Zerschlagung der Deutschen Bahn: Feuer bekämpft man nicht mit Feuer
Die Monopolkommission, die die Regierung in Wettbewerbsfragen berät, fordert in ihrem neuesten Gutachten die Zerschlagung des Bahnkonzerns. Mit einer Politik im Interesse der Beschäftigten und Fahrgäste hat das nichts zu tun.
Der neue Bericht der Monopolkommission, die die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät, sieht die Zerschlagung des Bahn-Konzerns vor. Die Kommission fordert die Herauslösung eines separaten Unternehmens, welches allein für den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur zuständig sein soll. Damit würden Betreiber:innen und Nutzer:innen des Bahnnetzes vollständig getrennt werden. „Dann gibt es keine Anreize mehr, Wettbewerber auf dem Netz zu behindern“, sagte der Präsident der Kommission Jürgen Kühling am Dienstag der Süddeutschen Zeitung. Dies soll den Wettbewerb im Nah- und Fernverkehr fördern. Diese Liberalisierungsmaßnahme sei sowohl gut für die Fahrgäste als auch fürs Klima. Kühling geht davon aus, eine neue Konkurrenzdynamik auf der Schiene könnte den Investitionsrückstau der Bahn beenden, die Pünktlichkeit erhöhen, Preise senken und die Verkehrswende positiv beeinflussen. Er bezieht sich zudem positiv auf den Reformvorstoß „Bahnreform 2.0“ der CDU/CSU, welcher die Abspaltung von Schienennetz, Bahnhöfen sowie der Energie-Sparte vom Bahnkonzern vorsieht. Immerhin betont Kühling, dass auch die Bundesregierung gefragt ist: „Wir sprechen uns gleichzeitig für hohe Investitionen in das Schienennetz aus. Das ist eine große Aufgabe, die auch Geld kosten wird.“ Der jahrzehntelange Investitionsrückstau, der es der Bahn kaum erlaubt, das aktuelle Schienennetz zu erhalten, solle nun durch ein Reformprogramm der Ampelkoalition behoben werden.
Die Probleme der Bahn sind hausgemacht
Die beiden Staatsbetriebe in Ost und West „Deutsche Bundesbahn“ und „Deutsche Reichsbahn“ wurden 1993 von der CDU/FDP Koalition unter Kanzler Helmut Kohl mittels des sogenannten „Eisenbahnneuordnungsgesetzes“ privatisiert und umgewandelt in die „Deutsche Bahn AG“. Diese war von nun an privatrechtlich organisiert und nahm gewinnorientiert am Wettbewerb teil. Zwar blieb der Bund weiterhin einziger Aktionär, aber die Bahn hatte damit ihren Charakter als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verloren. Die Deutsche Bahn AG musste einem diskriminierungsfreien Nutzungsrecht für Wettbewerber:innen auf ihrem Schienennetz zustimmen. Doch dies führte seitdem nie dazu, dass private Betreiber:innen, wie die Eurobahn oder die Westfalenbahn dem Marktführer ernsthaft Konkurrenz machen konnten. Der Konzern hat immer wieder seine Kontrolle über das Netz genutzt, um seine Mitbewerber:innen zu behindern. Ihr Marktanteil beim Nahverkehr liegt bei circa 30 Prozent, im Fernverkehr konnten sie sich überhaupt nicht durchsetzen. Das ist ein Grund, warum der Konzern die Fahrgastpreise mehr oder weniger selbst bestimmen kann. Seine Marktdominanz ist der Monopolkommission ein Dorn im Auge. Die Bilanz der Privatisierung ist schlecht. Zwischen 1994 und 2014 stiegen die Ticketpreise mehr als doppelt so schnell wie die Inflation. Der Anteil des Schienenverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen in Deutschland stagnierte und es gab sogar einen Rückgang im Personenfernverkehr. Viele Städte, darunter Großstädte wie Magdeburg und Potsdam, wurden völlig vom Fernverkehr abgekoppelt. Der Schienenausbau stagnierte ebenfalls, die Störungen und Verspätungen nahmen zu. Es gab außerdem massiven Stellenabbau in mehreren Wellen. Auch wurde das Hauptversprechen der Reform nicht eingelöst, die Umwandlung in die Bahn AG reduzierten die staatlichen Bezuschussungen aus Steuergeldern nicht – im Gegenteil. Die Bahn steht bis heute nicht auf eigenen Füßen, sie verzeichnet seit Jahren Verluste in Milliardenhöhe, auch für 2023 erwartet der Konzern hohe Verluste. Das Schienennetz ist mittlerweile marode und es gibt einen riesigen Bedarf an Investitionen.
Man darf zudem nicht vergessen, dass der Privatisierung und ihren langfristigen Auswirkungen eine historische Stilllegung vor allem in Ostdeutschland vorausging. Die Zerschlagung der DDR und der Ausverkauf eines Großteils der Staatsbetriebe durch die Treuhand hatte zur Folge, dass binnen kürzester Zeit fast jeder fünfte Streckenkilometer des früheren DDR-Reichsbahnnetzes stillgelegt wurde. Der Anteil des Streckennetzes in Ostdeutschland sank innerhalb zwischen 1989 und 1998 von 87 Prozent des Niveaus von 1955 auf lediglich 70 Prozent. In der gleichen Periode wurden auch in Westdeutschland zehn Prozent des Schienennetzes abgebaut. Die Bundesrepublikanische Gesellschaft war in den vorangegangenen Jahrzehnten sehr stark auf das Automobil umgepolt worden. Daran waren mächtige Autokonzerne wie VW und General Motors (Opel) nicht unschuldig gewesen. Sie betrieben unermüdliche Lobbyarbeit für die Benachteiligung der Schiene und den Ausbau von Autobahnen. Nach der kapitalistischen Restauration wurde dieses Verkehrskonzept auf die neuen Bundesländer übertragen. Der deutsche Staat richtete den öffentlichen Verkehr in Ostdeutschland als größten Konkurrenten der Autobranche bereitwillig zu Grunde und vernichtete dabei eine wichtige Grundlage für eine Verkehrswende, von der er bereits damals wusste, dass sie in der Zukunft nötig sein würde, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen.
Die heutige Krise der Bahn hat also ihre Wurzeln in einer neoliberalen Privatisierungspolitik und einer 30 Jahre lang verschleppten chronischen Unterfinanzierung, die den Investitionsrückstau auf einen mittlerweile gigantischen, milliardenschweren Berg anwachsen ließ. Alle folgenden Regierungen nach Kohl, darunter auch die SPD-Grüne-Regierung unter Schröder, taten nichts, um dem Verfall der Bahn ein Ende zu setzen.
Die falsche Antwort der Monopolkommission
Die Privatisierung der Bahn ist gescheitert. Doch die Monopolkommission, neoliberale Thinktanks und Rechte wollen uns nun weiß machen, dass die Probleme der Bahn nicht von zu viel Markt und Profitorientierung kommen, sondern von zu wenig. Die Zerschlagung der Bahn, ihre Entflechtung und Desintegration, würde das Chaos auf der Schiene jedoch nur noch weiter verstärken und würde durch Konkurrenzdruck die jetzt schon überlasteten Belegschaften über ihr Limit hinaus beanspruchen. Die Kommission stellt sich eine ideale Welt vor, in der alle Bahnbetreiber:innen auf gleicher Augenhöhe frei miteinander konkurrieren könnten und so insgesamt die Ticketpreise und Verspätungen minimieren würden. Dabei vergisst die Kommission, dass auch aus einer solchen freien Konkurrenz auf den Trümmern der einzigen Staatsbahn sehr schnell neue Monopole hervorgehen würden. Kleinere Unternehmen werden von den größeren geschluckt, bis der Markt unter einigen wenigen Konzernen vollständig aufgeteilt ist. Diese Tendenz zur Kapitalakkumulation und Monopolisierung wohnt der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes inne. Sie ist Anzeichen dafür, dass der stetig steigende Anspruch, den neue Technik und größere Betriebe an ihre Planung und Organisation stellen, den Rahmen des Privateigentums schließlich sprengen muss. Ein stark monopolisierter Wirtschaftszweig mit nur noch geringem Wirtschaftswachstum ist aus marxistischer Perspektive nichts „schlechtes“, was es mit Kartellgesetzen und Zwangsentflechtungen zu bekämpfen gilt, sondern zeigt an, dass hoch entwickelte und immer stärker zentralisierte Produktivkräfte an den Fesseln des Privateigentums zu zerren beginnen. Er zeigt, dass die wirtschaftliche Notwendigkeit für eine gesamtgesellschaftliche, das heißt eine demokratisch geplante Produktion, immer drängender wird. Eine solcher Zustand ist in den westlichen Industrieländern seit längerer Zeit bereits erreicht, die Wirtschaft wächst nur noch sehr langsam und ist immer weniger innovativ. Das zeigt uns, dass der Übergang zum Sozialismus die einzige Möglichkeit ist, die Produktivkräfte mittels des mächtigen Werkzeugs einer rationalen Planung zu befreien und weiterzuentwickeln.
Umgekehrt bedeutet die Zerschlagung großer Monopole und die Entflechtung und Privatisierung großer Staatskonzerne einen relativen Verfall der Produktivkräfte und ein Rückschritt in den Möglichkeiten rationaler Arbeitsorganisation. Zudem fördern solche Entflechtungen eine Atomisierung der Arbeiter:innenklasse, durch eine Aufteilung einst großer Belegschaften auf mehrere kleinere und voneinander isolierte Einzelbetriebe. Dies schwächt das Kampfpotenzial der Gewerkschaften, was wiederum die Tarifbindung schwächt, was letztlich zu sinkenden Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen führen muss. Kein Wunder also dass die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) gegen eine Zerschlagung des Bahnkonzerns ist.
Eine Bahn in unserem Interesse
Die Vorschläge der Monopolkommission sind Gift für die Arbeiter:innenklasse, sie dienen allein den Profitraten der Kapitalist:innen. Die Probleme der Bahn, die durch eine neoliberale Privatisierungspolitik gepaart mit einem Dauerspardikat verursacht wurden, lassen sich nicht mit den gleichen Mitteln bekämpfen. Im Gegenteil, die Zerschlagung der Bahn würde keines ihrer Probleme lösen und nur neue schaffen. Um dauerhaft eine effiziente, billige und pünktliche Bahn für alle Menschen zu schaffen, braucht es im Gegenteil das Mittel der Verstaatlichung. Im Verkehrssektor, einem zentralen Pfeiler der Daseinsvorsorge, muss der Markt eliminiert werden. Alle Verkehrsbetriebe, sowohl die privaten als auch die Bahn AG, müssen entschädigungslos unter Kontrolle der Beschäftigten in die öffentliche Hand zurückgeführt und mit hohen Investitionen generalsaniert werden. Damit dies auch wirklich im Interesse der Arbeiter:innen und Fahrgäste geschieht und die Investitionen nicht in den Machenschaften der Bahn AG an internationalen Finanzmärkten versickern, müssen die Beschäftigten aller Bahnunternehmen Betriebskomitees gründen, die sich Zugang zu den Geschäftsgeheimnissen und der Buchführung der Unternehmer:innen bzw. der Vorstände verschaffen. Mit der dadurch ermöglichten Arbeiter:innenkontrolle über die Organisation und Planung des Betriebs kann zum Beispiel sichergestellt werden, dass kleinere Bahnunternehmer:innen ihr Inventar nicht vor der Übergabe ihres Betriebs an den Staat verscherbeln oder sabotieren können. In allen Bereichen des Verkehrssektors müssen während dieses Umgestaltungsprozesses solche Komitees gemeinsame Ausschüsse wählen, die die Kontrolle durch die Arbeiter:innen auf regionale und dann auf nationale Ebene ausweiten. Der Schritt zur Ausarbeitung eines gemeinsamen Wirtschaftsplans durch genau solche gewählten Ausschüsse zur bedürfnisorientierten Organisation des Verkehrssektors und schließlich der gesamten Gesellschaft, ist von dort nicht mehr weit.