Wieso solidarisieren wir uns als Studierende mit den Metall-Streiks?

16.11.2022, Lesezeit 15 Min.
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Quelle: Eigenes Bild

Die Inflation trifft uns als junge Arbeiter:innen und Studierende besonders stark. Zusätzlich ist unser Leben von Sorgen vor der Klimakrise und den kriegerischen Entwicklungen geprägt. Deshalb müssen wir uns mit den streikenden Sektoren verbünden.

Wir alle wissen, was Sache ist: Die gegenwärtige Krise besitzt ein Ausmaß, das wir zu unseren Lebzeiten so noch nie gesehen haben, mit einer Inflation von über 10 Prozent. Aufgrund einer rücksichtslosen Preisspekulation im kapitalistischen Wettbewerb sehen wir eine noch höhere Inflation in Lebensmittelpreisen (15 Prozent) und Energiekosten (35 Prozent). Dies stößt auf die bereits vor dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise existierenden, prekären Lebensumstände, die der Großteil von uns Studierenden nur zu gut kennen. Wie der Spiegel am 18. Februar dieses Jahres betitelte “Studie zu Wohnkosten von Studierenden: WG-Zimmer sind so teuer wie nie”.

Die Krise(n) und die Jugend

Finanzielle Förderungen wie das BAföG, die seit Jahren unter Kritik stehen, sind nicht nur unzureichend, um ein anständiges Leben zu führen, sie kommen nur bei weniger als 12 Prozent der Studierenden an. Während immer wieder wir als Studierende in der Kritik stehen, dies nicht zu nutzen, stehen die 19 Prozent “Anspruchsberechtigten” der gesamten Studierendenschaft, der kruden Realität entgegen, dass ¾ der Studierenden neben ihrem Studium jobben müssen.

In dieser Situation werden wir vonseiten der Ampelregierung dazu aufgerufen alle gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Dafür sollen wir eine Einmalzahlung von 200 Euro kriegen, die aber erst nächstes Jahr ankommen soll. Die sogenannte “Gaspreisbremse”, für die die Regierung 200 Milliarden Euro ausgeben wird, fließt überwiegend als Subventionen an die Energiekonzerne, gegen die wir seit Jahren aufgrund ihrer umweltzerstörenden Praxis auf die Straße gehen. Währenddessen spielen immer mehr Universitäten mit dem Gedanken, jetzt wo die ersten Semester an Präsenzlehre wieder anlaufen, einen Schritt zurück zur Online- Lehre als Energiesparmaßnahme zu tätigen. Das würde aber letztlich nur bedeuten, den Energieverbrauch und dessen Kosten ins Private, das heißt wieder in unsere wenigen Quadratmeter und leeren Bankkonten zu verschieben.

Unter all diesen “persönlich erfahrbaren” Umständen haben wir außerdem die sich verschärfende Klimakrise, die kriegerischen Konflikte und allgemeine Militarisierung, sowie ein globales Ausbeutungssystem um uns herum, das immer stärkere Ungleichheiten hervorbringt. Dadurch gibt es immer stärkere Tendenzen zu psychischen Erkrankungen, besonders auch durch die erzwungene Isolierung der letzten Jahre.

Wo bleiben die Studierenden-Proteste?

Politisch sehen wir, dass große Proteste der Studierendenschaft gegen die Verteuerung des Lebens oder auch pazifistische Mobilisierungen gegen die zerstörerischen Kriege weitgehend ausbleiben. Von den großen Protesten der letzten Jahre, wie BLM oder FFF bleibt wenig übrig, die Stimmung ist von einer relativen Passivität geprägt. Die verzweifelten Aktionen, die es gegen die Klimakrise gibt, wie die Straßenblockaden von der Letzten Generation, werden trotz milden Forderungen an die Ampel, wie dem 100km/h Tempolimit und 9€ Ticket, medial ins lächerliche gezogen und polizeilich verfolgt.

Es ist offensichtlich, dass die Lage, wie sie ist, nicht länger tragbar ist. Deshalb müssen wir uns fragen, was wir jetzt brauchen und mit wem wir dies erreichen.

Wir brauchen klare Forderungen gegen die Krise(n), wie sofortige Preisstopps in der Energieversorgung, bei Nahrungsmitteln, sowie den Mieten, um der Spekulation und Aufwärtsspirale ein Ende zu setzen. Gegen die Verteuerung des Lebens insgesamt müssen Löhne, Renten, Sozialleistungen und Bafög an die Inflation angepasst werden! Damit das Studium oder die Ausbildung nicht mehr der Abhängigkeit prekärer Jobs unterliegt, ist ein elternunabhängiges BaFög für Azubis und Studierende ohne Rückzahlung notwendig.

Nicht zuletzt braucht es zur Bekämpfung der Klimakrise und der Energiekrise eine übergangsweise Wiedereinführung des 9 Euro Tickets mit der Perspektive eines kostenlosen und ausgeweiteten ÖPNV für ALLE. Gleichzeitig gehören die Klimakiller und größten Krisenprofiteure, die Energiekonzerne, entschädigungslos enteignet. Um eine Zukunft in globaler Sicherheit und Frieden zu garantieren, muss es heißen: Schluss mit Militarismus und keine weiteren imperialistischen Interventionen! Nein zu den 100 Milliarden für die Aufrüstung!

Viele von euch werden sicherlich positiv auf derartige Forderungen reagieren, sich aber fragen, wie sowas überhaupt erreicht werden könnte. Ist es nicht einfach unrealistisch? Die Antwortet darauf sollte lauten Ja und Nein: Nein mit der Ampel, ja gemeinsam mit den sozialen Sektoren, die wie wir unter dieser Krise leiden und ein größeres Durchsetzungsvermögen haben, als wir es tun.

Einheit der Studierenden und Arbeiter:innen

Während wir immer und immer wieder die politischen Aufrufe zum “Frieren gegen Putin” zu hören kriegen, wird uns von der Politik, wie kürzlich von Bundespräsident Steinmeier gesagt, dass wir alle zusammenhalten sollen. In den bisherigen Tarifauseinandersetzungen sehen wir, wie dieser “Zusammenhalt” in der Realität aussieht: Die Kriegsprofiteure, die enorme Übergewinne zu verzeichnen haben versuchen die Löhne immer weiter zu drücken, mit der Ausrede es wäre einfach für alle eine ungünstige wirtschaftliche Lage. Kürzlich wurden die über 500.000 Beschäftigten in der Chemieindustrie, die im Jahr 2021 Rekordgewinne erwirtschaftete, mit einem Reallohnverlust abgespeist.

Entgegen diesem vorgeschobenen Zusammenhalt, der sich im Inhalt einer “nationalen Einheit” nur gegen die arbeitende Bevölkerung und Jugend richtet, wollen wir eine andere Art der Solidarität entwickeln. Statt Schulterschluss mit der Ampel, suchen wir die Einheit mit den kämpfenden Sektoren der Arbeiter:innenklasse.

Im letzten Jahr sahen wir bereits die längsten Streiks seit über 40 Jahren an den Seehäfen und wie die Pfleger:innen und Krankenhausbeschäftigte in Berlin und NRW durch wochenlange Streiks der Farce des Klatschens einen Tarifvertrag mit besseren Arbeitsbedingungen in ihrem Interesse entgegensetzen konnten. Letztere griffen auch vor kurzem die Frage der Inflation auf und beschlossen für die kommenden Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst die Forderung nach mindestens 500 Euro mehr im Monat und 10,5 Prozent Lohnerhöhung, also einen Inflationsausgleich. Diese Beschäftigten gilt es Anfang nächsten Jahres zu unterstützen, allerdings gibt es momentan bereits einen Tarifkampf, der das Herz der deutschen Wirtschaft trifft.

Hin zu den Warnstreiks zur vollständigen Durchsetzung der Forderungen!

Derzeit finden im Metall- und Elektrosektor bundesweit Tarifauseinandersetzungen statt, von denen knapp vier Millionen Beschäftigte betroffen sind. Die IG Metall fordert 8 Prozent Lohnerhöhung, wohingegen das bisherige Angebot der Arbeitgeber nach der vierten Verhandlungsrunde einfach nur dreist bleibt: gar keine Lohnerhöhung, sondern lediglich eine Einmalzahlung von 3000 Euro auf eine Laufzeit von 30 Monaten. Die Frechheit dahinter liegt besonders in den großen Gewinnen, die nicht nur die Kapitalist:innen im klimaschädlichen Energiesektor ergattert haben, sondern eben auch in diesem Sektor:

Seit zwei Wochen ist in dieser Auseinandersetzung die Friedenspflicht abgelaufen. In den letzten Wochen gab es zahlreiche Warnstreiks und andersartige Aktionen. Bislang haben sich über 300.000 Beschäftigte in Warnstreiks begeben.

5, 6, 7, 8 – Solidarität ist Macht!

Die Beschäftigten im Metallsektor spielen eine außerordentlich wichtige Rolle. Über vier Millionen Arbeitsplätze hängen am verhandelten Tarifvertrag. Dieser Sektor ist durch seine wirtschaftliche Bedeutung – 3 von 5 der umsatzstärksten Branchen (Automobilindustrie, Maschinenbau und Elektrotechnik) sind davon betroffen – wegweisend für die Löhne von uns allen. Deshalb denken wir, dass die solidarische Stärkung dieser strategischen Sektoren, nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, sondern insbesondere als Stärkung unserer eigenen politischen Kampfkraft als Arbeiter:innen und Jugend gegen die Abwälzung der Krise auf unserem Rücken zu verstehen ist.

Eine der zentralen Parolen der Metaller:innen in dieser Tarifrunde lautet „5, 6, 7, 8 – Solidarität ist Macht!“. Wenn auch die Parole am naheliegendsten auf die Solidarität unter den Beschäftigten in einem Betrieb, in der Branche oder innerhalb der IGM zu begreifen ist, sehen wir sie als einen Weckruf an uns alle.

Deshalb waren wir als Studierende und junge Arbeiter:innen in den letzten Wochen solidarisch bei mehreren Warnstreiks wie beim Halbleiter Hersteller Qualcomm und Atos in München, sowie bei den Mercedes und BMW Werken in Berlin/Brandenburg. Wir haben mit Kolleg:innen gesprochen, Interviews gemacht, unsere Empörung über das Angebot gemeinsam zum Ausdruck gebracht und betont, dass der Aufbau von Klassensolidarität mit der Perspektive einhergeht, die Kämpfe gegen die Krise zusammenzuschweißen.

Werde aktiv!

Die letzten Wochen waren wir bereits mit kleineren Solidaritätsdelegationen auf IGM Warnstreiks in Berlin und München. Wir wollen vorschlagen, mit euch allen daran anzuschließen und bei den kommenden Warnstreiks gemeinsam Solidaritätsdelegationen zu bilden, die Kolleg:innen zu unterstützen und dort auch unsere eigenen Forderungen laut zu machen, mit eigenen Schildern, Plakaten, oder anderen Aktionen.

Wenn du ebenfalls Student:in, Azubi, Arbeiter:in oder über andere Wege an den Tarifkämpfen interessiert bist, schreibt uns eure Erfahrungen.

Ruf uns an oder sende uns eine WhatsApp- oder Telegram-Nachricht: 015129749527

Schreib uns eine Mail an info@klassegegenklasse.org.

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Ein erster Schritt in diese Richtung muss bedeuten die Kolleg:innen der Metall- und Elektroindustrie in ihren legitimen Forderungen zu bestärken und dahingehend zu unterstützen, dass die Warnstreiks erweitert werden. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet gibt es in der IGM bereits Diskussionen darüber, die Dauer der Warnstreiks auf 24 Stunden zu erhöhen. Dem müssen wir Rückhalt geben und angesichts des Versuches, einen faulen Kompromiss zu provozieren, müssen wir die Bedingungen für einen gemeinsamen Erzwingungsstreik aufbauen. Ein derartiger Streik könnte nicht nur die Forderungen vollständig erzwingen und den Kampfweg gegen den Lohnverlust aufzeigen. Es würde zudem die Unterordnung hinter dem “Ritual” der Warnstreiks in Frage stellen, die letztlich nur den Kapitalist:innen und ihrer Regierung dient.

Welche gemeinsame Perspektive gegen die Krise(n)?

Die wirtschaftliche Stagnation – bzw. kommende Rezession, vor der die führenden Wirtschaftswissenschaftler:innen warnen – und die außerordentlichen Schulden, die die Regierung in der Krise aufgenommen hat, bedeuten heute und in den kommenden Jahren einen Kampf darum, wer für diese Krise zahlen wird. Das bedeutet, dass die momentan eher ökonomisch gehaltenen Kämpfe explizit politisch werden müssen.

In der Antwort darauf, wie die notwendigen Lohnerhöhungen finanziert werden können, liegt die politische Dimension dieser zunächst ökonomischen Kämpfe bereits inbegriffen. Indem wir fordern, einen Teil der Unternehmensgewinne für die Löhne zu nutzen, setzen wir den rassistischen Forderungen der rechten Proteste gegen die Inflation etwas entgegen. Diese wollen den berechtigten Unmut in der Bevölkerung hin zu einer chauvinistischen und nationalistischen Stimmung umlenken. Migrantische Kolleg:innen ins Visier zu nehmen, wie sie es tun, ist jedoch nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch keine ökonomische Lösung. Stattdessen lenkt sie von der Verantwortung der Krisengewinner:innen ab, die unsere Löhne zahlen müssen! Insofern stellen die Streiks und ihre Unterstützung nicht nur einen Gegenentwurf zu den unterkomplexen Forderungen der rechten Kräfte, die aktuell teils die Demonstrationslandschaft dominieren, dar, sondern bieten auch tatsächliche Lösungen an.

Die Streiks sind ein Mittel des Kampfes, das sich tatsächlich gegen die Krisenprofiteure richtet. Sie können aber weit darüber hinausgehen. Wir sehen dies aktuell beim sechswöchigen Streik der Kolleg:innen der Teigwarenfabrik Riesa, die in Sachsen den Kampf um 2 Euro Lohnerhöhung mit dem Kampf gegen die jahrzehntelange Ungleichheit zwischen Ost und West verbinden. Ihr Motto lautet “Lohnmauer einreißen”, womit sie den klassenkämpferischen Weg aufzeigen, der kapitalistischen Überausplünderung des Ostens ein Ende zu setzen, aus der sich der braune Sumpf nährt.

Riesa zeigt zudem, genauso wie die Krankenhausbewegung in Berlin, wie Lohnkämpfe politische Fragen beinhalten. Das bedeutet auch, dass die Streiks diesen politischen Charakter annehmen können. Die größte Hürde dabei ist die bürokratische Gewerkschaftsführung, die als Manager:innen der Beschäftigten agieren.

Entgegen ihrem unkämperischen Routinismus, mit dem sie Teile der Arbeiter:innenschaft aufgrund der miserablen Tarifergebnisse aus den Gewerkschaften herausgedrängt hat, können wir unser gemeinsames Interesse aufzeigen. Statt Arbeitsplätze und Rüstungsproduktion gegeneinander auszuspielen – wie es die Gewerkschaftsspitze zu Beginn dieses Jahres in Allach tat – müssen wir an die eigene Satzung der IGM erinnern, die verspricht „für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung“ zu stehen. Hier müssen wir uns gemeinsam gegen die Aufrüstungspolitik stellen, die Milliarden zu Kriegszwecken verbrennt und stattdessen auf die Rüstungskonversion pochen, die über Jahre hinweg zur Diskussion stand.

Eine solche Konversion ist auch anlässlich der Klimakrise notwendig und befindet sich derzeit bereits in den Chefetagen der großen Automobil- und Metallindustrie in Planung. Dieser Plan steht allerdings dem Schutz des Planeten komplett entgegen, da sie unter grünem Deckmantel die Produktion nur in abhängige Länder verlagern und damit einhergehend die Beschäftigten hierzulande aus ihren Arbeitsplätzen verdrängen wollen. Ein Beispiel davon sahen wir vor nicht allzu langer Zeit beim Bosch Werk in München. Gegen derartige Lügen und falsche Versprechen eines grünen Kapitalismus, die die Regierungen und Lobbyist:innen wiedereinmal beim COP27 Treffen vorgetragen haben, brauchen wir nicht mehr zu appellieren und abzuwarten. Wie kürzlich die IGM Jugend in einem krassen Mobibild mit einem Riesenbanner zum Ausdruck brachte, haben die Kolleg:innen in der Industrie eine außerordentliche Stärke: IGM jugend: “You have the factory we have the power” https://www.instagram.com/p/Cka1KhtsAO4/?utm_source=ig_web_copy_link

Dies ist ein Beispiel des Selbstbewusstseins der jungen Kolleg:innen. Wir müssen aber auch sagen: “We have the power to take over the factory”. Unsere Perspektive kann nur in der Einheit zwischen der Arbeiter:innenklasse und der Jugend bestehen. Wir haben ein gemeinsames Interesse, unsere Arbeitsplätze zu behalten, unsere Rechte und Löhne zu verteidigen und eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, die auf einer bedürfnisorientierten und umweltfreundlichen Produktionsweise beruht. In der Einheit können wir diesem Ausbeutungssystem, dass eine Krise nach der nächsten hervorbringt, einen Haufen Kriege produziert und unseren Planeten zerstört, ein Ende setzen.

Mit einer Solidaritätsdelegation beteiligen wir uns am Warnstreik bei Mercedes-Benz in Berlin am 17.11.2022 (Donnerstag). Kommt vorbei!

09:15 – 13:00

Ort: Marienfelde, Daimlerstr. 143

Demo-Route: Daimlerstr. 143 (AK zw. Tor 1 und Tor 2) – Großbeerenstr. – Großbeerenstr. – Alt-Mariendorf – Friedenstr. – Mariendorfer Damm – Mariendorfer Damm – Alt-Mariendorf – Alt-Mariendorf – Großbeerenstr. (ZK) – Großbeerenstr. – Daimlerstr. – Daimlerstr. 143 (EK zwischen Tor 1 und Tor 2)

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