Zwei tote und 170 positiv getestete Arbeiter*innen bei Volkswagen in Argentinien
Tag für Tag sehen wir, wie Millionen zur Arbeit gehen, um nicht lebenswichtige Güter zu produzieren. Weltweit setzen die Unternehmer*innen für ihre Profite dabei die Leben der Arbeiter*innen aufs Spiel. Der deutsche Großkonzern VW ist nun verantwortlich für den Tod zweier weiterer Arbeiter, eine Reinigungskraft und ein Krankenpfleger, in der argentinischen Stadt General Pacheco.
Momentan macht Volkswagen in Argentinien erneut Schlagzeilen im Zusammenhang mit Coronavirus-Fällen am Arbeitsplatz und fügt der Liste der Toten leider zwei Arbeiter hinzu. Im Werk von General Pacheco wurden schon 170 Arbeiter*innen positiv auf Covid-19 getestet – zwei von ihnen verstarben. Es handelt sich um einen Mitarbeiter des outgesourcten Reinigungsunternehmens ISN und einen Krankenpfleger, der im medizinischen Dienst des Unternehmens tätig war.
Ende Mai wurde das Werk, das sich im Norden von Buenos Aires befindet, trotz der seit März verhängten, strengen Quarantäne wieder in Betrieb genommen. Das multinationale Unternehmen verpflichtete sich dazu, im Zuge der vorgesehenen Hygienemaßnahmen einhundert Tests pro Tag durchzuführen. Den Arbeiter*innen zufolge wurde und wird dieses Versprechen jedoch nicht eingehalten.
Wie verschiedene Medien basierend auf wissenschaftlichen Studien berichteten, zeigen 45 Prozent der Menschen unter Umständen keine Symptome. Nichtsdestotrotz garantieren die Unternehmen nicht, was im Hinblick auf die Pandemie notwendig wäre: bezahlte Kontrolluntersuchungen, um herauszufinden, wer an Vorerkrankungen leidet, damit Folgeuntersuchungen und Vorsorgemaßnahmen sichergestellt werden können.
Profite vor Menschen
Einige argentinische Medien sprechen fälschlicherweise von „Tausenden von Tests in der Automobilindustrie“ und führen diese als Beispiel für andere Branchen an, in denen die Infektionen, seitdem der Virus Anfang März auch das südamerikanische Land erreichte, exponentiell zunehmen. Doch ist Volkswagen alles andere als ein Musterbeispiel. Das deutsche Unternehmen trägt Verantwortung für einen Teil der Millionen von infizierten Arbeiter*innen. Wie auch andere multinationale Automobilkonzerne hat VW das Interesse, seine Produktion über die Gesundheit und sogar das Leben seiner Mitarbeiter*innen hinaus zu gewährleisten, und das zu einer Zeit, in der in Argentinien etwa 12.000 Menschen pro Tag positiv auf Covid-19 getestet werden – und mehr als 250 täglich am Virus sterben.
Als ob das nicht schon genug wäre, kommt für die Arbeiter*innen von VW in Argentinien zu der traurigen Nachricht über ihre verstorbenen Kollegen und der Angst, sich selbst bei der Arbeit anzustecken, noch eine weitere alarmierende Situation hinzu: Wie viele andere Unternehmen hat auch der deutsche Konzern verkündet, bald wieder zu regulären Zeiten zu produzieren. Abgesehen davon, dass das Infektionsgeschehen dies nicht zulässt – Argentinien ist letzte Woche im weltweiten Ranking der Länder mit den meisten positiv Getesteten auf Platz 11 aufgestiegen – liegt es auf der Hand, dass die Arbeiter*innen dem Virus aufgrund der größeren Fluktuation in der Fabrik deutlich stärker ausgesetzt wären und dementsprechend die Ansteckungsgefahr steigen würde.
In Argentinien werden für Volkswagen in jeder fast neunstündigen Schicht ca. 160 Fahrzeuge hergestellt. Für das Unternehmen ergibt sich daraus ein Umsatz von mehr als 3,6 Millionen Euro pro Tag, was mehr als 73,7 Millionen Euro pro Monat entspricht: Die Herstellung von SUVs ist zwar nicht essentiell, aber ein sehr lukratives Geschäft.
Die Produktion wurde zur Bekämpfung der Pandemie nicht umgestellt – dabei könnte Volkswagen den Zusammenbruch des Gesundheitssystems durch die Herstellung von Atemschutzgeräten, Krankenwagen und/oder Intensivbetten noch immer verhindern. Denn die technologischen Möglichkeiten, die Volkswagen hat, würden dies problemlos ermöglichen. Aber die Firma hat kein Interesse daran, im Kampf gegen den Virus einen Beitrag zu leisten. Stattdessen verkündet der Konzern, weiterhin Vermögen anzuhäufen.
Obwohl Volkswagen zu Beginn der Wirtschaftskrise die Einbußen mit seinen Gewinnen der vorherigen Jahre ohne weiteres hätte abfedern können, hat die lokale Geschäftsführung ohne schlechtes Gewissen die von der populistischen, vermeintlich progressiven Regierung unter Prasident Alberto Fernández ins Leben gerufene Hilfe für Unternehmen bezogen. Trotz der staatlichen Zuschüsse erhielten die Arbeiter*innen jedoch zwei Monate lang nur die Hälfte ihres Gehalts. Gleichzeitig versuchten sie es als „Wohltat“ zu verkaufen, dass die Beschäftigten, die einer Risikogruppe angehören, nicht entlassen, sondern „nur“ suspendiert wurden.
Der Wolfsburger Autobauer nimmt für die Aufrechterhaltung seines millionschweren Umsatzes den Tod von zwei – und potentiell mehr – Menschen in Kauf.
Und in Deutschland?
Nicht nur in Argentinien opfert VW das Leben seiner Arbeiter*innen für seine Profite. Im Nachbarland Brasilien, wo bereits über vier Millionen Infizierte zu verbuchen sind (die Dunkelziffer wird auf das Doppelte geschätzt), kündigte der Konzern im Juli an, 4000 Stellen zu streichen. Entlassen zu werden bedeutet hier, der Armut ausgeliefert zu sein.
Auch in der BRD hat VW keine weiße Weste. Während der Konzern durch Staatsgelder die Kurzarbeit finanziert, schüttet er den Aktionär*innen weiterhin Dividenden aus. Gleichzeitig werden Leiharbeiter*innen entlassen, die Sparte VW-Nutzfahrzeuge kündigt den Abbau von 5000 Stellen bis 2029 an.
International sind die Beschäftigten der Automobilbranche von der Wirtschaftskrise getroffen, die sich durch die Pandemie nur verschlimmerte. Die millionen- oder milliardenschweren Aktionär*innen versuchen, die Krise auf ihre Schultern abzuladen. Es ist im Interesse der Beschäftigten von VW in Deutschland, sich gemeinsam mit ihren Kolleg*innen in Argentinien und anderen Ländern dafür einzusetzen, dass Hygienemaßnahmen sichergestellt, Arbeitsplätze und -bedingungen geschützt werden und die Produktion auf lebensnotwendige Güter umgestellt wird.