„Wir kämpfen weiter gegen die Regierung“
In Berlin will die Linksjugend Solid den Druck auf DIE LINKE erhöhen. Die Kampagne gegen die Beteiligung an Rot-Grün-Rot war nicht umsonst. Ein Gespräch mit Dan Kedem.
Die rot-grün-rote Landesregierung von Berlin hat unlängst ein „100-Tage-Programm“ verabschiedet. Wie bewertet der Jugendverband der mitregierenden Linkspartei dieses Papier?
Höchste Priorität für die Langesregierung hat die Schaffung eines Bündnisses mit der Immobilienwirtschaft, dass schon im Januar die Arbeit aufnehmen soll. Der Volksentscheid zu DWE („Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“) wird wie erwartet auf die lange Bank geschoben wird, während Bausenator Geisel die Gentrifizierung des Hermannplatzes schnell vorantreiben möchte. Höchste Priorität soll auch die Einrichtung einer Polizeiwache am Kottbusser Tor haben, damit es zu noch mehr rassistischen Polizeikontrollen kommt. Das Papier zeigt, dass wir von der angeblich linken Regierung wenig Gutes erwarten können. Deshalb haben wir uns als Solid Berlin ja auch ganz klar gegen die Beteiligung an der Regierung Giffey gestellt.
Warum hat sich Solid gegen die Regierungsbeteiligung gestellt?
Im Antrag wurde argumentiert, dass wichtige „rote Haltelinien“ überschritten wurden: wie etwa die Nichtumsetzung des Volksentscheides, kein Abschiebestopp, kein Ende von Räumungen. Eine Politikerin wie Giffey, die für ihre rassistischen Äußerungen und Politik bekannt geworden ist, mit linken Stimmen zur Oberbürgermeisterin zu wählen, geht gar nicht. Sie wird die Linkspartei totregieren. Teile der Partei wollen in die Opposition, um bei den nächsten Wahlen wieder mit einem etwas linkeren Profil in die Regierung zu gehen. Aber für uns aus dem marxistischen Flügel in Solid geht die Frage noch weiter: Wir lehnen prinzipiell Regierungskoalitionen mit prokapitalistischen Parteien ab. Ich bin gegen eine feste Integration der Linkspartei in das bürgerliche Regime.
Mittlerweile ist die Linkspartei jedoch wieder in der Regierung. War euer Protest umsonst?
Dass nur 20 Prozent gegen die Regierungsbeteiligung gestimmt haben, war natürlich enttäuschend. Auch wenn sich die Nein-Stimmen verdoppelt haben. Ich finde aber nicht, dass die Kampagne umsonst war. Wir konnten den linken Flügel in der Partei ein bisschen weiter sammeln und kämpfen weiter gegen die Regierung. Gerade mit einem Appell an die Linksfraktion, sich gegen die Durchseuchungspolitik zu stellen, die auch gerade in Berlin umgesetzt wird.
Einige werfen der Linksjugend vor, politisch rechts von der Mutterpartei zu stehen. Wie wird der Berliner Kurs in anderen Landesverbänden gesehen?
Ja, und das nicht nur in Fragen der Außenpolitik, wo die Linksjugend teilweise eine offene pro-imperialistische Linie einnimmt. Der Kurs des Berliner Landesverbandes wird sehr negativ aufgenommen. Auf dem Solid-Bundeskonferenz haben wir einen Antrag für die „Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“ eingebracht, mit dem wir unsere Ablehnung der imperialistischen EU ausdrücken und der proimperialistischen Linie des Verbandes entgegensetzen wollten, die teilweise eine EU-Armee erstrebenswert findet. Unser Antrag wurde mit zwei Dritteln der Stimmen abgelehnt. Eigentlich haben wir nur die Solid-Landesverbände NRW, Hamburg und Rheinland-Pfalz auf unserer Seite. Aber auch die meisten Landesverbände der Linkspartei entwickeln sich weiter nach rechts. Die Partei bleibt auf einen Kurs Richtung Sozialdemokratie 2.0.
Denkst du, ihr könnt das Ruder noch nach links reißen?
Viele linke Kräfte in der Partei glauben noch, dass die Parteibürokratie reformierbar sei. Aber DIE LINKE ist längst fest integriert in den bürgerlichen Staat und spielt eine staatstragende Rolle. Die Parteibürokratie ist materiell vom Regieren abhängig. Der Versuch, die Partei zu einer neoreformistischen wie Syriza zu machen, ist so krachend gescheitert wie der Neoreformismus in anderen Ländern. DIE LINKE ist nicht vielmehr als ein Anhängsel der Sozialdemokratie, keine reformistische Arbeiter:innenpartei mit Massenbasis wie die SPD vor über 100 Jahren. Meine persönliche Einschätzung ist, dass DIE LINKE gar keine Daseinsberechtigung mehr hat. Wir brauchen ein revolutionäres Wahlbündnis, das unabhängig von der Bourgeoisie ist.
Was meinst du damit?
International gibt es ja nicht nur den Neoreformismus, sondern auch Beispiele für einen revolutionären Parlamentarismus wie zum Beispiel die „Front der Linken und Arbeiter:innen“ in Argentinien. Wir brauchen Volkstribune, die die Widersprüche des kapitalistischen Systems aufzeigen statt sich der parlamentaristischen Routine zu beugen. Wir brauchen keine Stimme, die stellvertretend für die Bewegungen spricht, sondern eine Kraft, die den Klassenkampf ins Parlament trägt. Und natürlich darf ein:e Parlamentarier:in nicht mehr verdienen als ein:e Facharbeiter:in. Das befolgen in Deutschland nur die Neuköllner Abgeordneten der Linkspartei. Damit ein linkes Wahlbündnis jedoch nicht zu einer bewegungsorientierten reformistischen Partei wird, braucht es klare programmatische Grundsätze: entschädigungslose Enteignung großer Immobilienkonzerne, Verstaatlichung der Energie- und Krankenhauskonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle. Abschiebestopp, Staatsbürger:innenrechte für alle und Rücknahme repressiver Polizeigesetze. Und wir müssen in den Gewerkschaften den Kampf gegen die Bürokratie führen, damit sie wieder unter Kontrolle der Arbeiter:innen kommen.
Warum bist du dann noch nicht aus der Linkspartei ausgetreten?
Wenn ich alleine austrete, hat das wenig Effekt. Und für einen organisierten Bruch sind die Bedingungen objektiv noch nicht reif. Die werden sich wahrscheinlich am deutlichsten anhand der Frage zu DWE zuspitzen. Im Gegensatz zur Linkspartei hat DWE mit über einer Million Stimmen der Wahlberechtigten eine Massenbasis. Wir sind vor allem gerade im intensiven Austausch mit dem Flügel der Kampagne, die einen Mietenboykott organisieren wollen. Ich erwarte nicht, dass der Senat den Volksentscheid umsetzt. Linke Kräfte müssen sich die Frage stellen, was sie für Konsequenzen ziehen, wenn die Linkspartei bei einem Verrat von DWE nicht aus der Koalition heraus geht. Ich halte es durchaus für realistisch, dass wir vor den nächsten Wahlen in Berlin eine linke Wahlfront schmieden können.
Dieses Interview erschien in einer gekürzten Form zuerst in der jungen Welt.