Wir wollen eine politische Alternative aufbauen, die sich vornimmt, das kapitalistische System zu stürzen

02.07.2021, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Klasse gegen Klasse

Bei der Veranstaltung „Der Klassenkampf in Frankreich und der Aufbau einer revolutionären Partei“ hat auch Klasse gegen Klasse-Redakteur Stefan Schneider geredet. In seinem Redebeitrag stellt er eine Verbindung der Situation in Frankreich zu den Aufgaben in Deutschland auf. Den verschriftlichen Redebeitrag sowie das Video findest du hier.

Vielen Dank an Joachim und vor allem an Anasse für die beiden Beiträge. Es ist ein großer Stolz, mit revolutionären Arbeiter:innen wie Anasse organisiert zu sein und zu sehen, dass wir mit unseren Ideen die fortschrittlichsten Sektoren unserer Klasse organisieren und noch mehr erreichen können. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch noch mal ganz besonders die Arbeiter:innen von Gorillas grüßen, die in den vergangenen Tagen und Wochen mehrere wilde Streikaktionen durchgeführt haben – die meisten migrantisch, jung und prekarisiert wie auch die neue Generation der Arbeiter:innenklasse, von der die Genoss:innen aus Frankreich gesprochen haben. Genauso die Beschäftigten des Krankenhaussektors, die bei dieser Veranstaltung mithören und die sich wie in Berlin darauf vorbereiten, im September flächendeckend zu streiken.

Ich möchte meinen Redebeitrag nicht allzu lang machen, damit wir gleich in die Diskussion mit Anasse einsteigen können. Ich möchte lediglich vier Punkte hervorheben, die eine zentrale Rolle nicht nur in Frankreich, sondern auch für die Linke in Deutschland spielen können.

Den Redebeitrag von Stefan Schneider, sowie den Rest der Veranstaltung, kannst du dir hier angucken:

1. Selbstorganisierung und Vereinigung der Kämpfe

Die Klassenkampfprozesse der vergangenen Jahre haben in Frankreich zur Entstehung einer neuen Generation von Arbeiter:innen geführt: meist jung, migrantisch, weiblich und nicht von den traditionellen Bürokratien angeführt. Wie Anasse erklärt hat, sind unter anderem sie es, die die Grundlage für den Aufbau einer Revolutionären Arbeiter:innenpartei darstellen können.

Zentral dafür ist die Rolle der Selbstorganisation im Kampf, wie insbesondere die Koordinierung zwischen Eisenbahn (SNCF) und Pariser Metro (RATP) gezeigt hat, von der Anasse gesprochen hat. In diesen Instanzen können sich alle Kämpfenden organisieren, unabhängig von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft oder politischer Orientierung, solange sie die Ziele des Kampfes teilen. Aber sie sind zugleich auch Orte des politischen Kampfes um die Strategie für den Sieg, – besonders gegen die Gewerkschaftsbürokratien, die die Kämpfe bremsen und spalten.

In Deutschland sind wir mit dieser Perspektive Teil der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG). Die VKG muss unserer Meinung nach die Vorkämpferin der Selbstorganisation gegen die Gewerkschaftsbürokratie und gegen die Regierungen werden. Sie muss sich dafür einsetzen, dass es in den aktuellen Kämpfen wie bei Gorillas oder in der Berliner Krankenhausbewegung Instanzen der Selbstorganisation gibt, die demokratisch über die Geschicke des Kampfes entscheiden und die alle Beschäftigten umfasst: Prekäre, Festangestellte – mit oder ohne Tarifvertrag –, migrantisch oder nicht, aller Geschlechter oder sexuellen Identität. Solche Organe – wie nach dem Vorbild der SNCF-RATP-Koordination – können eine Ausstrahlung auf die ganze Klasse haben. Denn auch wenn die prekären Sektoren oft radikaler und weniger sozialpartnerschaftlich sind, braucht es die Einheit mit den strategischen Sektoren der Klasse, die die gesamte kapitalistische Ökonomie lahmlegen können.

2. Notwendigkeit der Unabhängigkeit von Staat, Bourgeoisie, Bürokratie, Reformismus

In Frankreich kann die sozialchauvinistische und proimperialistische Partei La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon – programmatisch vergleichbar in etwa mit dem Wagenknecht-Flügel der Linkspartei – die 80 Prozent der Jugendlichen, die bei den Regionalwahlen nicht an die Urnen gegangen sind, nicht vertreten, ebenso wenig die Sektoren der Arbeiter:innenklasse. Denn sie haben längst kein Vertrauen mehr in dieses Regime, das ihnen in Frankreich nur autoritäre Krisenlösungen und soziale Misere beschert.

Die Hoffnung auf die Einheit von Revolutionär:innen und Reformist:innen ist eine gefährliche Illusion. Das Ziel der Reformist:innen ist es – wie in Deutschland die Linkspartei –, das Vertrauen in die Institutionen des Staates wiederherzustellen. An der Regierung wie in Berlin wahren sie den “Koalitionsfrieden”, anstatt die Forderungen der Krankenhausbeschäftigten zu erfüllen. Anstatt die Forderungen von Hunderttausenden Berliner:innen für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. heute umzusetzen, will die Linkspartei weiterhin Teil der Regierung sein, die Zwangsräumungen organisiert und den Immobilienfirmen Milliarden in den Rachen wirft.

Auch auf Bundesebene tut die Linkspartei alles, damit sie Teil der Regierung des wichtigsten imperialistischen Landes in Europa werden kann. Schon jetzt ist die Linkspartei in verschiedenen Landesregierungen mitverantwortlich für Kürzungen, Abschiebungen und Polizeigewalt. Der Kampf mit dem besonders chauvinistischen Wagenknecht-Flügel ist kein Ausdruck der konsequenten Ablehnung der rassistischen und queerfeindlichen Politik, sondern will ihr an der Spitze des deutschen Imperialismus nur ein etwas linkeres Gesicht geben.

Die Genoss:innen von Révolution Permanente schlagen vor, eine von allen Varianten des Reformismus, des Staates, der Bourgeoisie und der Bürokratien unabhängige Organisation aufzubauen. Auf diese Perspektive der revolutionären Umgruppierung setzen wir auch in Deutschland.

3. Einheit der Linken oder Kampf um die strategische Klarheit

Die NPA versprach die Einheit der antikapitalistischen Linken, ohne zu klären, wie der Kapitalismus überwunden werden soll. Die jahrelange Dauerkrise der NPA hat bewiesen, dass diese strategische Unklarheit zum Scheitern verurteilt ist. Gegenüber den Klassenkampfprozessen der vergangenen Jahre war die Partei als Ganzes ohnmächtig.

Heute schlägt die NPA Philippe Poutou als Präsidentschaftskandidaten vor, obwohl dieser öffentlich eine Allianz mit der LFI von Jean-Luc Mélenchon vorschlägt, und obwohl dieser erst gestern bei einer Pressekonferenz gesagt hat, dass er – im Unterschied zu Anasse – keine revolutionäre Partei aufbauen will. Der nächste Schritt ist nicht schwer zu erraten.

Genauso wie unsere Genoss:innen in Argentinien von der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) aktuell eine Kampagne für die größtmögliche Einheit der radikalen Linken auf der Grundlage der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse von allen Varianten der Bourgeoisie, des Reformismus, der Bürokratien und des Staats vorantreiben, sind wir Vorkämpfer:innen der Einheit der Linken. Und zwar der Einheit im Klassenkampf gegen die Politik der Regierung, gegen die sozialpartnerschaftliche Gewerkschaftsbürokratie und mit einem Programm für eine Arbeiter:innenregierung gegen das Kapital. Dafür ist es notwendig, in Deutschland eine klare Haltung zur Linkspartei und zur Gewerkschaftsbürokratie zu formulieren, – denn sie sind es, die die Reihen der Arbeiter:innenklasse gespalten lassen, anstatt eine Einheitsfront gegen das Kapital aufzustellen.

4. Revolutionäre Umgruppierung statt Elektoralismus im Windschatten des Reformismus

In Deutschland setzt auch ein großer Teil der radikalen Linken trotz aller Kritik an der Linkspartei darauf, die Linkspartei aufzubauen oder sie auf Wahlebene – und sei es noch so “kritisch” – zu unterstützen. Sie sind nicht davon überzeugt, dass es möglich ist, mit revolutionären Ideen Hunderttausende zu erreichen.

Wir sind hingegen der Meinung, dass eine Linke, die die Verhältnisse wirklich radikal ändern will, mit der Linkspartei brechen muss, die mit der Hoffnung auf Grün-Rot-Rot den deutschen Imperialismus erneuern will.

In Nordrhein-Westfalen haben schon nach der Aufstellung Sahra Wagenknechts für die Linkspartei Teile der Plattform Antikapitalistische Linke (AKL) beschlossen, keinen Wahlkampf für die Linkspartei in NRW zu machen. Es ist ein erster Schritt, mit dem Elektoralismus im Windschatten des Reformismus zu brechen. Wir rufen die Organisationen innerhalb der AKL wie SOL und SAV in ganz Deutschland dazu auf, es ihnen gleich zu tun.

Insgesamt schlagen wir all jenen antikapitalistischen, sozialistischen und klassenkämpferischen Organisationen, gewerkschaftlichen Basisgruppen und Einzelpersonen, die die Perspektive einer Regierungsbeteiligung auf Bundes- und auf Landesebene ablehnen, eine offensive Kampagne vor: „Es rettet uns kein Grün-Rot-Rot: Klassenkampf statt Regierungsbeteiligung!“ Eine Kampagne, die sich gegen die Logik des „kleineren Übels“ wendet und eine Alternative zur Ausrichtung der Linkspartei auf eine Regierungsbeteiligung an der Spitze der imperialistischen Bundesregierung vorschlägt.

Eine Kampagne für eine Linke, die geschlossen mit den Mitteln des Klassenkampfes gegen die Krisenpolitik der Regierung kämpft. Um nur ein Beispiel zu nennen, ebenfalls aus NRW: Die dortige Regierung von Armin Laschet, der eiserner Bundeskanzler werden will, will die Polizei massiv aufrüsten. Wir brauchen dagegen eine Linke, die geschlossen gegen die Polizei und für Streiks gegen die Krise kämpft. Das Kapital will das Renteneintrittsalter erhöhen und plant höhere Verbrauchersteuern – wir müssen von der revolutionären Linken in Frankreich lernen, dass die Linke eine Front gegen die Regierung in all ihren Schattierungen aufstellen muss.

Lasst uns in diesem Sinne in einer Front voranschreiten, um gemeinsame Erfahrungen in den kommenden Klassenkämpfen, unter anderem in der Mieter:innenbewegung, den Krankenhausbewegungen und anderen sozialen Bewegungen zu machen, um eine klassenkämpferische Perspektive gegen das sozialpartnerschaftliche Krisenmanagement zu vertreten, Übereinstimmungen und Differenzen auszutesten.

Auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen im Klassenkampf und strategischer Schlussfolgerungen wollen wir zu einem revolutionären Pol voranschreiten: für eine revolutionäre Linke und für eine politische Alternative, die nicht nach den Spielregeln des Regimes spielt, sondern sich vornimmt, das kapitalistische System zu stürzen. Eine Linke, wie sie unsere Genoss:innen in Frankreich mit Anasse an der Spitze auch aufbauen wollen.

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