Wie Volkswagen seine Beschäftigten foltern ließ
Wie gemeinsame Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und SWR ergeben haben, beteiligte sich der Volkswagen-Konzern in der Zeit der Militärdiktatur in Brasilien aktiv an der brutalen Verfolgung oppositioneller Arbeiter*innen. Eine sehenswerte ARD-Dokumentation zeigt das Leid der Verfolgten und die Arroganz der Verantwortlichen.
Auf dem Bild: 1979 wird das fünfmillionste Auto des VW-Werks in São Paulo gefeiert.
An den Kniekehlen aufgehängt, mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks traktiert: Das erlebte Lucio Bellentani 1972 monatelang in einem Foltergefängnis in São Paulo. Damals war er Werkzeugmacher im örtlichen VW-Werk. Vorgeworfen wurde Bellentani politische Opposition zum Militärregime, weil er auf dem Werksgelände oppositionelle Flugblätter der Kommunistischen Partei verteilt hatte. Die Festnahme durch Uniformierte der politischen Polizei fand während der Arbeitszeit ebenfalls dort statt. Unterstützt wurden sie von Mitgliedern des VW-Werkschutzes. Noch in den Räumen der Personalabteilung begannen die Schläge und Tritte.
Bellentani nach seiner Festnahme –noch in der Arbeitskleidung von Volkswagen.
Für eine vielbeachtete Dokumentation der ARD kehrte der heute 72-jährige Bellentani nun in das Foltergefängnis zurück. Und auch das Werksgelände durfte er nach langen Verhandlungen erstmals seit 45 Jahren wieder betreten. Für ihn ist das ein Erfolg, denn er kämpft seit Jahrzehnten gemeinsam mit anderen ehemaligen VW-Arbeiter*innen darum, dass sich der deutsche Konzern für seine tiefe Verwicklung in die Militärdiktatur entschuldigt. Der Film von Stefanie Dodt und Thomas Aders begleitet ihn für einige Zeit bei seinem Kampf. Der Besuch des Werks entpuppt sich schließlich doch als Enttäuschung. Nur zum Eingangsbereich wird Bellentani Zutritt gewährt, nicht zu den Hallen. Dabei wird er von mehreren VW-Angestellten, die nicht mit ihm reden, überwacht. Seit Jahrzehnten schweigt der Konzern zu den Vorwürfen.
Nun allerdings ermittelt auch die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft aufgrund einer Sammelklage der ehemaligen Arbeiter*innen gegen Volkswagen. Die bereits gesammelten Beweise sind erdrückend. Ob eine Anklage erfolgt, ist noch unklar, soll aber noch in diesem Jahr entschieden werden.
Bereits jetzt ist aber klar, dass der Werkschutz bereitwillig mit der politischen Polizei zusammenarbeitete, die Arbeiter*innen im Werk und außerhalb bespitzelte, Dossiers über die Arbeiter*innen und schwarze Listen politischer Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen anfertigte und weitergab. Die betroffenen Arbeiter*innen berichten sogar von einer Art inoffiziellem Gefängnis des Werkschutzes auf dem Werksgelände, in das unbequeme Arbeiter*innen tagelang gesperrt wurden. Sie nennen es den „Schweinestall“.
Um sein angeschlagenes Image nicht weiter zu schädigen, versucht die Konzernspitze heute den Eindruck der Kooperationswilligkeit zu erwecken. Doch die Realität sieht anders aus. Der ehemalige Chefhistoriker des Konzerns, Manfred Grieger, musste VW verlassen, als er ein Zugehen auf die Betroffenen und eine Erinnerungsstätte vorschlug. Der ermittelnde Staatsanwalt sagte frei heraus, dass VW die Arbeit der Behörde erschwert. VW lässt verlauten, dass man abwarten müsse und keine vorschnellen Schlüsse ziehen dürfe. Doch auch der neue Historiker des Konzerns, Christopher Kopper von der Universität Bielefeld, bestätigt bereits jetzt die Zusammenarbeit zwischen Werkschutz und politischer Polizei.
Damalige Verantwortliche verhöhnen die Betroffenen
Im Film kommen auch die damaligen Verantwortlichen zu Wort – und sind weitaus weniger diplomatisch als ihre Nachfolger*innen. Carl Hahn war zu der Zeit der Militärdiktatur zuerst Vertriebschef, später Vorstandschef bei VW. Er reiste in den ersten acht Jahren der Militärdiktatur regelmäßig nach Brasilien. Er sieht keinen Grund für die Aufarbeitung oder gar eine Entschädigung: „Für mich gibt’s wichtigeres für uns als uns mit der Vergangenheit in Brasilien zu beschäftigen.“ Die „Wegspülung der Demokratie“ habe man in Wolfsburg nicht beweint, das sei schließlich Sache der „Eingeborenen“. Die Beschäftigung mit den negativen Seiten der Geschichte nennt er „typisch deutsch“: „Wir sind ja Überdemokraten geworden.“
Jacy Mendonça war erst Chef der juristischen Abteilung, dann auch Personalchef von Volkswagen do Brasil. Obwohl ihm der Werkschutz direkt unterstellt war und in Dokumenten immer wieder sein Name auftaucht, will er von einer Kooperation mit dem Regime nichts gewusst haben. Die Bespitzelung der Arbeiter*innen sei das gute Recht des Unternehmens. Noch drastischer als Hahn zeichnet er die Militärdiktatur als gute alte Zeit. Er sagt: „Die Wirtschaft ist in dieser Zeit um zehn Prozent pro Jahr gewachsen. Weil Ordnung herrschte!“ Und weiter: „Über eine Diktatur beschweren sich nur die, die betroffen waren. Warum? Weil es Linke waren, die das Land ins Chaos stürzen wollten. Alles was links war, erfuhr den Druck der Militärregierung. Abgesehen davon war es nur positiv.“ Dass aus seiner Abteilung Dokumente an die politische Polizei geschickt wurden, davon will Mendonça heute nichts gewusst haben. Die Angestellten seien immer „sehr liebevoll“ behandelt worden.
Gegen oppositionelle Umtriebe von links war VW gut gewappnet. Ehemalige Faschist*innen wurden hingegen mit offenen Armen empfangen. Franz Stangl, Lagerkommandant der Vernichtungslager in Treblinka und Sobibor, fand ohne Weiteres Anstellung bei VW in Brasilien und bekam nach seiner Festnahme vom Konzern sogar noch einen Anwalt empfohlen. Er wurde später wegen 400.000-fachen Mordes verurteilt.
Die gründlich recherchierte Dokumentation erzählt somit nicht nur die Geschichte einer glücklichen Beziehung zwischen der Militärdiktatur und dem deutschen Konzern. Sie zeigt außerdem deutlich, mit wie viel Verachtung die Vertreter*innen des Kapitals damals wie heute auf unsere Klasse blicken und wie bereitwillig sie die dünne demokratische Hülle preisgeben, um ihre Profite zu sichern.
Lucio Bellentani hat seinen Kampf aller Widrigkeiten zum Trotz längst nicht aufgegeben und eine Gewerkschaft pensionierter Arbeiter*innen gegründet, in der sie über das Erlebte sprechen und ihre weiteren Schritte gegen VW planen.