Zusammenführen der Aufstände: Für eine Kampfpartei der Arbeiter*innenklasse

22.07.2020, Lesezeit 20 Min.
Gastbeitrag

Große Teile der sozialistischen Linken in den USA – z.B. im Umfeld der Zeitschrift Jacobin – plädieren dafür, die anhaltenden Rebellionen gegen den kapitalistischen Staat in den Wahlkampf und in die Demokratische Partei zu kanalisieren. Im Kontext eines wachstumslosen, räuberischen Kapitalismus ist dies utopisch. Wir brauchen stattdessen eine kämpferische, unabhängige Partei der Arbeiter*innenklasse, um die Rebellionen zusammenzuführen und die Macht zu gewinnen. Ein Gastbeitrag von Ahmed Kanna.

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Die USA sind vielleicht noch kein gescheiterter Staat, aber sie sind auf dem besten Weg dorthin. In einem Beitrag des Guardian vom 5. Juli 2020 heißt es, dass nur etwas mehr als die Hälfte der US-Amerikaner*innen heute einen Arbeitsplatz hat, die niedrigste Zahl seit mehr als 70 Jahren. Mindestens 45 Millionen sind arbeitslos. Da der Räumungsschutz und die Arbeitslosenunterstützung bald auslaufen und jede*r fünfte US-Amerikaner*in Mieter*in ist, stehen wir vor einer Flut von Obdachlosigkeit. Am 16. Juli gab es über 75.000 neue Fälle von Covid-19, ein neuer Rekord und mehr als die 25.000 pro Tag Mitte Juni. Bislang sind über 140.000 Menschen gestorben. Die US-Bundesregierung tut als ob nichts wäre, aber nicht bevor sie dafür gesorgt hat, dass Behandlungen und Impfstoffforschung an den kapitalistischen Gesundheitssektor vergeben werden. Der Konzern Gilead wird eine Behandlung (keinen Impfstoff) „entwickeln“, für die er über 3.000 Dollar pro Patient berechnen wird. Die Regierung hat der Pharmaindustrie ferner versprochen, nicht in die Preisgestaltung für künftige Behandlungen einzugreifen.

Überparteiliche Plünderungspolitik

Die Demokratische Partei taugt nichts, ihre viel gepriesene Linke ist weitgehend abwesend. Das Rettungspaket CARES und seine Verlängerung, das mit überwältigender parteiübergreifender Unterstützung verabschiedet wurde, ist ein massives Geschenk an die Konzerne. Die Rettungsaktion, die sowohl an den Finanzsektor als auch – ein Novum – an nichtfinanzielle Unternehmen geht, ist ein an keine Bedingungen geknüpftes Geschenk in Höhe von fast 4,6 Billionen Dollar an die Kapitalist*innenklasse, wobei ein winziger Bruchteil davon – etwa 600 Milliarden Dollar – für Barzahlungen an die Lohnabhängigen und für soziale Bedürfnisse wie Bildung bereitgestellt wird. Da es absolut keine staatliche Aufsicht gibt, steht es den Kapitalisten frei, sich auf einen Rausch von Aktienrückkäufen und Dividenden- und Gehaltserhöhungen für Führungskräfte einzulassen. Robert Brenner erklärt, dass die Politik des US-Staates jetzt vollständig auf einer Politik der «eskalierenden Plünderung» basiert. Er schreibt, dass die beiden Parteien «das Ausmaß begriffen haben, in dem das Geldverdienen von der profitablen Produktion abgekoppelt wurde, insbesondere in einer schwachen Wirtschaft». „Raub“, fährt er fort, sei „zu einer Voraussetzung für die Produktion geworden“.

In diesem Artikel versuche ich, die Frage zu beantworten, welche Art von politischer Organisation Arbeiter*innen und Unterdrückte brauchen, um gegen die sich verschärfende Barbarei des gegenwärtigen Kapitalismus zu kämpfen. Ich argumentiere, dass im Kontext einer wachstumslosen kapitalistischen Wirtschaft, die durch zunehmend räuberische politische Interventionen des kapitalistischen Staates gekennzeichnet ist, Strategien des elektoralen Sozialismus utopisch sind. Rebellionen, nicht der elektorale Sozialismus, führen zu Ergebnissen. Aber um die Arbeiter*innenklasse an die Macht zu bringen, müssen sich die Rebellionen zu einer demokratischen Organisation zusammenschließen, durch die sich die Kämpfer auf der Straße und am Arbeitsplatz zusammenführen lassen, gemeinsam debattieren und über die Strategie entscheiden und die kollektive Macht ausweiten können, die wir in Momenten des Bruchs, wie wir ihn derzeit erleben, ausüben. Wir brauchen, kurz gesagt, eine Organisation, die am besten zu dem passt, was Lenin als „die Aktualität der Revolution“ begrifflich gefasst hat. Ich möchte hier zwei prominente Strategien vorstellen, die derzeit von der sozialistischen Linken in den USA angeboten werden, und schließe mit der Unterstützung einer dritten Strategie: für eine klassenkämpferische Kampfpartei der Arbeiter*innenklasse, basierend auf einem Programm für revolutionären Sozialismus und einer Taktik von Übergangsforderungen.

Wie Julia Camara schreibt: „Die Aktualität der Revolution bringt ein Gefühl der Vorwegnahme mit sich, des Versuchs, die Revolution in die Gegenwart zu bringen und die Gegenwart in die Revolution zu bringen. In diesem Sinne funktioniert die Revolution wie ein regulierender Horizont für unser heutiges Handeln; wenn die Revolution nicht von Anfang an Teil unseres politischen Horizonts ist, ist es unwahrscheinlich, dass wir uns ihr nähern“ (Hervorhebung hinzugefügt). Ich behaupte, dass nur eine Organisation, die dieses Gefühl der Vorwegnahme – der Tatsache, dass die politische Zeit nicht linear ist, sondern sich in Sprüngen und plötzlichen Bewusstseinseruptionen entfaltet – verkörpert, in der Lage ist, den Bedürfnissen und der Kapazität der aufsteigenden Arbeiter*innenbewegung für unsere eigene Befreiung gerecht zu werden.

Erneute Neuausrichtung oder die „Taktik des Parteiersatzes“

Die erste Strategie, die ich betrachte, ist die Wiederbelebung einer alten Strategie. Sie wird am deutlichsten von Autoren um das Magazin Jacobin wie Dustin Guastella (DSA Philadelphia), Jared Abbott (DSA Boston) und dem Jacobin-Verleger Bhaskar Sunkara formuliert. „Ob es uns gefällt oder nicht“, sagt Guastella, „wenn wir mit einer dritten Partei arbeiten, werden wir verlieren“. Obwohl Guastella und seine Mitdenker versuchen, sich von diesem Begriff zu distanzieren, sind sie im Grunde genommen Befürworter der alten Strategie der Neuausrichtung der Demokratischen Partei. Diese wurde ursprünglich in den frühen 1960er Jahren von amerikanischen Sozialdemokraten verfolgt, darunter DSA-Gründer Michael Harrington. Die Idee war, die DP zu übernehmen, ihre kapitalistischen Elemente zu marginalisieren und sie in eine sozialdemokratische Partei europäischen Stils zu verwandeln. Guastella et al. sind sich vielleicht der zweifelhaften Geschichte der Neuausrichtung in der Vergangenheit bewusst – nicht nur ihres gründlichen Scheiterns in der Reform der DP, sondern auch ihres Antikommunismus und Imperialismus – und sagen, dass dies in Wirklichkeit eher ein „Parteiersatz“ als eine Neuausrichtungsstrategie ist. Guastella erklärt, dass die Organisation des Parteiersatzes „eine mitgliederbasierte, beitragsfinanzierte, unabhängige Institution mit einem klaren Programm“ wäre, die „viele der Funktionen einer traditionellen Arbeiterpartei erfüllen kann: Sie kann Kandidaten rekrutieren und ausbilden, mit Gewerkschaften bei der Organisierung von Aktionen zusammenarbeiten und politische Massenerziehung anbieten“. Der Unterschied zwischen dem „Parteiersatz“-Konzept und den bestehenden progressiven Fraktionen und Lobbygruppen in der Demokratischen Partei bleibt jedoch ungeklärt.

Eines der Probleme der Neuausrichtung, ob alt oder neu, besteht darin, dass es die Sozialist*innen dazu verpflichtet, unsere radikalsten, transformativen Forderungen zu mäßigen, und dadurch unseren Versuch behindert, die am stärksten unterdrückten Teile der Arbeiter*innenklasse für uns zu gewinnen. Nach Guastellas engstirniger Auffassung strebe eine Partei zwei Dinge an: die Wahl von Kandidat*innen und die Verabschiedung fortschrittlicher Gesetze. Eine fortschrittliche Gesetzgebung würde es nicht geben, wenn diese Kandidat*innen nicht gewählt werde. Um dies zu erreichen, müsse man sicherstellen, immer die Mehrheit anzuziehen. Aber eine Mehrheit der Wähler*innen wird zu jeder Zeit, insbesondere in Zeiten, in denen der Klassenkampf auf einem Tiefpunkt angelangt ist, eine Mischung aus konservativen und progressiven Ideen, aus unterdrückerischen Seinsweisen und potenziell befreienden Praktiken haben. Eine Politik, die 50+1 Prozent der Stimmen anstrebt, wird sich diesem Mischmasch einfach anpassen. Dies wiederum wird am Ende die Interessen der privilegiertesten Sektoren der Arbeiter*innenklasse widerspiegeln. Im Gegensatz dazu versuchen Sozialist*innen, die Arbeiter*innenklasse zur Befreiung der Klasse und von jeder Unterdrückung zu führen, indem sie nach dem Prinzip handeln, dass die Befreiung der gesamten Klasse auf der Befreiung aller ihrer Teile und nicht nur ihrer privilegiertesten Schichten beruht. So gesehen ist die Neuausrichtung nicht wirklich eine Form der sozialistischen Politik. Sie ist vielmehr ihre Negation.

Zudem fehlt uns immer noch eine revolutionäre Arbeiter*innenpartei mit Masseneinfluss, eine der notwendigen und aus leninistischer Sicht wichtigsten Voraussetzungen für die sozialistische Transformation. Wir befinden uns immer noch unter Bedingungen, unter denen ein Frontalangriff auf die kapitalistische Macht nicht durchführbar ist. Unter solchen Bedingungen ist die Strategie der Einheitsfront am sinnvollsten. Die Einheitsfront bringt reformistische und revolutionäre Arbeiter*innen zusammen und „marschiert getrennt, aber schlägt gemeinsam zu“. Um dies zu konkretisieren, sollten Sozialist*innen in der gegenwärtigen Periode die radikalsten antikapitalistischen Kämpfe, die gegenwärtig stattfinden, unterstützen, sich an ihnen beteiligen und durch Propaganda und Agitation politisch eingreifen. Indem sie das Konzept einer Mehrheit in all ihrer Spontaneität und ihrem gemischten Bewusstsein mit einer klassenbewussten Massenbewegung verwechseln, greift die Neuausrichtung voreilig als sozialistische „Führung“ der Rebellionen gegen das System ein. Dadurch entfremdet sie potenzielle (oder tatsächliche) sozialistische Genoss*innen und Anführer*innen der Arbeiter*innenklasse, die Kämpfen gegen Unterdrückung Vorrang einräumen, indem sie versuchen, ihre radikalen Forderungen zu moderieren und in das Wahllabyrinth des kapitalistischen Staates zu kanalisieren, oder schlimmer noch, indem sie ihnen erzählen, dass sie unbewusst mit der Kapitalist*innenklasse konspirieren würden.

Die Rolle der Sozialist*innen in der Einheitsfront besteht darin, die „Vorhut“, das heißt einfach die engagiertesten und potentiell revolutionärsten Klassenkämpfer*innen unter den Arbeiter*innen im Kampf gegen den Kapitalismus für sich zu gewinnen. Die Partei wiederum bietet die Arena für die kollektive Ausbildung von Arbeiter*innen-Organisatoren, um die laufenden Kämpfe zu verschärfen und die kommenden revolutionären Umwälzungen vorzubereiten. Revolution steht zwar normalerweise nicht auf der Tagesordnung – obwohl der Kapitalismus in immer heftigere und häufigere Krisen stürzt, vielleicht jetzt mehr als in früheren Generationen –, aber die sozialistische Partei bereitet sich darauf vor, wenn sie denn eine solche ist. Die Neuausrichtung erfüllt keine dieser Rollen.

Der schmutzige Bruch

Ein weiterer einflussreicher Ansatz der Linken ist die so genannte Dirty-Break-Strategie. Befürworter des Dirty Break unterscheiden sich sowohl vom „sauberen Bruch/clean break“ von der DP, die revolutionäre Marxist*innen unterstützen, als auch vom Neuausrichtungsflügel der Sozialdemokratie. Sie tun dies, indem sie zwar für eine unabhängige Arbeiter*innenpartei plädieren, aber nicht auf kurze Sicht. Der Flügel des «schmutzigen Bruchs» ist auch bei Jacobin gut vertreten, und seine artikuliertesten und intelligentesten Exponenten nennen sich die DSA-Fraktion „Brot und Rosen“. Sie lehnen die Ablehnung einer dritten Partei durch die Vertreter*innen der Neuausrichtung ab. Konkret ist der Unterschied jedoch am Ende illusorisch. Die Intellektuellen von „Brot und Rosen“ sind in der Tat raffinierter als Guastella, Kilpatrick und die anderen Neuausrichter*innen. In der Praxis ist der schmutzige Bruch jedoch nur eine Neuausrichtung mit marxistischem Beigeschmack.

In einem kürzlich erschienenen Artikel in The Call, der Website von Bread and Roses, haben die DSA-Mitglieder Jeremy Gong und Nick French die Strategie ihrer Fraktion klar umrissen. Der Artikel wurde vor der Ermordung von George Floyd geschrieben, aber nach der Rebellion, die sie auslöste, veröffentlicht. Er konzentriert sich weitgehend auf die Sanders-Kampagnen von 2016 und 2020, von denen sie sagen, dass sie teilweise Funktionen erfüllten, die Massenarbeiter*innenparteien zu anderen Zeiten und an anderen Orten haben. Laut French und Gong ähnelten die Sanders-Kampagnen den Massenparteien in folgender Hinsicht: Erstens brachten sie Arbeiter*innen in „offenen Kampf“ mit Kapitalist*innen, zweitens wurden sie «vollständig» von Arbeiter*innen finanziert und drittens förderten sie ein nationales Programm linker Reformen. Zusammenfassend lässt sich den Autoren zufolge sagen, dass diese Kampagnen das Bewusstsein und die Organisierung der Arbeiter*innenklasse stärkten.

Der Text ist eine Entgegnung auf einen Aufsatz von Charles Post und Ashely Smith, in dem argumentiert wurde, dass die Bernie-Kampagnen ins Leere lief und die Sozialist*innen kooptiert wurden und dann im Morast der Politik der Demokratischen Partei versinken würden. Da sie keine der objektiven Bedingungen oder Massenaufstände – insbesondere Black Lives Matter – erwähnen, die Sanders den Weg ebneten, behaupten French und Gong stattdessen, dass die Bernie-Kampagnen die Hauptinspiration für den Radikalismus der letzten Jahre waren. Ferner argumentieren sie, dass diese Kampagnen „uns einen Einblick“ in das geben, was eine künftige Arbeiter*innenpartei auf dauerhaftere Weise tun kann.

Der Artikel, der Wochen nach dem Beginn der Rebellion gegen rassistische Polizeiarbeit veröffentlicht wurde, ist eine mehrheitlich unkritische Sanders-Propaganda. Worte wie „inspiriert“, „gefördert“ usw., die Sanders angeblich zur Massenradikalisierung beigetragen haben soll – was nicht ganz unwahr ist – verzerren eine kompliziertere Realität. Wie Post und Smith in einer Antwort darauf hinweisen, waren militante Gewerkschafter*innen und das Basisgewerkschaftsnetzwerk Labor Notes für die Lehrer*innenstreiks wichtiger, und das Emergency Workplace Organizing Committee (EWOC) war ein Produkt der Organisation der United Electrical Workers und nicht ein Ableger von Sanders 2020, wie French und Gong behaupten. Der undemokratische, bürokratische Charakter der Sanders-Kampagnen, seine Zensur von Delegierten, die Biden kritisieren, seine Scheu vor Antirassismus, seine Ablehnung der Abschaffung der Polizei und seine Unterstützung für eine Erhöhung der Polizeigehälter – all dies bleibt bei den Theoretikern von Bread and Roses unerwähnt.

Wie Post und Smith richtig bemerkten, „besteht ein großer Unterschied zwischen der ‚Inspiration‘ der Menschen, die bestehende Ordnung in Frage zu stellen, und den politischen und organisatorischen Werkzeugen und dem Vertrauen, die notwendig sind, um siegreiche Massenkämpfe aufzubauen“. French und Gong verwechseln einen Wahlkampf mit einer Bewegung und einer Partei der Arbeiter*innenklasse. Erstens sind die Teilnahme an einer Wahlkampfkundgebung und die Stimmabgabe passiv; sie sind überhaupt nicht mit der Teilnahme an einem Streik oder einem störenden Protest zu vergleichen. Zweitens entscheiden Bewegungen von Gesundheitsarbeiter*innen und Arbeiter*innenparteien demokratisch über Taktik, Strategie und Aktionspläne, während diese Entscheidungen in den Sanders-Kampagnen von oben nach unten getroffen wurden und undemokratisch waren. Und drittens ist es zwar richtig, dass die Arbeiter*innen an Sanders spendeten und von seiner (etwas) antikapitalistischen Rhetorik begeistert waren, aber das ist ein Merkmal der demokratischen Kampagnen seit den 1930er Jahren. Diese Kampagnen endeten jeweils damit, die Unabhängigkeit und Macht der Arbeiterklasse zu demobilisieren, anstatt sie zu stärken.

Letztlich können die Verfechter des Dirty Break nicht aufzeigen, dass ihre Strategie nicht einfach eine weitere Form der Neuausrichtung ist. Sie erkennen Straßenrebellionen und andere Kämpfe von unten nur am Rande an, aber ihr Engagement für antirassistische Bewegungen ist kläglich abwesend. Ihre Vision, wie die der offenen Neuausrichter*innen, bleibt völlig im Rahmen des Elektoralismus und des kapitalistischen Staates und ist so völlig unzureichend. Neben der bereits erwähnten Verzerrung der Sanders-Kampagnen ist auch der Sprachgebrauch von French und Gong problematisch. Begriffe wie „Unternehmer-Demokraten“ und „Establishment-Demokraten“ tauchen überall in ihrem Beitrag auf. Diese Phrasen sind auch eine übliche Beschwörungsformel im Umfeld von Jacobin. Das Problem mit der Demokratischen Partei ist jedoch nicht, dass sie einen „Unternehmer-Flügel“ hat. Das Problem mit der DP ist, dass sie durch und durch eine Partei von und für Kapitalist*innen und Imperialist*innen ist. Sie ist eine begeisterte Anhängerin der parteiübergreifenden Raubzüge und Plünderungen, die die Daseinsberechtigung des gegenwärtigen US-Staates darstellen. Die Funktion von Begriffen wie „Unternehmer-“ oder „Establishment-Demokrat“ besteht daher darin, die Realität dessen, was die DP ist, zu verschleiern und im Gegenzug alle Formen von Radikalismus zu demobilisieren, die über das hinausgehen, was die DP zu tolerieren bereit ist. Dass die Verfechter*innen eines schmutzigen Bruchs so abhängig sind von solchen Begriffen und von der Theorie, die diese Begriffe untermauern, impliziert nichts anderes als eine Version der Neuausrichtungsstrategie.

Die Kampfpartei

Das eklatante Versagen des US-Staates auf allen Ebenen, den Bedürfnissen der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten gerecht zu werden, wurde in den letzten vier Monaten aufgedeckt. Mehr noch, die von Schwarzen angeführte Rebellion hat enthüllt, dass der kapitalistische Staat und insbesondere seine Polizei in ihrem Wesen die Feinde der rassistisch unterdrückten und arbeitenden Menschen sind. Die Notwendigkeit einer unabhängigen Organisation der Arbeiter*innenklasse, um die kapitalistischen Parteien herauszufordern, ist dringender denn je. Wir könnten uns gegenwärtig in einer vorrevolutionären Situation befinden, die Möglichkeiten für radikale Alternativen zum gegenwärtigen Status quo eröffnet. Politische Strategien, die von der Stabilität und Legitimität des kapitalistischen Staates ausgehen, sind Sackgassen. Millionen von sich radikalisierenden Arbeiter*innen und jungen Menschen kommen zu dem Schluss, dass die beiden kapitalistischen Parteien der USA nicht mehr zu retten sind, und sie suchen nach Lösungen und Alternativen.

Eine unabhängige Partei der Arbeiter*innenklasse wird jetzt gebraucht, nicht zu einem unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt. Damit ist nicht eine Partei gemeint, die auf sektiererischen Prinzipien oder theoretischen Übereinstimmungen beruht. Wenn sich die Politik in Sprüngen des Kampfes und des Bewusstseins entfaltet, was hindert dann diese Sprünge daran, sich auszubreiten? Die einzige Strategie, um Wellen des Kampfes in die Fähigkeit zu lenken, den Kampf gegen die Kapitalist*innen zu eröffnen, ist die Arbeiter*innenpartei, die durch Kampf aufgebaut wurde, die Kampfpartei, die auf einer programmatischen Übereinkunft über die Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse und die Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution basiert. Es sind Momente des Bruchs, die die Notwendigkeit einer solchen Partei offenbaren und durch die eine solche Partei aufgebaut werden kann. Sozialist*innen können und müssen hier eine Schlüsselrolle spielen, da wir dazu beitragen können, die Kämpfe der Arbeiter*innen und Unterdrückten miteinander zu verbinden.

Eine solche Partei würde als Voraussetzung für die Mitgliedschaft die Zustimmung zum Inhalt ihres Programms erfordern. Die Partei wäre offen für verschiedene theoretische Tendenzen und würde eine demokratische Debatte unter ihnen fördern, unter einem Regime demokratischer zentralistischer Entscheidungsfindung, das Parteidemokratie und Rechenschaftspflicht der Führung gegenüber der Basis gewährleistet. Sie würde eine klare Linie gegenüber der Demokratischen Partei ziehen: keine Kandidatur auf deren Wahlzetteln und keine Unterstützung von Politiker*innen, die dies tun. Die Möglichkeit des Opportunismus würde dadurch ausgeschlossen, indem diejenigen von der Mitgliedschaft ausgeschlossen würden, die sich über die Rolle und das Wesen der DP nicht im Klaren sind.

Die effektive Vermittlung unmittelbarer Alltagskämpfe und revolutionärer Politik hat die Linke lange Zeit beschäftigt. Hier bietet die trotzkistische Tradition hilfreiche Erfahrungen in Form von Übergangsforderungen. Als ihre wichtigste alltägliche Organisationsarbeit würde eine solche Partei die zweiteilige Arbeit des unmittelbaren Klassenkampfes und der Kämpfe gegen Unterdrückung auf der einen Seite und der revolutionären politischen Intervention auf der anderen Seite zentralisieren. Erstens würden sich ihre Kader aktiv an den täglichen Kämpfen beteiligen: am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, in den Gewerkschaften und überall dort, wo die Klasse den Kapitalist*innen gegenübersteht. Solche Interventionsräume würden nicht a priori festgelegt, da es unmöglich ist, im Voraus zu sagen, wo und über welches Thema solche Kämpfe aufflammen werden. Marxist*innen würden auf diese Weise Netzwerke und Vertrauen innerhalb dieser Räume aufbauen, indem sie zeigen, wie effektiv wir als Organisator*innen sind. Zweitens würden Kader die Kämpfe durch revolutionäre Intervention politisieren, insbesondere durch Agitation über die Notwendigkeit von Klassenunabhängigkeit, Kampfwillen und Sozialismus. Durch diese Arbeit können Marxist*innen ihren Kolleg*innen helfen, Übergangsforderungen zu entwickeln, die drei grundlegende Merkmale aufweisen würden:

  1. Diese Forderungen können durch das kapitalistische System nicht erfüllt werden.
  2. Diese Forderungen haben eine organische Verbindung zur materiellen Realität; sie können nicht utopisch sein oder in Bezug auf das Bewusstsein in den aktuellen Kämpfen zu weit vorausgehen.
  3. Diese Forderungen sind um die „Aktualität der Revolution“ herum angeordnet, d.h. sie sind immer auf die Erhöhung der Unabhängigkeit und Militanz der Arbeiter*innenklasse gerichtet, mit dem Ziel, die Macht der Arbeiter*innenklasse zu verwirklichen.

Hinsichtlich von Wahlen steht die Strategie der revolutionären Partei im diametralen Gegensatz zu dem der Neuausrichtung und der der Verfechter*innen eines Dirty Break, die ihre Rolle in der Verwaltung des kapitalistischen Staates sehen. Die hier vertretene Strategie sieht „Wahlen als ein Mittel, um ein Programm der Arbeiter*innenklasse zu verbreiten, das politische Regime anzuprangern und Themen auf die Tagesordnung zu setzen, die sonst unbemerkt bleiben würden“. Alle Wahlaktivitäten müssen sich aus derselben Logik ergeben wie die Übergangsforderungen: die Unabhängigkeit und Macht der Arbeiter*innenklasse und die Entwicklung des subjektiven Faktors, der den Kapitalismus stürzen kann.

Da die Pandemie weiterhin außer Kontrolle wütet und die Kapitalist*innenklasse ihr Projekt der offenen Plünderung verfestigt, mit sich verschärfenden Krisen der Arbeitslosigkeit und der sozialen Reproduktion (Wohnen, Schulbildung usw.) am unmittelbaren Horizont, können wir bald eine Wiederholung der Massenaufstände vom Sommer 2020 erwarten. All diese Entwicklungen entfalten sich innerhalb eines kapitalistischen Systems, das in einer langfristigen Profitkrise und säkularen Stagnation steckt, ganz zu schweigen von der Klimakrise und deren Folgen. Die Frage, welche Art von Organisation die gerechte Wut der Massen auf dieses System in einen offenen und erfolgreichen Kampf mit den Kapitalist*innen lenken kann, muss jetzt ernsthaft und klar gestellt werden. Die Partei des Klassenkampfes und der sozialistischen Revolution wird dringender denn je gebraucht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf unserer Schwesterseite Left Voice und würde von Maulwürfe ins Deutsche übersetzt.

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