„Wir wollen nicht in einer Welt des Rassismus und der Abschiebungen leben“
Am 27.April findet in Berlin und vielen weiteren Städten ein Schul- und Unistreik gegen Rassismus und Krieg statt. In Berlin soll dabei an die positiven Erfahrungen aus dem letzten Jahr angeknüpft werden. Die Freiheitsliebe hat mit Tabea Winter von der Jugend gegen Rassismus über das Projekt Schul- und Unistreik, den Kampf gegen Rassismus und kommende Aktionen gesprochen.
Die Freiheitsliebe: Tabea, ihr plant am 27.4 einen Schul- und Unistreik gegen Rassismus, was genau kann man sich darunter vorstellen?
Am 27.4. findet ein Azubi-, Schul- und Uni-Streik statt, zu dem das bundesweite Bündnis „Jugend gegen Rassismus“ aufruft. Das Motto unter dem wir demonstrieren lautet „Schulter an Schulter gegen Ausgrenzung, Abschiebung und Krieg“. In über 10 Städten werden Aktionen stattfinden – nicht überall einen Schulstreik, in den kleineren Orten gibt es zum Beispiel am Nachmittag Demonstrationen und am Abend Konzerte.
Doch hier in Berlin werden wir an dem Tag unseren Unterricht, die Vorlesungen und Betriebe verlassen und auf die Straße gehen. Ein Streik hat immer eine höhere Auswirkung als eine Demonstration während unserer Freizeit.
Zum einen erreichen wir unsere Mitschüler*innen und Kommiliton*innen besser, wenn wir mit ihnen direkt an der Schule und Uni diskutieren, da ihnen auch auffällt, wenn wir alle am 27. nicht da sind. Aber wir senden auch ein klares Zeichen an Direktor*innen und Bildungssenator*innen. Sie merken, dass es tausenden, vielleicht zehntausenden, Jugendlichen wichtig ist gegen Rassismus zu kämpfen. Und da wir, insbesondere solange wir minderjährig sind, in dieser Gesellschaft kaum gehört werden, nehmen wir uns diesen Tag und zwingen die Mächtigen in diesem Land uns zuzuhören.
Viele von uns oder unseren Freund*innen sind von alltäglicher rassistischer Unterdrückung betroffen, Mitschüler*innen von uns werden abgeschoben. Für uns ist klar, dass wir gemeinsam gegen Rassismus kämpfen und diesen Kampf nicht isoliert betrachten. So werden wir am 27. April auch gegen Sexismus und Homo- und Transphobie demonstrieren, da diese gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen miteinander verbunden sind.
Der Schulstreik richtet sich dennoch insbesondere gegen Rassismus, da wir in einer Welt leben, in der der Tod von 400 Menschen im Mittelmeer weniger zählt als die aktuellsten Fußballergebnisse. Jeden Tag gibt es Anschläge auf geflüchtete und migrantische Menschen, die Regelungen für Abschiebungen werden verschärft und Grenzkontrollen wieder eingeführt. In einer solchen Welt wollen wir nicht leben, also kämpfen wir!
Welche Organisationen sind an der Demo beteiligt?
Das Bündnis „Jugend gegen Rassismus“ besteht aus vielen regionalen Bündnissen, Organisationen und Einzelaktivist*innen.
In Berlin zum Beispiel wird die Demo von dem Refugee Schul- und Unistreik Bündnis organisiert, in dem sich auch die Revolutionör-kommunistiche Jugend, die Organisation, in der ich aktiv bin, beteiligt. Auch in Potsdam und München sind Genoss*innen von uns maßgeblich an den Mobilisierungen für den 27. April beteiligt.
Vielerorts sind es Schüler*innenbündnisse, in Bremen wird z.B. viel von der Gesamtschüler*innenvertretung organisiert.
Insgesamt sind es viele Gruppen mit antikapitalistischem und revolutionärem Anspruch, aber für mich ist die Vorbereitung von diesem Streik sehr dadurch geprägt, dass sich an ganz vielen Orten Komitees von Schüler*innen und Studierenden bilden, die diskutieren, wie sie den Streik größer machen können oder wie es nach dem Streik weiter gehen sol. Ich würde mich freuen, wenn sich auch weitere Gruppen wie SDAJ, die Linksjugend [’solid] oder auch die Sozialistische Alternative an „Jugend gegen Rassismus“ beteiligen würden. Sie haben in der Vergangenheit sowohl in Berlin als auch Hamburg mehrere Hundert Schüler*innen mobilisieren können. Mir leuchtet nicht ein, warum wir diese Arbeit nicht gemeinsam machen können.
Warum sollten Studierende, sowie Schülerinnen und Schüler die Demo unterstützen?
Der Kampf gegen Rassismus muss natürlich von uns allen geführt werden, aber wir als Jugendliche können und müssen eine ganz besondere Rolle in diesem Kampf einnehmen. Schließlich sind wir diejenigen, die hier mal leben sollen. Wer soll diese Welt denn sonst gestalten, wenn nicht wir? Wir sind die, die noch Hoffnung haben. Und mit dieser können wir auch wirklich was verändern.
Und wenn nächsten Mittwoch alle Hörsäle und Klassenzimmer leer bleiben, haben wir es geschafft, dass Menschen uns zuhören.
Müssen Schülerinnen und Schüler mit negativen Konsequenzen rechnen?
Die Frage, die ich mir immer stelle, wenn ich merke, dass meine Lehrer*innen nicht so begeistert von Schulstreik sind, ist: „Welche Konsequenzen gibt es, wenn ich nicht zum Streik gehe?“ Die Antwort lässt sich in Freital, Heidenau und 24% für die AfD sehen.
Aber ja, rechtlich gibt es Schwierigkeiten mit einem Schulstreik. Ich vertrete die Position, dass ich als Schülerin mein Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehme. Mein Schulleiter vertritt die Position, dass ich als Schülerin meine Schulpflicht wahrnehmen sollte. Da werden wir uns wohl auch nicht mehr einig werden. De facto können Schüler*innen einen unentschuldigten Fehltag bekommen, doch was bedeutet das schon?
Bei allen bisherigen Schulstreiks hat sich bewährt, dass je mehr wir sind, wir desto weniger Ärger bekommen. Und auch ansonsten hilft es einfach sich mit Mitschüler*innen zu unterhalten und zu wissen, dass wir als Jugendliche, als Schüler*innen, trotzdem Rechte haben. Schulleiter*innen gefällt es oft nicht, wenn ihre Schüler*innen anfangen Dinge in Frage zu stellen, wie: warum entscheidet mein*e Schulleiter*in wann ich was lernen muss und nicht ich? Und deshalb versuchen viele den Schulstreik als ein Event zum Schule schwänzen darzustellen, doch das ist es nicht!
Kann die Demonstration direkt etwas verbessern?
Ich weiß es nicht. Ich hoffe es, aber ich weiß es nicht. Ich glaube eigentlich, dass ein Schulstreik die Menschen, die rassistische Gesetze machen, nicht allzu sehr interessiert. Denn auch wenn wir es Schul“streik“ nennen, hätte ein Streik von Arbeiter*innen eine viel größere Auswirkung. Deshalb rufen wir von „Jugend gegen Rassismus“ auch die GEW dazu auf, am 27. April gemeinsam mit uns gegen Ausgrenzung zu streiken. Denn auch die Berliner Lehrer*innen befinden sich seit Monaten im Tarifkonflikt. Dabei gab es bisher zwei Warnstreiks, an denen wir uns ebenfalls beteiligt haben und für die Verbindung der Kämpfe von Lehrenden und Lernenden eingetreten sind.
Dennoch gibt es auf jeden Fall etwas, dass die Demo verbessert:
Ich war diese Woche an vielen Schulen, wir haben davor Flyer verteilt und Reden gehalten, um mit noch mehr Schüler*innen ins Gespräch zu kommen. Ich merke, wie der Schulstreik eine Möglichkeit darstellt, dass wir uns gegen Rassismus und Krieg engagieren können.
Wir werden mehr. Wir lernen uns kennen. Nach der ersten „Jugend gegen Rassismus“-Aktionskonferenz hab ich so viele Menschen aus anderen Städten kennengelernt, die so denken wie ich und jetzt organisieren wir gemeinsam diesen Streik.
Als Schüler*in in Berlin ist es schon schwierig nicht von dem Schulstreik zu erfahren und dadurch setzen sich mit einem Mal viel mehr Menschen mit dem Thema Rassismus auseinander.
Bleibt es bei einer einmaligen Demonstration?
Nein! Der Azubi-, Schul- und Unistreik ist der erste Tag, von vielen weiteren, an denen wir den Kampf gegen Rassismus führen. Er ist ein wichtiges Event, aber die Zeit nach dem 27.04. ist die Zeit, um die es wirklich geht: die Zeit, wo wir versuchen alle weiter zu machen und noch stärker zu sein. Es gibt viele Strukturen, die sich als Streikkomitees gebildet haben und wir stehen jetzt vor der Frage: was machen wir in diesen Gruppen, wenn der Streik zu Ende ist?
Erste Ziele gibt es schon, wie eine erneute bundesweite Aktionskonferenz im Mai oder Proteste gegen den EU-Türkei Deal.
Was wollt ihr weiter machen gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck?
Der Rechtsruck ist letztlich ein Ergebnis der Politik der Bundesregierung in den letzten Jahren. Durch arbeiter*innenfeindliche Gesetze wie die Agenda 2010 wurde die Spaltung zwischen Armen und Reichen massiv verstärkt. Die Verantwortung dafür wird nur Geflüchteten in die Schuhe geschoben. Nicht nur von AfD und Pegida, sondern auch von herrschenden Politiker*innen von CDU, CSU und SPD. Die Verschärfungen des Aylrechtsrechts, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, aber auch die Angriffe auf Migrant*innen durch Nazis sind letztlich ein Ergebnis dieser Politik. Deshalb reicht es aber auch nicht, einfach nur AfD-Parteitage zu verhindern oder Pegida-Demos zu blockieren. Vielmehr müssen wir eine Alternative zum herrschenden System aufbauen. Das schaffen wir nur, wenn wir die gemeinsamen Interessen von Jugendlichen, Arbeiter*innen und Geflüchteten deutlich machen. Das funktioniert am besten durch gemeinsame Erfahrungen, wie z. B. Den Schulstreik oder auch betriebliche Streiks. Denn von Angriffen der Politik sind wir letztlich alle betroffen. Wir dürfen uns also nicht spalten lassen. In der Jugend ist diese Lust sich zu wehren gerade am stärksten. Das freut mich immer wieder zu sehen. Diese Kampfeslust dürfen wir aber nicht bremsen, sondern fördern und zu einer revolutionären Jugendbewegung führen. Dafür müssen wir uns auch frei machen von reformistischen Partei- und Gewerkschaftsführungen. Denn auch die Linke schiebt momentan in Thüringen Geflüchtete ab und Sahra Wagenknecht spricht offen von „Gastrecht“. Das kann nicht unsere Alternative ein. Deshalb müssen wir uns selbstorganisieren. Nur so können wir unsere Zukunft selbst in die Hand. Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen. Deshalb freue ich mich umso mehr auf den 27. April und die Diskussionen und Erfahrungen mit Jugendlichen in den nächsten Monaten.
Tabea ist neben der Jugend gegen Rassismus auch in der RKJ organisiert.