Wohin geht Frankreich? Eindrücke aus einem bestreikten Land
#KGKinParis: "Macron: Der Präsident der Reichen und der Bosse", "Widerstand!", "Alle zusammen – Generalstreik!" hörte man auf den Straßen in Bastille, Paris. Eine neue Situation der Hoffnung, um gegen die neoliberalen Angriffe die Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse zu verteidigen.
Formiert sich eine neue Streik-Bewegung in Frankreich? Welche Lehren haben die Kämpfenden aus dem Jahr 2016 gezogen? Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt noch, um den neuen Angriff unter dem Label von „Loi Travail XXL“ zu verhindern? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu bekommen, haben wir uns dafür entschieden, nach Paris zu reisen.
Der neue Angriff ist ein Ausdruck der Fragilität Macrons
Die aktuelle Situation in Frankreich veranschaulicht den schwachen Charakter Macrons Präsidentschaft. Die Arbeiter*innen beginnen, ihre Illusionen zu verlieren und einerseits die Vertreter*innen der herrschenden Klasse einerseits und andererseits die Bürokrat*innen in ihren eigenen Organisationen kritisch zu hinterfragen.
Schon im Vorfeld des Streiks konnte man die Wut gegenüber Macron erkennen, weil er die Oppositionellen als „faul, zynisch und extrem“ beschimpfte und keine Bereitschaft zeigte, zurückzurudern. Die Beschimpfungen Macrons manifestieren den Gipfel des Zynismus: Denn diese Aussage kommt ausgerechnet von Vertreter derjenigen Klasse, die parasitär und überflüssig ist und ihren Reichtum durch die Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter*innenklasse vermehrt. Für ihre Krise versucht sie, die Arbeiter*innen zu bestrafen. Macron stellte mit seiner Aussage die Rollen auf den Kopf und rief eine tiefe Unruhe hervor: Laut Umfragen halten 57 Prozent der Bevölkerung den Streik gegen die neue Version des neoliberalen Arbeitsgesetztes für legitim und die Popularität Macrons sinkt drastisch. Macron destabilisiert seine Macht, in dem er den arbeiter*innenfeindlichen Kurs verschärft fortsetzt.
Der Streiktag eröffnet eine neue Ära der Mobilisierungen
Am Vorabend des Streiks erzählen uns die Aktivist*innen aus Universitäten und Betrieben sehr begeistert, dass sie aus den Protesten von 2016 Erfahrungen gesammelt haben und sich die Widersprüche seitdem verschärft haben. Beispielsweise gab es an der Basis des Gewerkschaftsbundes Force ouvrière (FO) entgegen der Weigerung ihrer Führung die Bereitschaft, sich an dem Streik zu beteiligen. In den Diskussionen hat diese Entwicklung eine zentrale Rolle gespielt, weil sich die Repräsentationskrise von der Staatsmacht auf die inner-gewerkschaftliche Ebene ausgedehnt hat. Auch in dem größten Gewerkschaftsbund CFDT (Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund) gibt es im Moment bescheidene Entwicklungen an der Basis, gegen die Zurückhaltung der Führung den Mobilisierungen gegenüber zu protestieren. Möglicherweise wird sich auch die Basis des CFDT an den kommenden Mobilisierungen teilnehmen. Die FO hat bis heute jedoch noch nicht zu den kommenden Streiks am 21. September aufgerufen.
Die Ankündigung des Streiks am 21. September, die vor dem Streik am 12. September von der CGT (Allgemeiner Gewerkschaftsbund) bekannt wurde, ist eine sehr wichtige Entwicklung: So etwas gab es in der Geschichte Frankreichs noch nie. Sie ist Ausdruck eines massiven Drucks auf die Führung der CGT. Die Repräsentationskrise steht in direkter Verbindung zur tiefen Schwäche der Gewerkschaften.
Die Rolle der Jugend im Kampf gegen das Loi Travail XXL ist heute noch unklar, da sich die Universitäten noch in den Sommerferien befinden und die Versuche, Studierende zu mobilisieren, bescheiden blieben. Am Vormittag des Streiktages gab es in Universitäten Paris 1, Paris 6, Paris 7 und Paris 8 Vollversammlungen. Die Vollversammlung an der Paris 6 war mit der Teilnahme von 100 Studierenden die größte, aber im Vergleich zur Situation im Jahr 2016 deutlich kleiner.
Ein weiterer Aspekt dazu ist der Jugendblock auf der Demonstration in Bastille: Die Ausstrahlung der Jugend als selbstorganisierter Block blieb zu schwach, obwohl die Demonstration von mehreren Zehntausenden besucht wurde. In den Gesprächen mit den studentischen Aktivist*innen, die ebenfalls im Jahr 2016 gegen das Arbeitsgesetz protestiert haben, kam die These hervor, dass die Mobilisierungen an den Universitäten zunehmen werden, weil die neue Version des Arbeitsgesetz auch die wirtschaftlichen Bedingungen der Studierenden angreift: Das Wohnungsgeld wurde gekürzt und der Zugang an die Universität darf laut Macron nicht für alle gelten.
2016 war die Situation vom Aufkommen einer neuen Generation der Jugend geprägt, die selbstverständlich in vielen organisatorischen und politischen Fragen unerfahren war. Heute ist die Verbindung zu den Gewerkschaften stärker, da die Gewerkschaftler*innen begonnen haben, die Vollversammlungen zu besuchen. Auf der anderen Seite ist die neue Generation der Jugend in hitzigen und kontinuierlichen Kämpfen auf Straßen gewachsen. Diese Erfahrungen werden sicherlich kombiniert mit der Kampfbereitschaft der Jugend das Schicksal der neuen Mobilisierungen beeinflussen.