Wird die SPD Hartz IV mit einem „solidarischen Grundeinkommen“ abschaffen?

31.03.2018, Lesezeit 5 Min.
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13.02.2018, Berlin: Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, spricht vor den Sitzungen von SPD-Präsidium und Parteivorstand im Willy-Brandt-Haus mit Journalisten. Es wird erwartet, dass der scheidende Parteivorsitzende Schulz das Amt kommissarisch an Fraktionschefin Nahles abgibt. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit

Mit einem „solidarischen Grundeinkommen“ will ein Teil der SPD Hartz IV überwinden. Dabei könnte sich der Vorschlag als Ausweitung des Niedriglohnsektors entpuppen.

Eine wohlklingende Wortkombination hat sich der Berliner Oberbürgermeister Michael Müller für die staatliche Finanzierung von Stellen für Langzeitarbeitslose ausgedacht: „Solidarisches Grundeinkommen“. Schöner allemal als Hartz IV, das seit 15 Jahren der Inbegriff von Prekarisierung und Druck auf Arbeitslose ist – und der SPD den Absturz auf mittlerweile 20 Prozent beschert hat.

Nachdem das Thema jahrelang totgeschwiegen wurde, hat es Jens Spahn wieder in das Licht der Öffentlichkeit gezerrt – „Hartz IV ist nicht gleich Armut“ – und damit ungewollt eine Armutsdebatte losgetreten. Nach der NoGroko-Kampagne, die 123.000 Mitglieder gegen die Regierungsbildung stimmen lies, verstärkt sich in der SPD der Wunsch nach Erneuerung.

Auf Müllers Vorschlag sprangen gleich einige prominente Parteimitglieder auf: Der stellvertretende Vorsitzende Ralf Stegner, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Arbeitsminister Hubertus Heil, der Gesprächen über die Abschaffung von Hartz IV offen gegenüber steht.

Ein grundlegender Wandel in der Sozial- und Arbeitspolitik?

Doch der mächtigste Mann in der SPD, Olaf Scholz, Finanzminister, Vizekanzler und kommissarischer Parteivorsitzender, schob dem gleich einen Riegel vor: Das „Kernprinzip der Arbeitsmarktreform“ stehe für die SPD nicht in Frage. Und laut ihm stünden auch Müller und Stegner hinter dem Prinzip des „Förderns und Forderns“ – dem Euphemismus für die Schikanen der Jobcenter.

Trotz des Machtwortes von Scholz zeigt die Diskussion, dass in der SPD erstmals seit langem wieder Grundsatzdebatten geführt werden. Je nachdem wie umfangreich so ein Programm ausfallen würde, könnte ein „solidarisches Grundeinkommen“ tatsächlich einige weitreichende Veränderungen für den Arbeitsmarkt mit sich bringen.

Die Agenda 2010 wurde 2003 vor dem Hintergrund von fünf Millionen Arbeitslosen und einer wachsenden Staatsverschuldung begonnen. Die Hartz-Gesetzgebungen sollten dazu dienen, das deutsche Kapital international wettbewerbsfähiger zu machen, durch den erhöhten Druck auf die Löhne. Das hat für die Bourgeoise ausgezeichnet funktioniert.

Doch mittlerweile ist Hartz IV in die Jahre und Kritik gekommen. Von rechts mit Jens Spahn, der die Sozialausgaben am liebsten noch weiter senken würde. Und von linker Seite mit der Kritik an den menschenfeindlichen Auswüchsen von Hartz IV. Michael Müller nimmt die Kritik von links auf. Dabei versucht er, mit dem „solidarischen Grundeinkommen“ eine „moderne“ Antwort der Arbeitsmarktpolitik auf Fragen wie Arbeitsplatzabbau durch Digitalisierung oder Personalmangel im öffentlichen Dienst zu geben. Das Problem: So wohlklingend wie der Name ist es für die Beschäftigten nicht.

Ein neuer Niedriglohnsektor

Das Grundeinkommen solle in den Vorstellungen von Michael Müller bis zu 1.200 Euro betragen. Dafür sollen die Empfänger*innen allerdings für „gemeinnützige“, sozialversicherungspflichtige Arbeiten im kommunalen Bereich herangezogen werden, die nach Mindestlohn bezahlt werden. Müller hat dabei an Tätigkeiten gedacht wie Müll wegräumen, Parks säubern, Grünstreifen bepflanzen, begleitete Einkäufe für Alte oder Menschen mit Behinderung tätigen, Babysitting oder soziale Arbeit mit Geflüchteten.

Damit wäre es kein wirkliches Grundeinkommen, sondern eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für einen Teil der 857.000 Langzeitarbeitslosen. Die Frankfurter Rundschau nennt es daher einen Trick, „die Arbeitslosen aus der Statistik wegzusubventionieren“. Und einen Trick der SPD, um das böse Wort Hartz IV, mit dem sie so viel Vertrauen verspielt hat, zu umgehen.

Finanziert würden die Jobs aus Steuermitteln. Aus der CDU kam die Kritik, dass so ein staatlicher Parallel-Arbeitsmarkt geschaffen werde. Pro 100.000 Beschäftigte würden in etwa Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro entstehen. Für wie viele Personen es gelten solle, ließ Müller offen. Allerdings relativierte er bereits seinen Vorschlag indem er sagte, das Grundeinkommen wäre erst mal nur eine ergänzende Maßnahme zu Hartz IV.

Zwar betonen die Befürworter*innen des „solidarischen Grundeinkommens“, dieses solle keine regulären Jobs wegnehmen. Doch besteht durch den Einsatz in gemeinnützigen Bereichen die Gefahr, dass die zum Mindestlohn ausgeführten Tätigkeiten Druck auf die Löhne der Festangestellten erzeugen. Der Personalmangel in Pflege und Erziehung könnte somit zum Teil durch bisherige Langzeitarbeitslose in Niedriglöhnen „gelöst“ werden. Das „solidarische Grundeinkommen“ erinnert an die „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ (ABM) oder die 1€-Jobs.

Personen, die ein „solidarisches Grundeinkommen“ beziehen, stünden zudem vor der Herausforderung, aus dem staatlich geschaffenen Arbeitsmarkt in eine reguläre Beschäftigung zu wechseln. Da die Stellen nach Müllers Vorstellung unbefristet entstehen sollen, bestünde hier die Gefahr, langfristig in Jobs mit Mindestlohn festzuhängen.

Neben Scholz hat auch Regierungssprecher Steffen Seibert dem „solidarischen Grundeinkommen“ gleich eine Absage erteilt und somit klargestellt, dass lediglich die arbeitsmarktpolitischen Vereinbarungen des Koalitionsvertrages angegangen werden. Bis zum Sommer will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Gesetz für einen „sozialen Arbeitsmarkt“ vorlegen. Der Staat stockt das Gehalt auf den Mindestlohn von 8,84€ auf, damit die Unternehmen Löhne sparen und einen größeren Anreiz haben, Arbeitslose einzustellen. 150.000 Langzeitarbeitslose sollen dadurch wieder in eine Beschäftigung finden. Zwischen 2018 und 2021 sollen für dieses Programm laut Koalitionsvertrag vier Milliarden Euro aufgewendet werden.

Auch wenn das „solidarische Grundeinkommen“ vorerst nicht weiter verfolgt wird, zeigt die Diskussion mit den prominenten Unterstützer*innen in der SPD, wie tief mittlerweile auch in Teilen des Apparates die Erkenntnis durchgekommen ist, dass die Partei eine Erneuerung braucht. Trotz des lauwarmen Vorschlages, der sogar den Niedriglohnsektor vertiefen könnte, ist der Druck zur Distanzierung von Hartz IV in der SPD angekommen.

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