend möchte er auch Matthew Withaker als Botschafter zur NATO entsenden, der keine Erfahrung in der Außen- und Sicherheitspolitik hat, aber umso frenetischer „America First“ vertritt. Trump hatte während des Ukrainekriegs bereits die Beistandspflicht der NATO in Frage gestellt

Das Programm der MAGA-Bewegung (Make America Great Again), mit der Trump die Republikanische Partei übernommen hat, reicht dabei über den bekannten Mix aus Handelskrieg gegen China, Strafmaßnahmen, Protektionismus, Deregulierung, Steuersenkungen für die Reichen, Kulturkampf mit Angriffen auf demokratische Rechte und einwanderungsfeindlicher Politik hinaus. Das ausdrückliche Ziel der neuen US-Regierung ist es, die staatliche Bürokratie auf allen Ebenen zu säubern, vielleicht beginnend mit dem Pentagon und der „Intelligence Community“ wie FBI oder CIA, um diese mit loyalen Beamt:innen zu füllen.

Trumps designierter Generalstaatsanwalt Pam Bondi fasste die geplante Säuberung zusammen als: „Prosecutors will be prosecuted“ – „Ankläger werden verfolgt werden“. 

Elon Musk ist sicherlich der relevanteste Brandbeschleuniger in diesem bonapartistischen Prozess. Diesmal soll es also keine oder weniger „Erwachsene im Raum“ geben, die Trump einhegen könnten, und das kann seine radikaleren Interventionen und „Deals“ auf internationaler Ebene beschleunigen. Er ist wie Trump sowohl Symptom als auch Beschleuniger des Trends einer schnell wechselnden, kriegerischen Weltlage. 

In einem durch die Kriegslage zugunsten Russlands wahrscheinlicher werdenden „Deal“ zwischen Trump und Wladimir Putin könnten die USA zu lasten der EU und Deutschlands eine Lösung aushandeln, die Russland auf der Ebene der Grand Strategy wieder von China entfernen soll, während Kräfte in der Ukraine gebunden werden. Die US-Interessen werden außerdem sowohl gegen China als auch gegen die EU mit erneutem starken Protektionismus im Handel durchgesetzt werden. 

Trump ist aber nicht prinzipiell gegen den Krieg. Er wird eine stärkere Konfrontation mit China organisieren, die Grenze weiter militarisieren sowie die klassischen „kohlenstofflastigen“ Industrien, aber auch die Halbleiterindustrie wieder stärker fördern. Er wird sich mit Reaktionären wie Javier Milei oder etwa Giorgia Meloni verbünden, aber insgesamt prinzipienlos in seinen Bündnispartnern sein. Er wird die USA auf Klassenkonflikte im Inland vorbereiten. Antagonisten können besonders die gewerkschaftliche und die palästinensische Bewegung sein, aber auch ein Wiedererwachen der feministischen und Black Lives Matter Bewegung, wenn sie sich vom „Friedhof der Bewegungen“, der Demokratischen Partei, lossagen können.

Deutschland im Reich der Behemoths: Neue Handelskriege, neuer Protektionismus

Mit dem Wiedergänger Trump droht ein neuer Handelskrieg, der Europa und darin besonders Deutschland kalt erwischen könnte. Auch ein Wirtschaftskrieg mit China würde Deutschland und besonders dessen Autoindustrie indirekt treffen, wenn die Kaufkraft Chinas nach Europa zurückgeht. Trump sagte dazu selbst in seinem Wahlkampf: 

Ich sag dir was, die Europäische Union klingt so nett, so schön, oder? All die netten kleinen europäischen Länder, die zusammenkommen. […] Sie kaufen aber nicht unsere Autos. Sie kaufen nicht unsere landwirtschaftlichen Güter. Sie verkaufen Millionen und Abermillionen  Autos in die Vereinigten Staaten. Nein, nein, nein, sie werden einen hohen Preis zahlen müssen. (Eigene Übersetzung). 

Damit spricht Trump die Problematik der Handelsbilanz an, die seinen Protektionismus bestimmt, was besonders bedrohlich für Deutschland ist. Im letzten Handelskrieg mit Trump wurden von der EU hohe Zölle auf US-Autos und US-Landwirtschaftsgüter verhängt. Die EU-Maßnahmen waren direkt gegen die republikanischen red states (Bundesstaaten, in denen der:die Kandidat:in der Republikanischen Partei die Mehrheit hat) mit Trumps Basis gerichtet. Ein neuer Handelskrieg könnte Deutschland ein Prozent des BIP kosten, laut Zentralbank-Präsident Joachim Nagel wäre dann eine Rezession möglich.

Ganz anders als 2008/2009, der letzten Weltwirtschaftskrise, wird Deutschland diesmal kaum als Sieger und Hegemon über Europa aus der Krise hervorgehen – sondern steht ganz im Gegenteil sogar im Zentrum der Krise.

Trump könnte Interessenunterschiede in der EU ausnutzen, wovor der französische Präsident Emmanuel Macron bereits gewarnt hatte. Meloni könnte etwa so eine Rolle zukommen, um die EU in einem Zollkrieg zu spalten, die aus dem Trumpismus bereits als natürliche Partnerin bezeichnet wurde. Die europäische Integration war schon zur letzten Weltwirtschaftskrise als ständiger Fortschritt in Frage gestellt, also vor 15 Jahren. Aber mit der letzten Trump-Regierung, der Coronakrise und dem Krieg in der Ukraine ist der Nationalismus in der EU wieder erstarkt. In einer „rationalen Welt“ wäre Trumps Neuwahl ein Weckruf für Europa, aber genau das Gegenteil könnte der Fall sein, wenn die EU sich von den „Behemoths“ USA und China bedroht sieht.

Behemoth ist ein biblisches Ungeheuer, das mit seinem Maul den Fluss Jordan verschlingen kann, so heißt es. Der Politikwissenschaftler Thomas Hobbes verwendete es als Symbolfigur für einen ständigen Zustand der Gewalt, der alles verschlingt, etwa im Bürgerkrieg im England des 17. Jahrhunderts. Er ist das Gegenbild des Ordnungsstaates, des Leviathan. In der heutigen Situation ist der Behemoth die Weltordnung selbst: Die Weltordnung hatte im 20. Jahrhundert zwei Anomalien. Einmal die Jalta-Ordnung des Klassenkompromisses zwischen den USA und der stalinisierten UdSSR von 1945 bis 1991. Dann für kurze Zeit die extreme US-Dominanz im „Pax Americana“ bis zur Weltwirtschaftskrise 2008. Nun kehrt die Weltordnung immer mehr zum anarchischen Prinzip des Imperialismus zurück, in dem es keine festen Regeln gibt. Dies ist das Reich der Behemoths. 

Nicht nur die Weltordnung nimmt immer mehr Züge des Behemoths an, auch die kapitalistischen Staaten selbst, am meisten die USA. Zwischen den Behemoths USA und China zu stehen ist für Deutschland ein Dilemma, da es politisch auf die Hegemonie über die EU und wirtschaftlich auf deren Binnenmarkt sowie den Export auf den Weltmarkt noch mehr als andere Staaten angewiesen ist. Dieses Dilemma lässt die deutsche Strukturkrise deutlicher als bisher hervortreten.

Die bereits vorhandene Strukturkrise liegt auch daran, dass Europas Champions unzureichend in den neuen Technologien mitspielen, die noch mehr in die Mitte der Mehrwertschöpfung rücken, also beispielsweise  KI oder Halbleiter; es gibt kein europäisches Apple, Microsoft, Meta oder Alphabet. Das letzte solche große Start-Up aus Deutschland war SAP. Als Grund dafür sieht der italienische Ex-Premier Enrico Letta die Fragmentierung der europäischen Finanzmärkte, die große Investitionen wie in den USA oder China erschweren. Anders gesagt: Die nationalen Produktivkräfte stoßen an ihre Grenzen, trotz EU, die eben doch die Grenzen des Nationalstaats nie aufheben konnte. 

VW möchte die ersten Werksschließungen  seit dem Krieg vornehmen. Die Arbeitslosigkeit wird wieder steigen, die hohen Energiepreise seit dem Krieg machen der BRD weiter zu schaffen, die Auftragsbücher der Stahlindustrie sind leer. Die Fertigung macht immer noch 20 Prozent der Bruttowertschöpfung in Deutschland aus, doppelt so viel wie in Frankreich, was die Abhängigkeit erhöht. ThyssenKrupp spricht bereits von „Deindustrialisierung“, die allerdings wohl keine völlige umfassende Deindustrialisierung sein wird, sondern eher eine sektorielle Verlagerung mit dem Verlust vieler Arbeitsplätze.

China macht Deutschland nicht nur auf dem Automarkt Konkurrenz, sondern auch im Chemiesektor: „Die deutsche Industrie ist in Bezug auf China gespalten. […] Während viele mittelständische Unternehmen, insbesondere Maschinenbauer, die Politik des ‚De-Risking‘ unterstützen, setzen Autobauer und Mischkonzerne wie BASF weiter auf China. Volkswagen und BMW planen große Neuinvestitionen in die chinesische Produktion, ebenso wie Autoteilehersteller wie Continental“, so Focus Money.

Dazu kommen inländische „hausgemachte“ Probleme, wie die nicht mehr zeitgemäße Schuldenbremse, die investitionshemmend wirkt. Dies hat inzwischen sogar die Union bemerkt, nachdem die Ampel darüber auseinandergebrochen ist. Auch kann die erstarkte Rüstungsindustrie die Verluste in den anderen Sektoren trotz hohen Staatskonsums nicht kompensieren.

Ein Nullpunkt der Strategie, nun auch für die deutsche Bourgeoisie

„Das postnazistische, ökonomistische, posthistorische und geopolitisch träge Deutschland verschwindet, das neue kämpft darum, zu entstehen“, um Antonio Gramsci mit einem Artikel von Juan Chingo auf die heutige Lage anzuwenden. 

Der Ukrainekrieg wurde für den Westen – so sieht es derzeit auch aus – von europäischer Seite aus verloren, nicht von den USA. Europa war nicht bereit und fähig, die gleichen politischen, technologischen und finanziellen Anstrengungen in den Krieg zu investieren wie Russland, das seine Streitkräfte modernisiert hatte und durch neue Bündnispartner in Zentral- und Ostasien die Wirtschaftssanktionen unterlaufen sowie die Hegemonie im eigenen Land aufrechterhalten konnte und sogar mit Nordkorea einen Verbündeten unmittelbar für das Kriegsgeschehen aktiviert hat.

So etwas ist Europa nicht gelungen, das vor allem geschwächt wurde durch den Krieg, weil die Brücke in den Osten im wahrsten Sinne des Wortes gesprengt wurde – mit dem anschaulichen Bild der Sabotage der Nordstream-Pipeline, woraufhin Robert Habeck US-LNG importieren musste. Diese Schwächung war im Interesse der USA, die die strategische EU-Stellung als Profiteur zwischen den USA und China sowie Russland damit brechen konnte, was ein Handelskrieg allein nicht vermochte. 

Bezüglich China ist die deutsche Wirtschaft in einer Abhängigkeit gefangen, denn die Entflechtung der Investitionen und Importe ist mit enormen Kosten verbunden, selbst wenn diese geordnet geschieht, wie etwa durch die „China plus Eins“-Strategie. Die Deutsche Zentralbank warnt vor einem Szenario der Störung der Wirtschaftsbeziehungen mit China, kann aber auch keine Strategie anbieten. 

China baut indes auch seine Dominanz in erneuerbaren Energien aus, während der COP-29-Gipfel in Baku de facto gescheitert ist. Und China sich entsprechend als stabiler, verlässlicher Führer in der Trump-Ära präsentieren kann. Im Rahmen der Belt and Road Initiative (dt. Neue Seidenstraße, womit Projekte zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Infrastruktur- und Handelsnetze bezeichnet werden)  eröffnete China einen exklusiven Handelshafen in Peru als Teil der  Strategie, den USA die Hegemonialrolle im Globalen Süden streitig zu machen.

Auch auf diese Aspekte des veränderten Weltsystems hat die BRD keine Antwort, die China erst als Gelegenheit für billige Produktion und Massenkonsum, dann für Joint Ventures sah, aber nicht als dominanten Akteur gegenüber der Welt. Zuletzt schlug während der ersten Episode des Trumpismus der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine protektionistische Industriestrategie vor, die damals auf noch wenig Gegenliebe aus dem deutschen Kapital stieß. Heute wirkt diese Strategie geradezu prophetisch, angesichts des kurz danach stattfindenden Großkriegs in der Ukraine und der Wiederkunft Trumps als Speerspitze des Protektionismus. Aber eine zusammenhängende deutsche Strategie ist umso weniger in Aussicht.

Wir könnten, in Analogie zum bekannten Ausspruch Daniel Bensaïds, sagen, dass nicht nur die Arbeiter:innenbewegung an einem strategischen Nullpunkt ist. Auch die westlichen Politikberater:innen und Politiker:innen sind an einem strategischen Nullpunkt, besonders die deutschen. Dieser Nullpunkt ist Teil der „Zeit der Monster“, wie wir bereits 2016 den ersten, schwächeren Bonapartismus Trumps erster Regierungszeit im sich im Umbruch befindenden Weltsystem charakterisierten. Nur diesmal wird sein Bonapartismus stärker sein, weil seine Bewegung gelernt hat und weil die Welt explosiver geworden ist durch den Großkrieg in der Ukraine – und der Kampf um die Profite härter. 

Das heißt, wir werden es notwendigerweise mit schnelleren Schwankungen der Wirtschaft und des Regimes zu tun haben und das in verschiedene Richtungen. Aber das gemeinsame Level dieser Schwankungen wird sein, worauf sich alle einigen können und was der Anti-Charismat Boris Pistorius beliebt machte, da er es am meisten verkörperte: einen neuen deutschen Nationalismus und Militarismus, der geradezu als objektiv notwendig und gar moralisch geboten anerkannt wird in einer „Welt der Behemoths“. Einer Welt, in der man guten Gewissens für 825 Millionen Euro Gardeuniformen bestellt, während die Krankenhäuser am Land sterben. Diese Welt wurde der BRD von den Behemoths China und USA bereitet.  Aber trotz all dem Anti-Trumpismus – und wir werden auch wieder mehr Anti-China-Stimmungen erleben – wird Deutschland in diesem Weltsystem mehr Eigenschaften von Trump und Xi annehmen und integrieren.

Auf die Arbeiter:innenklasse wird die Zeit der Behemoths zwei entgegengesetzte und kombinierte Wirkungen haben: Einmal das Erstarken des Chauvinismus und Nationalismus, großnationaler Gedanken, Abschottungsgedanken, Souveränismus, Phantasmen von Autarkie und natürlich ein erhöhter Militarismus, der den Pazifismus und traditionellen Ausgleich der BRD bekämpft und auch ganz einfach verdrängt. Dies geschieht nicht nur in den rechten und konservativen Parteien, sondern auch in den Grünen, die pro atlantisch sind, BSW, das pro russisch ist, und der SPD, die sich möglicherweise wieder als Brückenbauerin sehen wird, wenn es in die Verhandlung mit Russland geht.

Zum anderen wird die Zeit der Behemoths aber auch die Wirkung neuer Klassenkämpfe haben, neuer prekärer Sektoren, aber auch alter, fast schon eingeschläferter Sektoren, wie insbesondere der Metallindustrie, die vital bedroht ist – besonders das Herzstück der Autobauer und ihrer Zulieferer. Zuletzt wird es mehr Polarisierung in der Jugend geben, die zum einen nach rechts geht, aber sich zum anderen auch nach links radikalisieren  – anfänglich anhand der Palästinafrage – und damit in die Arbeiter:innenbewegung intervenieren kann. 

Vor einer großisraelischen Ordnung in Westasien?

Der Genozid gegen das palästinensische Volk ist längst in einen Regionalkrieg übergegangen. Die iranische Achse wurde im Libanon hart getroffen und musste angesichts der inneren Schwäche des Iran relativ passiv bleiben. Und das in einer Lage, in der ihre Investitionen in der Region zerstört werden. Die US-Strategie hier war bisher, Israel in allem zu unterstützen, aber auf die Vermeidung einer völligen Eskalation der Region, insbesondere eines Großkriegs mit Iran oder eine Destabilisierung Ägyptens, hinzuwirken. Dies ging bisher für den Imperialismus gut, aber es stellt sich die Frage der Exit-Strategie, zumal der zionistische Staat sich in eine Situation manövriert hatte, in der er sich immer radikaler „selbst verzehren“ muss, um am Leben zu bleiben, also den Genozid immer mehr zuspitzen, den Krieg immer weiter ausweiten. 

Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich sagte laut Haaretz zum Genozid ganz offen: „Es ist möglich, eine Situation zu schaffen, in der die Bevölkerung des Gazastreifens in zwei Jahren weniger als die Hälfte ihrer derzeitigen Größe beträgt“ und „Die Förderung der freiwilligen Auswanderung ist eine Chance, die sich mit der neuen Regierung bietet.“ (Eigene Übersetzung). Laut Smotrich würde ein solches Szenario „eine andere Welt“ schaffen, in der Israel die vollständige Kontrolle ausüben könnte, und bezeichnete es als „wichtigen Schlüssel“ auch für das Westjordanland.

Die Eskalation wird die Vervielfachung künftiger Krisen bedeuten. Trump wird die Linie Netanjahus sicherlich noch mehr als Biden befürworten und die Israelpolitik noch härter als Biden fortsetzen, wie seine frühere Amtszeit etwa mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt und der Annexion der Golan-Höhen, die mit der israelischen Invasion in Syrien gefestigt wurde, zeigten. Netanjahu hatte deshalb schon vor der Wahl alles auf Trump gesetzt.

So gibt es bereits Berichte, dass die Regierung Netanjahu Trump einen Waffenstillstand mit Libanon „als Geschenk“ machen möchte. Dieses Geschenk wäre tatsächlich ein Handel, damit Trump die Anerkennung weitergehender Kriegsziele des zionistischen Staats gewährleistet, etwa Annexionen und einen härteren Kurs gegenüber Iran, Hisbollah und Ansarullah, etwa indem Israel weitere dauerhafte Interventionen gegen Libanon als Sicherheit gestattet werden, womöglich ein „Umdrehen“ des Libanon zu einem dauerhaft iranfeindlichen Staat. 

Der Sturz Assads eröffnet eine neue Ära in Syrien, deren Übergang keinesfalls Sicherheit oder Fortschritt verspricht. Israel bombardiert seitdem mehrere Städte in Syrien und rückt mit Bodentruppen vor. Der zionistische Staat wäre ohne die Unterstützung der USA und der europäischen Staaten – allen voran Deutschlands – nicht in der Lage, den Genozid am palästinensischen Volk und die Militäroffensive in mehreren Ländern der Region durchzuführen. Die Türkei versucht ebenfalls von der neuen offenen Situation zu profitieren, indem sie den Einfluss auf Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und die Syrische Nationalarmee (SNA) nutzt, um eine Invasion im kurdischen Rojava zu organisieren. Darüber hinaus versucht die Türkei, mit Bau- und Zementunternehmen beim Wiederaufbau der Infrastruktur in Syrien eine strategische Rolle einzunehmen. Beide Regionalmächte, Israel und die Türkei, machen Anstrengungen, um die regionale Neuordnung entscheidend zu beeinflussen. 

Eine große Gefahr besteht für den Imperialismus darin, dass eine Eskalation und Zermürbung Ägypten destabilisiert, etwa wenn hierher viele Palästinenser:innen vertrieben werden. Dann könnte es zu erneuten Ausbrüchen von Phänomenen wie im „Arabischen Frühling“ kommen, die die USA und die westlichen Alliierten eigentlich unbedingt verhindern wollten. 

Der deutsche Imperialismus hat hier über die allgemeine Zugehörigkeit zum US-Bündnissystem und die ideologische Komponente hinaus nicht so viele „Eisen im Feuer“ wie in der Ukraine. Wenn in Deutschland also über Frieden gesprochen wird, ist damit eigentlich die Haltung zu Russland gemeint, nicht Frieden im Allgemeinen. Dies unterscheidet den deutschen Wahlkampf von Frankreich, wo die Neue Volksfront propalästinensisch wahrgenommen wurde. Keine deutsche Partei, auch nicht BSW, hat ein Interesse an einer Kampagne zu Palästina.Das deutsche Regime will die Palästinabewegung mit Repression zum Schweigen bringen, aber darüber hinaus gewinnen Parteien hier nichts. 

Auf der Ebene des Bewusstseins der Jugend und der Arbeiter:innenklasse wurde es allerdings im Zuge des Genozids möglich, dass Teile der Jugend, der Studierenden und sogar der Gewerkschaften in den USA mit dem Zionismus brachen. Damit begaben sie sich auch in Opposition zum eigenen Imperialismus, was von unschätzbarem Wert für die kommende Periode ist, die ja eine schärfere imperialistische Auseinandersetzung darstellt. Nicht zuletzt deshalb hatte Biden etwa in Michigan seine Wähler:innen verloren – symbolisch für das Scheitern der imperialistischen Vermittlung zur Basis. 

Russische Kriegsziele, ein Deal und eine neue Ostpolitik?

Damit kommen wir zur größten und auch den deutschen Wahlkampf wichtigsten Baustelle des Weltgeschehens, dem Ukrainekrieg und Russland.

Im Herbst gab es eine neue Eskalation des Krieges. Die Biden-Administration hat den Einsatz von Raketen gegen russisches Gebiet erlaubt, woraufhin Russland neuartige konventionelle Überschallraketen gegen die Ukraine einsetzte, die aber auch nukleare Sprengköpfe tragen können. Gleichzeitig änderte Russland seine Nukleardoktrin, so Putin:

Die Frage unserer Stationierung von Klein- und Mittelstreckenraketen wird von den Aktionen der USA und ihrer Satelliten abhängen. […]  Wir sehen uns im Recht, unsere Waffen gegen die militärischen Einrichtungen jener Länder einzusetzen, die den Einsatz ihrer Waffen gegen unsere Einrichtungen erlauben. (Eigene Übersetzung).

Auch der Einsatz nordkoreanischer Truppen kann als Eskalation und Erfolg Russlands gewertet werden, einen neuen Verbündeten aktiv in den Krieg zu ziehen, während im Westen in Erwartung Trumps, aber auch angesichts der Strategielosigkeit, etwas in diesem Krieg zu gewinnen, eher Kriegsmüdigkeit herrscht. Olaf Scholz rief sogar  Putin an, was man fast zwei Jahre lang nicht mehr erlebt hatte und Friedrich Merz als Schwäche der deutschen Regierung interpretierte. Merz wird an dieser Schwäche aber nichts ändern, da er ebenso wenig eine „winning strategy“ anzubieten hat wie Scholz.

Für den weiteren Verlauf des Kriegs müssen wir feststellen, dass mehrere Szenarien möglich und wahrscheinlich sind.

Der Krieg könnte auf Drängen der USA mit einem Kompromiss enden, der Russland den Donbass und die sowieso schon lange eroberte Krim überlässt, auf eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine dauerhaft verzichtet (also politische Neutralität, Russlands Kriegsziel), aber etwa im Rahmen einer internationalen Mission eine Bestandsgarantie für die Westukraine zusichert, die dann vom Westen aus – und hier führend von Deutschland aus – wirtschaftlich erschlossen werden und ihre Schulden abbezahlen könnte. Dies wäre im Sinne der USA, damit sie Russland stärker von China trennen können, falls ihnen das überhaupt noch gelingt, nachdem sie sie mit Gewalt zu einem Block zusammengeschweißt haben und Europa geschwächt und von Russland entfernt wurde, besonders Deutschland. Für Deutschland wäre es akzeptabel, wenn die Westukraine wirtschaftlich der Halbkolonisierung offen stünde und als Puffer zu Russland dienen könnte.

Diese Kalkulation kann aber auch an vielen Stellen schief gehen. Wenn in der Verhandlung kein für Russland gewinnbringendes Angebot auf den Tisch kommt, wird es für Putin einfacher sein, den Krieg fortzusetzen, als ihn zu beenden. Besonders wenn Russland daran zweifelt, dass der Westen auf ein Hineinholen der Ukraine verzichtet; beispielsweise, wenn die Ukraine EU-Mitglied werden soll und damit auch über die EU geschützt wäre. Möglich und wahrscheinlicher wäre hier aber eine Art privilegierte Partnerschaft, da die Ukraine wirtschaftlich zu sehr am Boden ist, um in die EU aufgenommen zu werden. Im Fall eines Scheiterns könnte Trump den Krieg umso schärfer fortführen, um Russland zu einem Deal zu zwingen. Hier könnte die Eskalation unter Trump sogar noch größer sein als unter Biden. 

Kurzfristig können wir aber damit rechnen, dass durch Trumps kommenden Amtsantritt Verhandlungen mit Russland viel wahrscheinlicher geworden sind. Das wird auch die deutsche Landschaft wieder stark verändern. Scholz, in internationalen Fragen als eine Ausgleichspersönlichkeit einer Ausgleichspartei wahrgenommen, kann hier eine neue Autorität zurückerlangen. Anders als Merz kann er eine Art Ostpolitik wiederbeleben, wenn auch mit ganz anderen Vorzeichen, nämlich unter Beibehaltung des Militarismus, der Aufrüstung, der Bewaffnung der Ukraine, der Truppen im Baltikum. Nichtsdestotrotz könnte die Vorstellung, wieder geordnete Beziehungen mit Russland eingehen zu können, für die deutsche Bourgeoisie richtig erscheinen, besonders wenn die USA sich weiter zurückziehen. Und damit auch weiter eine vermittelnde Position gegenüber China einnehmen zu können. 

Diese Option löst zwar das Strukturproblem der Wirtschaft und das geostrategische Dilemma nicht, aber sie zögert diese Fragen hinaus. Das könnte in einer Zeit des strategischen Nullpunkts der deutschen Bourgeoisie zwischen den Behemoths schon genug sein. Und es wird nicht nur die SPD womöglich stärken, sondern auch Wagenknecht, und die beiden Partner näher zueinander bringen können; eine Tendenz, die wir auf Länderebene in Brandenburg schon sehen. 

Antworten des Klassenkampfes 

Die heutige Krise des globalen Kapitalismus erinnert an die Legitimationskrise des frühen 20. Jahrhunderts: Der Ruf nach „Sozialismus oder Barbarei“ wird durch wachsende Kriegsgefahren und die eskalierende Klimakrise verstärkt. 

Die politische „extreme Mitte“, zu der die Ampel gehört, hat lange die Phase des Neoliberalismus geprägt, der alternativlos erschien. Diese extreme Mitte hat weltweit viel verloren. Statt den klassischen peronistischen Flügeln erleben wir den Libertären Milei, statt den beiden klassischen Armen der Bourgeoisie in den USA erleben wir den Wiedergänger Trump als großen Bruder, dessen Schatten Milei quasi vorweg warf. In Deutschland erleben wir eine gefestigte AfD und die lange fällige Spaltung der Linkspartei.

Claudia Cinatti charakterisiert diese Zeit als eine der asymmetrischen Polarisierung, nicht des bloßen Rechtsrucks. Asymmetrisch, da die extreme Rechte ihren Rassismus, Sexismus, ihren Hass und Autoritarismus immer weiter zuspitzt, während die reformistische Linke ihre Positionen noch weiter abgeschwächt und in erster Linie versucht, die Institutionen des Kapitalismus zu beschützen. Diese Konstellation führt regelmäßig zu neuen Krisen. 

So zeichnet sich weltweit eine dritte Welle des Klassenkampfes ab – nach der ersten Welle direkt anschließend an 2008/09 mit dem Arabischen Frühling und der zweiten Welle um 2018/19 mit den Gelbwesten. Diese dritte Welle seit der Weltwirtschaftskrise ist stärker angeführt von den Arbeiter:innen in den USA, die mit Erfolgen der UAW (United Auto Workers), der Hafenarbeiter:innen und der Boeing-Beschäftigten an der Spitze stehen. Die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse in Europa haben teils die größten Proteste seit Jahrzehnten hervorgebracht, angetrieben durch Lohneinbußen infolge der Inflation. Der bisherige Höhepunkt dieser Kämpfe war der Rentenprotest in Frankreich. Die Aufstände gegen Sparmaßnahmen in verschuldeten Ländern gehören auch zu den Phänomenen der dritten Welle. In Kenia haben die Massen das Parlament gestürmt, um gegen die geplante Steuerreform und die vom IWF diktierten Sparpläne zu protestieren. In Bangladesch hat der Aufstand der Jugend sogar zum Sturz der Regierung geführt. 

Neben diesen Kämpfen erstarken Bewegungen wie die Frauenbewegung, die antirassistische Bewegung und die ökologische Jugendbewegung. Die extreme Rechte nahm sie ins Visier, um Polarisierung und Kulturkämpfe zu schüren. Doch sie kämpfen auch mit dem Problem der Institutionalisierung, die von ihren eigenen Kräften heraus beabsichtigt wird. Besonders die Solidaritätsbewegung mit Palästina hat sich als prägende antiimperialistische Kraft herausgebildet, die massiv von staatlicher Repression überzogen wird. Eine solche Bewegung in der Intensität gab es zuletzt gegen den Vietnamkrieg.

All dies verdeutlicht eine Tendenz, die darauf abzielt, gegen die neoliberale Offensive die Kampfkraft der Jugend und Arbeiter:innen wiederherzustellen. Das Problem liegt jedoch in der fehlenden politischen Repräsentation des Klassenkampfes. Während die extreme Rechte ihre Radikalisierung durch Hass, Fremdenfeindlichkeit und autoritäre Tendenzen vertieft hat, verfolgen linke Strömungen, die aus dem traditionellen Reformismus hervorgingen, eine Strategie zur Rückkehr der bürgerlich-demokratischen Mitte. Diese Strategie ist zum Scheitern verurteilt, wie das jüngste Wahldesaster der Demokraten unter Kamala Harris verdeutlicht hat. 

Die kapitalistische Krise wird weiterhin ungelöst bleiben und neue Spaltungen und Krisen hervorrufen. Wir bereiten uns darauf vor, in solchen Situationen die Initiative zu ergreifen, ohne uns von denjenigen vereinnahmen zu lassen, die den Klassenkampf zu entschärfen versuchen, weil sie die friedliche Koexistenz mit dem Kapitalismus befürworten.

In diesem Szenario gibt es zwei grundlegend verschiedene strategische Hypothesen: Eine, die versucht, die extreme Rechte in der Regierung zu verhindern oder einzudämmen und dafür den antikapitalistischen Kampf auf unbestimmte Zeit verschiebt, die aber selbst immer tiefer in den Bankrott der geringeren Übel und des Co-Managements verwickelt ist. In Deutschland findet diese ihren Ausdruck unter anderem in der Linkspartei, die mit Anbiederung an den deutschen Staat um ihr Überleben kämpft. So sprach sich die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner nach Christian Lindners Entlassung aus dem Kabinett für den Erhalt der Ampelregierung aus und propagiert das Motto „Antifa heißt Wohlfahrtsstaat“ als Allheilmittel für den Kampf gegen den Rechtsruck.

Die andere Hypothese besteht darin, dass Arbeiter:innen unabhängig von ihren Bossen und bürgerlichen Parteien die extreme Rechte durch eine antikapitalistische Perspektive zurückschlagen; in der Perspektive  der Einheitsfront und der Selbstorganisation, um den Weg zu ebnen, dass die Arbeiter:innenklasse um die Macht und eine sozialistische Gesellschaft kämpfen kann. 

Vor dem Hintergrund dieser Hypothese der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse als mögliches Szenario fand unser Kongress zu unserem ersten Wahlantritt als Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) / Klasse Gegen Klasse in einem Wahlbündnis zusammen mit der Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO) statt, aus dem dieser Artikel zur Internationalen Lage hervorgegangen ist.

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