Zweitklässler*innen gegen Ungerechtigkeit

18.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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3.500 angestellte Lehrer*innen in Berlin treten in den Warnstreik – Unterstützung bekommen sie von älteren und jüngeren Schüler*innen.

Warum sind Berlins angestellte Lehrer*innen am Donnerstag in den Streik getreten? Das kann auch jedes Kind verstehen. „Ich bin hier zu protestieren, weil ich es unfair finde“ sagt ein kleiner Junge ins Mikrofon. Die zweite Klasse der Lenau-Grundschule in Kreuzberg machte am Mittwoch eine Exkursion. Mit ihrem Lehrer, Uwe Fischer, bastelten sie Protestschilder. Aber was finden sie genau unfair? „Herr Fischer verdient richtig viel Geld“ erzählt ein weiterer Junge. „Aber ich will, dass alle anderen auch so viel verdienen.“

Auf dem Potsdamer Platz gibt es tobenden Applaus für die Kleinen. 3.500 Lehrkräfte haben sich um 10 Uhr bei strahlender Sonne versammelt, mit roten Fahnen und roten Westen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte zum Warnstreik aufgerufen. Seit Anfang 2013 hat die Gewerkschaft insgesamt 19 Streiktage organisiert, um die Gleichstellung von angestellten Lehrer*innen mit ihren verbeamteten Kolleg*innen zu erreichen.

Für die Zweitklässler*innen ist die Situation klar: „Herr Fischer“ ist Beamter. Die Sonderpädagogin, die letztes Jahr in der Klasse angefangen hat, ist Angestellte. Obwohl beide die gleiche Arbeit machen, verdient Fischer mehrere hundert Euro im Monat mehr. „Ich darf nicht streiken“ sagt Fischer, „deswegen machen wir die Exkursion heute. Denn Streiks gehören zum Leben dazu.“ Mit den Kindern hatte er besprochen, warum ihre Sonderpädagogin heute fehlen würde. Diese Ungerechtigkeit war für die Kinder ein absolutes No-Go.

Der Berliner Senat dagegen sieht seit Jahren keinen Handlungsbedarf, denn es geht um viel Geld. Seit 2004 verbeamtet das Land Berlin seine Lehrkräfte nicht mehr. Jedes Jahr kommen mehr Angestellte in die Schulen: Heute sind es insgesamt 12.000, bald werden es mehr als die Hälfte aller Lehrkräfte sein. Deswegen gehörte Donnerstag zu den größten Streiks der letzten Jahren.

Nicht nur kleine Schüler*innen sind dabei. Michael Lentz vom Oberstufenzentrum Gesundheit II in Hellersdorf hat auch eine Exkursion mit seiner Klasse gemacht. Also er ist beim Streik dabei, aber offiziell gesehen noch auf Arbeit. „Das bindet die Schüler*innen ein, und damit auch die Eltern“ erklärt der junge Pädagoge.

Daniela Wolf vom Albrecht-Dürer-Gymnasium in Neukölln sieht das genauso. „Bei uns ist das nicht wie bei der Bahn“ erzählt sie. Sie streit seit zwei Jahren mit, „aber unsere Streiks haben nicht viel Auswirkungen.“ Auch die Schüler*innen und Eltern müssen Druck machen, denn schließlich leidet die Qualität des Unterrichts unter der Unzufriedenheit im Lehrer*innenzimmer.

Eine Gelegenheit für gemeinsame Proteste wäre der 27. April – hier planen Bündnisse in verschiedenen Städten Schulstreiks gegen Rassismus. Robert Samstag vom Berliner Schulstreikbündnis betont, dass sie genau wie die GEW das „Recht auf Bildung für Geflüchtete“ fordern. Er schlug vor, dass die GEW einen eigenen Warnstreik auf den 27. legt.

Mitten auf dem Potsdamer Platz gibt es ein „Speakers Corner“, eine kleine Bühne mitten in der Menge, wo Streikende sich zu Wort melden können. Neben Solidaritätsbotschaften von der IG Metall, von Amazon-Beschäftigten und von vielen weiteren Schüler*innen sprechen auch Lehrer*innen über ihre Forderungen. Ein Lehrer von einer Neuköllner Oberschule nennt es eine „Umverschämtheit“, dass er deutlich mehr verdient als Lehrer an Grundschulen.

So wie die Zweitklässer bereits erzählt haben: Es geht nicht nur um den Lohn selbst. Sondern um die Gerechtigkeit. Die GEW Berlin hat bereits angekündigt, dass die Streiks nach den Osterferien weitergehen werden. „Es wird nicht reichen, wenn wir alle zwei Monate einen Streiktag machen“ sagt GEW-Mitglied Christoph Wälz. „Viele wissen, dass wir länger am Stück streiken müssen.“

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