Zur Frage der unabhängigen Jugendorganisation
Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz "15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?" | Von Julius Götz (Solid Nord-Berlin)
Die Jugend braucht keine unabhängige Organisation. Die revolutionäre Partei selbst muss ein Ort für die Entwicklung und Entfaltung der revolutionären Jugend sein. Die Jugend ist ein unterdrückter Sektor der Gesellschaft. Bis zur Volljährigkeit ist sie weitgehend entrechtet, ständig ist sie mit der Bevormundung des Staates, der Lehrer:innen, der Eltern etc. konfrontiert. Ihre Arbeit gilt nicht als vollwertig und wird nicht wie die der Älteren entlohnt. Sie ist am heftigsten mit der Perspektive der Klimakatastrophe und der schleichenden Vernichtung unseres Planeten konfrontiert. Dieser Zustand ist für viele Jugendliche unerträglich, sodass viele von ihnen zu politischen, immer mehr sogar zu revolutionären Schlussfolgerungen gelangen.
Aber wie ist dieser Zustand zu beenden? Für uns als Marxist:innen ist klar, dass das nur durch den revolutionären Sturz der kapitalistischen Ordnung und den Aufbau einer sozialistischen Demokratie zu erlangen ist. Diesen Sturz kann, aufgrund ihrer besonderen Stellung im Produktionsprozess des Kapitalismus, nur die Arbeiter:innenklasse vollziehen. Um diesem Ziel näherzukommen, arbeiten wir als Revolutionär:innen an der Herausbildung eines revolutionären Bewusstseins in der Klasse und in allen unterdrückten Schichten, inklusive der Jugend, weil auch deren Befreiung nur mit dem Sturz des Kapitalismus einhergehen kann (wenngleich die Revolution allein dazu nicht hinreicht). Das bedeutet, die Jugend kann nur im Bündnis mit der gesamten Arbeiter:innenklasse effektiv auf ihre Befreiung hinarbeiten. Das bedeutet auch, dass sie in organisatorischer Einheit mit dem Rest der Klasse arbeiten muss. Eine Jugendorganisation darf folglich nicht parallel zur Partei der Klasse, sondern nur als deren Gliederung funktionieren.
So wie andere Unterdrückte begegnet auch die Jugend dabei in den Reihen der Arbeiter:innen und selbst der Revolutionär:innen höchstwahrscheinlich immer wieder ähnlichen Formen der Unterdrückung wie in anderen Lebensbereichen. Insbesondere mit erwachsenem Besserwissertum und einer Unterschätzung ihrer geistigen und praktischen Fähigkeiten muss sie dabei rechnen. Das muss aber kein Grund für eine unabhängige Organisierung sein, so wenig wie wir eine unabhängige Organisierung von FLINTA oder von rassistisch Unterdrückten fordern – stattdessen muss es Anlass sein für einen Kampf gegen diese Formen der Unterdrückung innerhalb unserer Reihen (und freilich auch außerhalb derselben). Die Erwachsenen unter uns müssen lernen, ihre jugendlichen Genoss:innen als ihresgleichen anzusehen und zu behandeln. Dazu gibt es wahrscheinlich gar kein besseres Mittel als ihre gemeinsame Organisierung und politische Arbeit.
Mit dieser gemeinschaftlichen Organisation muss gleichsam auch einhergehen, dass die Jugend gleichberechtigt an theoretischen und programmatischen Debatten wie am praktischen Leben der Organisation teilnimmt. Wenn das nicht gelingt, ist das eine Anklage gegen die Erwachsenen der Organisation – aber kein Argument für eine unabhängige Jugend. Selbstverständlich müssen Jugendliche in ihrer Heranbildung zu Revolutionär:innen auch eigene Erfahrungen im Kampf machen dürfen, Fehler eingeschlossen – darin besteht aber keine Besonderheit, denn es verhält sich mit allen neuen Genoss:innen, die politisch unerfahren sind, so, egal ob jugendlich oder erwachsen.
Gleichzeitig sollte klar sein, dass das Miteinander mit Genoss:innen mit jahrelanger Kampferfahrung nicht unbedingt eine Bevormundung durch diese Älteren bedeuten muss. Vielmehr kann und sollte es eine Bereicherung für alle anderen sein. „Lernen, lernen, nochmals lernen“ ist eine Anforderung an alle Revolutionär:innen und von wem könnte man besser lernen als von seinen eigenen Genoss:innen? Es zeigt auch die Geschichte die Machtlosigkeit der aufgewühlten Jugend, wenn sie nicht gemeinsam mit der Arbeiter:innenklasse kämpft. So war nach dem Verrat der Sozialdemokratie 1914 der Protest der Jugendinternationale gegen den Krieg machtlos. Nur das Bündnis der Arbeiter:innen aller kriegsführenden Länder, die das Gewehr gegen ihre Offiziere, Ausbeuter:innen und Regierungen gewandt hätten, hätte die Menschheitskatastrophe aufhalten können, die der Erste Weltkrieg war.
Schließlich haben wir in Solid selbst erlebt, wie schlecht eine angeblich unabhängige Jugendorganisation (die Solid, die stets von der Linkspartei abhängig war, nie wirklich darstellte) funktioniert: Während der linke Flügel des Verbandes revolutionär-marxistische Phrasen über den Sozialismus und die Arbeiter:innenklasse drosch, hatte er dem allergrößten Teil der Klasse, nämlich allen außer der Jugend, niemals irgendeine politische Alternative zu bieten. Für Jugendliche hatte man Platz und wer älter als 30 war, sollte sich auch revolutionär organisieren – aber wo, das sollen sie selbst herausfinden. Für Mitglieder, die selbst irgendwann zu alt für Solid wurden, gab es folglich auch nur drei Optionen: entweder ein Engagement in der Linkspartei, irgendeine Kleingruppenarbeit oder der Rückzug aus der Politik. Auch hier konnte es keine revolutionäre Alternative geben, weil Solid nicht in einer sozialistischen Organisation eingebettet war, die die ganze Klasse organisieren und für den Sozialismus gewinnen wollte. So ist Solid bis heute strukturell darauf angelegt, den Kampf für den Sozialismus zu einer jugendlichen Phase zu machen und auf keinen Fall zu einem langfristigen, lebenslangen Einsatz.
Es wäre also eine große Vergeudung der Energie und der Klugheit der Jugend, wenn sie sich weiter in einer eigenen Organisation vom Rest der Klasse abkapselte. Ihre Aufgabe ist es, die Reihen der Revolutionär:innen zu bereichern und selbst zu Anführer:innen ihrer Klasse zu werden. Das geht nur in einer gemeinsamen Organisation der Arbeiter:innen mit allen unterdrückten Sektoren der Gesellschaft. Dort können sie ihre eigenen Erfahrungen machen, ihre eigenen Gedanken und Positionen entwickeln und vom Reichtum der Erfahrungen ihrer älteren Genoss:innen lernen.
Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid
Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.