Zehntausende protestieren gegen Wohnungsnot in Portugal

14.04.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Shutterstock/ TMP - An Instant of Time

Zehntausende protestieren in portugiesischen Städten gegen mangelnden Wohnraum. Die sozialdemokratische Regierung verspricht Maßnahmen, sie werden aber nicht ausreichen.

Die Wohnungsnot macht sich auch in der Portugiesischen Republik bemerkbar. Am Samstag, dem 1. April, gingen in Lissabon, Porto, Coimbra, Aveiro, Braga und Viseu zehntausende Menschen auf die Straße. In Portugal stehen 723.000 Wohnungen leer. Ein Grund dafür ist, dass seit zehn Jahren Immobilienkonzerne in die Republik gelockt werden, wenn sie mindestens 500.000 Euro in Immobilien investieren. Diese Wohnungen stehen jedoch den Bewohner:innen nicht zur Verfügung, denn für die Konzerne lohnt es sich mehr, sie an Tourist:innen zu vermieten. Mindestens 100 Euro pro Nacht nehmen sie so ein. Während die Konzerne an Tourist:innen ordentlich verdienen, leiden die Bewohner:innen immer mehr unter der Wohnungsnot. Für viele kommt noch hinzu, dass sie sich beispielsweise eine Wohnung in Lissabon gar nicht leisten können.

Seit 2010 stiegen die Mietpreise um 77 Prozent. Bei einem derzeitigen Mindestlohn von 887 Euro ist es für viele unmöglich, eine Wohnung zu finden. Für ein Einzelzimmer zahlt man mittlerweile mindestens 1.000 Euro. Dafür zieht Portugal seit Ausbruch der Corona-Pandemie Digital Nomads an, die sich mehrheitlich in der Hauptstadt niederlassen. Digital Nomads sind Arbeiternehmer:innen, die ausschließlich mit digitaler Technik arbeiten, das heißt faktisch permanent von zuhause aus. Derzeit befinden sich 19.000 Digital Nomads in Lissabon, die dadurch die Mieten noch weiter in die Höhe treiben. Dadurch werden die Bewohner:innen immer weiter an den Stadtrand gedrängt. In vielen Stadtteilen Lissabon sind mittlerweile 60 Prozent der Wohnungen Ferienwohnungen.

Um diesen Umstand und die faktische Vertreibung der Bewohner:innen aus den Großstädten anzuprangern, gingen Zehntausende auf die Straße. Unter dem Motto “Casa Para Viver” (Ein Haus zum Leben) versammelten sich knapp einhundert Organisationen und Gruppierungen, um für das Recht auf bezahlbare Wohnungen zu demonstrieren. In ihrem Manifest fordern sie unter anderem ein Stopp von Räumungen der Menschen aus ihren Häusern aus Profitinteressen, ein Ende der Privatisierung des öffentlichen Raums, die demokratische Kontrolle des urbanen Raums durch die Öffentlichkeit sowie ein Ende der Ausbeutung und eine deutliche Erhöhung der Löhne. Der Druck von unten bleibt dabei nicht ungehört: Die sozialdemokratische Regierung unter António Costa will nun ein Notprogramm auf den Weg bringen: “Mehr Wohnraum”.

Ziel ist es, einen Mietendeckel von 35 Prozent des Einkommens durchzusetzen. Um leerstehenden Wohnraum von Immobilienkonzernen für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, soll ihnen eine Frist von 100 Tagen eingeräumt werden, um das durchzusetzen. Nach Ablauf der Frist wird nach Angaben der Regierung die Immobilie enteignet. Um der Privatisierung den Riegel weiter vorzuschieben, soll auch das sogenannte “goldene Visum” abgeschafft werden. Dieses steht jenen Konzernen und Privatpersonen zu, die – wie oben erwähnt – ein Mindestkapital von 500.000 Euro mitbringen, um es im Staat zu investieren. Dabei kommen nur 22 Prozent der Allgemeinheit zugute, derweil 78 Prozent dem Privatsektor zugeschoben wurden: Ferienwohnungen, Airbnbs und leerstehender Wohnraum. In den Großstädten soll die Neuvergabe der Visas verboten werden. Wirklich konsequent soll es allerdings nicht durchgesetzt werden, denn Ausnahmen sollen im ländlichen Raum gemacht werden. Das wird zwangsweise zur Folge haben, dass die Bewohner:innen und Einheimischen dort mittelfristig ebenfalls vertrieben werden und ein Sektor aufgebaut wird, der nach den gleichen Regeln wie derzeit in den Großstädten spielen wird: Ansiedlung von (ausländischem) Kapital und die Unterbringung gut zahlender Tourist:innen und Digital Nomads.

Diese reformistischen Mittel werden die Wohnungsnot nur unzureichend lösen. Denn für viele werden Wohnungen weiterhin unbezahlbar sein, die an der Einkommensuntergrenze stehen. Weder wird ein vollumfängliches Recht auf Wohnraum durchgesetzt noch die Vertreibung von Menschen unterbunden – denn dazu verliert die sozialdemokratische Regierung kein Wort. Auch bleibt abzuwarten, ob der Mietendeckel von 35 Prozent bestehen bleibt, denn die rechte Opposition lehnte bereits am 27. Oktober 2021 das Budget ab. Bezeichnend ist, dass sich in dieser Frage die linken Oppositionsparteien Bloco de Esquerda (Linksblock) und Kommunistische Partei der rechten Opposition anschlossen. Von 2015 bis 2019 unterstützen Bloco de Esquerda und die Kommunistische Partei zusammen mit den Grünen noch die Regierung unter Cortas. In dieser Zeit schaffte es die selbsternannte Linksregierung allerdings nicht, etwas gegen die Wohnungsnot zu machen. Erst der massive Druck von der Straße zwingt die heutige sozialdemokratische Regierung zu Maßnahmen, die von alleine nie auch nur in Erwägung gezogen würden. Es wirkt dabei wie ein sehr schlechter Witz, wenn in der Präambel der Verfassung der Portugiesischen Republik der Weg zum Sozialismus ausdrücklich gefordert wird: “Die Verfassungsgebende Versammlung bestätigt […] den Weg für ein sozialistisches Gesellschaftssystem […] im Hinblick auf die Errichtung eines freien, gerechten und brüderlichen Landes”.

Doch weder ein Text auf einem Blatt Papier noch die Regierung der Portugiesischen Republik werden diesen Weg bestreiten. Das kann nur die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse selbst sein, die sich letztlich gegen diesen Staat stellen wird, um die sozialistische Gesellschaft zu erkämpfen, die in Portugal unter einer Arbeiter:innenregierung errichtet werden muss.

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