Wieso ich als marxistische Antirassistin für das StuPa kandidiere
Von Black Lives Matter über Hanau und Halle bis zu Festnahmen von Kindern auf der Sonnenallee. Global sehen wir eine Verschärfung rassistischer Politik und Zustände. Was hat der Kampf gegen Rassismus mit dem StuPa zu tun und warum kämpfen wir für einen marxistischen Antirassismus?
Ich bin in Ost-Berlin in den 2000er Jahren aufgewachsen. Meine Mama hat sich tagsüber kaum getraut, mit dem Kinderwagen herauszugehen. Als ich das erste Mal alleine Straßenbahn gefahren bin, wurde ich mit dem „N-Wort“ beschimpft. Es war meine Normalität, immer als „anders“ wahrgenommen zu werden. Es war normal, dass Eltern von Schulfreunden sich über den Akzent meiner Mama oder den „Dreck auf meiner Haut“ lustig gemacht haben. Rassismus prägte und prägt meinen Alltag und politisierte mich.
Über die Jahre verstand ich immer mehr, dass meine Erfahrungen keine individuellen Erfahrungen sind und dass Rassismus auch nicht in den 90er Jahren in Ostdeutschland entstanden ist. Das Narrativ, dass Menschen immer rassistisch und ausgrenzend waren, ist weit verbreitet. Rassismus wird dann zu einer ominösen Macht, die immer und überall existiert, aber nicht wirklich greifbar ist. Diese Darstellung ist nicht nur ahistorisch, sondern verkennt, dass Rassismus eine Funktion im kapitalistischen System hat. Malcolm X, Schwarzer Revolutionär und Widerstandskämpfer, sagte dazu mal: „Man kann keinen Kapitalismus ohne Rassismus haben“. Er beschreibt damit den Fakt, dass Rassismus dem kapitalistischen System inhärent ist und ein maßgeblicher Faktor in der Entstehung des Kapitalismus war.
Obwohl die Institution der Sklaverei bereits vor der Entstehung des Kapitalismus existierte, ist es unangemessen, von Rassismus als einer ständig vorhandenen Ideologie und Praxis zu sprechen. Im antiken Griechenland und Rom basierte die Wirtschaft beispielsweise auf der Versklavung von Menschen. Allerdings war die antike Sklaverei nicht durch rassische Kategorien geprägt. Versklavte Menschen waren hauptsächlich Kriegsgefangene oder gehörten den eroberten Völkern an. Sklaverei diente lange Zeit als Mittel der Disziplinierung, Schuldknechtschaft und Zwangsarbeit, und auch verarmte Europäer:innen waren nicht davon ausgenommen.
Um den Übergang zum Kapitalismus zu verstehen, müssen wir den Prozess der Etablierung eines umfassenden Systems von Kolonialisierung, Konstruktion „rassischer“ Kategorien und der Wiedereinführung der Sklaverei verstehen. Dieses System wurde an die Bedürfnisse der Kapitalist:innen angepasst, um Gewinn zu erzielen. Die Herausforderung des Frühkapitalismus, einer verstärkt auf Lohnarbeit und Warenproduktion beruhenden Produktionsweise, bestand im Vergleich zum Feudalismus darin, eine dynamisch wachsende Produktion zu schaffen. Dies schloss auch die Ausbeutung indigener Völker und natürlicher Ressourcen in den kolonisierten Gebieten ein. Die Einführung der Sklaverei diente dazu, den Markt für Plantagenprodukte wie Tabak, Kaffee, Zucker und Baumwolle zu bedienen. Die koloniale Handelsbourgeoisie nutzte erstmals das System der Zwangsarbeit, um ihre Plantagen zu bewirtschaften. Das bedeutete zu Beginn tatsächlich, dass weiße Europäer:innen in die Sklaverei gezwungen wurden. Diese Praxis war jedoch geprägt von Widersprüchen, da es gleichzeitig in Europa erste Grundrechte für Bürger:innen gab, wodurch die Versklavung von weißen Europäer:innen in einem Konflikt zu diesen neuen Rechten stand.
Der trinidadische Historiker Eric Williams verfasste zu dieser historischen Epoche eines seiner bekanntesten Werke: „Slavery and Capitalism“. Er beschreibt darin, dass die ökonomische Motivation der Grund für die Versklavung Schwarzer Menschen war. Die „günstigen Bedingungen“ für Plantagenbesitzer führten dazu, dass sie afrikanische Menschen auf Lebenszeit kaufen konnten, während ein weißer Mensch mit dem gleichen Geld nur für zehn Jahre erhältlich war. Dadurch wandelte sich das System der Schwarz-weißen Schuldknechtschaft in ein System der Schwarzen lebenslangen Sklaverei. Die Sklavenhändler verschleppten und entführten Afrikaner:innen, um auf Plantagen in Lateinamerika, der Karibik und Nordamerika zu arbeiten. Der Sklavenhandel begann nach der Errichtung von Plantagen in der sogenannten „Neuen Welt“ durch Europäer:innen.
Die Sklaverei trug dazu bei, dass die Wirtschaft im 18. Jahrhundert einen Aufschwung erlebte, der die Grundlage für die industrielle Revolution in Europa bildete. Karl Marx betonte, dass die direkte Sklaverei entscheidend für die bürgerliche Industrie sei und ohne Sklaverei keine Baumwolle und somit keine moderne Industrie existieren würde. Die „Berechtigung“ zum Besitz von versklavten Menschen, zur Ausbeutung der außereuropäischen Welt und zur Unterwerfung der Schwarzen erforderte eine Ideologie. Schwarze Afrikaner:innen und Indigene wurden als untergeordnete Wilde kategorisiert und die Traditionen ihrer Gesellschaften galten als Ergebnis genetischer Rückständigkeit. Der Ursprung des Rassismus liegt in der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals. Marx wies darauf hin, dass der Kapitalismus die Schwarzen in die Sklaverei drängt. Eric Williams betonte 1944, dass der Rassismus eine Folge der Sklaverei war und nicht umgekehrt. Der heute bekannte Rassismus erwies sich daher als Politik der Grundeigentümer:innen, um Macht über die billigsten Arbeitskräfte auf dem damaligen Markt auszuüben – die versklavten Afrikaner:innen. Diese Ideologie entstand, um einen der schlimmsten Abschnitte der Menschheitsgeschichte zu rechtfertigen und ihn pseudowissenschaftlich mit angeblichen „biologischen“ Eigenschaften zu begründen.
Die kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Plünderung des späten 19. Jahrhunderts markierten einen qualitativen Sprung in die Ära des Imperialismus, die das kapitalistische System bis in die entlegensten Regionen der Welt ausdehnte. Dieser globale Kapitalismus führte zu ungleicher und kombinierter Entwicklung, verstärkte koloniale Unterdrückung und spaltete die weltweite Arbeiter:innenklasse weiter. Rassismus und Kolonialherrschaft wurden von der imperialistischen Bourgeoisie genutzt, um Spaltungen zu vertiefen. Marxistischer Antirassismus betont die Notwendigkeit, die Brüche innerhalb der Arbeiter*innenklasse zu überwinden und gegen chauvinistische und rassistische Vorurteile zu kämpfen. Kommunist:innen haben es sich historisch und bis heute immer zur Aufgabe gemacht, die Lüge der bürgerlichen Gleichberechtigung herauszufordern und die soziale Revolution als das einzige Mittel zur Befreiung der versklavten Schwarzen hervorzuheben.
Die Verknüpfung von „Race“ und Klasse war stets ein zentrales Element in der Geschichte des Kapitalismus. Dies wird im 21. Jahrhundert besonders deutlich, da sich die Arbeiter:innenklasse global ausdehnt und vermehrt prekäre, rassifizierte und feminisierte Arbeitsverhältnisse entstehen. Neue Formen der „Segregation“, wie Migrationsgesetze, Grenzen und Zäune, spiegeln sich im modernen Kapitalismus wider. Trotz einer zunehmend multikulturellen und multiethnischen Arbeiter:innenklasse in großen imperialistischen Ländern bleibt die Frage nach „Race“ und Klasse eng miteinander verknüpft. Die These, dass die Rassismusfrage sich mit der Klassenfrage überlappt, bedeutet nicht, dass die eine auf die andere reduziert werden kann. Rassismus betrifft nicht nur die Arbeiter:innenklasse, sondern auch andere gesellschaftliche Schichten wie die ländliche Bevölkerung, insbesondere in Ländern Lateinamerikas. Antirassistische Bewegungen, die auf unterdrückten, rassifizierten Identitäten basieren, versammeln unter sich zum Teil Individuen aus verschiedensten Klassen. Einige Tendenzen neigen dazu, rassistische Unterdrückung von einem umfassenderen Kampf gegen das kapitalistische System zu trennen. Gleichzeitig gibt es klassenreduktionistische Positionen, die behaupten, dass der Klassenwiderspruch der einzige relevante Widerspruch in der kapitalistischen Gesellschaft wäre. Diese Positionen unterschätzen die Bedeutung des Rassismus oder reduzieren ihn auf ein sekundäres „kulturelles“ Phänomen.
Die aktuelle politische Lage droht noch gefährlicher für rassifizierte Menschen zu werden, als sie es ohnehin schon ist. Der Aufstieg der extremen Rechten, die Verschärfung des Migrationsregimes und die Verarmung größerer Teile der Bevölkerung durch die soziale Krise befeuern die rassistische Stimmung. Rechtsruck bedeutete in Deutschland in den 90er Jahren sowie während der sogenannten „Migrationskrise“ 2014/15 verstärkte rassistische Gewalt, insbesondere in der Form von Terror gegen Geflüchtete. Die Aufrüstung der Polizei und Bundeswehr kann zu stärkerer Kriminalisierung und Gewalt gegen Migrant:innen führen. Ein Schritt im Rechtsruck ist auch, dass das Präsidium unserer Uni gerade diese Polizei auf den Campus holt, um antirassistische Studierende, die sich gegen den Genozid in Gaza wehren, aus ihrem Hörsaal zu schleifen. Doch trotz der tiefen Krise existiert keine politische Kraft, die konsequent gegen die Festung Europa, den deutschen Imperialismus und den Rassismus hierzulande kämpft.
Was hat das, aber nun mit dem StuPa zu tun? Ich kandidiere für das Studierendenparlament, weil ich davon überzeugt bin, dass wir an den Orten, wo wir uns tagtäglich aufhalten, lernen, lehren und austauschen, Politik machen sollten, um eben eine solche Kraft aufzubauen. Das StuPa ist das direkt gewählte Gremium von Studierenden, hier möchte ich kämpfen für eine studentische Vertretung, die sich nicht nur auf dem Papier antirassistisch nennt, sondern reell für eine antirassistische Uni kämpft. Eine Uni, die nicht nur sagt, sie stehe an der Seite von Betroffenen, und dann nichts macht. Für eine Uni, die uns Raum gibt, um zu diskutieren und über die wahren Ursachen von Rassismus zu lernen und zu forschen, gleichzeitig aber auch als Ort, der nicht losgelöst von der Gesellschaft steht oder agiert. Gegen Rassismus zu sein, reicht nicht aus in Zeiten, wo wieder Geflüchtetenunterkünfte brennen, fast täglich eine neue Meldung von Polizeimorden in den Nachrichten ist, die Bundesregierung Mitkomplizin im Genozid in Gaza ist und die Festung Europa das Asylrecht de facto abschafft. Es reicht uns nicht nur, dagegen zu sein – die Zeit ist überfällig, dass wir kämpfen, für unser Überleben, aber auch weil wir alle ein Recht auf ein schönes Leben haben.