Wie weiter nach dem blutigen Wahlsieg der AKP?
// TÜRKEI: Nach den Neuwahlen herrscht eine Stimmung der Niederlage. Der AKP ist es gelungen, nach einer intensiven Gewaltkampagne die Wahlen zu gewinnen. Eine neue Welle der neoliberalen Offensive steht vor der Tür. Erdoğan verspricht nur Krieg und Barbarei. Letztendlich entscheidet aber der Klassenkampf, wie die Zukunft aussehen soll. //
Fünf Monate lang galt landesweit Ausnahmezustand. Die AKP hat eine blutige Wahlkampagne geführt. Unter dem Label von „Anti-Terror-Operationen“ hat Staatsräsident Erdoğan einen Staatsterrorismus gegen die kurdische Bewegung und die Linke entfaltet. Hunderte Menschen wurden ermordet und tausende verhaftet. So ist es der AKP gelungen, wieder allein zu regieren.
Werden nun nach dem Wahlerfolg der AKP die Anschläge aufhören und Ruhe einkehren? Kommt nun die vom Kapital erhoffte ökonomische und politische Stabilität?
Die politischen Bedingungen in der Region sprechen dagegen: Erdoğans Kriegstreiberei und die feindlichen außenpolitischen Beziehungen brachten den türkischen Staat in eine geopolitische Krise. Nun will Erdoğan den imperialistischen Mächten Zugeständnisse machen, um sich wieder als „stabiler Akteur“ in der Region zu präsentieren. Die ersten Signale in diese Richtung sind das Treffen mit Merkel über die Krise der Geflüchteten und das Treffen mit den USA über die Situation in Syrien.
Auch innenpolitisch deutet nicht viel darauf hin, dass die Instabilität der Regierung nachlässt. Möglicherweise werden die AKP-kritischen Sektoren der türkischen Bourgeoisie für „Frieden“ eintreten, damit sich die Regierung auf wirtschaftliche „Reformen“ konzentrieren kann. Denn die türkische Wirtschaft schrumpft und Erdoğan wird mit scharfen wirtschaftlichen Angriffen versuchen, die Instabilität zu überwinden. Die ersten Entlassungen geschehen bereits.
Die Rolle der HDP
Von den staatlich organisierten Anschlägen der letzten Monate war vor allem die pro-kurdische Partei HDP betroffen. Hunderte Lokale der HDP wurden angegriffen, dutzende HDP-Aktivist*innen wurden bei den Massakern in Diyarbakir, Suruç und Ankara ermordet und hunderte kurdische Politiker*innen wurden verhaftet. Mehrere kurdische Städte wurden vom türkischen Militär belagert und es kam ständig zu militärischen Konflikten. Unter der Gefahr weiterer Anschläge verzichtete die HDP schließlich auf eine öffentliche Wahlkampagne und konnte deshalb nicht unter gleichen Bedingungen wie die anderen Parteien agieren. Dass das kurdische Volk trotzdem eine parlamentarische Vertretung erreicht hat, ist deshalb besonders bemerkenswert.
Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass sich die HDP angesichts des verschärften Bonapartisierungskurses von Erdoğan auf eine rein beobachtende Rolle beschränkt. Die HDP versucht, sich als eine vertrauenswürdige Partei zu präsentieren, um die „Krise des Regimes“ zu beenden. Diese versöhnlerische Haltung wird die Angriffe der Regierung und der Kapitalist*innen auf die Arbeiter*innen jedoch nur vertiefen. Die HDP verzichtete auf Massenmobilisierungen gegen die Gewalt und beschränkte sich auf wütende Worte. Das Fehlen einer Gegenwehr war eine Bedingung dafür, dass Erdoğan seine mörderische Politik fortführen konnte. Nach dem Massaker in Ankara fand zwar ein zweitägiger Generalstreik statt, der aber tatsächlich nur eine „Trauerfeier“ war.
In der Periode der Offensive des türkischen Staates rückt die HDP nach rechts: Der Co-Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtaş argumentiert, eine Koalitionsregierung sei die demokratische Lösung gegen eine autoritäre Alleinregierung. Bereits vor den Neuwahlen hatte sich Demirtaş bereit erklärt, mit AKP oder CHP über Koalitionsoptionen zu sprechen. Nun erklären sich die bürgerlichen Teile der HDP bereit, über das neue Modell der Präsidentschaft zu diskutieren.
Es regt sich jedoch kein Widerstand gegen diesen anpasslerischen Kurs, da die Vertretung konservativer und bürgerlichen Sektoren angeblich ein Ausdruck der „demokratischen Pluralität der Partei“ sei. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Interessen der bürgerlichen Sektoren einem Verzicht auf die Interessen der Arbeiter*innen gleichkommen. Doch allein schon die Bereitschaft der Diskussion über das Präsidialsystem dient der Legitimierung von Erdoğans Kriegspolitik.
Wie weiter?
Die Wahlen sind vorbei. Erdoğan wird de facto die Regierung weiter regieren. Es ist illusorisch, von den versöhnlerischen Parteien wie der HDP eine kämpferische Praxis zu erwarten. Sie werden stets in Enttäuschung münden, da sie nicht bereit sind, klassenkämpferische Forderungen aufzustellen. Doch die Demoralisierung der Massen dient nur den arbeiter*innenfeindlichen und chauvinistischen Plänen Erdoğans.
Die Erfahrungen der Gezi-Proteste und der Arbeitskämpfe der letzten Jahre zeigen demgegenüber, dass Erdoğan große Angst vor Massenmobilisierungen und dem organisierten Klassenkampf hat. Es ist notwendig, eine breite Kampagne für den Rücktritt Erdoğans und der neuen Regierung, der gerichtlichen Verurteilung der korrupten Politiker*innen und der unabhängigen Untersuchung der Massaker zu starten. Die Antwort auf die autoritäre Alleinregierung kann keine Koalitionsregierung sein, sondern nur die Durchsetzung einer freien und souveränen verfassungsgebenden Versammlung, die auf der Mobilisierung der Massen basiert.