Wirtschaftskrise und „neue Rechte”

23.02.2012, Lesezeit 10 Min.
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Die historische Krise des Kapitalismus verschärft sich – auch auf ideologischer Ebene. Ein rechtspopulistischer Diskurs neuen Typs entwickelt sich in Europa sowie in Nordamerika und schlägt sich in mannigfaltigen Formen nieder. Auf parlamentarischer Ebene manifestierte er sich in Wahlsiegen rechtspopulistischer Parteien, wie der niederländischen „Partei für die Freiheit“ von Geert Wilders oder des Fidesz-Bundes in Ungarn.Auf der Straße werden diese ideologischen Verschiebungen von rechtsradikalen Phänomenen, wie der der English Defence League begleitet. Mit den Anschlägen Anders Behring Breiviks in Norwegen fand diese „Neue Rechte“ auch einen individuell-terroristischen Ausdruck.

In der BRD ist der Antifaschismus eine der Hauptarenen linker Politik. Doch erlebt die Bundesrepublik scheinbar völlig andere Bewegungen. Trotz des verstärkten rechten Tenors konnte sich keine neue, rechtspopulistische Partei etablieren. Den deutlichsten Widerspruch scheint jedoch nicht das Parlament, sondern die Straße zu bieten. Mit der Aufdeckung der Anschlagsserien des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) trat die neonazistische Anhängerschaft der „alten Rechten“ wieder auf die Bühne.

Worin liegen die Ursachen der rechten Diskurse? Wie viel Neues ist wirklich an der „Neuen Rechten“? Und welche Perspektiven hat Antifaschismus in Zeiten kapitalistischer Krise und des Wiedererwachens des deutschen Imperialismus?

Die Soziale Basis der Rechten, oder:
Was heißt „Kleinbürgertum”?

Das Erstarken neu-rechter Diskurse fällt nicht zufällig mit der tiefsten Krise des Kapitalismus seit den 30ern zusammen. Die wirtschaftlichen Erschütterungen bedeuten Erosionen im internationalen Machtgefüge, auf die die nationalen Bourgeoisien entsprechend ihrer jeweiligen Bedingungen reagieren. Ein Beispiel hierfür ist die imperialistische Politik der herrschenden Klasse der BRD in der momentanen Euro-Krise, der der Versuch zu Grunde liegt, die eigene Hegemonie über den europäischen Wirtschaftsraum auszubreiten. Ist aber nicht das Kapital, sondern der Mensch das handelnde Subjekt, so bewegt sich jede Handlung im Rahmen einer sie begründenden Ideologie. Dabei bedingt die materielle Situation die ideologischen Einstellungen, schlägt sich jedoch nicht eins zu eins um. In der modernen Klassengesellschaft befinden sich die etablierten Medien in den Händen der herrschenden Klasse. Auf diesem Weg finden Interessen der KapitalistInnenklasse Einzug in die Bewusstseinszustände anderer Klassen, allen voran in das Kleinbürgertum als vielfältige Schicht zwischen den beiden Klassen der Besitzenden (Bourgeoisie) und Arbeitenden (Proletariat).

Das heutige Kleinbürgertum besteht in seiner bedeutenden Masse entweder aus kleinen Selbständigen, BeamtInnen oder FunktionärInnen verschiedener Art. Diese Masse aus „kleinen Leuten” besitzt nicht genügend Kapital, um ausschließlich von der Lohnarbeit anderer zu leben, und deswegen nicht soviel gesellschaftliche Macht wie die herrschende Klasse. Ebensowenig nimmt sie die wert-schöpfende Position der ArbeiterInnenklasse ein, die gerade aus dieser ökonomischen Stellung heraus ihr Potential für die Eroberung und Umgestaltung der gesamten Gesellschaft besitzt. Diese doppelte Machtlosigkeit verdammt sie dazu, trotz ihres zahlenmäßigen Gewichts keine eigene Systemalternative anstreben zu können. Stattdessen bleibt sie gefangen zwischen der Hoffnung des Aufstiegs in die Bourgeoisie und der Angst vor dem Abstieg ins Proleteriat. In der Krise muss sie sich zwischen ArbeiterInnenklasse und KapitalistInnenklasse für die günstiger erscheinende Alternative entscheiden.

Diese Situation ist heute eingetreten. Als bedeutende Kleinsparende sehen die Kleinkapitalbesitzenden ihre Anlagewerte schwinden. Die Existenzgefährdung der StaatsbeamtInnen besteht in jedem „Sparpaket“, zu dessen Hauptzielen stets „Rationalisierungen im öffentlichen Sektor“ gehören. GewerkschaftsfunktionärInnen sehen sich in der Vertretung der Interessen der „eigenen“ ArbeiterInnenschaft einem Anwachsen internationaler Arbeitslosigkeit gegenüber, was im Buhlen um „ArbeitgeberInnen“ zu verschärfter Standortlogik führt.

An diesem Punkt der gesellschaftlichen Entwicklung erweitert sich der Kampf für eine emanzipatorische Systemwende zum Kampf auch um die marxistisch-ideologische Gewinnung des zahlenmäßig starken Mittelstandes für die Interessen der ArbeiterInnenklasse. In der aktuellen Situation ist dieser Kampf vor allem durch ein Ungleichgewicht geprägt: Dem Fehlen einer revolutionären, internationalen ArbeiterInnenbewegung.

Der Mittelstand ist der Propaganda der herrschenden Klasse beinahe alternativlos ausgeliefert. Daher schlägt der Wertverfall des Kleinkapitals in eine Trennung von „schaffendem“, nationalem Realkapital und „raffendem“, internationalem Finanzkapital um. Daher drängt internationale Arbeitslosigkeit die GewerkschaftsfunktionärInnen nicht zur internationalen Solidarität, sondern zur nationalistischen bis rassistischen Standortkonkurrenz. Aus der gleichen Quelle entspringt dann schließlich auch der Ruf des Staatsbeamten nach dem „starken Nationalstaat“ gegen die angenommenen internationalen Verwerfungen.

Wie neu ist die „neue Rechte“?

Der neu-rechte Diskurs in Europa und Nordamerika unterscheidet sich auf den ersten Blick bedeutend von der Weltanschauungen des Faschismus des vergangenen Jahrhunderts. Dies begründet sich allerdings in keiner Veränderung des kapitalistischen Systems, sondern ausschließlich in einer veränderten historischen Situation. Sozusagen sind die Spielregeln gleich geblieben, während sich die Aufstellung der SpielerInnen verändert hat.

Der Faschismus des 20. Jahrhunderts war selbst sehr ausdifferenziert. Der ihm oftmals zugeschriebene völkisch-antisemitische Charakter war dabei eine spezifische Form des deutschen Faschismus. In Italien war der Antisemitismus bedeutend schwächer ausgeprägt, während im japanischen Faschismus der Personenkult um die Kaiserfamilie an die Stelle der Vorstellung von einer „arischen“ Rasse trat. Kulturelle Färbung dieser Weltanschauung hängt also von den jeweiligen Umständen (historische Entwicklung, Einfluss bisheriger Ideologien wie dem anti-Judaismus der katholischen Kirche in Deutschland, usw.) ab.

Der funktionelle Charakter war hingegen überall gleich, weil es sich stets um eine kapitalistische Gesellschaft in der Krise handelte. Die abergläubisch-weltfremden Züge der faschistischen Ideologie schlugen beim ersten Berührungspunkt mit der Realität in ein Herrschaftsinstrument der KapitalistInnenklasse um. So resultierte um nur ein Beispiel zu nennen die propagierte „Volksgemeinschaft“ in der Zerschlagung von Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien zum Zwecke der Spaltung und Schwächung der ArbeiterInnenschaft, was die Mehrwertaneignung der UnternehmerInnen von jedem Widerstand befreien sollte.

Faschistische Ideologie ist also nur in der differenzierten Analyse von funktionalen und kulturell-bedingten Eigenschaften zu verstehen. So ist dann auch die momentane „Euro-Skepsis“ zu bewerten, die beispielsweise in Ungarn in Nationalisierungsversuchen der eigenen Zentralbank zu erkennen ist, um sich von der – von den herrschenden Klassen Deutschlands und Frankreichs dominierten – Europäischen Union zu entfernen. Der anti-muslimische Charakter des modernen Rechtspopulismus erklärt sich unter anderem in der Verunsicherung, mit der die imperialistischen Zentren die Erschütterungen und Widerstände in der mit Ausbeutung und Krieg überzogenen arabischen Welt beobachten.

In der BRD schlägt seit Monaten eine Fraktion der vermeintlich alten Rechten ihre Wellen. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hat über Jahre hinweg eine rechtsradikale Anschlagsserie verübt. Doch steht das im Widerspruch zu den neu-rechten ideologischen Verschiebungen in anderen Teilen der Welt?

In Deutschland hatte sich bisher keine neue Rechte Partei von bedeutendem Gewicht etablieren können. „Pro Deutschland“ als auch „Die Freiheit“ blieben weit hinter den Entwicklungen ihrer ausländischen Pendants zurück. Dies ist darin begründet, dass der auflebende rechte Diskurs in Deutschland bisher von den großen „Volksparteien“ aufgefangen wird. Der CDU gelingt es, in der Wirtschaftskrise die hegemonialen Ansprüche der herrschenden Klasse der BRD im europäischen Rahmen zu artikulieren. Zumindest im Interesse größerer Teile der herrschenden Klasse. Der Rest wird von den Grünen und der SPD bedient, die die selbe Strategie mit leicht variierenden Taktiken verfolgen.

Die BRD ist von der Radikalisierung rechter Ideologie also nicht ausgeschlossen. Sie erlebt sie nur in den ihrer konkreten Situation entsprechenden Ausformungen. Verlieren die etablierten Parteien ihren Zuspruch der herrschenden Klasse, ist die Etablierung einer neuen Rechts-Partei in der Bundesrepublik eine reale Wahrscheinlichkeit.

Für antifaschistische Arbeit sind entsprechend der bisherigen Argumentation Schlüsse zu ziehen, die teilweise in größerem Widerspruch zur bisher vorherrschenden, antifaschistischen Praxis stehen.

Revolutionärer Antifaschismus!

Zum Ersten kann effektiver und nachhaltiger Antifaschismus der über reine physische Abwehrkämpfe hinausgeht, nicht als lokale Demokratiebewegung gegen den nächstgelegenen Tor-Steinar-Laden verstanden werden. Der Faschismus ist, wie oben beschrieben, eine politische Teilerscheinung des kapitalistischen Systems. Das bedeutet nicht nur, dass ein Kapitalismus ohne faschistische Strömungen und EinzeltäterInnen nicht denkbar ist, sondern auch, dass eine Schwächung faschistischer Bewegungen nur in gesamtgesellschaftlichem Rahmen möglich ist. Es benötigt einer internationalen Überwindung des bestehenden Gesellschaftssystems, um reaktionäre Ideologien zu überwinden.

Die ArbeiterInnenklasse ist dabei sowohl in der konkreten antifaschistischen Tagesarbeit, als auch für die Perspektive der sozialistischen Revolution der Dreh- und Angelpunkt. Eine Einbindung der ArbeiterInnenklasse in antifaschistische Aktionen kann die Wirkungskraft dieser vervielfachen und zu einer Politisierung und Radikalisierung der ArbeiterInnenklasse beitragen. Diese Perspektive beruht keinesfalls auf der Annahme, dass antifaschistische Arbeit bisher an jedem einzelnen Mitglied der ArbeiterInnenklasse vorbeigegangen wäre. Es geht aber darum, ArbeiterInnen als ArbeiterInnen und nicht als Menschen oder BürgerInnen oder DemokratInnen einzubeziehen. So wären Blockaden von Nazi-Aufmärschen viel effizienter, wenn nicht alle AntifaschistInnen gemeinsam Sitzblockaden realisieren, sondern die ArbeiterInnen ihre Stellung im Produktionsprozess ausnutzen würden: Nazidemos müssen gar nicht erst blockiert werden, wenn ein S-Bahn-Streik den FaschistInnen die Anreise verwehrt.

Die Berührungspunkte zur ArbeiterInnenschaft sind vorhanden: Immer wieder werden gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen von Neonazis angefallen. Eines der berühmtesten Beispiele ist eine Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am 1. Mai 2009 in Dortmund gewesen, die dem Angriff von 300 Neonazis ausgeliefert war. Antifaschistischer Selbstschutz wird hier zur alltäglichen Notwendigkeit der organisierten Teile der ArbeiterInnenklasse. So eröffnen sich politisierende und schließlich radikalisierende Anknüpfungspunkte zwischen antifaschistischen AktivistInnen und der ArbeiterInnenklasse.

Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen!

Wurde vorher noch von den rechten Tendenzen in SPD und Gewerkschaftsapparaten gesprochen, kann der Aufruf zum antifaschistischen Selbstschutz der ArbeiterInnenorganisationen widersprüchlich klingen. Tatsächlich jedoch geht es hierbei um die Strategie der Einheitsfront. Der Großteil der kämpferischsten Sektoren der ArbeiterInnenklasse ist gewerkschaftlich organisiert. Gerade diese Sektoren müssen in den konkreten Kampf gegen Faschismus einbezogen werden. Dieser Kampf kann eine Politisierung und Radikalisierung der ArbeiterInnenschaft vorantreiben, was der Gewerkschaftsbasis internationale Solidarität beibringen und sie zur basisdemokratischen Umstrukturierung der Gewerkschaften ermutigen würde, wodurch die für rechte Ideologien anfällige FunktionärInnenschicht Vergangenheit würde.

Bei SPD und Linkspartei hoffen wir nicht auf einen „Linksschwenk“. Trotzdem treten wir für gemeinsame, konkrete Aktionen gegen Nazis mit ihnen ein. Der Grund liegt vor allem darin, dass viele Lohnabhängige und Jugendliche, die für den antifaschistischen Kampf gewonnen werden müssen, sich mit diesen Parteien identifizieren. Über gemeinsame Praxis bei permanenter Kritik an der überhaupt nicht antifaschistischen Politik ihrer Parteiapparate können diese AktivistInnen von ihren bisherigen Parteien weg und nach links gezogen werden.

  • Die antifaschistische Aktion in die ArbeiterInnenklasse tragen!
  • Für revolutionären Antifaschismus!
  • Einheitsfront in Dresden und überall!

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