Wollen Wagenknecht und Bartsch das Werbeverbot für Abtreibungen retten?

01.04.2018, Lesezeit 4 Min.
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Die Linkspartei im Bundestag besteht nicht mehr auf der Abschaffung des Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches – sie bereitet sich auch auf den Kompromiss einer Abschwächung des Werbeverbots für Abtreibung als "Alternative" vor. Wie ist das passiert? Mitglieder der Linkspartei wissen das nicht. Scheinbar steckt der Fraktionsvorstand dahinter, wie Insider*innen berichten.

Die internationale Presse ist erstaunt: The Guardian und The New York Times reiben sich die Augen, weil die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2018 noch Abtreibungsgesetze aus der Nazi-Zeit hat.

Der Paragraph 219a des Strafgesetzbuches sollte auch die Öffentlichkeit in Deutschland erstaunen: Es verbietet nämlich nicht nur „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch jegliche öffentliche Information von Ärzt*innen darüber. Eine Ärztin aus Gießen wurde zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt, weil es auf ihrer Website grundlegende Informationen über die Prozedur gab. Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren sind möglich.

Nach dem skandalösen Urteil gegen Kristina Hänel begann eine Debatte im Bundestag über die Streichung von 219a. Die Sozialdemokrat*innen erklärten, sie seien an sich für die Streichung – aber würden das im Bundestag nicht unterstützen, ihrer Koalition mit der CDU zuliebe. Stattdessen liegen jetzt Gesetzesentwürfe von der FDP, den Grünen und der Linkspartei vor.

– Die FDP fordert eine Änderung des Paragraphen, damit nur noch „grob anstößige“ Werbung für Schwangerschaftsabbruch verboten bleibt. Damit wird es dann letztlich den Gerichten überlassen, welche Informationen erlaubt sind und welche nicht. So bleibt weiterhin die Tür dafür geöffnet, Ärzt*innen für Informationen zu kriminalisieren.

– Die Grünen dagegen fordern, dass der Paragraph „aufgehoben“ wird. Und Alternativen dazu? „Keine.“

– Die Linkspartei fordert ebenfalls „ersatzlose Aufhebung“. Aber ihr Entwurf beinhaltet dazu „Alternativen“, nämlich:

Im § 219a Absatz 1 StGB werden die Wörter „anbietet, ankündigt“ gestrichen. Damit wird deutlich gemacht, dass sich das Verbot nur auf anstößige Werbung beziehen kann, nicht aber auf sachliche Informationen über das Leistungsspektrum von Arztpraxen und Kliniken.

Das ist interessant, da die Linkspartei immer konsequent die Streichung des Paragraphen gefordert hatte. Nun bleibt ihr Entwurf hinter dem von den Grünen zurück und erklärt sich bereit, als „Alternative“ beim Vorschlag der FDP zu landen. Wie kam es dazu?

Laut einer Quelle in der Linkspartei, die anonym bleiben will, hatte die Abgeordnete Cornelia Möhring einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der 219a ersatzlos streichen sollte. Der Fraktionsvorstand – Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch – hat diesen Entwurf abgeschwächt.

Über ihre Motivation heißt es von Insider*innen, dass sie hoffen, dass der abgeschwächte Vorschlag auch die Unterstützung der Sozialdemokrat*innen gewinnen kann. Es ist ein Politikstil, den man von Wagenknecht und Bartsch nur zu gut kennt: Macht die SPD einen Rechtsruck, dann rücken sie ebenfalls nach rechts, um weiterhin anschlussfähig zu bleiben.

Doch wir dürfen nicht vergessen, dass es nicht nur um 219a geht. Jegliche Gesetze zu Abtreibung – also auch die Paragraphen 218 und 219, die ein Verbot und eine partielle Entkriminalisierung vorsehen – gehören ersatzlos gestrichen. Frauen müssen das alleinige Recht haben, über ihre Körper zu entscheiden. Ärzt*innen dürfen keine Angst haben müssen, sie darin zu unterstützen.

Die bisherige Entkriminalisierung von Abtreibung reicht bei weitem nicht aus. Dass es sie aber überhaupt gibt, ist jedoch nicht dem parlamentarischen Kuhhandel zu verdanken. Hunderttausende Frauen (und auch Männer) haben auf den Straßen für ein Ende der Abtreibungsverbote gekämpft. Sie entwickelten eine solche Kraft, dass sie einen Teilsieg davon tragen konnten. Die Konservativen wussten sich allerdings auch damals schon mit allen möglichen Mitteln – von Kompromissen im Parlament bis zu Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht – gegen die vollständige Streichung der Gesetze zu wehren. Nun kommt eine neue Frauenbewegung auf, die diese reaktionären Gesetze angreift, und zwar in aller Welt.

Die Linkspartei muss sich entscheiden: Möchte sie, wie ihr Fraktionsvorstand, ein Bündnis mit der SPD-Führung suchen, um winzige Verbesserungen zu erreichen? Oder möchte sie Teil der neuen Frauenbewegung werden, um die vollständige Abschaffung dieser reaktionären Gesetze zu erkämpfen?

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