„Wir sehen, dass wir in Deutschland die Pflicht haben lautstark unsere Stimme zu erheben, wenn unsere Regierung einen Genozid unterstützt“

21.03.2024, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Caro Vargas

Vom 12. bis zum 14. April findet in Berlin der Palästinakongress „Wir klagen an“ statt. Wir haben die Initiator:innen interviewt.

Warum wird der Kongress organisiert?

Seit über fünf Monaten bombardiert Israel Gaza. Mehr als 30.000 Palästinenser:innen wurden durch das israelische Militär getötet. Infrastruktur, Krankenhäuser, Universitäten, Schulen, Verwaltungsgebäude und Wohnblocks wurden zerbombt. Hunderttausende leiden an Hunger, haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und Medizin. Die Palästinenser:innen erleiden einen Völkermord.

Selbst der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Kommission von der Leyen, Josep Borell sagt, dass Gaza vor Oktober ein Freiluftgefängnis war und heute ein Freiluft-Friedhof ist.

Deutschland macht sich durch seine bedingungslose Unterstützung Israels mitschuldig am Genozid. Seit Oktober 2023 verzehnfachte die BRD die Waffenlieferungen an Israel.

Sogar Nicaragua hat nun Klage gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof erhoben wegen Beihilfe zum Genozid. Darüber wird in deutschen Medien nicht groß berichtet und trotzdem wird mehr und mehr Menschen klar, dass die Politik der Bundesrepublik zum Völkermord beiträgt.

Die deutsche Politik und Medien schlagen gerade um sich herum und kriminalisieren jeden, der sich für demokratische Grundrechte von Palästinenser:innen einsetzt. Es handelt sich dabei um einen massiven Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dabei werden Mitglieder der Bundesregierung möglicherweise selbst demnächst vor Strafverfolgung wegen Unterstützung eines Völkermords bei Auslandsreisen sich fürchten müssen.

Als Kollektiv palästinensischer, jüdischer, deutscher und internationaler Aktivist:innen sagen wir: Wir können nicht tatenlos zuschauen, wie täglich immer mehr Frauen, Männer und Kinder in Gaza verstümmelt, zerbombt und ermordet werden. Wir klagen an!

Wer beteiligt sich am Kongress und wer sind die wichtigsten Sprecher:innen?

Wir freuen uns sehr, eine lange Liste internationaler, palästinensischer und jüdischer Redner:innen an allen drei Tagen des Kongresses zu haben (https://palaestinakongress.de/speakers). Wir freuen uns sehr, dass Nadija Samour dabei ist, sie leitete Ende Februar eine Klage gegen die deutsche Bundesregierung wegen der Beihilfe zum Genozid in Gaza ein. Samour wird beim Abschlusstribunal „Ist Deutschland mitschuldig an einem Genozid in Gaza? Vom IGH bis zur Anklage gegen die Bundesregierung: Wir klagen an!“ reden.

Auch sind wir geehrt, Dr. Ghassan Abu Sittah willkommen zu heißen, welcher zu Beginn des Horrors der israelischen Bombardierung in Gazas war und 43 Tage mit „Doctors Without Borders“ dort im Al-Shifa-Krankenhaus arbeitete und über die Situation vor Ort reden wird.

Andere Redner, wie Wieland Hoban, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, wird historisch auf die Kolonialgeschichte des Zionismus eingehen und warum wir diese verstehen müssen, um die jetzige Lage begreifen zu können.

Welche Aufgabe stellt sich der Kongress angesichts der aktuellen Situation?

Wir sehen, dass wir in Deutschland die Pflicht haben, dagegen zu halten und lautstark unsere Stimme zu erheben, wenn unsere Regierung einen Genozid unterstützt. Schaut man in andere Länder wie Südafrika oder Brasilien, merkt man, dass Deutschland sich mehr und mehr isoliert angesichts der andauernden Repressionen und Kriminalisierung gegen die Pro-Palästina-Bewegung hierzulande.

Natürlich dienen solche Repressionen, Kriminalisierung und Diffamierungen der Einschüchterung. Es ist unsere Aufgabe zu verdeutlichen, dass wir gemeinsam in der Mehrheit sind, denn über 61 Prozent der deutschen Bevölkerung nimmt, laut Umfragen, eine latent bis offene pro-palästinensische Position ein. Die Politik fürchtet sich davor, dass immer mehr Menschen die Stimme gegen diese menschenverachtende Agenda erheben. Deswegen versuchen die Politik und rassistische Medien, unseren Kongress zu verbieten und legitimieren dies durch ihre Schmierkampagne. Unsere Aufgabe ist es abermals klarzustellen, dass wir die Beihilfe zum Genozid nicht hinnehmen werden.

In den Medien wird der Kongress bereits massivst angegriffen und der Senat will „rechtliche Schritte prüfen“, um den Kongress zu verbieten. Was denkst du darüber und wie geht ihr damit um?

Die Vorwürfe, es handele sich um einen „Kongress der Terrorverhamloser“, sind zum einen lächerlich, aber gleichzeitig von rechten und rassistischen Medien zu erwarten. Man muss sich schon bei Medien und Politiker:innen fragen, die die Ermordung von 30.000 Menschen gutheißen und dies als „Selbstverteidigung“ betiteln, wer hier eigentlich Terror verharmlost.

Es überrascht uns nicht, dass der selbe Staat und die selben Politiker:innen, die seit Monaten die Palästina-Solidarität in Deutschland kriminalisieren, die den Genozid in Gaza leugnen, die von dem Siedlerkolonialismus und der ethnischen Säuberung des Staatsprojektes Israels schweigen und die Benennung dieser Tatsachen als „antisemitisch“ betiteln, gegen einen Kongress sind, der die Stimme gegen diese Politik erhebt.

Unsere Forderungen sind in einem Satz herunterzubrechen: Gleiche Rechte für alle Menschen vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer ohne Sielderkolonialismus, ohne ethnische Säuberung, ohne Aparthied und ohne Genozid.

Wer dies als „antisemitisch“ betitelt, bagatellisiert nicht nur real existierenden Antisemitismus in Deutschland seitens der drohenden Gefahr der Rechten, sondern betätigt selbst eine antisemitische Aussage, indem er behauptet, dass „die Juden“ mit dem Staat Israel gleichgesetzt werden, und dass es irgendwie etwas „Jüdisches“ sei, Siedlerkolonialismus und ethnische Säuberung zu betreiben. Das ist zutiefst antisemitisch, aber auch leider die Norm unter rechten Medien und Politiker:innen in Deutschland.

Blickt man auf die Geschicht zurück, wurden all jene, die sich gegen Apartheid und gegen Unterdrückung einsetzten, zu ihrer Zeit seitens der Herrschenden als „Terroristen“ verunglimpft. So wurde Nelson Mandela bis 2008 in den USA als Terrorist eingestuft. Auch Deutschland hatte damals den südafrikanischen Apartheidstaat unterstützt. Ähnlich ist es heute auch.

Wir sagen, die deutsche Bundesregierung macht sich mitschuldig am Genozid und haben auch damit gerechnet, dass dies den Herrschenden nicht passen wird.

Wir haben in den letzten Monaten und Jahren beobachtet, wie Palästinademonstrationen – ob von Palästinenser:innen, antizionistischen Jüd:innen oder solidarischen Menschen angemeldet – systematisch verboten werden, wie die Polizeigewalt gegen Demonstrant:innen bei Palästina-Demos massiv zunimmt, wie der Entzug von Räumen und Hetzkampagnen in den Medien kein Ende finden.

Der Berliner Senat hat abermals bewiesen, dass er sich gegen demokratische Grundrechte für marginalisierte rassifizierte Communities entschied. Dies stellt eine massive Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar und das sollte jeden demokratisch gesinnten Menschen alarmierend.

Wo kann man für den Kongress spenden?

Spenden kann man gerne hier: https://www.gofundme.com/f/palastina-kongress-2024-wir-klagen-an

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