Wohin mit der Occupy-Bewegung?

03.11.2011, Lesezeit 7 Min.
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Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends begann auf der Ebene der sozialen Kämpfe mit den „globalisierungskritischen“ Demonstrationen von Seattle 1999 und Genua 2001 und mit den Anti-Kriegs-Demonstrationen 2003. Das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, welches durch die Folgen der Wirtschaftskrise seit 2008 bestimmt wird, scheint eine noch konflikthaltigere Periode zu eröffnen: Nach dem Französischen Herbst, dem Arabischen Frühling, dem Spanischen Mai und dem Chilenischen „Sommer“ ist der Herbst 2011 von der Occupy-Bewegung bestimmt, als wenn zu jeder Jahreszeit eine neue Bewegung entstehen würde. Diese Bewegungen, so vielfältig sie auch seien, sind nicht zufälligerweise aufeinander gefolgt. Sie sind ganz im Gegenteil eng miteinander verbunden und antworten jeweils aufeinander, auch wenn ihre Formen sich an die spezifischen Kalender und nationalen Begebenheiten anpassen. Es ist somit kein Zufall, dass der Plaça Catalunya in Barcelona während der Bewegung in „Tahrir-Platz“ umgetauft wurde, und dass der französische Ausdruck „dégage!“ (Hau ab!) in Tunesien auf Ben Ali angewandt wurde, einige Monate nach den drei großen Demonstrationen gegen Sarkozy in Frankreich.

Was ist die Occupy-Bewegung?

In diesem Sinne ist die Occupy-Bewegung nicht so sehr eine neue internationale soziale Bewegung, sondern eher eine qualitative Weiterentwicklung der „Empörten“-Bewegung, die auf den Straßen und Plätzen Spaniens entstand und sich bald mit mehr oder weniger großem Erfolg auf andere Länder ausbreitete. Durch ihre Entscheidung, das Finanz-Viertel Wall Street zu besetzen und sich somit klar der Macht des Kapitals entgegenzustellen, gaben die DemonstrantInnen in New York der „Empörten“-Bewegung einen neuen Impuls. Die „Empörten“ zeichneten sich zu Beginn durch einen diffusen Willen aus, eine neue Form der Demokratie zu etablieren, eine „wirkliche Demokratie“ im Gegensatz zur bürgerlichen repräsentativen Demokratie, deren wirkliches Gesicht durch die Krise mehr als deutlich wurde. Die neue Parole „Wir sind die 99%“ weist im Gegensatz zum Slogan der „Empörten“ auch auf eine Weiterentwicklung der Bewegung in einem antikapitalistischen Sinn hin. Man bewegte sich vom Ton der „Empörung“, des persönlichen Empfindens, die Würde zu verlieren, hin zum gemeinsamen Einsatz für kollektive Interessen, die denjenigen einer winzigen Minderheit entgegengesetzt sind: den 1%, von denen man sehr gut weiß, dass sie die KapitalistInnen und ihre eifrigen politischen DienerInnen sind.

Es ist teilweise auf diesen neuen Impuls zurückzuführen, dass die weltweiten Mobilisierungen am 15. Oktober alle Erwartungen übertroffen haben und zweifellos all diejenigen überraschte, die die Bewegung für erschöpft hielten. In Madrid protestierten mehr als 400.000 Personen, während die Bewegung in Italien zum ersten Mal den Charakter einer Massenmobilisierung annahm, mit mehr als 200.000 Personen in den Straßen Roms und Straßenschlachten mit der Polizei. Deutschland wurde auch nicht ausgespart, und es fanden Demonstrationen und Versammlungen in vielen Orten statt, wie in Frankfurt, oder in Berlin, wo etwa 10.000 Personen zum Bundestag mobilisierten und eine Versammlung abhielten. Aus konjunkturellen Gründen (die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist weit von der Spaniens oder Italiens entfernt) blieb die Occupy-Bewegung hierzulande aber bisher begrenzt und es ist wenig wahrscheinlich, dass sie den Charakter von Massenmobilisierungen wie in Spanien, Griechenland oder Italien annimmt. Außerdem scheint den Versammlungen und Camps unter freiem Himmel aus klimatischen Gründen in den nächsten Monaten keine strahlende Zukunft entgegen.

Occupy Bildungsstreik!

Was die Occupy-Bewegung in Deutschland dennoch retten könnte, ist ihre Verbindung mit dem Bildungsstreik und anderen sozialen Kämpfen. Die Studierenden und SchülerInnen sind dazu aufgerufen, in den kommenden Tagen und Wochen eine wichtige Rolle zu spielen. Denn wenn die Occupy-Bewegungen überleben kann, dann nur in den besetzten Unis und den Schulen. In diesem Sinne kann die Occupy-Bewegung auch dem sehr ritualisierten Bildungsstreik einen neuen Impuls geben. Die Parole „Occupy“ wurde spontan von vielen Studierenden aufgenommen und man spricht z.B. an der FU Berlin schon nicht mehr von Bildungsstreik, sondern von „Occupy FU“.

Eine der größten Schwächen des Bildungsstreiks war seine Selbstzentriertheit und Begrenztheit (auch bei den teilweise wenig radikalen Forderungen) auf die Welt der Bildung. Wir hoffen, dass es dieses Jahr anders wird, und dass der Wind der Revolte, nachdem er letztes Jahr die ganze Welt durchquert hat, jetzt durch das kalte Land wehen und die Tage der Bildungsstreikwoche zu heißen Momenten des sozialen Kampfes machen wird!

Für die Verbindung der Kämpfe!

Diese Notwendigkeit der Verbindung der Kämpfe haben einzelne politische Organisationen der Berliner Linken gut verstanden, als sie am Samstag, den 29. Oktober, zahlreich auf der Demonstration mit den Empörten vertreten waren – so zahlreich, dass die Demo sich schnell in eine „traditionelle“ Anti-Krisen-Demo im Rhythmus des Rufes „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“ verwandelte. Dies führte allerdings dazu, dass die nicht-organisierten Empörten schnell verschwanden und sich in Richtung des Bundestags aus dem Staub machten.

Trotz dieser Enttäuschung war die Demo sehr interessant, denn es gab auch einen kleinen, aber ziemlich radikalen Block der Streikenden der Charité Facility Management (CFM), an dem wir teilgenommen haben. Die Teilnahme der CFMlerInnen an der Occupy-Bewegung ist nicht irgendwas Belangloses oder Folklorisches. Sie geben der Bewegung vielmehr eine weitere Dimension und zeigen, dass Streikende und Empörte für die gleiche Sache kämpfen: einen radikalen Wandel der Gesellschaft. In einer Situation, in der das Klassenbewusstsein im Allgemeinen sehr beschränkt ist und in der die junge Bewegung der Empörten sich noch durch ein latentes Anti-ArbeiterInnen-Gefühl auszeichnet, ist der Vorstoß der CFMlerInnen sehr wichtig. Er zeigt, dass Arbeitskämpfe in der konkreten Realität sozialen Konflikts verankert sind und sich nicht auf einem anderen Planeten abspielen (dem der Gewerkschaften und der schönen Zeit, wo es noch Streiks und ArbeiterInnen gab!).

Was sind die Perspektiven?

Diese Arbeitskämpfe werden getragen von Frauen und Männern, die sich bewusst sind, was in den verschiedenen Formen der Mobilisierung der Jugend auf dem Spiel steht. Denn die Occupy-Bewegung stellt trotz all ihrer Widersprüche eine erste Etappe der Politisierung einer Generation dar, die sich auf jeden Fall Konflikten größeren Ausmaßes gegenüber sehen werden. Konflikten, in denen sich die 99%, die in der Uni studieren oder in ihr saubermachen, nicht spalten lassen dürfen, und stattdessen gegen den gemeinsamen Feind, der sehr gut vorbereitet ist, zusammenstehen müssen.

Angesichts des Vorstoßes der Streikenden der CFM sollten wir nicht hinterherhinken: Die Verbindung von Occupy-Bewegung und Arbeitskämpfen, wie dem bei der CFM, ist von äußerster Wichtigkeit. Die Solidarität verschiedener Kämpfe, insbesondere zwischen denen von Studierenden und Arbeitenden, muss wieder aufgebaut werden. Nur so können wir schlagkräftig die reaktionäre herrschende Ideologie bekämpfen – und nicht, indem wir eine Hausarbeit schreiben!

Aus diesem Grund gründete RIO die AG Arbeitskämpfe mit, vor dem Bundestag und bei der Versammlung an der FU. Es gibt viel zu tun, mach mit!

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