Wie viel Verständnis brauchen wir für Rassist*innen?
Bei einer Podiumsdiskussion letzten Donnerstag in Berlin diskutierten sechs Aktivist*innen darüber, warum die Alternative für Deutschland (AfD) erstarkt – und warum die radikale Linke so schwach ist. Aus dem Publikum wurde vereinzelt "Verständnis" für die Teilnehmer*innen rassistischer Demos gefordert. Dagegen wendeten sich jedoch verschiedenste Aktivist*innen. Denn eine solche Herangehensweise kann die Linke nur noch schwächer machen.
Rund 60 Menschen kamen am 3. Dezember ins Haus der Demokratie. Auf dem Podium saßen Vertreter*innen der Antikapitalistischen Linken (AKL) in der Linkspartei, der Initiative „Moabit hilft“, der Interventionistischen Linken (IL), der Gruppe Arbeitermacht (GAM) und der Hiphop- und Refugee-Aktivist Marcus Staiger. Eingeladen hatte die Neue Antikapitalistische Organisation (NAO).
Dieses Podium bildete die Diskussionen in der Berliner Linken gut ab: Sollte man erst einmal praktische Hilfe für Geflüchtete organisieren? Oder ein Haus besetzen? Oder die nächste Demo organisieren? Oder den Ausbau von Sozialbauwohnungen fordern? Oder den Kommunismus? Nach zwei Stunden war man sich nicht wirklich nähergekommen. Auch die gedrückte Stimmung in der linken Szene war nicht zu überhören.
Der erste Redebeitrag aus dem Publikum war immerhin energisch: „Wenn 70.000 Menschen dieses Jahr in Berlin ankommen sollen, und nächstes Jahr nochmal 70.000, dann habe ich kein Problem damit“, sagte ein älterer Herr. „Aber wo sollen die Leute wohnen?“ Der Herr kenne auch keine Antworten darauf – es gäbe „keine einfachen linken Antworten“ darauf.
Dieser Herr ist Rainer Balcerowiak. Er bewegt sich seit Jahrzehnten in linken Räumen. Also ist es schwer zu glauben, dass er noch nie linke Antworten auf den Aufstieg rassistischer Bewegungen gehört hätte. Der folgende Redner erinnerte ihn sogleich an eine „einfache linke Antwort“ auf seine Frage: „Kapital enteignen“.
Weitere Redner*innen präzisierten dieses Programm: Wir brauchen die Besteuerung der Reichen, um den massiven Ausbau von Sozialbauwohnungen zu finanzieren; die Enteignung von leerstehendem Wohnraum; einen Stopp von Kriegseinsätzen und Waffenexporten; usw. usf. Kurz: Die Reichen müssen die Kosten der Krise tragen.
Was für Verständnis?
Doch der alte Herr weist solche Forderungen mit Zwischenrufen zurück. Seine Frage sei „nicht rassistisch“, betont er mehrmals. Doch wenn die Reichen nicht zur Kasse gebeten werden können, dann muss in der Tat der ohnehin kleine Kuchen für die arbeitende Bevölkerung zwischen Menschen mit und ohne Papieren aufgeteilt werden.
Wenn er ein antikapitalistisches Programm ablehnt, bleiben nur diskriminierende – d.h. rassistische – Maßnahmen übrig. Oskar Lafontaine führt diese perfide Logik zu Ende und verlangt die Schließung der Grenzen, eine rassistische Maßnahme par excellence. Dem alten Herrn bei der Veranstaltung fehlt der Mut, seinen Gedanken zu Ende zu führen, und er bleibt bei seiner „Frage“. Doch die rassistische Logik dahinter ist die gleiche.
Noch weiter ging Pedram Shayar, ein früherer linker Aktivist, der seit einigen Jahren die rechten „Montagsmahnwachen“ unterstützt und mit dem rechten Journalisten Ken Jebsen rumhängt. Shayar kritisierte – zu Recht – wie durch die Flüchtlingskrise die „Konkurrenz in den unteren Schichten der Gesellschaft verschärft wird“. Doch er plädiert nicht etwa für eine „einfache linke Antwort“, wie zum Beispiel ein gemeinsamer Kampf für gleiche und bessere Löhne für alle.
Nein, Shayar will „Verständnis“ haben und die „Sprache der einfachen Leute sprechen“. Das klingt abstrakt nicht schlecht, bis man sich fragt, was man auf dieser Sprache sagen soll. Für Shayar und Jebsen heißt das, an der „Wir sind Deutschland“-Demonstration in Plauen teilzunehmen und es nachträglich zu bedauern, dass dort so viel gegen Geflüchtete gehetzt wird.
Über diesen traurigen Versuch, linke Politik unter rechten Spinner*innen zu verbreiten, muss man wohl nicht so viel sagen. Noch ist nicht bekannt, wann Shayar in die AfD eintreten will, um auch diese für linke Positionen zu gewinnen. Man kann als Letztes noch erwähnen, wie er den Militärputsch in Ägypten unter General Sisi zu einem objektiv linken Phänomen erklärte.
Die Arbeiter*innenbewegung
„Wir schaffen es nicht einmal 2.000 Menschen gegen die AfD zu mobilisieren und ihr redet von Kommunismus“, sagte die Genossin der Interventionistischen Linken etwas resigniert. Diese Aussage steht stellvertretend für die Resignation in der Berliner Linken. Notwendig zur Überwindung dieses Zustands ist die Verankerung und Politisierung in der Jugend und der Arbeiter*innenklasse. Sicherlich keine einfache Aufgabe – jedoch umso notwendiger. Eine solcher Prozess kann nicht einfach durch ultralinke Aktionen wie Hausbesetzungen, die in den letzten Wochen auch nicht sonderlich erfolgreich waren, beschleunigt werden.
Auffällig war dabei, dass die Genoss*innen der Revolutionär-kommunistischen Jugend und der Revolutionären Internationalistischen Organisation sowie der Jugendorganisation Revolution und der Gruppe Arbeitermacht inhaltlich am gleichen Strang zogen und gegen den auch bei der Veranstaltung verbreiteten Defätismus gegenüber der Arbeiter*innenklasse argumentierten. Eine engere Zusammenarbeit beider Strömungen in antirassistischen und antiimperialistischen Kämpfen wäre somit sehr begrüßenswert.
„Es ist einfach, Politik in der linken Szene zu machen“, sagte Bastian Schmidt von der Revolutionär-Kommunistischen Jugend. „Doch wir brauchen politische Strukturen in Schulen, Unis und vor allem in Betrieben.“ Er verwies auf die laufenden Streiks bei Amazon. Bei dem Onlinehändler werden zunehmend Geflüchtete ausgebeutet. Wenn sich die streikenden Kolleg*innen vom Rassismus blenden lassen, dann rekrutieren sie nur ihre eigenen Streikbrecher*innen. Sie müssen sich gegen Rassismus stellen, wenn sie ihre eigenen Rechte erkämpfen wollen.
Bei Amazon kämpfen deshalb die klassenbewussten Arbeiter*innen, zusammen mit solidarischen Aktivist*innen, gegen rassistische Vorurteile. Dabei zeigen sie kein „Verständnis“, denn das würde einfach eine Anpassung an die rassistische Hetze bedeuten. Nein, es bedeutet ein Kampf mit einem konkreten Programm, um die Lebensbedingungen von arbeitenden Menschen mit und ohne Papiere zu verbessern.
„Verständnis für Rassist*innen“ – ja, wir müssen intellektuell nachvollziehen, warum Menschen rassistisch denken, um diese bürgerliche Ideologie bekämpfen zu können; aber nein, wir müssen uns nicht empathisch anpassen, und schon gar nicht an den rassistischen Demos teilnehmen.