Zahlreiche „Querdenken”-Proteste: Was steht hinter den „Spaziergängen”?
Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung gehen in eine neue Runde. Statt zu zentralen Demonstrationen in Großstädten zu mobilisieren, finden immer häufiger dezentral organisierte und unangemeldete “Spaziergänge” von Impfgegner:innen, “Querdenkenden” und Rechtsextremen statt. Was steht hinter diesem neuen Phänomen und welches Programm braucht es gegen den Einfluss der extremen Rechten?
Für Montag, den 3.1.2022 waren 1455 Demos von “Querdenken” oder ähnlichen Bündnissen in Deutschland angemeldet. Dazu kommen noch die zahlreichen unangemeldeten “Spaziergänge”, die besonders in Bundesländern stattfinden, in denen Kundgebungen und Demonstrationen eine Obergrenze an Teilnehmer:innen haben. Am 13.12. vor drei Wochen waren es (bloß) 580 angemeldete Demos. In Berlin allein waren circa 30-35 Demonstrationen und Kundgebungen mit insgesamt 2300 Verschwörungsideolog:innen angemeldet. In Berlin-Mitte marschierte die Neonazi-Gruppe POE auf.
Auch in anderen Bundesländern führen Neonazis die Demos an, so ruft in Sachsen die Organisation “Freie Sachsen” zu den “Spaziergängen” auf. Der Vorsitzende dieser Vereinigung ist der Mitbegründer von “Pro Chemnitz”, die von einem “Volkstod durch Ausländermassen” spricht. Mit dabei sind oft sogenannte “Friedenslichter”, also Kerzen, die mitgetragen werden. Je nachdem, wie stark Neonazis vertreten sind, können das auch schnell mal Fackeln sein. Nicht nur die Kerzen, auch der Begriff “Montagsdemos” und die Rufe “Wir sind das Volk!” erinnern an Bewegungen aus dem rechten kleinbürgerlichen Spektrum.
In vielen Berliner Vorstädten, im sogenannten Speckgürtel, beispielsweise in Bernau, Falkensee, Strausberg oder Hennigsdorf, wurden in den letzten Wochen Demonstrationen angemeldet. Die sonst als “Schlafstädte” bekannten Orte mit kaum großen Umzügen, sind nun mit Querdenker:innen gefüllt. Die Massen von neu-politisierten Menschen sind ungewöhnlich, so marschierten auch am Montag in Falkensee mehrere hundert Menschen. Die Teilnehmer:innen in den Vorstädten sind bei weitem nicht ausschließlich organisierte Neonazis, sondern bestehen hauptsächlich aus rechten Kleinbürger:innen, wobei dies nicht die Gefährlichkeit dieser Proteste in Frage stellt. Gerade, dass in den Vorstädten mobilisiert wird, zeigt das große Ausmaß der Protestbewegung.
Die Antwort der Regierung auf diese Protestwelle war repressiv: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verurteilte die unangemeldeten Proteste und kündigte ein hartes Durchgreifen der Sicherheitsapparate an, was auch von der FDP unterstützt wird. Doch setzen diese Maßnahmen nicht an der Ursache der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und den wachsenden Einfluss rechter Gruppen an.
Schließlich sind die unzureichenden Schritte der Regierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die dabei die Profite der Kapitalist:innen unangetastet lassen, durchaus fragwürdig und oftmals arbeiter:innenfeindlich. Die Kurzarbeit lässt viele Menschen in die Armut abrutschen und verschlimmert die Situation von Arbeiter:innen und Armen. Deshalb fordern wir die volle Lohnfortzahlung und den Erhalt der Arbeitsplätze.
Die Maßnahmen der Regierung treffen hauptsächlich Beschäftigte im Niedriglohnsektor, wie Krankenpfleger:innen und Auszubildende, sowie kleine Unternehmer:innen, und nicht die großen Konzerne, die über ausreichende Rücklagen verfügen oder wie im Falle von Lufthansa direkt staatliche Unterstützung in Milliardenhöhe erhalten. Sie dienen lediglich dazu, die Profite zu sichern und nicht die Pandemie tatsächlich aufzuhalten.
Wir dürfen die Straßen nicht den Rechten überlassen, deshalb brauchen wir eine wissenschaftlich fundierte und sozialistische Kritik der Arbeiter:innen an der Regierung, die verzweifelten Menschen eine Alternative bietet und sie nicht zu einem gefundenen Fressen für rechte Kräfte macht, die bis jetzt die einzige Opposition zur Regierung darstellen. Die aktuelle Lage macht sie zur einzigen Anlaufstelle für Menschen, die mit den Maßnahmen der Bundesregierung unzufrieden sind, oder beispielsweise Angst haben vor einer vom bürgerlichen Staat durchgeführten Impfpflicht mit möglichen Folgen, wie Entlassungen oder ausbleibenden Lohnzahlungen.
Auch der Fokus auf Repression und Strafe bei Nichteinhaltung der 3G-Regeln oder ähnlichem trifft besonders Arbeiter:innen, die sich aufgrund der unzureichenden Impfkampagne noch nicht impfen konnten. Vor kurzem hatten die Berliner Verkehrsbetriebe angekündigt, dass Obdachlose einen 3G-Nachweis brauchten, um sich in den U-Bahn-Stationen aufzuhalten, die im Winter oft der einzige warme Aufenthaltsort sind. Nach massiver Empörung musste diese Ankündigung zurückgenommen werden. Besonders in sogenannten strukturarmen Regionen auf dem Land sind Impfzentren jedoch immer noch oft schwierig zu erreichen und das lange Schlange-Stehen vor den Teststationen lässt sich mit dem Berufsleben kaum unter einen Hut bringen. Des Weiteren sind PCR-Tests in den meisten Orten kostenpflichtig, wenn sich nicht ein positiver Schnelltest nachweisen lässt. Ein weiteres Problem, das hauptsächlich ärmere Menschen zu spüren bekommen.
Vom Beginn der Pandemie bis heute fehlt eine für die Massen sichtbare linke Antwort auf die Fragen, wie die Ausbreitung des Virus mit Rücksicht auf Arbeiter:innen, Migrant:innen, Frauen und Jugendliche eingeschränkt werden könnte. Die Kampagne “Zero Covid” lieferte im vergangenen Winter eine mögliche Antwort. Sie sprach sich für ein Herunterfahren der Wirtschaft unter Kontrolle der Arbeiter:innen aus. Im öffentlichen Diskurs wird der Lockdown immer mit Kontaktbeschränkungen und weiteren Einschränkungen der Freiheit assoziiert. Doch täglich müssen sich Arbeiter:innen in überfüllten Verkehrsmitteln auf den Weg zu einer Arbeit machen, bei welcher die Hygienekonzepte nicht eingehalten werden können, wo auf engstem Raum zusammengearbeitet wird, oder Kontakt zu Kund:innen unausweichlich ist und sie sich so einer enormen Gefahr ausliefern müssen. Wer sich dieser Gefahr nicht aussetzen kann, verliert die Arbeit.
Doch selbst der Lockdown im Privaten ist für viele eine Gefahr und nicht für alle gleich. Das wohnungslose Menschen, Opfer häuslicher Gewalt und Migrant:innen, die sich auf der Flucht oder in überfüllten Auffanglagern befinden, in vielen Fällen nicht “einfach” zu Hause bleiben können, findet kaum Gehör. Zudem gibt es eine rasante Zunahme an psychischen Erkrankungen, vor allem unter jungen Leuten, die durch Online-Schule/Uni und den Kontaktbeschränkungen stark leiden.
Daher setzten wir uns dafür ein, diese Stimmen laut zu machen und eine solidarische Antwort auf die Krise zu finden. Impfungen sind unser Ausweg aus der Krise, jedoch keine vom bürgerlichen Staate aufgezwungene Impfpflicht. Nur eine umfassende Informationskampagne und Aufklärung können helfen, die Impfmüdigkeit zu überwinden. Wir fordern die sofortige Freigabe der Patente für die Impfstoffe, das sofortige Herunterfahren der nicht tatsächlich systemrelevanten Sektoren bei vollem Lohnausgleich und eine vollständige Verstaatlichung des Gesundheitssektors unter Kontrolle der Beschäftigten. Keine Profite mit unserer Gesundheit. Gegen Verschwörungsideolog:innen, die gefährliche individuelle Politik, rechte Esoterik und antisemitische Verschwörungstheorien propagieren.