Žižek in München: Wie kommunistisch ist sein „Kriegskommunismus“?
Bei seinem Auftritt im Residenztheater gibt sich Slavoj Žižek größte Mühe, sein Publikum zu provozieren. Doch das misslingt selbst mit seinem Plädoyer für einen „Kriegskommunismus“.
Entertainer, Meme, Bestsellerautor und irgendwie ja auch noch Philosoph: Mit dieser Erfolgsformel gehört Slavoj Žižek zu jener Art Intellektueller, die sich nicht mit Lesungen in halbvollen Buchhandlungen aufhalten müssen. Sein Besuch in München am gestrigen Donnerstag war dementsprechend standesgemäß. Auf Einladung der Süddeutschen Zeitung sprach der Slowene im repräsentativen und schon Tage im Voraus ausverkauften Residenztheater. Dort kommt seit Kurzem sein Theaterstück „Die drei Leben der Antigone“ in einer Adaption zur Aufführung.
Darum jedoch ging es im Gespräch mit dem SZ-Redakteur Andrian Kreye gar nicht. Stattdessen mäanderten die beiden Männer zwei lange Stunden von ihrer Begegnung im Ljubljana der Neunziger über die „Cancel Culture“ und die eine oder andere obszöne Anekdote zu Putin und Annalena Baerbock. Dabei tat Žižek dem SZ-Schreiber den Gefallen, auf dessen verwirrte Fragen möglichst wenig einzugehen und stattdessen seine eigene Show abzuziehen. Die Fragen stellte Kreye auf Deutsch, Žižek antwortete auf Englisch mit eingestreuten deutschen Halbsätzen, gefolgt von einer Übersetzung. Garniert wurde das mit den für Žižek üblichen philosophischen Einsprengseln: viel Hegel, dazu ein wenig Marx, Lacan und Freud. Dass dem Abend die Richtung fehlte, war zuletzt auch dem prominenten Gast selbst aufgefallen. Auf Kreyes Frage, ob man das Gespräch denn in der Zukunft fortsetzen wolle, antwortete Žižek, dass man dafür vielleicht das Thema enger umreißen sollte.
Die altbekannte Mischung aus Namedropping, vulgären Anekdoten und Witzchen über den „Kommunismus“ funktionierte zwar noch leidlich. Abnutzungserscheinungen wurden aber sichtbar. Mehr als einmal entschuldigte sich Žižek, bevor er zu einer seiner ausschweifenden Geschichten ansetzte, weil er sie schon so oft erzählt habe. Und auch der Gestus des stalinophilen Bürgerschrecks rief beim überwiegend studentisch-akademischen Publikum kaum noch Reaktionen hervor, die über ein amüsiertes Schmunzeln hinausgingen. Die Zuhörer:innen wiederum durften sich einen Abend lang im Anschein der Intellektualität suhlen und entlarvten das eigene Unverständnis doch mit Szenenapplaus für die plumpesten Aussagen.
Überhaupt dürfte man sich als Linksliberaler in Vielem bestätigt gefühlt haben: Rechte für Menschen der LGBTQ-Gemeinschaft seien zwar wichtig, man dürfe es mit der Cancel Culture aber auch nicht übertreiben. Putin sei ein Faschist (und zwar kein „softer“ wie Mussolini, Franco oder Salazar, sondern ein selbstzerstörerischer wie der Nazismus) und Europa müsse in einer multipolaren Welt gegenüber China, den USA und Indien enger zusammenrücken. Am Ende lobte der selbsternannte „moderat-konservative Kommunist“ die grüne Außenministerin Annalena Baerbock dafür, die Ukrainekrise für einen Umbau der deutschen Wirtschaft nutzen zu wollen. Dass dieser Umbau mit Klimaschutz nur wenig zu tun hat, hätte aber selbst Žižek wissen können, der vorausgeschickt hatte, dass er von deutscher Politik wenig wisse.
„Kriegskommunismus“ als Lösung
Neues war in den Ausführungen des Philosophieprofessors kaum zu finden. Selbst seine Auslassungen zu politischen Tagesfragen hatte er teilweise fast wortgleich vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem russischen Portal Meduza formuliert. Schon dort war über den grünen Plan der Umstellung der Energiewirtschaft zu lesen gewesen: „So denken echte, gute Linke.“
Žižeks eigene Vision wiederum klingt radikaler, als sie letztlich ist. „Kriegskommunismus“ nennt er die Idee, dass der Staat angesichts des Kriegs in der Ukraine stärker in die Privatwirtschaft eingreifen müsse. Das verband er unter Verweis auf seinen Kollegen Peter Sloterdijk mit einem Plädoyer für eine „objektive Sozialdemokratie“, also die staatliche Institutionalisierung sozialdemokratischer Werte über die Parteien hinaus.
Dass Staaten aber das Heft des Handelns mehr in die Hand nehmen und Elemente von Planung einführen müssten, ist beileibe keine kreative Idee. Im Herbst vergangenen Jahres erschien unter dem Titel „Das Ende des Kapitalismus“ ein Buch der taz-Journalistin Ulrike Herrmann, in dem sie solche Thesen ausgehend von der Klimakrise diskutiert. Als Vorbild dient ihr die britische Kriegswirtschaft ab 1939. Und auch in der Covid-Krise gab es nicht nur diskursive Bezüge auf die Kriegswirtschaft, sondern es wurden vielerorts tatsächlich Teile der Produktion umgestellt.
Der springende Punkt ist jedoch: Die britische Kriegswirtschaft schaffte den Kapitalismus nicht ab – auch wenn Herrmann das im Titel ihres Buchs behauptet. Sie selbst betont, dass sich die britische Planwirtschaft von der sowjetischen Wirtschaft darin unterschied, dass die britische Regierung die Betriebe nicht verstaatlichte, sondern sie indirekt lenkte, indem sie Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zuteilte. Auch das Element der „objektiven Sozialdemokratie“ lässt sich dort finden. Wie Herrmann beschreibt, waren die Rationierungen von Lebensmitteln und Konsumgütern in der britischen Gesellschaft allgemein populär. Denn sie vermieden nicht nur einen absoluten Mangel. Tatsächlich hatten vor dem Krieg zwanzig Prozent der Brit:innen zu wenig Kalorien zu sich genommen. „Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor“, so Herrmann.
Herrmann nennt es Kriegswirtschaft, Žižek, Kriegskommunismus. Geht er also einen Schritt weiter? Fordert er die entschädigungslose Enteignung der Schlüsselindustrien, die Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion, die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln? Die schlichte wie ernüchternde Antwort: Nein. Tatsächlich käut er nur oft Gehörtes wieder und gibt ihm einen etwas provokanteren Namen. Im Interview gibt er das unumwunden zu: „Ich warne Sie: Der Name wurde speziell gewählt, um Leute zu ärgern und zu provozieren.“ Doch auch diese Provokation verhallte im Theatersaal.
Wer sollte diesen Kriegskommunismus nun aber einführen? Explizit wurde der Slowene nicht. Doch einen Hinweis gibt sein Bekenntnis, dass er sich von Marx ab- und Hegel zugewandt habe. Und tatsächlich fehlt in seinen Überlegungen nicht nur die Arbeiter:innenklasse als historisches Subjekt der Veränderung. Überhaupt scheint es sich bei politischen Prozessen für Žižek um Automatismen zu handeln, Ausdrücke des hegelianischen Weltgeistes. Dieser Ansatz ist selbstverständlich zutiefst idealistisch. Doch Žižek wäre nicht Žižek, wenn er nicht in einer seiner bekannten Volten diesen Idealismus gerade Marx und dessen Teleologie vorgeworfen hätte. Der Gipfel der Absurdität war schließlich erreicht, als die offenkundig mit den politischen und philosophischen Konzepten völlig überforderte Übersetzerin teleology mit Theologie übersetzte. Ihren eigenen Tiefpunkt jedoch setzte sie, als sie sich nicht entblödete, palestine mit Israel zu übersetzen. Žižek hatte jedoch nicht einmal von der Unterdrückung Palästinas gesprochen, sondern von der historischen Region zur Zeit Jesu.
So war der Abend in wirklich jeder Hinsicht eine Zumutung. Sollte Žižek aber tatsächlich nach München zurückkehren, wird das Publikumsinteresse darunter wohl trotzdem nicht leiden.