„Wir kämpfen für eine Universität im Dienste der Arbeiter:innenklasse“: Interview mit einem sozialistischem Studenten aus Argentinien
Im Zuge unserer Kandidatur fürs Studierendenparlament an der FU Berlin ist es uns wichtig, einen internationalistischen Blick auf die Studierendenbewegung zu werfen. In Argentinien sind unsere Genoss:innen der Partei der Sozialistischen Arbeiter:innen (PTS) an den Hochschulen mit ähnlichen Problemen wie wir konfrontiert und organisieren sich dagegen.
Dafür haben wir Matías Busi, Soziologiestudent an der Universidad Nacional de La Plata und Teil der Jugend der PTS interviewt.
Die Inflation in Argentinien ist bei über 90 Prozent und auch wenn hier in Deutschland die Inflation steigt, sind diese 90 Prozent nahezu unvorstellbar. Wie organisieren sich die Studierenden gegen die Krise, welches Programm schlagt ihr vor?
Das vergangene Jahr war von einer wirtschaftlichen Krise geprägt, die besonders die Jugend, die Arbeiter:innen und die armen Massen traf. In der Provinz Buenos Aires bekommt ein Drittel der Kinder nur eine Mahlzeit am Tag. Für die Jugendlichen ist es normal, in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu arbeiten und Überstunden zu leisten, um ans Monatsende zu kommen. Das führt dazu, dass viele ihr Studium abbrechen, weil sie es sich nicht mehr leisten können oder ihrer Familie helfen müssen.
Für diese Situation ist die Regierung der “Frente de Todos” (Front Aller) von Alberto Fernández und die rechte Opposition verantwortlich. Zusammen setzen sie die Sparpläne um, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gefordert werden und kürzen in Sozialausgaben und auch in der Bildung. Die aktuellen Führungen der Studierendenbewegung, sei es die rechte “Franja Morada” oder die Organisationen, die sich hinter die Regierung stellen, bleiben angesichts dessen passiv.
Wir hingegen schlagen vor, eine kämpferische Studierendenbewegung aufzubauen, die sich gegen die Sparpläne der Regierung und der Rechten stellt und dafür kämpft, dass niemand aus der Universität ausgeschlossen wird. Dazu gehört die Ausweitung und Erhöhung der Stipendien, der Zugang zu den Mensen für alle Beschäftigten der Universität und die breite Bevölkerung, sowie der Ausbau der Studierendenwohnheime, die vollkommen überfüllt sind.
Im Kampf gegen die Inflation spielen ja meist Arbeitskämpfe eine große Rolle. Wie sieht die Verbindung der Kämpfe an der Uni mit denen der Arbeitenden aus?
Im vergangenen Jahr gab es verschiedene Arbeitskämpfe, die wir aktiv unterstützt haben. Hier in La Plata haben wir eine enge Verbindung mit der Werft Río Santiago am Río de la Plata, wo sich die Arbeiter:innen gegen die Teilprivatisierung der Werft wehren. Wir waren auch bei dem Arbeitskampf der Arbeiter der Reifenindustrie dabei, die mit ihrem Streik die Automobilindustrie lahmlegen und eine Lohnerhöhung erzielten. Der Lohn passt sich dort nun stetig an die Inflation an, was ein Beispiel für andere Sektoren der Arbeiter:innen ist. In einer Versammlung an unserer Fakultät haben wir von der PTS-Jugend durchgesetzt, dass die Fahne des Studierendenzentrums (vergleichbar mit einem Fachschaftsrat) auf der Demonstration der Reifenarbeiter:innen vertreten war. Aktuell unterstützen wir den Kampf der outgesourcten Arbeiter:innen der Fluglinie Aerolíneas Argentinas, die sich gegen die unrechtmäßige Entlassung eines Kollegen wehren. All diese Kämpfe machen wir auch an unserer Fakultät und an allen Universitäten, an denen wir im Land vertreten sind, bekannt. Damit wollen wir die Tradition der Einheit von Arbeiter:innen und Studierenden aus den revolutionären 1970er Jahren wiederbeleben und uns auf die kommenden Kämpfe vorbereiten.
Außerdem organisieren wir von dem selbstorganisierten Lehrstuhl Karl Marx eine Reihe von Veranstaltungen und Schulungen zu marxistischer Theorie, um uns selbst und alle Interessierten zu schulen. Unsere Vorstellung der Universität ist es, dass die Kenntnisse, die wir hier erwerben, dem Kampf gegen die Bosse nutzen – wir kämpfen für eine Universität im Dienste der Arbeiter:innenklasse.
Welche Hürden habt ihr an der Universität dafür, dass Kenntnisse im Dienste der Arbeiter:innenklasse produziert werden? Wie werden an der Uni Entscheidungen getroffen?
Hier in Argentinien haben wir es mit einem sehr undemokratischen System zu tun, das den Studierenden keine ihrer Anzahl gemäße Mitsprache zusteht. Die Universitätsleitung beschließt hinter verschlossenen Türen, ob sie Verträge mit Konzernen eingeht, oder welche Studienpläne beschlossen werden.
Wir stellen uns gegen diese undemokratischen Einschränkungen und fordern eine demokratische Mitsprache von Studierenden und Beschäftigten an den Universitäten. Deshalb setzen wir uns auch, immer wenn es geht, dafür ein, Versammlungen zu organisieren, um die breite Beteiligung aller Studierenden an den politischen Diskussionen zu ermöglichen. Deshalb kämpfen wir dafür, die Studierendenzentren und -förderation zurückzuerobern, um von dort aus eine kämpferische Studierendenbewegung zu organisieren, die unabhängig von der Regierung und der Rechten für eine Universität im Dienste der Ausgebeuteten und Unterdrückten kämpft, die niemanden außen vor lässt.