Zweite Nacht des Zorns in Minneapolis: Mörderpolizisten bleiben frei

29.05.2020, Lesezeit 10 Min.
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Gestern Abend gingen die Proteste in Minneapolis weiter. Während die Mörderpolizisten sicher und bequem in ihren Häusern blieben, wurde die Nationalgarde zur Zurückdrängung der Protestierenden gerufen. Während die Medien die Protestierenden als Kriminelle und Plünderer*innen dämonisieren, ist es klar, dass die wirklichen Kriminellen die Mörderpolizisten und die Nationalgarde sind, die sie beschützen.

In der zweiten Nacht in Folge gingen die Menschen in Minneapolis auf die Straßen, um gegen den Mord an George Floyd zu protestieren, und in der zweiten Nacht in Folge kam die Polizei in voller Kampfmontur heraus, setzte Tränengas ein und schoss mit Gummigeschossen auf die Protestierenden. Nachdem diese sich wehrten, hat nun die Kriminalisierung der Proteste begonnen, viele bezeichnen die Protestierenden als Plünderer*innen und Kriminelle.

Aber die wahren Plünderer*innen und Kriminellen sind nicht die Leute, die gestern Abend in den Straßen „Black Lives Matter“ riefen.

Der Mord an George Floyd hat nach der viralen Verbreitung einer Videoaufzeichnung seines Todes weltweit Aufmerksamkeit erregt. In dem Video wurde Floyd von einem Polizeibeamten aus Minneapolis brutal erwürgt, indem dieser sein Knie mehrere Minuten lang in Floyds Nacken drückte. Wie damals der ebenfalls von Polizisten ermordete Eric Garner rief Floyd immer und immer wieder: „Ich kann nicht atmen“. Selbst als die Umstehenden die Polizisten aufforderten aufzuhören, würgten die Beamten Floyd weiter. Nach zehn langen Minuten der Folter starb Floyd, ein 40 Jahre alter Türsteher, durch die Hand der Polizei von Minneapolis.

Die Reaktionen auf das Video waren überwältigend. Es wurde millionenfach geteilt. Gewerkschaften in ganz Minnesota haben Erklärungen gegen die Polizei von Minneapolis abgegeben, unter ihnen der Gewerkschaftsbund AFL-CIO, die Gastronomiegewerkschaft “Unite Here!” und die United Steelworkers. Die Universität von Minnesota hat alle Verbindungen mit der Polizei von Minneapolis abgebrochen.

Die vier in den Mord verwickelten Polizeibeamten wurden entlassen, aber keiner wurde verhaftet, trotz der überwältigenden Videobeweise, dass sie Floyd vorsätzlich ermordet haben. Der demokratische Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Frey, plädierte für die Verhaftung des Offiziers, dessen Knie auf Floyds Hals lag – und ignorierte dabei, dass es vier Polizisten waren, die Floyd hingerichtet haben, auch wenn es nur das physische Knie eines Mannes war. Frey sprach auch nicht über die fortgesetzte Polizeigewalt bei dem Protest. Und jetzt, nach dieser zweiten Nacht der Proteste, ruft er die Nationalgarde zu ihrer Niederschlagung herbei. Die Heuchelei ist verblüffend: Er ruft nach Gerechtigkeit, ruft dann aber die Nationalgarde herbei, um die schwarze Bevölkerung weiter zu terrorisieren.

In der ersten Nacht der Proteste in Minneaopolis gingen Tausende auf die Straße und zogen zum dritten Polizeirevier. Sie wurden mit Tränengas und Gummigeschossen beschossen. Es gab einen krassen Gegensatz zwischen dem Verhalten der Polizei gegenüber den “Black Lives Matter”-DemonstrantInnen einerseits und den bewaffneten weißen Demonstrant*innen, die die das Parlament des Bundesstaates Michigan stürmten und die Polizist*innen anschrien, andererseits. Es wurde kein Tränengas oder Gummigeschosse gegen sie eingesetzt – schließlich hatten sie die Unterstützung von Trump und von Schlüsselsektoren des Kapitals, wie dem Wall Street Journal.

Am Tag nach den mächtigen Protesten in Minneapolis versammelte sich eine kleinere Gruppe von Demonstrant*innen vor Derek Chauvins Haus und schrieb „Mörder“ auf seine Auffahrt. Eine Person hat auf Facebook gepostet, dass Essenslieferant*innen sich weigerten, ihm Essen zu bringen, als sie herausfanden, wer er war. Nun ist die Nationalgarde vor dem Haus dieses Mörder-Cops stationiert. Dies ist eine deutliche Erinnerung an die repressive Rolle des Staates: Anstatt einen bekannten Mörder zu verhaften, beschützt die Nationalgarde ihn.

In der Zwischenzeit hat Minneapolis damit begonnen, eine Mauer um das 3. Polizeirevier zu bauen, die aus Straßensperren und einem Maschendrahtzaun besteht – mit der richtigen Einschätzung, dass es weitere Proteste geben würde. Auch dies zeigt die Priorität des Staates. Anstatt die Männer, die Floyd getötet haben, einfach zu verhaften, haben sie sich dafür entschieden, Barrikaden um das Polizeirevier herum zu errichten.

Aber Minneapolis war nicht die einzige Stadt, in der gestern Abend Proteste stattfanden. In Los Angeles wurde zu einer Demonstration gegen Polizeigewalt aufgerufen, Protestierende blockierten dabei die Autobahn 101. Ein Polizeiauto drängte durch eine Menge von Demonstrant*innen und beschleunigte, während jemand auf dem Auto war – und verletzte die Person dabei. Das mörderische LAPD twitterte: „Wir hören Ihren Zorn und Ihren Schmerz. Wir werden die Redefreiheit immer gewährleisten. Punkt. Alles, worum wir bitten, ist, dass die Proteste auf sichere und legale Weise abgehalten werden.“ Solche Betroffenheit bedeutet wenig, wenn sie von einer Polizei kommt, die für ihre Brutalität gegen die schwarze Bevölkerung und die Niederschlagung von Protesten bekannt ist.

In Minneapolis eskalierte die Polizei in der zweiten Protestnacht schnell die Aktionen gegen Demonstrant*innen, die in geringerer Zahl als in der Nacht zuvor unterwegs waren. Am frühen Abend setzte die Polizei erneut – in voller Kampfmontur – Tränengas ein. Die Polizei brachte die Reiterstaffel um die Protestierenden zu konfrontieren und versuchte damit, die Proteste zu unterdrücken.

Im Laufe der Nacht wuchs die Menge zu Tausenden an, die die Wut über die Unterdrückung durch eine mörderische Polizei und die völlige Ungerechtigkeit des gesamten Systems und seine Brutalität gegenüber Schwarzen Menschen zum Ausdruck brachten. Während die Polizei Tränengas auf die Demonstranten schoss, wurde ein Geschäft von Autozone in Brand gesteckt. Plünderer*innen brachen in mehrere Geschäfte ein, darunter in ein Target-Geschäft in Süd-Minneapolis, und bewaffnete weiße Vigilant*innen (Selbstjustizler*innen), von denen einige Kettensägen trugen, kamen heraus, um angeblich „Geschäfte vor Plünderungen zu schützen“.

Wie man sich vorstellen kann, sind die Bilder von Schwarzen, die Geschäfte niederbrennen und Dinge von Target mitnehmen, ein gefundenes Fressen für die Rechten. Tucker Carlson argumentierte auf Fox News: „Hässliche Meinungen, Polizeibrutalität, unhöflich betitelte Damen im Central Park – all das ist schlimm, aber nichts davon ist auch nur annähernd so schlimm wie das, was Sie gerade gesehen haben…. Aufstände sind eine Form der Tyrannei. Die Starken und Gewalttätigen unterdrücken die Schwachen und Unbewaffneten. Es ist Unterdrückung.”

Obwohl Tucker Carlson vielleicht die widerlichste Art eines Ultrarechten ist, ist das, was er sagte, bezeichnend für eine weit verbreitete Denkweise: Die Gefährdung des Privateigentums von Target und Autozone ist schlimmer und „unterdrückender“ als die Ermordung von Schwarzen.

Und plötzlich werden in Carlsons perversem Universum Schwarze Jugendliche, die systematisch von der Polizei kriminalisiert und auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, zu „den starken und mächtigen“ Unterdrücker*innen. Wenn man eine Lampe, ein paar Kleider oder gar einen Fernseher von Target nimmt, wird man zum Kriminellen – zu einem Plünderer, der die Demokratie gefährdet. Das ist die Geschichte, die die Medien heute den ganzen Tag spielen und wiedergeben werden. Und es ist der Grund dafür, dass die Nationalgarde gerufen wird, um Proteste zu unterdrücken, noch bevor die Mörderpolizisten überhaupt eingesperrt wurden.

Wer einen Fernseher klaut, ist ein Krimineller. Aber ein riesiger Konzern zu sein, der vom Staat subvemtioniert wird, oder ein riesiger Konzern, der von der Regierung gerettet wird – das ist Business as usual. Wir sollten uns also fragen: Wer sind die wahren Plünderer*innen? Target, das seinen Mitarbeiter*innen 11 Dollar pro Stunde zahlt, um massive Gewinne für ihren CEO zu erzielen, dessen Nettovermögen fast 57 Millionen Dollar beträgt? Eine ausgewählte Gruppe von acht Personen, die die Hälfte des Weltvermögens besitzt und die Ressourcen der Welt ausbeutet? In den Mainstream-Medien werden sie dafür sorgen, dass das Thema der Schwarze Jugendliche ist, der sich einen 100-Dollar-Fernseher von Target nimmt.

Deshalb müssen wir die Schuld wieder genau dort ansetzen, wo sie hingehört: Derek Chauvin und die drei Polizisten, die ihn begleiteten, sind Mörder, die ins Gefängnis gehören. Ihr Verbrechen ist auf Band aufgenommen. Aber weil sie Polizisten sind, müssen wir selbst für diese elementarste Forderung auf die Straße gehen.

Alles an diesem Fall unterstreicht die völlige Ungerechtigkeit des rassistischen, kapitalistischen Systems. Die Ermordung von George Floyd war bereits ein ungeheuerliches Verbrechen – eines, das durch jede Sekunde, die die tötenden Polizisten in der Behaglichkeit ihres Zuhauses verbringen dürfen, nur noch verschlimmert wird, anstatt in dieselben Gefängnisse gesperrt zu werden, in denen zahllose People of Color und arme Menschen für viel, viel weniger eingesperrt sind. Es macht deutlich, wie Privateigentum über das Leben der Schwarzen gestellt wird – und zwar, wie der Coronavirus gezeigt hat, über das Leben der Arbeiter*innenklasse.

In diesem Augenblick ist es von entscheidender Bedeutung, unsere Stimme im Protest zu erheben – auf die Straße zu gehen, wenn wir können, und die Inhaftierung von Mörderpolizisten und ein Ende aller Polizeibrutalität zu fordern. Die Beispiele der Gewerkschaften, die Erklärungen abgegeben haben, sind ebenfalls ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber wir brauchen mehr. Wir befinden uns mitten in einem Aufwärtstrend im Klassenkampf, und die “Black Lives Matter”-Bewegung kann eine solche Bewegung vertiefen, stärken und radikalisieren. Wir brauchen die Einheit der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten, indem wir die Forderung nach „Black Lives Matter – gegen Polizeigewalt“ aufgreifen, aber auch Forderungen bezüglich der Coronavirus-Krise, von der People of Color unverhältnismäßig stark betroffen sind. Diese Einheit der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten, die Streiks, Streikposten und Demonstrationen organisieren, ist die soziale Kraft, die dieses System zerschlagen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst bei LeftVoice.

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