Wie steht die revolutionäre Linke zu den Berliner Wahlen?
Anfang nächsten Jahres findet in Berlin eine Wahlwiederholung statt, bei welcher die Linkspartei voraussichtlich ihr schlechtestes Ergebnis seit ihrer Gründung einfahren wird.
Während die Linkspartei im bundesweiten Trend immer schlechter abschneidet, konnte sie in Berlin bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus noch 14 Prozent erlangen. So wurde sie erneut Regierungspartei in einer rot-rot-grünen Koalition. Nun steht aufgrund unzähliger Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in Berlin eine Wahlwiederholung an, die voraussichtlich im Februar 2023 stattfinden wird. Auch hier droht der Linkspartei nun ein Absturz: Die letzten Umfragen sagen nur noch 11 Prozent voraus. So setzt sich ihr bundesweiter Abwärtstrend auch in Berlin fort – auch eine ihrer letzten Hochburgen bricht also immer mehr ab, was die Krise der Partei noch verschärfen könnte. Hinzu kommt: Gerade in der Hauptstadt konnte die Linkspartei auch unter vermeintlich revolutionären Kräften Unterstützung erlangen – wie wird es bei der Wahlwiederholung aussehen, angesichts ihres Verrats am Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE)?
Denn gerade das Beispiel DWE sollte ein Mahnmal sein: knapp 60 Prozent der Berliner Bevölkerung stimmten für den Volksentscheid – weitaus mehr als der Wähler:innenanteil des rot-rot-grünen Senats und weit entfernt von den 11 Prozent, die die Linkspartei in aktuellen Umfragen erreicht. Die Berliner:innen, allen voran die Berliner Arbeiter:innen und die Jugend, haben gesehen, dass die Berliner Linkspartei unfähig ist, ihre Wahlversprechen umzusetzen, selbst wenn dies ihnen weiter Stimmen bringen würde.
Bei der nun kommenden Wahlwiederholung kommt es darauf an, einen Grundstein für eine politische Alternative zu legen, anstatt weiterhin die Illusion eines linken Reformismus zu schüren. Die erneute Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Berlin hat bewiesen, dass die Antwort auf die aktuelle Krise eben nicht von Regierungsbürokrat:innen gegeben, sondern in Verbindung mit den Gewerkschaften und Betriebsräten, bei Streiks, auf der Straße erkämpft wird. Wir sollten die 60 Prozent als Potential sehen, die Leute von einem revolutionären Ausweg aus der Krise zu überzeugen, statt sie mit Versprechungen auf Besserungen durch den Reformismus abzuspeisen.
Denn nicht nur in Berlin, auch ein Blick auf die bundesweite Politik der Linkspartei zeigt deutlich, dass revolutionäre Kräfte einen Bruch mit der Linkspartei vollziehen müssen. So schiebt die Linkspartei überall da ab, wo sie in der Regierung sitzt. Sie hat sich längst von linker Politik verabschiedet und ist mittlerweile nur ein weiteres gescheitertes sozialdemokratisches Projekt.
Immer noch gibt es eine Reihe von Organisationen der radikalen Linken, insbesondere aus dem Trotzkismus, die innerhalb der Linkspartei arbeiten oder zu ihrer Wahl aufrufen. Noch haben viele Gruppen wie die SAV, die Sol oder die GAM keine direkte Stellung zur Wahlwiederholung in Berlin bezogen. Doch bei vergangenen Wahlen haben sie stets – mal mehr, mal weniger „kritisch“ – zur Wahl der Linkspartei aufgerufen. Werden sie ihre Politik ändern? Oder werden sie weiterhin der Illusion des geringeren Übels nachlaufen?
Das ganze Ausmaß der Perspektivlosigkeit zeigt sich im neusten Artikel der Sol mit dem hochtrabenden Artikel „Arbeiter*innenklasse und politische Partei“. Die Linkspartei habe alle Hoffnungen enttäuscht – dem stimmen wir sicherlich zu. Doch anstatt daraus die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit dem linken Reformismus zu formulieren, lautet die Losung, ein „neuer Anlauf“ sei nötig – eine Linkspartei 2.0? Die Sol gibt zwar zähneknirschend zu, dass die Partei nicht mehr „als der wichtigste Ansatzpunkt für eine neue Arbeiter*innenpartei betrachtet werden kann“. Und was macht die Sol, während sie darauf wartet, dass sich „eine massenbasierte politische Interessenvertretung der Arbeiter*innenklasse in der Zukunft neu bilden“ wird? Die Schlussfolgerung ist ernüchternd: Sie macht so weiter wie bisher. „Mangels einer starken linken Alternative zu ihr, bleibt sie auch ein Betätigungsfeld für Sozialist*innen und werden wir zu ihrer Wahl aufrufen.“
Die SAV ihrerseits schreibt richtig angesichts der aktuellen Tendenzen zu einer Abspaltung des Wagenknecht-Flügels, dass es sich bei Wagenknechts Politik um rechte Sozialdemokratie handelt und die Partei auch sonst angesichts ihrer Regierungsbeteiligungen „außer einigen Berufspolitiker*innen kein Mensch“ braucht. Dennoch kommt auch für sie ein klarer Bruch nicht in Frage. Der zitierte Artikel mit dem Titel „Wie destruktiv wäre eine Spaltung?“ endet völlig perspektivlos: „Im besten Fall geht der Klärungsprozess in der LINKEN auch nach einer Spaltung weiter, und die grundsätzlichen Fragen werden mit ebenso offenem Visier debattiert wie die, ob Wagenknecht dabei ist oder nicht.“ Was für einen Klärungsprozess braucht die SAV noch, bevor sie die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit der Linkspartei einsieht?
In Bezug auf die GAM ist die Frage weniger eindeutig zu beantworten. Auf der einen Seite spricht auch sie von der Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs, und ihre Jugendorganisation Revolution hat eine Fraktionserklärung für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid mit unterschrieben. Auf der anderen Seite hat auch sie in der Vergangenheit stets zur Wahl der Linkspartei aufgerufen. Angesichts des Verrats an DWE bietet sich nun bei der kommenden Wahlwiederholung in Berlin die Möglichkeit, diese jahrelangen Anpassung zu beenden. Wird die GAM die nötigen Schlüsse ziehen und mit der Linkspartei für ihren Verrat an DWE brechen?
Klar ist, dass Wahlunterstützung eine taktische Frage ist und es auf die konkrete Situation ankommt. Es handelt sich jedoch bei der Linkspartei um eine langjährige Regierungspartei, die auch in ihrer aktuellen Regierungsbeteiligung im Berliner Senat den Verrat an DWE, Abschiebungen, Zwangsräumungen, Outsourcing und Tarifflucht mitträgt. So verwandelt sich eine taktische Wahlunterstützung in eine strategische Sackgasse. Das Argument zur Wahlunterstützung für die Linkspartei ist vorgeblich, dass nur so ein tatsächlicher Dialog mit PdL-Wähler:innen möglich wäre. Das entspricht jedoch nicht der Realität – die Linkspartei hat unter den Massen und insbesondere in den fortgeschrittenen Teilen der Arbeiter:innenklasse und der Jugend immer weniger Unterstützung – und ist zudem ein verzerrtes Verständnis der Taktik der kritischen Wahlunterstützung, welche von Lenin entwickelt wurde. Er hatte britischen Kommunist:innen die kritische Wahlunterstützung in einer Situation vorgeschlagen, in der die absolute Mehrheit des britischen Proletariats Illusionen in die Labour-Party hatte – als Ausnahme, wenn die Kommunist:innen keine eigenen Kandidat:innen aufstellen können und als die Labour Party noch nie Teil einer bürgerlichen Regierung war. Es ist keine ahistorische Anforderung, um in einen Dialog zu kommen.
Wir schlagen vor, mit der Linkspartei zu brechen, um ein neues revolutionäres Projekt aufzubauen. Die radikale Linke muss damit brechen, im Windschatten des Reformismus zu bleiben, sondern eine neue revolutionär-sozialistische Partei aufbauen. Dafür haben wir Schritte hin zu einer revolutionären Wahlfront vorgeschlagen, die die Unabhängigkeit des Proletariats gegenüber Staat und reformistischen Parteien und Gewerkschaften wahrt.
Diese Differenz zwischen der Vielzahl an Menschen, die für die Enteignung der Immobilienkonzerne sind, und den Menschen, die die Linkspartei wählen, ist nicht grundlos vorhanden und zeugt davon, wie viele Menschen die Versprechen der Partei satt haben und dass revolutionäre Ideen in dieser Partei keinen Platz finden. Die Linkspartei ist nur die bloße Hülle einer proletarischen Partei und das war sie auch bereits bei ihrer Gründung – anders als es Sol und SAV darstellen. Ebensowenig wie die Linkspartei Abschiebungen stoppt, wird sie DW und Co. enteignen. Wollen wir etwas daran ändern, nützt es nichts, sich um diese Partei zu organisieren, sondern eine Alternative anzubieten, die auf der Straße, in den Betrieben und Gewerkschaften die Regierung und die Bosse konfrontiert.
Gerade unter den Kräften, die die Linkspartei verraten hat, wie Mieter:innen oder auch in der Krankenhausbewegung, ist der Frust besonders deutlich – versprach die Linkspartei doch im Wahlkampf noch die Enteignung der Immobilienkonzerne sowie das Anliegen der Pfleger:innen ins Parlament zu bringen. Faktisch hat die Linkspartei auch in ihren vorherigen Regierungen die Privatisierung von Krankenhäusern sowie Sozialwohnungen zugelassen und dies auch in der derzeitigen Regierung nicht geändert. Mit einer kritischen Wahlunterstützung helfen wir also nicht nur der Bürokratie, wir würden damit auch eben jenen in den Rücken fallen, auf die sich unsere revolutionäre Politik stützt. So könnte es leicht passieren, dass diese einen Bruch nicht ernst nehmen können und mit uns nicht arbeiten wollen, weil sie eben aus guten Gründen kein Vertrauen mehr darin haben, die Linkspartei zu wählen.
Eine revolutionäre Wahlfront als Schritt in Richtung der Perspektive des Aufbaus einer revolutionären Partei fällt nicht vom Himmel. Bei der Wahlwiederholung ist keine Neuaufstellung einer Wahlliste möglich, jedoch können wir schon heute Vorbereitungen dafür beginnen. Unter anderem zur Diskussion darüber wird am Wochenende vom 14./15. Januar 2023 eine Konferenz für einen revolutionären Bruch stattfinden. Wir rufen alle hier angesprochenen Gruppen, sowie alle interessierten Gruppen und Einzelpersonen innerhalb und außerhalb der Linkspartei dazu auf, gemeinsam über die Bilanz der Linkspartei, den Buch mit dem Reformismus und den Aufbau einer revolutionären Wahlfront zu diskutieren.
Wenn wir uns weigern, zur Wahl der Linkspartei aufzurufen, dann nicht, weil das Parlament und der Wahlkampf für Revolutionär:innen unbrauchbar wären. Im Gegenteil: Mit der Perspektive einer revolutionären Wahlfront möchten wir das Parlament und die Wahlen als Bühne für revolutionäre Forderungen nutzen, um so den Kampf der Arbeiter:innen, der Jugendlichen, der Migrant:innen, der LGBTQ-Bewegung in die Öffentlichkeit zu tragen. Immer sollte uns klar sein, dass unser Kampf in den Betrieben und auf der Straße entschieden wird, schon gar nicht durch die Wahl einer reformistischen Partei.
Wir fordern alle revolutionären Gruppen dazu auf, sich im Vorfeld der Wahl klar zu positionieren und mit der Linkspartei und der Idee eines (linken) Reformismus zu brechen. Die Linkspartei ist gescheitert und so werden auch jene scheitern, die weiter an ihr festhalten.