Zum Aufstieg der Front der Linken und ArbeiterInnen (FIT) in Argentinien: Eine Debatte zur Idee der „breiten Parteien“
// Am 9. August wurden die nationalen Vorwahlen, bekannt als PASO*, in Argentinien gehalten. Entgegen aller Vorhersagen ergaben die internen Wahlen der FIT einen überraschenden Sieg für die von Nicolás del Caño der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS) angeführten Liste über Jorge Altamira der ArbeiterInnenpartei (PO). Was steckt hinter diesen Triumph der Liste „Die Front erneuern und stärken“? //
Kein klarer Sieger unter den Kandidaten der Austerität
Bei den nationalen Wahlen bekam Daniel Scioli, der durch Präsidentin Cristina Kirchner und die peronistische Front für den Sieg (FPV) unterstützte Kandidat, 38,5 Prozent der Stimmen. An zweiter Stelle lag mit 30 Prozent Mauricio Macri, Vorsitzender der Mitte-Recht-Opposition, und an dritter Stelle der konservative Rechts-Peronist Sergio Massa mit 20 Prozent der Stimmen.
Das Problem, vor dem Daniel Scioli nun vor den allgemeinen Wahlen im Oktober steht, ist, dass sein Sieg in der PASO nicht ausreicht, um einen eindeutigen Sieg in den anstehenden Wahlen in zwei Monaten zu sichern. Grund dafür ist, dass einerseits die Kandidaten der Regierung und der Rechten – trotz ihrer Demagogie – im Wesentlichen ein und dasselbe beabsichtigen: Die Fortsetzung des kirchneristischen Regierungsmodells, das entweder „vertieft“ oder „geringfügig verändert“ werden soll. Jedoch ist der Wirtschaftsboom nun vorbei und, auch wenn diese nicht wagten es während ihrer Kampagne zu erwähnen, alle drei Kandidaten stehen für Austerität und die Entwertung des argentinischen Peso. Jedenfalls planen diese, die Krise auf die Schultern der ArbeiterInnen zu laden. Außerdem wiegt die Tatsache für den Kandidaten Daniel Scioli schwer, dass er als „Mann der Neunziger“ für den linken Flügel innerhalb der regierenden Partei und seiner sozialen Basis als Politiker des Neoliberalismus und der Privatisierung bekannt ist.
Das zugrundeliegende Problem für den Kirchnerismus ist das „Ende des Zyklus“, an dem die so genannten „progressiven“ Regierungen in Lateinamerika angekommen sind. In der Vergangenheit waren die Regierungen im Stande, die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu mildern, jedoch werden sie nun von den internationalen Dynamiken mitgerissen. Somit entsteht ein Szenario in dem – unabhängig von der Frage des Timings – sie mit der rechten Hand das nehmen müssen, was sie einst mir der linken Hand zugestanden haben.
Der Aufstieg der FIT im Lichte von Podemos und Syriza
Die FIT trat zu den PASO mit zwei Listen an, um den Sieger zwischen Nicolás del Caño und Jorge Altamira zu ermitteln.
Während dieser Wahl für die Frente de Izquierda stiegen die Stimmen verglichen zum Gründungsjahr 2011 um über 40 Prozent an und sie steht nun nur wenige Zehntel hinter der Mitte-Links-Kandidatin Margarita Stolbizer. Jorge Altamira wurde von Nicolás del Caño und der Liste 1A, „Die Front erneuern und stärken“, geschlagen, vor allem weil sie das Neue innerhalb der FIT ausdrückt. Ein Ergebnis, das den Prognosen der meisten politischen AnalytikerInnen und der argentinischen Medien widersprach.
Das Ungewöhnliche an dem guten Wahlergebnis der FIT ist, dass diese Gruppierung die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnen im Gegensatz zu den politischen Parteien der KapitalistInnen beibehalten hat. Zudem steht dies im direkten Gegensatz zu den Erfahrungen von Syriza und Podemos, welche von Beginn an die Annäherung von reformistischen Sektoren und der Bourgeoisie als Grundlage hatten und nur ein begrenztes Anti-Austeritäts-Programm aufgestellt haben.
Der Bankrott dieser Projekte wird durch Syriza verkörpert, die sich in die entgegengesetzte Richtung zum vom Volke ausgesprochenen „Nein“-Votum während des letzten Referendums gewendet hat und die Befehle der Troika befolgt hat, welche die Not der ArbeiterInnen und den breiten Bevölkerungsschichten Griechenlands nur noch verschlimmern.
Warum hat die PTS innerhalb der FIT die Führung übernommen?
Zur gleichen Zeit bringt die Kampagne für die PASO innerhalb der FIT zwei verschiedene Parteibildungsprogramme der PTS und der PO, die zwei wichtigsten Kräfte innerhalb der FIT, ans Licht.
Das Schema, das von Nicolás del Caño und Myriam Bregman vertreten wird, basiert auf einem starken Aktivismus, nicht nur durch die Mitgliedschaft der PTS, sondern auch von einer neue Generation von ArbeiterInnen, die aus den Fabriken kamen und ihre Nachbarn, Familien und Freunde überzeugten, für die Liste 1A zu stimmen.
Diese Hunderte von AktivistInnen bestritten harte Kämpfe, einige der wichtigsten Konflikte der jüngeren Vergangenheit Argentiniens, gegen Kündigungen, Aussperrungen, Angriffe auf die Löhne und für andere Forderungen, für die die Avantgarde der ArbeiterInnen unermüdlich kämpfte.
Die Liste 1A beinhaltete auf ihren Listenplätzen einige weit anerkannte Sektoren der ArbeiterInnen wie die „Unbeugsamen“ von Lear; einige dutzend ArbeiterInnen der MadyGraf-Druckerei (ehemals Donnelley), die nun in den Händen der ArbeiterInnen ist; aus der Kraft-Fabrik; aus Zanón bzw. FaSinPat und andere AktivistInnen vieler verschiedener Fabriken.
Die Liste mit dem Namen „Die Front erneuern und stärken“ hatte mehr als 1.500 KandidatInnen, von denen ein beachtlicher Prozentsatz IndustriearbeiterInnen sind, viele von ihnen jung und in prekären Verhältnissen. Diese Listen beinhalteten auch 300 LehrerInnen und eine hohe Anzahl von bekannten MenschenrechtsaktivistInnen und 60 Prozent der KandidatInnen sind weiblich. Hunderte schlossen sich der Kampagne als WahlprüferInnen an, viele von ihnen aus dem Norden von Buenos Aires, dem Herzen der Industrie Argentiniens.
„Die Front erneuern und stärken“ bedeutet nicht nur den Weg für die Jugend frei zu machen, sondern vor allem zu erreichen, dass sich die Avantgarde der ArbeiterInnen und Jugend politisch durch eine lebhafte und ausgedehnte Kampagne zum Ausdruck bringt, die die Idee an die ArbeiterInnenbewegung trägt, dass sie PolitikerInnen aus der Arbeiterklasse wie Nicolás del Caño, Rubén Matu, Claudio Dellacarbonara, Raúl Godoy, Alejandro Vilca und Javier Hermosilla braucht. Echte Tribune der ArbeiterInnen und des Volkes, die deren Interessen auf der Straße sowie in den Parlamenten verteidigen und soviel wie eine Lehrerin verdienen.
Auf der anderen Seite erlitt die PO eine wichtige Niederlage. Sie vertrat nicht das Motto der Liste „Einheit“, da es alle Vorschläge für eine gemeinsame FIT-Liste ablehnte, bevor sie in die PASO ging. Auch die PO-Politik der „Einheit der Linken“ erlitten eine Niederlage. Der PO glaubte, das man die FIT mit Wahlvereinbarungen mit Gruppen erweitern müsste, die historische Differenzen mit dem sozialistischen Programm haben und in vielen Fällen „progressive“ Regierungen wie die von Evo Morales in Bolivien unterstützten, was diese Organisationen klar von der FIT abgrenzen.
Die PTS hieß die Absichten von Organisationen wie die von Carlos „Perro“ Santillán oder Pueblo en Marcha (Das Volk im Marsch) willkommen, um die FIT im Wahlkampf zu unterstützen. Zum gleichen Zeitpunkt erklärte die PTS, dass für eine letztendliche Integration „eine gemeinsame Praktik und ausführliche und ernste Debatte rund um das Programm der FIT“ und nicht ein Eid über die sozialistischen Prinzipien nötig sei. Wir stimmen weder mit der Idee überein, dass opportunistische Vereinbarungen mit Strömungen, die historisch nicht die Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse verteidigten, nötig seien um einen Wahlkampf zu gewinnen, noch stimmen wir damit überein, dass alles andere sektiererisch ist und einen an den politischen Rand drängt. Diese Ideen haben sich immer wieder, und erneut bei den PASO, als falsch herausgestellt.
Der Triumph der PTS-Liste darauf zurückzuführen, dass sie ihr schon errungenes Gewicht in einer Fraktion der argentinischen ArbeiterInnenklasse, die als Basisgewerkschaftsbewegung bekannt ist, ausgenutzt hat, um die FIT zu erweitern.
Eine riesige mediale Kampagne mit zahlreichen Kurzbeiträgen für das Fernsehen und das Internet, eine intensive Kampagne auf verschiedenen sozialen Netzwerken und die Agitation und Verbreitung unserer Ideen in den Nachbarschaften, den Schulen, Arbeitsplätzen sowie Stationen haben ebenfalls zu diesem Sieg beigetragen.
Die Stimmen für Nicolás del Caño, der von vielen prekär Beschäftigten und IndustriearbeiterInnen gewählt wurde, zeigen, dass eine lebendige soziale Kraft in den letzten Jahren in Argentinien Form angenommen hat, zunächst in der so genannten Basisgewerkschaftsbewegung, die nun in der aktiven Kampagne für die Liste 1A einen politischen Ausdruck findet.
Zwei verschiedene Wege für die internationale Linke
Gleichzeitig widerspricht die Erfahrung der FIT und vor allem die der PTS der Hypothese einer Reihe von Organisationen, die sich als trotzkistisch bezeichnen. In der Vergangenheit haben solche Organisationen ihr revolutionäres Programm dafür aufgegeben, um die „Massen zu erreichen“ und breite Parteien aufzubauen – Projekte, die keine klare Abgrenzung zur Frage der Klassenunabhängigkeit haben.
Die Krise der bürgerlichen Repräsentation, die sich als Produkt der internationalen Wirtschaftskrise entwickelt hat, erlebte das Hervorkommen und die Stärkung verschiedenster reformistischer Projekte wie Syriza und Podemos in Europa – Gruppierungen, welche von breiten Sektoren der internationalen Linken enthusiastisch begrüßt wurden.
Die gemeinsame Grundlage für den Enthusiasmus ist der Glaube, dass eine Alternative für den Sozialismus und die Klassenunabhängigkeit der ArbeiterInnen nicht das politische Randdasein verlassen könnte. Diese Auffassung wurde von dem vollkommenen Fallenlassen einer kämpferischen Praxis begleitet, durch die die ArbeiterInnenbewegung zum Subjekt wird, politisch aktiv wird und eine ihr eigene politische Alternative der Klassenunabhängigkeit aufbaut.
Daher also die Unterstützung für Syriza von Seiten der Linken Sozialistischen Bewegung (MES), die eine der wichtigsten Strömungen innerhalb der Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL) ist; oder die Politik der Auflösung der Revolutionären Kommunistischen Liga (LCR) zugunsten der Gründung der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) führten.
Der Triumph der von der PTS angeführten Liste in der PASO ist in dem Sinne ein Sieg für die internationale Linke und der Avantgarde der ArbeiterInnenschaft, da er in kleinen Maße die Richtigkeit der Strategie des Aufbaus von revolutionären Parteien auf internationaler Ebene beweist, die organisch mit der ArbeiterInnenklasse verbunden sind und andererseits die Fähigkeit haben, stetig breitere Sektoren der Massenbewegung zu beeinflussen.
Die Kombination aus kühner Politik und deren, Vereinigung mit dem am fortgeschrittensten Sektoren der ArbeiterInnenklasse und Jugend durch beherzten Intervention in den Klassenkampf und die revolutionäre Agitation, beweist seine Effektivität gegen die soziale und wirtschaftliche Krise, in der sich der Kapitalismus momentan befindet.
*PASO – Primarias Abiertas Simultáneas y Obligatorias (Offene, Simultane und obligatorische Vorwahlen). ‚Paso‘ ist ebenfalls Spanisch für „Schritt“.
Übersetzung aus dem Englischen und Spanischen: Lautaro Rojas