Will die ver.di-Führung unbefristete Streiks vermeiden?

24.04.2023, Lesezeit 8 Min.
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Maxi Schulz / Klasse gegen Klasse

In einem Interview hat der Schlichter im öffentlichen Dienst, Hans-Henning Lühr, angedeutet, dass die Gewerkschaftsseite unbefristete Streiks vermeiden wolle. Warum das denn? Ein Kommentar von Yunus, ver.di Mitglied aus der Berliner Krankenhausbewegung.

“Ich habe es [die Schlichtung] aber als sehr konstruktiv empfunden. Denn beide Seiten wollen vermeiden, dass ein riesiger, flächendeckender und unbefristeter Streik im Sommer kommt. Deswegen bestand ein großer Einigungswille.“

Das sind die Worte von Hans-Henning Lühr, der vom ver.di Bundesvorstand vorgeschlagene Schlichter im aktuellen Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst. Da kein Widerspruch zu diesen Aussagen seitens der ver.di-Pressestelle kam und die Tarifkommission letztlich die Schlichtungsempfehlung akzeptierte, nehme ich zunächst an, dass Lührs Einschätzung über die Stimmung bei der Schlichtung stimmen.

Diese ganze Schlichtung ist meiner Meinung nach eine Katastrophe und Erpressung seitens der Regierung, um weitere Streiks zu verhindern. Dass der Schlichter ein ehemaliges Mitglied des Präsidiums der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeber (VKA) ist, macht die Sache aber auch nicht besser…

Kein Wunder also, dass die Schlichtungsempfehlung, der wohl die Mehrheit der ver.di Vertreter:innen zugestimmt hat, einen Reallohnverlust für hunderttausende Beschäftigte bedeutet. In der ver.di Pressemitteilung werden Rechenbeispiele aufgeführt, bei denen Erhöhungen zwischen 10,8 und 13,4 Prozent angegeben werden, jedoch auf 24 Monate gerechnet, statt 12 Monate! Bei einer Inflation von 7 bis 8 Prozent ein Reallohnverlust.

In Berlin fand am 20. April eine erste Versammlung der TVöD-Delegierten statt, auf der die Schlichtungsempfehlung von vielen scharf kritisiert wurde. Ebenfalls stand die Darstellung der Empfehlung seitens der ver.di Verhandlungsführung unter Kritik, da sie zu beschönigend ist und mehrere Monate ohne Lohnerhöhung nicht berücksichtigt wurden. Am Wochenende akzeptierten die Bundestarifkommission (BTK) und die Verhandlungsführung, die aus hauptamtlichen Bundesvorstandsmitgliedern wie Frank Werneke besteht, das Angebot fast eins zu eins. 

Ein schwerer Schlag für uns Streikende, und ein Anlass für die Frage: Warum will denn die ver.di Führung anscheinend unbefristete Streiks vermeiden?

Sozialpartnerschaft in der Praxis

Wenn wir uns die Parteimitgliedschaften beider Verhandlungsseiten anschauen, fällt einem einiges auf. Der ver.di Verhandlungsführer Frank Werneke ist SPD Mitglied, die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ebenso (sie war sogar mal SPD-Generalsekretärin), der Schlichter Hans-Henning Lühr war früher politischer Beamter für die SPD, Verhandlungsführerin für den Bund, Nancy Faeser, ist SPD-Bundesinnenministerin…

Ja, also haben alle Seiten dasselbe Parteibuch in der Hand. Für die SPD ist die Stärkung der Sozialpartnerschaft, also die politische Zusammenarbeit der Gewerkschaften, der Regierung und Arbeitgeber für den Erhalt des “sozialen Friedens”, ein großes politisches Ziel. Auf gut Deutsch heißt das: größere Streiks und Bewegungen sollen durch Verhandlungswege verhindert werden.

Und das alles passiert in einer Zeit, in der die Ampel-Regierung ankündigt 20 Milliarden Euro am Haushalt sparen zu wollen. Die 100 Milliarden Aufrüstung und dutzende Milliarden, die als Corona-Hilfen an die Taschen der Großaktionär:innen geflossen sind, muss ja irgendwer zahlen! Die Regierung und SPD hatten meiner Meinung nach Angst, dass unbefristete Streiks von ver.di und dazu noch die Streiks von EVG sich in einem solchen Kontext schnell politisieren würden. In der Tat es wäre notwendig gewesen, den Kampf um Inflationsausgleich im öffentlichen Dienst, mit weitergehenden Forderungen zu verbinden. Solche Forderungen könnten die Anpassung ALLER Sozialleistungen an die Inflation, Rücknahme des Gesetztes für 100 Milliarden Aufrüstung, sowie für ein Vermögenssteuer anstelle weitere Kürzungen, beinhalten. Aber das ist alles zu „politisch“ für die Gewerkschaftsführung. Lieber sollen wir Beschäftigten für die Krise aufkommen, während Reiche sich weiter bereichern. Dafür steht die „Sozialpartnerschaft“.

Es ist in diesem Sinne nur logisch, dass SPD-Spitzen in unseren Gewerkschaften kein Interesse daran haben, dass die Ampelregierung durch “riesige, flächendeckende und unbefristete Streiks” in die Ecke gedrängt wird. Das entspricht natürlich nicht unseren Interessen als ver.di Mitglieder und Streikenden der Betriebe. Löhne der hauptamtlichen Funktionär:innen wie Frank Werneke werden nicht durch Tarifabschlüsse definiert – unsere hingegen schon. Die aktuelle Schlichtungsempfehlung bedeutet für meine Kolleg:innen der Tochtergesellschaften der Berliner Krankenhäuser 2023 und 2024 massive Reallohnverluste bis Monate ohne jegliche tabellenwirksame Lohnerhöhungen, die eh teilweise an der Armutsgrenze arbeiten.

Glauben Sie mir, Herr Werneke, wir 500.000 ver.di Mitglieder würden sehr gerne alles durch “riesige, flächendeckende und unbefristete“ Streiks lahmlegen, anstatt mit einem Reallohnverlust rauszugehen und weniger für Essen, Wohnen und unsere Familien zur Verfügung haben.

Was können wir nun tun?

Die undemokratische Funktionsweise unserer Gewerkschaft ver.di, die sich z.B. in der Möglichkeit einer Annahme eines Ergebnisses ohne bindende Abstimmung seitens der BTK äußert, hängt eng mit der politischen Führung unserer Gewerkschaft zusammen. Der Bundesvorstand, das hauptamtliche Apparat, sowie die Leitungsgremien bestehen zu 90 Prozent aus Mitgliedern der Regierungsparteien (SPD, Grüne usw.), die oft mal von der Parteibürokratie zu Gewerkschaftsbürokratie (und andersherum) wechseln.

Die Antwort darauf kann nur ein langfristiger Kampf in der Gewerkschaft gegen jeglichen Einfluss der Regierungsparteien und des Staates auf unsere Gewerkschaft sein. Dieser Kampf muss beinhalten, dass wir Streik- und Gewerkschaftsdemokratie anhand Versammlungen wiederherstellen, sowie gegen jegliche Demoralisierung kämpfen. Ein Austritt aus unserer Gewerkschaft bei schlechten Abschlüssen ist KEINE LÖSUNG, im Gegenteil stärkt es nur die Hand derer, die wollen, dass wir weiterhin ungefährlich für die Regierung bleiben. Im Gegenteil braucht es eine oppositionelle langfristige Organisierung in DGB-Gewerkschaften gegen den Einfluss der Regierungsparteien und gegen die Sozialpartnerschaft.

In allen Bundesländern und Städten brauchen wir Mitgliederversammlungen wie in Berlin, auf der die Schlichtungsempfehlung diskutiert werden soll.

Die BTK nahm bei den Verhandlungen Ende der Woche ohne eine Beratung durch die Gewerkschaftsbasis das katastrophale Angebot an, und somit wurde die Tarifrunde erstmal beendet. Nun soll eine Mitgliederbefragung über das Ergebnis stattfinden, die jedoch nicht bindend ist.

Statt der Annahme des Angebotes hätte die BTK eine Urabstimmung über unbefristete Streiks einleiten müssen. Während der Abstimmungsphasen können Gewerkschaftsmitglieder in Versammlungen über das letzte Angebot und über unbefristete Streiks gründlich diskutieren und am Ende durch ihr Votum über ihre Schicksale entscheiden.

Doch auch schon vor der Schlichtung zeigten sich Fehler der Gewerkschaftsführungen im Kampf um den TVöD. Es gab nicht mal einen ersten Streiktag, an dem bundesweit alle TVöD Streikenden gleichzeitig zum Streik aufgerufen waren. Es gab keine Woche, bei der bundesweit alle Müllabfuhr-Betriebe streikten. Es gab zwar einen Streiktag, aber noch keine ganze Streikwoche gemeinsam mit der EVG, wodurch bundesweit keine Bahn fährt – so wie wir es 1992 zuletzt hatten. Wir haben die Macht diese Regierung zur Durchsetzung unserer Forderungen zwingen.

Es sind die Regierung und führende Mitglieder der Regierungsparteien, die Angst vor unbefristeten Streiks haben. Zeigen wir ihnen, dass ihre Angst berechtigt ist und wir uns nicht mit einem Reallohnverlust zufriedengeben werden! Erst Recht nicht, wenn Finanzminister Lindner ankündigt, dass er 20 Milliarden Euro sparen will. Wir zahlen nicht für eure Krise!

Es braucht eine linke Opposition in ver.di gegen die Sozialpartnerschaft, mit Hunderten, wenn nicht tausenden Mitgliedern, die jetzt wütend sind. Das bedeutet, sich bundesweit zu koordinieren und in der Öffentlichkeit die Politik des Bundesvorstandes als Mitglieder zu kritisieren. Es braucht eine NEIN-Kampagne für den Mitgliederentscheid.

Nein zur Tarifeinigung beim Mitgliederentscheid!

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Willst du auch deine Meinung zur Schlichtung und der Tarifrunde schreiben? Melde dich bei uns unter: info@klassegegenklasse.org

Wenn du mit uns in deinem Betrieb und in der Gewerkschaft für eine klassenkämpferische Perspektive mit der Arbeiter:innengruppe KGK Workers aktiv werden willst, melde dich ebenfalls! Unsere nächsten Treffen:

Berlin; 11. Mai, Do, 18 Uhr, im Syndikat, Emser Str. 131

München: 04. Mai, Do, 19 Uhr, Ort auf Anfrage

Bundesweit: schreibt uns eine Mail, um beim online Treffen dabei zu sein!

Wir sind eine branchen- und gewerkschaftsübergreifende Arbeiter:innengruppe um die Zeitung Klasse gegen Klasse. Wir sind in den DGB Gewerkschaften und in Betriebsgruppen organisiert und gestalten die Streikbewegungen aktiv mit. In der Arbeiter:innenbewegung treten wir für eine klassenkämpferische Perspektive gegen die Sozialpartnerschaft. Wir denken, dass wir als Gewerkschaften nicht nur für mehr Lohn, sondern auch für politische Forderungen an die Regierung mit Aktionen und Streiks kämpfen müssen, um unsere Interessen zu verteidigen. Außerdem bauen wir die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) bundesweit mit auf.

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