„Wir werden im Sommer mit noch mehr Menschen zurückkehren“
Die Letzte Generation hat ihren Protest in Berlin ausgeweitet. Was sagt ein Mitglied der Gruppe zu den Aktionen und den Perspektiven der Klimabewegung?
Ende April begann die Letzte Generation mit großangelegten Blockadeaktionen in Berlin. Florian ist in Freiburg bei der Klimagruppe aktiv. Von ihm wollten wir wissen, wie er die Aktionen bewertet und wie es weitergehen kann. Das Interview führten wir vor dem Treffen einer Delegation der Gruppe mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vergangene Woche.
Wie verliefen aus deiner Sicht die Aktionen diese Woche und wie waren die Reaktionen darauf?
In der aktuellen Protestphase sind so viele Menschen wie noch nie zuvor mit uns in den Protest gegangen. Wir haben zeitweise an mehr als 30 Orten gleichzeitig den Verkehr gestört und den Alltag unterbrochen. Der Verkehr kam auf den Hauptverkehrsachsen Berlins über Tage ins Stocken oder zum Erliegen, so eine Störung kann nicht ignoriert werden. Die Reaktionen vor Ort sind gemischt, zwar bekommen wir immer wieder Zuspruch von Passant:innen, andere wiederum begegnen unserer Protestform mit Ärger und Unverständnis. Wenn ich auf der Straße sitze, kann ich das verstehen, schließlich blockieren wir keine Straßen, um die Autofahrenden, die zufällig vorbeikommen, zu bestrafen. Unser Protest richtet sich gegen die Regierung und ihre Untätigkeit angesichts der Klimakrise, nicht gegen die Menschen vor Ort. Die Geschichte und die aktuelle Entwicklung zeigen, wie wichtig und effektiv friedlicher und ziviler Widerstand im demokratischen Prozess ist, um den grundlegenden Wandel herbeizuführen, den wir hinsichtlich der Klimakrise dringend benötigen.
Wie sieht eure konkrete Perspektive aus, was meinst du, könnt ihr durch euren Protest in den nächsten sechs Monaten erreichen?
Wir beobachten aktuell, wie viel Diskurs durch unseren Protest angeregt wird. Ob in Talkshows, Zeitungen oder im Privaten, es führt kein Weg an der Letzten Generation vorbei. Durch unsere Störung zwingen wir die Menschen, sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen und sich zu positionieren. Gleichzeitig schließen sich mehr und mehr Menschen unserem Widerstand an und sind nicht länger bereit, die Untätigkeit der Regierung zu ertragen. Wir werden die nächsten Monate nutzen, um dezentral Druck auf Städte und Landesregierungen aufzubauen und unseren Protest auch dorthin zu tragen, wo er bisher ignoriert wurde. Anschließend werden wir im Sommer mit noch mehr Menschen und einer stärkeren Struktur nach Berlin und München zurückkehren und den Alltag so deutlich und anhaltend unterbrechen, dass die Regierung uns nicht mehr ignorieren oder kriminalisieren kann. Bereits in den letzten Wochen kamen die staatlichen Strukturen an ihre Grenzen und die Polizei war nicht mehr in der Lage, alle Menschen in Gewahrsam zu nehmen, die gegen Platzverweise verstoßen haben und wieder und wieder auf die Straßen gegangen sind.
In einem Video auf eurem Instagram-Account erzählt ein Aktivist, dass ihm von einem Polizisten das Handgelenk gebrochen wurde. Dennoch sagt er, er habe kein fundamentales Problem mit der Polizei. Wie siehst du die Polizei und welche Repressionen hast du erfahren?
Ich persönlich sehe die Institution der Polizei kritisch und halte es für wichtig, strukturelle und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch Polizist:innen aufzuzeigen. Ich selbst habe keine Schmerzgriffe erfahren, musste aber zusehen, wie Freund:innen von mir darunter litten. Ich halte Schmerzgriffe als Reaktion auf friedlichen Protest für falsch und es ist wichtig, dass wir darüber sprechen und darauf aufmerksam machen. Allerdings dürfen wir darüber nicht vergessen, dass die große Mehrheit der Polizist:innen uns in den letzten Wochen freundlich und respektvoll begegnet ist. Die Polizei trägt keine Schuld an der Verantwortungslosigkeit unserer Regierung und auch sie ist darauf angewiesen, vor einer weiteren Eskalation der Klimakatastrophe geschützt zu werden. Wir müssen jetzt mehr denn je Gräben überwinden und uns gemeinsam und entschlossen für den Erhalt unserer Lebensgrundlage einsetzen.
Die von euch aufgestellten Forderungen, wie die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets oder ein Tempolimit, sind doch sehr minimal gehalten und richten sich appellativ an die Bundesregierung. Denkst du, dass das ausreicht, um die Klimakatastrophe aufzuhalten?
Wir als Letzte Generation haben keineswegs den Anspruch, ein eindeutiges Maßnahmenpaket gefunden zu haben, mit dem wir die Klimakatastrophe in den Griff bekommen. Klar ist aber, wir müssen diese Maßnahmen finden und umsetzen, und zwar so schnell und umfassend wie möglich. Ein 9-Euro-Ticket und ein allgemeines Tempolimit sind einfach umzusetzende Sofortmaßnahmen, die einen großen Einfluss haben und von einer Mehrheit der Bevölkerung gewünscht werden. Ansonsten fordern wir aber insbesondere die Einberufung eines Gesellschaftsrates, in dem 160 Bürger:innen repräsentativ für die deutsche Bevölkerung darüber diskutieren, wie wir die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 beenden können. Dabei werden sie von Expert:innen beraten und medial begleitet. Durch die Zusammensetzung dieses Rates werden alle Interessen berücksichtigt, sodass die erarbeiteten Maßnahmen sozial gerecht sind und im Anschluss vom Parlament diskutiert und umgesetzt werden können.
Die Eisenbahner:innen der EVG befinden sich derzeit in einem Tarifstreit und haben bereits weitere Streiks angekündigt, sie sind ja auch für eine ökologische Verkehrswende essentiell. Sollte man sie in eure Aktionsform mit einbeziehen, am 3. März gab es ja schon einen gemeinsamen Streik von Fridays for Future und ver.di?
Uns alle eint der Wunsch nach einer stabilen Zukunft, in der wir gut und sicher von unserer Arbeit leben können. Eine Zukunft, in der Meinungsfreiheit, Demokratie, Frieden und Verfügbarkeit von Trinkwasser und Nahrung weiterhin gewährleistet werden können. Diese Zukunft wird durch die Politik unserer Regierung und unseren damit verbundenen Lebensstil massiv gefährdet. Die Klimakrise ist eine existentielle Bedrohung für die Welt, wie wir sie kennen. Vor allem ist die Klimakrise wahnsinnig ungerecht. Ob auf globaler oder nationaler Ebene, die Menschen, die für die meisten Emissionen verantwortlich sind, können sich am besten vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe schützen. Im Gegensatz dazu sind die Menschen, die am wenigsten für die Krise verantwortlich sind, auf den Schutz durch unsere Regierung angewiesen. Bisherige Maßnahmen sind aber nicht nur unzureichend, sondern verschlimmern vielmehr diese soziale Ungleichheit. Wenn der Handwerker sein Betriebsfahrzeug betankt, zahlt er eine CO2-Steuer. Wenn Reiche ihre Superyacht betanken, sind sie von der CO2-Abgabe befreit. Wir brauchen ein Ende der Verschwendung. Warum ist es erlaubt, dass wertvolle Energie für Privatjets und Kreuzfahrten, für beheizte Pools und für Riesen-Luxus-Villen draufgeht? Die sozial gerechte Beendigung der Nutzung fossiler Rohstoffe liegt im gemeinsamen Interesse der Gewerkschaften und Klimaschützer:innen. Insofern ist es nur verständlich, dass Fridays for Future und ver.di gemeinsam auf die Straße gehen. Wir können uns die Reichen und ihren Lebensstil nicht mehr leisten.