Zwei Parteien in einer?

13.07.2015, Lesezeit 8 Min.
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// LINKSPARTEI: „Die Linke“ unterstützt Streiks mit der Kampagne „Das muss drin sein.“ Doch gleichzeitig ist sie Teil von Regierungen, die die Forderungen der Streikenden ablehnen. Wie passt das zusammen? Gibt es möglicherweise zwei konkurrierende Parteien innerhalb von „Die Linke“? Oder haben wir es mit nur einer einzigen reformistischen Partei zu tun? Eine Bestandsaufnahme nach dem Abtritt von Fraktionschef Gregor Gysi. //

Auf seinem Parteitag kündigte Gregor Gysi am 7. Juni den Rücktritt als Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag an. Es war sein Parteitag, denn faktisch führte er „Die Linke“ seit 1990 an. Der Wechsel an der Fraktionsspitze wird unter dem Zeichen der Kontinuität stehen: Gysis Vermittlungsrolle ist überflüssig geworden, aber sein bürgerliches Vermächtnis bleibt. Dieses Vermächtnis ist es, so Gysi selbst in seiner Abschiedsrede, zu „garantieren, dass es auch mit uns eine hohe Produktivität und eine funktionierende Wirtschaft […] geben wird“. Denn „der Kapitalismus kann eine höchst effiziente und produktive Wirtschaft hervorbringen“ und da er sich in Deutschland in eine „politische Demokratie“ kleidet, sei eine Revolution illegitim. Stattdessen solle seine Partei das „Bündnis mit dem Mittelstand“ suchen, denn „auch ihn stört die Marktdominanz der großen Banken und Konzerne […]. Aber es darf kein Zweckbündnis sein. Wir müssen es ernst meinen.“

Und Gysi meint es ernst. Es ist an der Zeit für die „Linken in der Linken“, die Führung der Linkspartei auch einmal ernst zu nehmen. Denn es gibt tatsächlich nur eine Position, die in der Linkspartei effektiv geäußert wird – und das ist die der Regierungsbeteiligung. Wer gegen Regierungsbeteiligung ist, so Gysi, „gibt das nicht zu“, sondern hofft, dass SPD und Grüne „schon an der zweiten roten Haltelinie scheitern“. Ebenso geht die Gruppe marx21 vor. So erklärt das marx21-Mitglied Janine Wissler, die die Linksfraktion im hessischen Landtag anführt, immer wieder, sie sei prinzipiell für Regierungsbeteiligungen, wenn bestimmte „Haltelinien“ eingehalten werden. Doch diese „Taktik“, die den kapitalistischen Staat nicht in Frage stellt, bedeutet nur eine Anerkennung des Regierungskurses. Folgerichtig stimmte marx21 auf dem Bundesparteitag dem Leitantrag der Parteiführung zu.

Der Sieg des „rechten Flügels“

Im Zentrismus und Linksreformismus ist die These populär, wir hätten es bei der Linkspartei mit „zwei Parteien in einer“ zu tun: eine der „Regierungslinken“ und eine der „antikapitalistischen Linken“. Zurzeit dominiere eben das „Reformlager“. Mit dieser Analyse belügen sich Linke selbst, denn es gibt nur zwei verschiedene parlamentarische, reformistische Strategien: Die eine hält ein oppositionelles Auftreten für zielführender, um mitregieren zu können, die andere ein offen anbiederndes. Das Ziel aber steht bei beiden längst fest: die Mitverwaltung des Kapitalismus.

Die „Sozialistische Linke“ (SL, zu der auch die Gruppe marx21 gehört) oder die „Antikapitalistische Linke“ (AKL, in der die SAV aktiv ist) verschweigen das. Gäbe es einen „revolutionären“ Teil in der Linkspartei, hätten wir ihn irgendwo in den zentralen Auseinandersetzungen der letzten Monate und Jahre gesehen. Die zentristischen Projekte innerhalb der Linkspartei tragen murrend die chauvinistische Politik der Gesamtpartei mit, statt vehement einem Bruch mit ihr anzustreben. Der Trend ist klar: Vom Bekenntnis zur Europäischen Union am Europaparteitag über die ersten Linke-Stimmen für einen Kriegseinsatz im Mittelmeer, die Ramelow-Regierung in Thüringen bis hin zur fast geschlossenen Zustimmung für die Spardiktate für Griechenland. Zwar war „Die Linke“ beim griechischen Referendum am 5. Juli diesmal für ein „Nein“ und damit gegen die Bundesregierung – einen „linken Teil“, der die Kapitulation Syrizas vor deutschem Imperialismus und griechischer Burgeoisie anprangert und eine revolutionäre Alternative fordert, gibt es jedoch nicht.

Deshalb kann Caren Lay von der rechten Strömung „Forum demokratischer Sozialismus“ (fds) auch stolz über das Anführen der Regierung in Thüringen sinnieren: „Es ist vor allem gelungen, ohne dass es darüber eine bemerkenswerte Auseinandersetzung innerhalb der Partei gab“. Deshalb kann der IG-Metall-Bürokrat Klaus Ernst mit Recht behaupten, dass es immer nur an der SPD lag: „Wir haben doch nie gesagt: Wir wollen nicht regieren“. Wieder kann man der Parteirechten nur beipflichten: Ihre Haltung ist identisch mit der Haltung der Partei selbst. Dass es eine andere Möglichkeit der Linkspartei gäbe, ist entweder eine Illusion oder auf „linker“ Seite eine apologetische Lüge.

Wie die „Kompromisse“, die auch die Parteilinke mit einer Regierungsbeteiligung im Bund absegnen wird, aussehen werden, sagt Gysi in seinem vorerst letzten Streich sehr konkret: Waffenexporte an „Demokratien“, Auslandseinsätze der Bundeswehr ohne „Kampfeinsätze“, EU „mit Demokratie“, weiterhin Geheimdienste und NSA, aber „selbstbewusst gegenüber der US-Regierung auftreten“, Leiharbeit nicht abschaffen sondern „angleichen“, die Vermögenssteuer nur erhöhen „ohne die kleinen und mittleren Unternehmen dabei zu schwächen“, eine „Mindestsicherung ohne Sanktionen“ statt der Abschaffung von Hartz IV.

Chauvinismus gegenüber Griechenland

„Die Linke“ ist „parlamentarisiert und mit der Mitte versöhnt“, wie der CDU-Hofprofessor Korte es in einer Talkshow glücklich feststellt. In der jetzigen Phase bedeutet die Diskussion über einen revolutionären Weg deshalb nichts weniger als die Diskussion über den Bruch mit der Linkspartei. Wer das immer noch nicht glauben möchte, werfe einen Blick auf die chauvinistische „nationale Einheit“ gegenüber Griechenland, in die sich die Partei fast geschlossen einreiht. Hier kommt die einzig richtige Selbsteinschätzung wieder nur aus der Parteirechten: Die Zustimmung zu den Schäuble-Spardiktaten im Bundestag vom Februar ist „eine Veränderung, die über die konkrete Entscheidung von heute hinausgeht“, so der Berliner Regierungslinke Stefan Liebich.

Als Gysi in der Umsetzung dieser weitreichenden Entscheidung schließlich behauptet, dass sie „keine Zustimmung zur Politik der Bundesregierung“ ist, gibt es hämisches Lachen und einen Zwischenruf von der CDU: „Dann hätten sie im Dezember auch schon zustimmen können!“ Das ist richtig. Die Linkspartei hat den ersten Anlass gewählt, um von ihrer taktischen Ablehnung gegenüber den Spardiktaten abzurücken. Ihre einzige „Alternative“ zu Merkel und Schäuble ist ein deplatzierter Keynesianismus für ein deutsches Kapital, das ihn nicht will: Griechenland solle mit einem vielbeschworenen „Marshallplan“ aufgebaut werden, damit es seine Schulden zurückzahlen könne und deutsche SteuerzahlerInnen nicht mehr haften. Im gleichen Atemzug appelliert Gysi an die „Pflicht, den Euro und die Europäische Union zu retten“.

Bürgerliche ArbeiterInnenpartei

Scheinbar bekommt der kompromisslose Rechtskurs nun aber einen Knick: Mit der Kampagne „Das muss drin sein“ unterstützt die Linkspartei Arbeitskämpfe. Das ist etwas, das wir und andere Linke immer wieder von dieser Partei gefordert haben. Der Inhalt der Kampagne: Befristung und Leiharbeit stoppen, Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hart IV, Arbeit umverteilen statt Dauerstress und Existenzangst, Wohnung und Energie bezahlbar machen, mehr Personal für Bildung, Pflege und Gesundheit. Auch in der aktuellen Streikkonjunktur lässt sich die Linkspartei hin und wieder blicken.

Wie passen diese zwei Entwicklungen der Linkspartei – Streikunterstützung bei gleichzeitigem Rechtsruck in nahezu allen politischen Fragen – zusammen? Findet etwa doch ein Flügelkampf in der Linkspartei statt? Gibt es noch Chancen für die „Linken in der Linken“?

Nein.

Was wir beobachten, ist das Ergebnis des widerspruchsreichen Entwicklungsprozesses einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei.

Unter bürgerlicher ArbeiterInnenpartei verstehen MarxistInnen eine Partei mit kapitalistischem Programm und pro-kapitalistischer Führung, aber einer Basis in der ArbeiterInnenklasse. Die organische Verbindung der Linkspartei zur ArbeiterInnenklasse beschränkt sich aber wesentlich auf untere Teile der Gewerkschaftsbürokratie. Gäbe es eine festere Bindung zur Klasse, müsste Gysi in seinem Abschied nicht zugeben, dass „mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer auf den größten Teil ihrer Arbeitnehmerschaft deutlich mehr Einfluss als wir haben“ und diese UnternehmerInnen nicht um „eine generelle Erlaubnis für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer uns zu wählen“ bitten.

Seine Partei stützt sich im Mitgliederbestand, dessen Durchschnittsalter 60 Jahre beträgt, auf ostdeutsche StaatsbürokratInnen (und RentnerInnen) und westdeutsche GewerkschaftsbürokratInnen. Sie greift also schon in ihrer Basis eher auf die Vermittlungsinstanzen zwischen den Klassen als auf die ArbeiterInnenklasse selbst zurück. Damit gibt sie eine allgemeine Tendenz der reformistischen Parteien in imperialistischen Ländern wieder, die seit der Niederlage des letzten großen Aufschwungs des Klassenkampfes in den 1970ern andauert: Reformistische Parteien verlieren an ArbeiterInnenbasis oder entstehen sogar neu ohne eine tiefe Verankerung in der Klasse.

„Die Linke“ war von Anfang an verfault. Deshalb ist die Geschichte der Linkspartei eine Geschichte der Beseitigung von „Hindernissen“ zur Regierungsbeteiligung, in der die gleiche Partei immer wieder versucht, Wurzeln in der ArbeiterInnenklasse zu schlagen, um eine Basis in Abgrenzung zur SPD zu gewinnen. Die Klasse dient ihr dabei sowohl in Griechenland als auch in Deutschland nur als Manövriermasse in den Verhandlungen mit der bürgerlichen Regierung, deren Teil die Linkspartei sein will.

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