Wird im Oktober die Katalanische Republik ausgerufen?

03.08.2017, Lesezeit 10 Min.
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BARCELONA, SPAIN - SEPTEMBER 11: Demonstrators march during The National Day of Catalonia on September 11, 2013 in Barcelona, Spain. Thousands of Catalans celebrating the 'Diada Nacional' are holding demostrations to demand the right to hold a self-determination referendum next year. (Photo by David Ramos/Getty Images)

Seit Jahren fordert eine breite demokratische Bewegung in Katalonien ihr Recht auf Selbstbestimmung ein: Sie wollen entscheiden können, ob sie unabhängig vom Spanischen Staat leben wollen. Doch die bürgerliche Führung dieser Bewegung hat es bisher nicht gewagt, die volle Konfrontation mit dem Zentralstaat einzugehen, der jeden Versuch verhindert, aus dem engen Korsett des Spanischen Staates auszubrechen. Die Ankündigung eines Unabhängigkeitsreferendums für den kommenden 1. Oktober bringt neuen Schwung in die Spannungen zwischen Madrid und Barcelona.

„Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?“, das ist die Frage, die der Bevölkerung Kataloniens am 1. Oktober in einem Referendum gestellt werden soll. Bei einer Mehrheit der „Ja“-Stimmen würde nach Angaben des Regionalpräsidenten Carles Puigdemont schon am nächsten Tag die unabhängige Katalanische Republik ausgerufen werden.

Vorbereitung

In den letzten Monaten liefen die Vorbereitungen auf die Abstimmung wie auf Hochtouren: Es verging keine Woche ohne eine Ankündigung der katalanischen Regionalregierung, keine Woche ohne Drohung des spanischen Zentralstaates. Dazu gehörte die Bekanntgabe des Datums und der Frage im Juni. Darauf folgte die Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs zur „Abtrennung“, indem wahlrechtliche Aspekte für das Referendum und die Zeit danach im Falle eines mehrheitlichen „Ja’s“ geregelt werden sollen.

Um diese entscheidenden Gesetze rechtzeitig beschließen zu können, jedoch dem spanischen Verfassungsgericht wenig Zeit für eine Antwort zu geben, hat die katalanische Regierung den Parlamentsurlaub verkürzt und ein Gesetz beschlossen, um das „Abtrennungsgesetz“ in einer einzigen Sitzung durchpeitschen zu können und somit das übliche legislative Prozedere (und die Rechte der Opposition) zu umgehen. Mit den Stimmen des regierenden Bündnisses „Zusammen für das Ja“ (JxSí), das aus der bürgerlich-konservativen PDCaT und der reformistischen ERC besteht, sowie der antikapitalistisch-katalanistischen CUP, wurde dieser Fahrplan am vergangenen Donnerstag beschlossen.

Zweifel

Doch wird es wirklich zur Unabhängigkeit kommen? Darüber bestehen viele Zweifel. Diese finden sich einerseits in der katalanischen Gesellschaft selbst. Zwar sind 80 Prozent der Bevölkerung dafür, die Möglichkeit zur Abstimmung zu haben. Doch das bedeutet nicht, dass diese 80 Prozent auch für die Unabhängigkeit stimmen werden. In einer jüngeren Umfrage ist die Zahl derjenigen, die einen katalanischen Staat befürworten, von 44 Prozent im März auf 41 Prozent im Juli gesunken.

Doch viel entscheidender ist die Rolle der Führungen der Unabhängigkeitsbewegung. Seit 2012 sind jedes Jahr Millionen Katalan*innen am Nationalfeiertag, dem 11. September, auf die Straße gegangen, um für die Unabhängigkeit zu demonstrieren. Immer wieder manifestierte sich auf den Straßen die große Unterstützung dieser Forderung in den Massen. Sich dessen bewusst machte sich der damalige Regionalpräsident Artur Mas die Unabhängigkeitsforderung zu eigen und stellte sich an die Spitze der demokratischen Massenbewegung.

Seine Ziele waren jedoch andere: Er wollte vor allem steuerliche Vorteile gegenüber dem Zentralstaat heraus handeln, wie sie auch das Baskenland besitzt. Katalonien ist die wirtschaftsstärkste Region des Spanischen Staates und muss deshalb, ähnlich wie im Länderfinanzausgleich in Deutschland, einen Großteil der Steuereinnahmen nach Madrid abführen. Außerdem konnte er so dem durch Korruptionsskandale erschütterten politischen Establishment in Katalonien Stabilität und Wahlerfolge sichern, von denen Puigdemont noch heute profitiert.

Deshalb gingen die Unabhängigkeitsbestrebungen dieser bürgerlichen Führungen nie über symbolische Gesten und Versuche hinaus, die jedoch allesamt an der Beharrlichkeit des spanischen Zentralstaates scheiterten. Immer wieder wurden „Marschrouten“ veröffentlicht, die zu einer endgültigen „Loslösung“ vom Spanischen Staat führen sollten. Tatsächlich wurden vier katalanische Politiker*innen, unter ihnen zwei Ex-Minister*innen und Artur Mas, wegen der Organisierung der nicht-bindenden Volksbefragung im November 2014, von der spanischen Justiz von der Ausübung öffentlicher Posten ausgeschlossen. Damals hatten sich mehr als zwei Millionen Menschen, rund ein Drittel der Wahlberechtigten, an der Volksbefragung beteiligt und 90 Prozent von ihnen für die Gründung eines katalanischen Staats gestimmt.

Reaktion

Wie die Reaktionen des Zentralstaats ausfallen würden, sollte das bindende Referendum wirklich stattfinden, lässt sich nur erahnen. Zahlreiche Politiker*innen der regierenden „Volkspartei“ (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy haben mit harten Konsequenzen gedroht. Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal hatte in Bezug auf das Referendum verkündet, die Streitkräfte würden die „Souveränität und Integrität des Spanischen Staates“ verteidigen. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Sáenz de Santamaría wies darauf hin, dass gegen die Verfassung verstoßende Gesetze innerhalb von 24 Stunden gestoppt werden könnten.

Schon jetzt kündigte das Verfassungsgericht an, sofort gegen jeden Verfassungsverstoß vorzugehen. Dazu könnte es Gesetze für bis zu fünf Monate annullieren, während ein Prüfungsprozess stattfindet. Zudem schließt es Mariano Rajoy, der den katalanischen Autoritäten „radikale Wahnvorstellungen“ unterstellte, nicht aus, den Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden, der den Regionalregierungen jegliche Autonomie nimmt und sie unter direkte Kontrolle der Zentralregierung stellt.

Mit diesem Kurs steht die PP nicht allein da: Auch die sozialdemokratische PSOE und die neoliberalen Ciudadanos („Bürger“) sind sich darin einig, die Unabhängigkeit Kataloniens mit allen Mitteln zu verhindern. Denn auch wenn der neu gewählte Vorsitzende der PSOE von „Plurinationalität“ und „Dialog“ spricht, tut er dies nur mit dem Ziel, das demokratische Recht auf Selbstbestimmung einzuschränken. Nach dem Plan der PSOE sollten neue Autonomiestatuten zwischen den Regionen und dem Zentralstaat verhandelt werden, die ihnen mehr Rechte geben. Eine wirklich freie Entscheidung jedoch, die auch zur Abtrennung führen könnte, will sie vermeiden.

Linke

Eine mehrdeutige Position nimmt die neoreformistische Partei Podemos ein. Ihr Anführer Pablo Iglesias stellt sich zwar in Worten hinter das Recht des katalanischen Bevölkerung, über ihre Unabhängigkeit zu entscheiden. Doch er stellt als Bedingung für eine solche Entscheidung, dass es sich um ein legales, mit dem Zentralstaat verhandeltes Referendum handelt – und nicht um eine unilaterale Abstimmung, wie es bisher ist. Deshalb hatte er Anfang Juli gesagt: „Wenn ich Katalane wäre, würde ich nicht an Puigdemonts Befragung teilnehmen.“

Das Problem ist jedoch, dass eben jener Zentralstaat und seine Institutionen der größte Feind jeder Unabhängigkeitsbewegung ist. Im Parlament haben die Anti-Referendums-Kräfte eine klare Mehrheit, in der Regierung sitzt die PP, die sogar mit einer Militärintervention droht und das Verfassungsgericht verfolgt katalanische Politiker*innen.

Podemos Katalonien hat zwar angekündigt, sich am Referendum als „politisch legitime Mobilisierung“ zu beteiligen, jedoch sehen sie es nicht als ein unilaterales Referendum. Auch die von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau angeführte Partei „Comunes“ will am Referendum teilnehmen, doch auch sie verstehen es nur als einen „Protesttag für das Recht auf Selbstbestimmung“ und sprechen der Abstimmung jeden bindenden Charakter ab.

In der Praxis hat sich Ada Colau sogar geweigert, ein Gesetz zu beschließen, dass die öffentlichen Gebäude als Abstimmungsorte zulässt. Die Unterstützung des Rechts auf Selbstbestimmung geht bei diesen neoreformistischen Kräften soweit, wie es die Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie erlaubt.

Die oben erwähnte linksradikale CUP hingegen hat sich als Teil des „separatistischen Blocks“ die Unterstützung der katalanischen Regierung zur Aufgabe gesetzt. Vor zwei Jahren, bei den letzten Parlamentswahlen in Katalonien, konnte die CUP mit einem sozialen Programm für einen antikapitalistischen Bruch mit dem Spanischen Staat die Sitze im Parlament mehr als verdreifachen und bildete seitdem das Zünglein an der Waage für die Regierungskoalition. Mit dieser Politik hat sich die CUP komplett der Agenda der katalanischen Bourgeoisie untergeordnet.

So hat sie nicht nur die bremsende Rolle, welche JxSí für die Unabhängigkeitsbewegung gespielt hat, von links legitimiert. Die Kollaboration ging sogar soweit, dass sie im Gegenzug für ein Bekenntnis zum Abhalten des Referendums, für den Haushalt der Regierungskoalition gestimmt hat, der keine einzige Maßnahme enthält, um den sozialen Notstand der Arbeiter*innen und Jugendlichen zu beheben. Auch das oben erwähnte vor wenigen Tagen beschlossene Gesetz, mit dem das „Abtrennungsgesetz“ ohne Einwirken der Opposition in einer Sitzung mit den Stimmen der Regierung beschlossen werden kann, setzt einen gefährlichen Präzedenzfall. So kann diese Einschränkung parlamentarischer Rechte beim nächsten Mal dazu benutzt werden, Sparmaßnahmen gegen die arbeitende Bevölkerung zu beschließen.

Die CUP hat durch die Unterordnung unter die katalanische Bourgeoisie und ihre Regierung die radikale Transformation der Gesellschaft sowie all ihre sozialen Forderungen wie die Nicht-Zahlung der öffentlichen Schulden oder das Ende der Zwangsräumungen auf eine ferne Zukunft verschoben. Sie tun das mit der Begründung, den „separatistischen Block“ nicht spalten zu wollen. Doch kann für revolutionäre Kräfte die Gründung eines unabhängigen katalanischen Staates das Endziel sein? Zumal dieser Prozess nicht von den Millionen Arbeiter*innen und Jugendlichen, die für das Recht auf Selbstbestimmung sind, angeführt wird, sondern von den direkten Vertreter*innen der katalanischen Bourgeoisie – aus den selben Parteien, die Katalonien schon seit dem Ende des Franquismus im Dienste der herrschenden Klassen regieren und sich dabei die eigenen Taschen mit Schmiergeld gefüllt haben. Unter diesen Umständen wäre eine katalanische Republik nur ein weiterer bürgerlicher – und dazu imperialistischer – Staat, die von den gleichen Eliten geführt wird, wie bisher.

Perspektive

Deshalb treten linke Organisationen wie die Revolutionäre Arbeiter*innen-Strömung (CRT) für eine sozialistische Perspektive im Unabhängigkeitsprozess ein. An erster Stelle steht dabei die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung der katalanischen Massen gegenüber den spanischen Zentralstaat und seines Repressionsapparats. Doch auch der katalanischen Bourgeoisie, die die Führung im Unabhängigkeitsprozess innehat, darf kein Vertrauen geschenkt werden, da sie das Recht auf Selbstbestimmung für den nächstbesten Deal mit der spanischen Bourgeoisie eintauschen will. Nur die Einheit der gesamten Arbeiter*innenklasse im Spanischen Staat und die Mobilisierung der katalanischen Massen kann das Recht auf Selbstbestimmung durchsetzen und das Referendum am 1. Oktober zu einer wirklich bindenden Abstimmung machen.

Schließlich muss die Infragestellung der nationalen Unterdrückung in eine Infragestellung jeglicher Form der Ausbeutung und Unterdrückung übergehen und perspektivisch für die revolutionäre Einheit der gesamten iberischen Halbinsel unter sozialistischen Vorzeichen gekämpft werden. Das unterscheidet die revolutionäre Linke von der katalanistischen Linken der CUP, die sich an die katalanische Bourgeoisie anpasst, und die neoreformistische Linke à la Podemos, die sich an die PSOE und deren Verteidigung des spanischen Zentralstaats anpasst.

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