„Wir wollen auf das Drama der durch Kugeln zerschossenen Augen hinweisen“
Wir haben Alexis Osvaldo Donoso Cifuentes interviewt, der gemeinsam mit einigen Freund*innen eine internationale Spendenkampagne gestartet hat, um die chilenische Jugend im Kampf gegen die Repression von Polizei und Militär mit Schutzbrillen auszustatten.
Bild: Protestierende in der ersten Reihe der Kämpfe in Antofagasta. @RobsOneer / Nicolas Robles
Du hast eine Kampagne gegen die Repression in Chile gestartet, mit dem Titel „Was ist ein Auge wert?“. Was ist die Idee hinter der Kampagne?
Die Idee dahinter ist erstens, mittels der Kampagne die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch Carabineros und Polizei anzuprangern und auf das Drama der durch Kugeln zerschossenen Augen hinzuweisen. Außerdem wollen wir dazu beitragen, dass solche brutalen Verletzungen nicht so schnell passieren. Deshalb wollen wir Geld sammeln, um mindestens 1000 ballistische Brillen zu kaufen. Das Ergebnis der aktuellen repressiven Praxis in Chile ist, dass es noch nie so viele schwerwiegende Augenverletzungen in so kurzer Zeit weltweit gab. Mittlerweile sind es 246 Menschen, denen ein Auge weg geschossen wurde, zwei weitere haben beide Augen durch Schrotflintenschüsse verloren. Gustavo Gatica, ein junger Student, der mit seinem Fotoapparat unterwegs war und die Demonstrationen gegen die Regierung in Bildern festhielt, wurde aus nächster Nähe ins Gesicht geschossen. Schwerverletzt aus der Klinik sandte er die Botschaft an die Leute: „Ich habe meine Augen gegeben, damit die Leute aufwachen!“ und „Kämpft weiter, wir können es nicht zulassen, dass das geflossene Blut umsonst war“. Dann gab es den Fall von Fabiola Campillay, eine Fabrikarbeiterin und alleinerziehende Mutter von einem achtjährigen Sohn, der auf dem Weg zur Arbeit – sie hatte Nachtschicht – von den Carabineros eine Tränengasgranate ins Gesicht geschossen wurde. Sie verlor dabei beide Augen und ihr Gesicht wurde entstellt.
Welche Ausmaße hat die Repression inzwischen angenommen?
Die Repression ist unvorstellbar. In armen Stadtvierteln machen die Carabineros, was sie wollen. Sie werfen Tränengasgranaten selbst in Grundschulgebäude oder vor Krankenhäusern. Unterwegs in schwergepanzerten Wagen, versuchen sie Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie stürmen Wohnhäuser, nehmen Jugendliche und Anwohner*innen in ihren Wohnungen fest. Ganze Stadtviertel werden vergast; Polizeihubschrauber fliegen tief, aus denen Tränengasgranaten geschossen werden. In Valparaíso fährt die Polizei in Wagenkolonnen nachts mit lauter Musik, die Hymne der Carabineros laut aufgedreht, um die Leute einzuschüchtern. Das ist die Rache der Polizei wegen des feministischen Lieds „Der Vergewaltiger bist du!“, das viele Frauen inzwischen vor Polizeiwachen und Kasernen singen.
Du warst vor kurzem in Chile. Welche Stimmung hast du wahrgenommen?
Kaum in Chile angekommen, habe ich viel Polizei und Militärs gesehen, die bis an die Zähne bewaffnet waren. Ich bin angekommen, als die Armee noch auf den Straßen war. Die Stimmung hatte etwas Unwirkliches. Grafittis mit politischen Botschaften überall, wenig funktionierende Ampeln, die Nase hat ständig gejuckt, in einer 7-Millionen-Stadt wie Santiago funktionierte die Metro nicht, kaum Busse waren unterwegs, versiegelte Geschäfte, Reste von Barrikaden überall. Und dann waren da besorgte, aber vor allem glückliche Gesichter. Die Menschen reden wieder miteinander, sie schauen sich in die Augen, sie erkennen, dass ihr Schicksal ein kollektives Schicksal ist. „Chile despertó!“, Chile ist erwacht, singen die Menschen auf den Straßen.
Die Spenden für die Kampagne gehen unter anderem an das Komitee für Notfälle und Schutz in Antofagasta. Welche Bedeutung haben Komites wie diese in der aktuellen Situation?
Zur Zeit versucht die Regierung, flankiert von der reformistischen Opposition, den Sturz der Regierung zu verhindern. Den Ruf der Straße nach einer verfassungsgebenden Versammlung haben sie in Hinterzimmern in ein Plebiszit umgewandelt. Die Leute wollten, das Piñera abhaut, und nun muss man ihn bis April aushalten. Sie wollen, dass das bestehende priivate Rentensystem abgeschafft wird, ein menschengerechtes Wassergesetz, bessere Bildung und eine würdige Gesundheitsversorgung. Stattdessen kündigt die Regierung Almosen an und die sogenannte Opposition ordnet sich dem parlamentarischen Tempo unter. Dies ist möglich gewesen, weil leider die reformistische Linke in Chile (Frente Amplio und bis zu einem gewissen Grad die KP Chiles) alles tut, um der Regierung Legitimationsquoten zu geben, um das Regime zu erhalten.
Angesichts dessen gibt es entgegenwirkende Entwicklungen, die aus meiner Sicht Hoffnung machen. Die fortschrittlichste Erfahrung ist die des Komitees für Notfälle und Schutz in Antofagasta. Antofagasta ist eine Bergarbeiter*innenregion, die ca. 50 Prozent der Kupferproduktion des Landes produziert. In diesem und ähnlichen Komitees kommen Arbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen, Ärzt*innen, Rechtsanwält*innen, Künstler*innen, etc. zusammen. Sie entscheiden in offenen Versammlungen, wie sie der Repression trotzen. Dort wurden erste Notaufnahmen auf die Beine gestellt, um die von der Polizei Verletzten medizinisch zu behandeln und den Festgenommenen juristische Hilfe zu gewähren, Volksküchen zu organisieren, etc. Es sind initiale Tendenzen, die aber, angesichts der Härte der Repression, auch in Valparaíso und Santiago Nachahmung gefunden haben. Wir wollen die Brillen diesen Komitees geben, damit sie sie unter den Jugendlichen verteilen. Ich hoffe, wir bekommen genügend Geld, um den angestrebten Betrag zu erreichen.
Internationale Spendenkampagne: Wie viel ist ein Auge wert?
Gemeinsam mit einigen Freund*innen hat Alexis Osvaldo Donoso Cifuentes eine internationale Spendenkampagne gestartet, um die chilenische Jugend im Kampf gegen die Repression von Polizei und Militär mit Schutzbrillen auszustatten.
Hier geht es zur Seite der Paypal-Spendenkampagne.
Weitere Infos kann man hier nachlesen.
Hier geht es zur Facebook-Seite von Alexis, wo regelmäßig neuste Informationen zur Kampagne gepostet werden.