Woher kommt die Polizei?

18.06.2020, Lesezeit 6 Min.
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Die blutigen Mai-Unruhen in Berlin! Schussbereite Polizeiposten in den Strassen Neuköllns beobachten gegenüberliegende Häuser auf Fenster und Dachschützen.

Die Debatte über Polizeigewalt, die der Mord an George Floyd auslöste, breitet sich über die Staatsgrenzen aus. In den USA fordern breite Teile der Bewegung die Abschaffung der Polizei, viele weisen auf die historische Verbindung zwischen dem Polizeiapparat und der Sklaverei hin. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, wie die Polizei historisch mit welcher Funktion entstanden ist.

Bild: Polizisten in Berlin während der Mai-Unruhen 1929

Staat und Polizei

Die Polizei, so allseits bekannt, ist Teil der Exekutive, also der ausführenden Macht des Staates. Doch was ist der Staat? Etliche Debatten gibt es über diese Frage. Der Marxismus erklärt den Staat aus seiner historischen Entwicklung, die auf den Klassencharakter der Gesellschaft basiert. Nehmen wir ein paar Beispiele:

Abstrakt kann ein Staat gekennzeichnet werden durch die Einteilung der Staatsangehörigen nach Gebiet – und dadurch den Ausschluss derer, die nicht diesem Gebiet angehören, sowie das Existieren formeller, politischer Institutionen und Autoritäten.

Ein historisches Beispiel wären die griechischen Stadtstaaten – die Polis. Hierher kommt auch der Ursprung des Wortes der Polizei; politeia bedeutete so viel wie Stadtverfassung. Im Mittelalter wurde im deutschsprachigen Raum “Polizey” gleichbedeutend für die gute Ordnung des Gemeinwesens verwendet.

Jedoch kommt hierbei die Frage auf, warum politische Institutionen und Autoritäten entstehen, die andere ausgrenzen. Schließlich sind solche Formationen in der Geschichte der Menschheit relativ neu – je nach Definition vor ca. 6000 Jahren mit der neolithischen Revolution in einigen Gegenden der Welt – während die menschliche Spezies seit viel längerer Zeit existiert.

Die Antwort, so der Marxismus, liegt in der Entstehung und Herausbildung von Klassen. Dies ergibt durchaus Sinn, wenn wir uns das Beispiel der Polis in Betracht ziehen. Nicht nur hatten Menschen außerhalb des Staatsgebiets keine politischen Rechte in den griechischen Stadtstaaten, auch innerhalb dieser gab es eine klare Klassentrennung. Der Vorgänger der heutigen “Demokratie” basierte darauf, dass die Entscheidungen “demokratisch” getroffen wurden – von besitzenden Männern. Verschiedene Zählungen gibt es über die zahlenmäßige Zusammensetzung in den Griechischen Staaten, jedoch machten Sklav*innen die absolute Mehrheit der Bevölkerung aus – ohne Recht auf politische Teilhabe (wie auch Frauen und “zugezogene Fremde”) oder Eigentum.

Wie kann sich eine solche, auf Ausbeutung und Unterdrückung gebaute Herrschaft halten?

Friedrich Engels schreibt in seinem Werk “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates”[1] hierzu:

Der Staat ist (…) ein Produkt der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe; er ist das Eingeständnis, daß diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist. Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der ‚Ordnung‘ halten soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangene, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat.

Der Staat fungiert also als über der Gesellschaft stehende Formation, um die Macht der herrschenden Klasse zu erhalten. Weiter schreibt Engels passend:

Das zweite ist die Einrichtung einer öffentlichen Gewalt, welche nicht mehr unmittelbar zusammenfällt mit der sich selbst als bewaffnete Macht organisierenden Bevölkerung. Diese besondre, öffentliche Gewalt ist nötig, weil eine selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung unmöglich geworden seit der Spaltung in Klassen … Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art.

Diese öffentliche Gewalt sehen Marx und Engels in “ihren allgegenwärtigen Organen – stehende Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand”[2], die im Kapitalismus den Zweck haben, das Funktionieren der Geschäfte für die Kapitalist*innen zu garantieren.

Die Entstehung der modernen Polizei im Kapitalismus

Ab der französischen Revolution, als das Volk die Monarchie stürzte und das Bürgertum an die Macht kam, beginnen in Westeuropa Polizeiapparate zu entstehen, die mehr oder weniger auf nationalstaatlicher Basis existieren. Dies geschah durch die Ausdehnung der Vorherrschaft Frankreichs in Europa, namentlich durch die Eroberungen und Einflussnahme durch Napoleon Bonaparte. Doch auch nach seiner Niederlage in Waterloo behielten die anderen Staaten diese Struktur bei, um aufkommende politische Bewegungen zu bekämpfen und ihre Macht zu sichern.

Circa ab den 1830ern beginnt eine stärkere Militarisierung der Polizei, ihr Höhepunkt ist die Revolution im “Völkerfrühling” von 1848. Ab diesem Zeitpunkt beginnt auch eine stärkere Zentralisierung, sowie eine größere Präsenz in den Städten zur Bekämpfung Oppositioneller, insbesondere der Arbeiter*innen, die während der Revolution von ihrer bürgerlichen Führung verraten wurden[3].

Die Entstehung der modernen Polizei in Deutschland beginnt mit der Gründung des deutschen Reiches 1871 unter Preußischer Vorherrschaft. Obwohl zuvor in den deutschen Staaten bereits Polizeieinheiten existierten und die preußische Geheimpolizei hierbei eine wichtige Rolle in der Verfolgung der aufkommenden Arbeiter*innenbewegung spielte, galt bis zuvor als realer Machtfaktor das Militär. In dieser Periode begann mit der Bismarckschen Politik des Sozialstaats eine staatliche Antwort auf die erstarkende Arbeiter*innenbewegung, angeführt von der SPD, die Polizei ihre heutige Form anzunehmen.

Das Scheitern der Sozialistengesetze 1890 und den Bergarbeiterstreik von 1889 im Ruhrgebiet als Schlüsselereignisse, führten hierbei zu einer “Politisierung der Gefahrenperzeption” (-wahrnehmung)[4].

Preußen unternahm mit dem “Allgemeinen Landrecht für preußische Staaten” eine vermeintliche Trennung von Polizei- und Wohlfahrtsfunktionen vor. De facto wurde dies jedoch im 19. Jahrhundert nicht durchgesetzt, bis zum sogenannten “Kreuzberger Urteil” von 1882, wo die Zuständigkeiten der Polizei auf die Sicherung der öffentlichen Ordnung und die Gefahrenabwehr begrenzt wurden.

Doch selbst nach diesem Urteil wurde diese Trennung nicht Realität. So weist Ralph Jessen darauf hin, dass sich die Tätigkeitsfelder immer weiter ausbreiteten. Die Kompetenz der Polizei, so der Autor, repräsentierte die “ungebrochene Einheit legislativer, exekutiver und judikativer Funktionen”[5]. Die preußische Polizei unterdrückte und drangsalierte Arbeiter*innen und Arme so in allen Lebensbereichen, wie durch Sanktionen und Reglementierungen gegen die überfüllten Arbeiter*innenquartiere.

Die Form der Polizei änderte sich im Laufe der Jahrzehnte und passte sich an die politischen Situationen an. Vom deutschen Reich, über die Weimarer Republik, den Faschismus und die BRD zieht sich jedoch der rote (oder braune) Faden der Funktion der Polizei: die Aufrechterhaltung der herrschenden kapitalistischen Ordnung, die Niederschlagung und Erstickung der Arbeiter*innenbewegung und die Repression gegen ihre unterdrückten und ärmsten Teile.

Quellen:
[1] Engels, Friedrich 1884: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats.
[2] Marx, Karl 1871: Der Bürgerkrieg in Frankreich.
[3] Marx Karl und Friedrich Engels 1850: Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März.
[4] Werkentin, Falco 1992: Geschichte der Polizei.
[5] Jessen, Ralph 1994: Polizei, Wohlfahrt und die Anfänge des modernen Sozialstaats in Preußen während des Kaiserreichs.

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