Wie weiter im Aufbau einer unabhängigen revolutionären Alternative in Deutschland?
Während nach der Abspaltung Sahra Wagenknechts einige Teile der (radikalen) Linken auf einen neuen Aufschwung der Linkspartei hoffen, sind wir als Revolutionäre Internationalistische Organisation mit unserer Website Klasse Gegen Klasse der Meinung, dass der Aufbau einer vom Reformismus unabhängigen revolutionären Alternative dringender denn je ist. Eine Einladung zur Debatte.
Die reaktionäre nationale Einheit der etablierten Parteien rund um den Gaza-Krieg hat den politischen Diskurs in diesem Land weiter nach rechts verschoben, Hand in Hand mit der rassistischen Debatte um einen „Asylkompromiss 2.0“ und Olaf Scholz‘ Forderungen – in bester CDU- und AfD-Manier – nach „Abschiebungen im großen Stil“ und Boris Pistorius‘ Rufen nach „Kriegstüchtigkeit“. Doch die „harte Hand“ der Ampel ist kein Zeichen der politischen Stärke. Im Gegenteil sackt die Ampelregierung in jeder neuen Umfrage weiter ab, während die Union und die AfD profitieren. Das alles in einem Szenario der wirtschaftlichen Rezession, wachsender geopolitischer Spannungen und voranschreitender Klimakatastrophe. Mit der „Zeitenwende“ hat die herrschende Klasse einen neuen Anlauf angekündigt, im imperialistischen Konzert der Mächte mitzumischen. Es ist ein Plan, der mehr Repression und Militarismus mit sich bringt, aber auch die Legitimitätskrise des bestehenden Systems und die Klassenkämpfe in den kommenden Jahren vertiefen wird.
Die Spaltung der Linkspartei
Währenddessen befindet sich die Linkspartei nicht nur strategisch, sondern auch organisatorisch und auf Wahlebene in einem Zerfallsprozess. Sahra Wagenknecht und ihre Verbündeten haben sich nun eine neue Partei gegründet: das „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Aller Voraussicht nach wird BSW erstmals bei den Europawahlen antreten – mit einem nationalistischen, sozialchauvinistischen Programm, welches „einheimische“ und „ausländische“ Arbeiter:innen gegeneinander ausspielt.
Jetzt, wo DIE LINKE ihren Fraktionsstatus im Bundestag verloren hat, werden die Felle aufgeteilt. Während Bewegungslinke und Regierungssozialist:innen um Dietmar Bartsch letztlich auf ein „Weiter so“ hoffen, formiert sich mit BSW eine eher populistische Partei, wie es sie beispielsweise in Frankreich mit Jean-Luc Mélenchons „La France Insoumise“ schon längst gibt, wenn auch ein gutes Stück rechter als Mélenchons Projekt. Wagenknechts Projekt ist ein auf sie zugeschnittener Wahlverein, der bereits angekündigt hat, Regierungsbeteiligungen anzustreben, selbst mit der CDU.
DIE LINKE hat dem Aufstieg der AfD nicht nur die Bühne überlassen, weil sie weder willens noch in der Lage war, eine tatsächliche Opposition der Ausgebeuteten und Unterdrückten gegen die Politik des Großkapitals aufzubauen. Sondern sie war als Regierungspartei – nicht nur in Ostdeutschland – direkt mit dafür verantwortlich, dass sich die Rechten als einzig legitime Opposition zur herrschenden Politik inszenieren konnten, wenn sie nicht mit Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen und Ausbau des Polizeiapparats selbst mit die Agenda der Rechten umgesetzt hat.
Sahra Wagenknechts neues Projekt gibt vor, mit reichlich nationalistischen, rassistischen und pro-kapitalistischen Tönen all diejenigen anzusprechen, die von Ampel und Linkspartei enttäuscht sind, um so einen Teil der Wähler:innenschaft der AfD zurückzuerobern. Sie ignoriert die Klimakatastrophe, missachtet die Bedürfnisse von Frauen und Queers und macht Geflüchtete für fehlende Kita-Plätze, marode Infrastruktur und mangelnden Wohnraum verantwortlich. Das wahre Problem, die Profitmacherei der großen Konzerne, benennt sie nicht, ebenso wenig die Notwendigkeit, diese für die Krise zahlen zu lassen. Stattdessen setzt sie auf mehr Regulierung, um einen „fairen Wettbewerb“ zu gewährleisten. Ihr geht es nicht um die Bedürfnisse der Arbeiter:innenklasse, sondern die Interessen von mittelständischen Unternehmen. Auf den Klassenkampf oder soziale Bewegungen nimmt sie keinen Bezug.
Für den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Kraft
In diesem Szenario der Neuzusammensetzung des Reformismus-Populismus stellt sich für die gesamte Linke eine Richtungsentscheidung: Wollen sie den rechten Kräften die Bühne überlassen, sich als einzige Opposition zu inszenieren, indem sie die Ampel in einer „demokratischen“ Volksfront verteidigen oder sich dem Chauvinismus von Rechten und Wagenknecht anpassen? Oder wollen sie die Lehren aus dem strategischen Scheitern der Linkspartei ziehen und eine Kraft aufbauen, die ihren Schwerpunkt im Klassenkampf, in Streiks und auf der Straße hat und sich den Interessen der Bosse, der Regierung und den Rechten gleichermaßen entgegensetzt?
An diesem Scheideweg setzen wir auf den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Kraft: Wir stellen uns gegen das Projekt der Regierung und des Großkapitals: Es setzt angesichts der sich vertiefenden wirtschaftlichen und geopolitischen Krise einen „grünen Imperialismus“ der Ressourcenplünderung, des Sozialkahlschlags und der Militarisierung nach außen und nach innen auf Kosten der Arbeiter:innen und ihrer Familien durch. Wir stellen uns gegen die falsche Opposition der rassistischen, sexistischen, homophoben, transphoben und arbeiter:innenfeindlichen Rechten. Wir setzen aber auch kein Vertrauen in DIE LINKE, die das kapitalistische Elend verwaltet und unsere Wut an die Wahlurnen lenken will, oder in Alternativen wie Wagenknecht, die im Dienste eines Standortnationalismus mit der Rechten flirten.
Die Krise der Ampel und die Spaltung der Linkspartei hinterlassen ein politisches Vakuum. Dieses Vakuum eröffnet im Klassenkampf und auf Wahlebene Raum für politische Alternativen unabhängig von der LINKEN und Wagenknecht. Dass sich nun Kräfte der radikalen Linken sammeln, um die Reste der Linkspartei durch ihre Neueintritte retten zu wollen, ist hingegen mehr ein Ausdruck der politischen Verzweiflung. Der Aufstieg der AfD ist letztlich auch auf das Scheitern des Reformismus zurückzuführen. Jetzt nun erneut darauf zu vertrauen, dass dieses Mal alles besser wird und es keine Alternative links der Linkspartei geben kann, ist illusorisch und wird nur die Rechte weiter stärken.
Wir halten weder DIE LINKE noch Wagenknecht für wirkliche Alternativen. Das vergangene Jahr hat bereits gezeigt, dass Streiks in Deutschland zunehmen und es vereinzelt fortschrittliche Elemente gibt, die die engen Ketten der Bürokratie herauszufordern beginnen, wie beispielsweise an der Freien Universität Berlin oder der Berliner Krankenhausbewegung. Diese Beispiele müssen auch in die kommenden Kämpfe getragen und für die Ausweitung gekämpft werden. Die Mobilisierungen gegen den Gaza-Krieg und für die Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerungen haben zudem national wie international eine gewisse Dynamik mit sich gebracht, die sich gegen den außenpolitischen Kurs der deutschen Regierung und den überwiegenden Teil des deutschen Regimes insgesamt stellt. Die Krise der Regierung und der LINKEN eröffnet auch Räume für Antworten unabhängig vom Reformismus.
Hin zu einer revolutionären Wahlfront in Deutschland?
Aus diesem Grund wollen wir all diejenigen Kräfte, die eine sozialistische Antwort der Arbeiter:innenklasse, der Frauen und LGBTIQ, der Migrant:innen und der Jugend aufbauen wollen – unabhängig von der Regierung, den Bossen und der Bürokratien der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen – dazu einladen, mit uns über den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Alternative zu diskutieren. Eine Alternative, die die Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse von Staat und Kapital ins Zentrum ihrer Strategie stellt, die eine Verankerungen im Klassenkampf hat, konsequent die Streiks und Kämpfe von Arbeiter:innen und Unterdrückten unterstützt und Parlamente als Bühne nutzt, um diese Kämpfe bekannter zu machen, in der Perspektive einer Arbeiter:innenregierung, die mit dem Kapitalismus bricht.
Ein Teil einer solchen Perspektive ist neben der gemeinsamen Intervention in den Klassenkampf auch die Möglichkeit des Aufbaus einer revolutionären Wahlfront der Linken und der Arbeiter:innen – insbesondere vor dem Hintergrund des vor uns liegenden Wahljahres, das großen Einfluss auf das Schicksal sowohl der Linkspartei als auch des Wagenknechtianismus haben wird.
In unserer Perspektive würde sich eine solche Wahlfront zum Ziel setzen, revolutionäre Kandidaturen aufzubauen, um die Wahlen und Parlamente als Bühne für den Klassenkampf zu nutzen. Wir glauben nicht, dass es möglich ist, den Kapitalismus in den Parlamenten abzuschaffen, oder dass unsere Aufgabe bestünde, darin hauptsächlich für symbolische Reformen zu kämpfen. Aber die revolutionären Kräfte brauchen eine eigene Vertretung, um vor Millionen die Politik der kapitalistischen und reformistischen Parteien zu entlarven und die schärfsten Anklagen gegen das Regime zu richten. Die Legitimationskrise der bestehenden Parteien und das Auseinanderbrechen der Linkspartei öffnen heute einen Raum, um mit einer offen revolutionären Ansprache ein breites Publikum zu erreichen. Die bürgerlichen und reformistischen Politiker:innen erreichen mit Wahlwerbung und Fernsehauftritten Millionen Menschen. Die revolutionäre Linke kann es sich nicht länger erlauben, auf derlei Mittel zu verzichten oder in staatstragenden reformistischen Parteien zu überwintern.
Falls Revolutionär:innen heute gegenüber dem Scheitern der LINKEN gleichgültig bleiben und keine vereinte Alternative anbieten, existiert ebenfalls die Gefahr der Resignation. Keine der einzelnen, sich als revolutionär verstehenden Organisationen heute in Deutschland ist in der Lage, für die breiten Massen alleine ein Organisierungsangebot darzustellen. Erfahrungen in gemeinsamen Wahlauftritten und Interventionen in Bewegungen können es der revolutionären Linken erlauben, in Fusionen mit den fortschrittlichsten Sektoren der Arbeiter:innenbewegung und der Jugend zu verschmelzen. Diese können konkrete Schritte zum Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei sein – eine historische Aufgabe und Notwendigkeit.
Eine Front der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse
Wir wollen dabei nicht nur Kandidaturen aus sozialistischen Organisationen, sondern die Wahlfront auch mit Anführer:innen aus der Arbeiter:innenbewegung aufbauen: Sie muss den Kolleg:innen eine Stimme geben, die gegen die bremsende Rolle der Bürokratie für die Ausweitung, Verbindung und Politisierung von Streiks kämpfen. Ebenso gilt es, die Führung über soziale Bewegungen nicht den Grünen oder den Resten der LINKEN zu überlassen, sondern um eine sozialistische Perspektive zu kämpfen. Die inhaltliche Grundlage der Wahlfront muss unserer Meinung nach mindestens sein:
Ein konkretes Wahlprogramm sollte gemeinsam nach intensiven Debatten erarbeitet werden. Mit unserem aktuellen 10-Punkte-Programm haben wir versucht, einen ersten Diskussionsbeitrag für die programmatische Diskussion zu liefern, mit dem wir dafür werben, eine unabhängigen revolutionäre Alternative zur Ampel und der gescheiterten Linkspartei aufzubauen, um die Rechten zu konfrontieren.
Der Grund, warum wir in dieser Richtung voranschreiten wollen, ist kein Selbstzweck, sondern weil sich angesichts des Scheiterns der Linkspartei und des gleichzeitigen Aufstiegs der AfD eine Möglichkeit und eine Notwendigkeit ergibt, eine konsequente Antwort auf die objektive politische Situation und den Aufstieg der Rechten zu formulieren.
Wenn wir eine Wahlfront aufbauen wollen, muss sie sich dieser Perspektive verschreiben. Ein positives Beispiel, auf das wir uns dabei beziehen, ist die Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT) in Argentinien, die aus mehreren revolutionär-sozialistischen Organisationen besteht und mit einem Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse und des Kampfes für eine Arbeiter:innenregierung Hunderttausende erreichen kann. Bei den allgemeinen Wahlen in Argentinien am 23. Oktober dieses Jahres war die FIT die einzige von fünf Listen, die zur Wahl zugelassen waren, welche die Ablehnung der Kürzungsprogramme und der Auslandsschulden des IWF vertrat und ihre gewonnenen Parlamentssitze in den Dienst des Kampfes der Arbeiter:innen und der verarmten Massen stellt. Heute stehen die Organisationen der FIT an der vordersten Front des Kampfes gegen die „Kettensägenpläne“ des neuen rechten Präsidenten Javier Milei. Nicht nur stellen sie ihre Abgeordnetenmandate in den Dienst der Kämpfe und der Anprangerung der Pläne der Regierung, mit den Abgeordneten unserer argentinischen Schwesterorganisation PTS an vorderster Front, sondern sie organisieren von unten, ausgehend von ihren Stellungen in den Betrieben, Schulen, Universitäten und sozialen Bewegungen, den landesweiten Streiktag der CGT am 24. Januar auf der Basis der breitesten Selbstorganisation, um der versöhnlerischen Gewerkschaftsführung eine konsequente klassenkämpferische Alternative entgegenzustellen. Sie zeigen so die enge Beziehung, die ein revolutionärer Parlamentarismus mit der Entwicklung der Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse, der Frauen und der Jugend entwickeln kann.
Eine Einladung zur Diskussion
Klar ist zugleich: Um eine Wahlfront zu etablieren, braucht es einen Diskussionsprozess und gemeinsame Erfahrungen. Wir schlagen daher vor, zunächst organisierte programmatische Debatten für eine solche Wahlfront zu führen – gegebenenfalls auch mit dem Ziel, gemeinsame Erklärungen zu bestimmten Ereignissen zu formulieren –, ebenso wie die Möglichkeiten von weiteren gemeinsamen Interventionen in Bewegungen auszuloten, wie es sie teilweise im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) schon gibt, mit dem Ziel, etwa bis zur Bundestagswahl 2025 mindestens in mehreren Wahlkreisen gemeinsame revolutionär-sozialistische Kandidaturen aufstellen zu können.
Wir laden alle Organisationen der radikalen Linken sowie kämpferische Jugendliche und Arbeiter:innen, Aktivist:innen der sozialen Bewegungen, die oben skizzierte Perspektive teilen, ein, sich an diesen Debatten zu beteiligen, beispielsweise durch die Organisierung gemeinsamer Diskussionskonferenzen. Wir stellen uns eine solidarische, jedoch auch kontroverse Diskussionen vor, um die beste gemeinsame Grundlage für eine solche revolutionäre Wahlfront zu finden. Ein immer wiederkehrendes Argument war und ist, dass es sektiererisch sei, eine Zusammenarbeit mit den LINKEN abzulehnen. Wir lehnen es keineswegs ab, mit LINKEN und allen Arbeiter:innenorganisationen anhand konkreter Forderungen und Kämpfen Aktionseinheiten zu bilden – das tun wir andauernd in Streiks, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen usw. Was wir ablehnen, ist eine organisatorische Einheit mit den reformistischen Kräften innerhalb einer Partei und somit den Verzicht des Kampfes um den Bruch der Avantgarde der Klasse mit dem Reformismus und für den Aufbau einer unabhängigen revolutionär-sozialistischen Partei der Arbeiter:innenklasse.
Angesichts des Scheiterns der LINKEN wollen wir die dringende Notwendigkeit betonen, über den Aufbau einer revolutionären Alternative zu diskutieren, die mit hunderten Aktivist:innen Tausende von der Notwendigkeit einer revolutionären Organisierung überzeugt, um Hunderttausende zu mobilisieren.
Als erste Gelegenheit für diese Diskussion haben wir anlässlich des diesjährigen Luxemburg-Liebknecht-Gedenkwochenendes gemeinsam mit anderen Organisationen eine Diskussionsveranstaltung am 13. Januar 2024 um 18:30 Uhr im Haus der Demokratie in Berlin organisiert. Dort wollen wir über die aktuelle Krise in der Welt und Möglichkeiten eines Bündnisses der klassenkämpferischen Linken auch bei Wahlen unabhängig vom Reformismus diskutieren. Wir laden alle kämpferischen Organisationen/Gruppen/Initiativen und Aktiven zu diskutieren und ihre eigenen Ideen, Perspektiven und Kritiken mitzubringen.
Diskussionsveranstaltung am 13. Januar um 18:30 Uhr
Weder Linkspartei noch Wagenknecht: Welche Alternative für die Linke?
Ort: Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Zeit: 13. Januar 2024, 18:30 Uhr – 20:30 Uhr
Aufrufende Organisationen: Revolutionär Sozialistische Organisation (RSO), Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (BAGA), Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
Ebenso wird die Gruppe Arbeiter:innenmacht (GAM) mit auf dem Podium sitzen.