Für gemeinsame Streiks von TVöD, GEW und Post!

24.01.2023, Lesezeit 7 Min.
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Simon Zinnstein

Die Spaltung der aktuellen Berliner Arbeitskämpfe lähmen unser Potenzial. Wir brauchen gemeinsame Streiks von TVöD-Beschäftigten, Lehrkräften, Post-Mitarbeiter:innen und anderen. Die Führungen der DGB-Gewerkschaften müssen zum gemeinsamen Kampf aufrufen.

Kommentar von Inés, die als Schulsozialarbeiterin in der jungen GEW aktiv ist. 

In Berlin werden zehntausende Kolleg:innen bei Coca-Cola, die Post, die Müllabfuhr, Krankenhäuser und Schulen bestreikt. Man könnte meinen, es herrsche pures Chaos in der Hauptstadt. Leider noch nicht. Denn bisher sind diese Streikbewegungen voneinander getrennt.

Seit April waren die Lehrkräfte einmal pro Monat von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum Streik für kleinere Klassen aufgerufen. Ein wichtiges Vorhaben. Einer aktuellen Umfrage zufolge antworteten zwei Drittel der 1.000  befragten Schulleiter:innen in ganz Deutschland über zu wenig Personal, als sie gefragt wurden, was sie derzeit als größte Herausforderung empfinden. Im Fall der sogenannten Brennpunktschulen haben sogar 80 Prozent so geantwortet. In der Folge fällt ausgerechnet die Förderung der Kinder, die sie am meisten brauchen, hinten darüber, sowie alles „Optionale“, wie zum Beispiel Medienkompetenzen. In der Folge verdichtet sich auch die Arbeit für die Beschäftigten immer mehr.

Doch es leiden nicht nur die Beschäftigten unter den aktuellen Bedingungen an Berliner Schulen. Auch die Schüler:innen sehen sich dadurch in zu vollen Klassen, die gutes Lernen verunmöglichen. Zudem gibt es an nur zwei Dritteln aller Schulen Schulpsycholog:innen und -sozialarbeiter:innen. Da wo es sie gibt, sind sie immer noch zu wenige, um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten. Durch die Zuspitzung der multiplen Krisen ist der Bedarf an Therapieplätzen und Einzelfallbetreuung rapide angestiegen. Deshalb fordert die GEW auch im Rahmen ihres Streiks für einen „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ (TV-G) eine:n Schulsozialarbeiter:in pro 150 und eine:n Schulpsycholog:in pro 2.000 Schüler:innen.

Anja Bensinger-Stolze, Vorständin der GEW, möchte den Teufelskreis aus Überlastung durch Lehrkräftemangel und Lehrkräftemangel durch Überlastung durchbrechen. Das wollten 2021 auch SPD, Grüne und Linke als der Wahlkampf in Berlin auf Hochtouren lief. Sie alle versprachen, die überdurchschnittlich oft überarbeiteten Lehrkräfte durch eine gesetzliche Festlegung der Klassengröße auf maximal 19 Personen zu entlasten.

Umgesetzt wurden diese Versprechungen seitens der nun in Berlin regierenden Parteien aber nie. Genauso wenig gliederten sie die für Tochterunternehmen arbeitenden Krankenhausbeschäftigten wieder ein. Dabei hatten sie ihnen ein Ende des Outsourcings versprochen.

Gerade im Hinblick auf die Wahlwiederholung am 12. Februar ist es deshalb für Bensinger-Stolze und die gesamte GEW an der Zeit, ihren Konkurrenzkampf mit der „Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft“ ver.di zu beenden. Die Mitglieder beider Gewerkschaften haben kein Interesse an einer solchen Spaltung.

Beide Bewegungen, TVöD und GEW richten sich objektiv gegen die Kürzungspolitik der Regierungsparteien in der sozialen Daseinsvorsorge. Gesundheit und Bildung sind genau die Bereiche, in denen in den vergangenen Jahrzehnten drastisch Gelder und Personal gekürzt worden sind. Und warum? Damit die Milliarden Euros lieber durch Subventionen und „Rettungspakete“ (Rettung der Profite!) in die Taschen der Aktionär:innen fließen und 100 Milliarden für Aufrüstung ausgegeben werden können. Es ist nur selbstverständlich, dass die TVöD- und GEW-Streiks in Berlin einen größeren Druck ausüben können, wenn sie zusammengeführt werden.

Zu dem von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) geführten Streik bei Coca-Cola und dem Ver.di-Streik bei der Deutschen Post AG gesinnt sich nämlich bald ein weiterer Streik, zu dem die Dienstleistungsgewerkschaft aufruft: der Kampf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Zweieinhalb Millionen Beschäftigte fallen unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD). Dazu zählen alle bei der Berliner Stadtreinigung Beschäftigten genauso wie ein Großteil des Klinikpersonals.

Würden unsere Gewerkschaften uns aufrufen, an denselben Tagen zu streiken, würden die Briefkästen überlaufen – eine große Krise in einem Land wie Deutschland –, die Stadt würde bis zum Himmel stinken und mit der Zeit wüssten immer mehr Leute nicht, wohin mit ihrem Kind. Nach Aufbrauchen der Kinderkranken- und der Urlaubstage der eigenen Eltern, könnten auch sie ihrer Arbeit nicht nachgehen. Dies ist eine Herausforderung für viele Eltern. Aber auch sie haben ein Interesse an guten Lern- und Erziehungsbedingungen. Deshalb ist ihre Solidarität mit dem Sozial- und Erziehungssektor enorm wichtig. Und zwar nicht nur individuell als betroffene Eltern, sondern auch ausgehend von ihren eigenen Arbeitskämpfen in ihren Sektoren. Dies würde einen enormen Druck auf die Landesregierung ausüben und somit auch die Kampfkraft der Streiks und die Möglichkeit, die Forderungen ohne faule Kompromisse durchzusetzen, immens erhöhen.

Weil die Forderungen der Streiks durch die Trennung zwangsläufig nur jeweils den eigenen Sektor betreffen, sind sie zudem dazu verdammt, auf rein gewerkschaftlicher Ebene zu verbleiben. Eine Zusammenlegung der Streiks würde den Streikenden ermöglichen, auch für Forderungen auf die Straße zu gehen, die sie alle betreffen: ein Ende der Kürzungspolitik der Berliner Regierung, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitssektor und die Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung von Deutsche Wohnen und Co.

Die Führungen der DGB-Gewerkschaften lähmen das Potenzial der Arbeitskämpfe. Statt aber ewig auf einen gemeinsamen Streikaufruf zu warten, müssen wir ihn selbst erkämpfen. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, dass beispielsweise Lehrer:innen zu den Streikdemonstrationen und -treffen der nach TVöD Beschäftigten kommen und andersherum. Da kann dann gemeinsam diskutiert und in gemeinsamen Versammlungen darüber abgestimmt werden, ob in Zukunft gemeinsam gestreikt werden soll.

Ein erster Anlass ist die Versammlung der TVöD Kolleg:innen am 27. Januar, Freitag um 14 Uhr am Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, im Münzbergsaal. Da kommen ebenfalls die Spitzenkandidat:innen: Bettina Jarasch (Grüne), Klaus Lederer (Die Linke), Kai Wegner (CDU) und Sebastian Czaja (FDP). Von Franziska Giffey (SPD) gibt es noch keine Zusage.

Es ist doch der perfekte Anlass, dass alle Kolleg:innen in Berlin, egal in welche Gewerkschaft sie sind und egal in welchem Sektor sie streiken, gemeinsam ihre Forderungen gegen die Berliner Regierung stark machen. Es kann auch eine Möglichkeit sein, gemeinsam darüber zu diskutieren, wie man unterschiedliche Streikbewegungen gegen die Regierung zusammenführen kann. Arbeitskampfleitungen aller Streikbewegungen, besonders von TVöD und GEW sollten sich zusammenschließen und gemeinsame Streiktage definieren.

Aufgabe der DGB-Führungen ist es nicht, die Profite der Aktionär:innen und Reichen zu schützen, wie es der DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi getan hat, sondern eben eine gemeinsame Streikbewegung aufzubauen! Denn nur gemeinsam sind wir stark.

 

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Wir sind eine branchen- und gewerkschaftsübergreifende Arbeiter:innengruppe um die Zeitung KlasseGegenKlasse. Wir sind in DGB Gewerkschaften und Betriebsgruppen organisiert – gestalten die Streikbewegungen aktiv mit. In der Arbeiter:innenbewegung treten wir für eine klassenkämpferische Perspektive gegen die Sozialpartnerschaft. Wir denken, dass wir als Gewerkschaften nicht nur für mehr Lohn, sondern auch für politische Forderungen an die Regierung mit Aktionen und Streiks kämpfen müssen, um unsere Interessen zu verteidigen. Außerdem bauen wir die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) bundesweit mit auf.

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