Wie stehen wir zur „Neuen Volksfront“ in Frankreich? Eine strategische Debatte

28.06.2024, Lesezeit 30 Min.
Übersetzung:
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Der Philosoph Frédéric Lordon bei einer Veranstaltung von Révolution Permanente. Foto: RP

Angesichts der bevorstehenden Neuwahlen in Frankreich hat sich eine strategische Debatte über das Verhältnis zur „Neuen Volksfront“ eröffnet. Eine Antwort auf den französischen Philosophen Frédéric Lordon.

Die Auflösung der Nationalversammlung nach dem überwältigenden Sieg der extremen Rechten bei den Europawahlen in Frankreich ist wie eine Bombe eingeschlagen. In einem vielfach zitierten Text geht der Philosoph Frédéric Lordon auf die beispiellose Situation ein, die sich in dem Land nun eröffnet hat. Diese Arbeit hätte hilfreich sein können, wenn sie Klarheit gegenüber der neuen Konjunktur geschaffen hätte, um über reflexhafte Panik hinauszugehen, die Herausforderungen zu betrachten und eine Strategie für „unser soziales Lager“ zu diskutieren. Stattdessen verteidigt Frédéric Lordon lang und breit die Stimmabgabe für die „Neue Volksfront“ („Nouveau Front Populaire“, NFP), wobei er sich auf einen „leninistischen“ Ansatz für die Parlamentswahlen und auf den Anspruch, den „prinzipiellen Anti-Elektoralismus“ der radikalen Linken zu überwinden, beruft. Mit der Metapher eines „Butterbrot mit Scheiße“ stellt Lordon die Unterstützung für den Zusammenschluss der alten Apparate als die einzige „rationale Wahl“ dar. Wir sollen die NFP also trotz des Ekels, den sie in uns auslösen kann, unterstützen. Weil der Text unseres Genossen, an dessen Seite wir gekämpft haben und noch kämpfen werden, eine verzerrte Version der Position von Révolution Permanente verbreitet und außerdem Teil einer Stimmung ist, die seit dem 9. Juni in der Linken breit geteilt wird, erscheint es uns essenziell, die Debatte fortzusetzen.

Viel Lärm um ein Butterbrot?

Was auch immer man darauf legt, ein Butterbrot ist nicht viel angesichts der bevorstehenden Ankunft des Faschismus, erklärt Lordon in seinem Artikel. Die Situation würde es also gebieten, sich mit einem ehemaligen Minister Macrons – Aurélien Rousseau, Architekt des neoliberalen Arbeitsgesetzes und der Rentenreform der damaligen Premierministerin Elisabeth Borne – zusammenzuschließen. Man solle die Augen davor verschließen, dass derart in das französische Regime integrierte (oder noch zu integrierende) Persönlichkeiten von der NFP unterstützt werden wie der grüne Senator Yannick Jadot, die Präsidentin des Regionalrats von Okzitanien Carole Delga oder der Spitzenkandidat der sozialdemokratischen Sozialistischen Partei Raphaël Glucksmann – und sogar der ehemalige französische Präsident François Hollande, der am 15. Juni von der „Neuen Volksfront“ als Kandidat bestätigt wurde. Verräter:innen, die auf der Lauer liegen, um den nächsten Verrat vorzubereiten? Nein, „gemäßigte“ Vertreter:innen, die im Rahmen der Parlamentswahlen willkommen sind, um die extreme Rechte zu blockieren, kann man in den sozialen Netzwerken lesen.

Lordons Text ist eine klare Aufforderung, die gleiche Logik anzuwenden: Es sei an der Zeit, aus allen Rohren zu feuern und alle Butterbrote zu essen. Um diejenigen anzugreifen, die diese Auswahl ablehnen und versuchen, eine andere Strategie zu diskutieren, um die Situation zu bewältigen, konstruiert Lordon einen Strohmann: eine radikale Linke, die aus Prinzip „gegen die Wahlen“ sei.1 Der Vorwurf dient dazu, die Kritik an der NFP zu entpolitisieren, indem sie auf eine moralische Haltung von „Linken“ reduziert wird, die sich weigern würden, sich die Hände schmutzig zu machen. Dieser rhetorische Trick verschleiert den Inhalt der „linksradikalen“ Kritik an der NFP: nämlich auf die gefährliche Rehabilitierung des Mitte-Links-Flügels des Regimes hinzuweisen, der von der Sozialistischen Partei und ihrem historischen Verbündeten, den Grünen („Europe-écologie-Les Verts“), verkörpert wird, im Namen des Kampfes gegen die extreme Rechte.

Diese Tatsache ist jedoch alles andere als unwichtig. Seit den 1970er Jahren hat die Sozialistische Partei („Parti Socialiste“, PS) dazu gedient, die Radikalität der „1968er“ zu kanalisieren und seit ihrem Machtantritt 1981 den „permanenten Staatsstreich“ der Fünften Republik zu festigen. Die PS verriet offen die Arbeiter:innen und die armen Massen und spielte eine zentrale Rolle beim Aufbau der Europäischen Union, die ein Werkzeug der wichtigsten imperialistischen Mächte des Kontinents ist, allen voran Frankreich und Deutschland. All dies sind Elemente, auf denen die extrem rechte Rassemblement National (RN) und ihre rassistische Demagogie gedeihen kann, wodurch die politischen Spaltungen innerhalb der Arbeiter:innenklasse vertieft werden, was ein zentrales Hindernis für den Sturz des Kapitalismus darstellt. Die Fokussierung der von Lordon eröffneten Diskussion auf die Stimmabgabe und deren Reduzierung auf einen einzelnen Akt ohne Folgen führt zu einer Beschönigung dieser Herausforderungen. Der Aufruf, das Butterbrot zu essen, ist eine Aufforderung, den Mund zu öffnen, aber auch die Augen zu schließen.

All dies ist umso überraschender, als Frédéric Lordon zu den führenden Akteur:innen im Kampf gegen das Arbeitsgesetz im Jahr 2016 gehörte, dessen wichtigste Errungenschaft das Beinahe-Verschwinden der PS war. Nachdem die PS auf sehr breiter Ebene unglaubwürdig geworden war, hatte der Zusammenbruch der PS eine Linksverschiebung von Teilen der Massenbewegung ermöglicht. Diese Dynamik erklärt unter anderem das Entstehen einer neoreformistischen Strömung um La France Insoumise (LFI, „Unbeugsames Frankreich“) bei den Präsidentschaftswahlen 2017, gleichzeitig mit der Vertiefung der organischen Krise des französischen Kapitalismus, für die der Macronismus nur eine vorübergehende Lösung bot. Für diejenigen, die Hollandes fünfjährige Amtszeit erlebt haben, sollte die Tatsache, dass die Rückkehr des ehemaligen Präsidenten als Kandidat für die NFP im Département Corèze einfach so „durchgeht“, wie ein Elektroschock wirken: Der Verantwortliche für historisch brutale Angriffe auf die Arbeiter:innen und die armen Massen und für eine imperialistische Intervention in Mali hat wieder das Recht, in der Linken aufzutreten. Er kann an der Seite von LFI nominiert werden und hat sogar positive Reaktionen von Jean-Luc Mélenchon oder Philippe Poutou hervorgerufen.

Dennoch fordert Lordon uns auf, sie trotzdem zu unterstützen, und liefert selbst denjenigen, die sich über diese ausdrückliche Rehabilitierung Sorgen machen, ein Autoritätsargument: „Bei einer Geiselnahme hat man weder den Luxus, sich clever zu benehmen, noch die Wahl, den Kelch an sich vorüberziehen zu lassen.“ Unser Genosse äußert jedoch Zweifel an der Strategie: „Die ganze Frage ist nun, wo das Gravitationszentrum der linken Koalition liegen wird, unter der Dominanz welcher Gruppe sie stehen wird. Wenn die Antwort ist, dass sie auf der Seite der ‚rechten Linken‘ oder sogar der extremen Rechten liegt, dann ist das Butterbrot keine rationale Wahl mehr, sondern das Gegenteil“, stellte er am Ende seines Artikels fest. Aber nachdem er die Hypothese aufgestellt hat, dass die „Butterbrotwette“ genauso gut zur „Faschisierung“ beitragen könnte, wird die Frage sofort wieder verdrängt. Dabei liegt hier das zentrale strategische Problem: die mögliche Rückkehr einer Regierungslinken, die es der extremen Rechten ermöglicht hat, zu gedeihen.

Lassen wir diese Weigerung der Untersuchung der „konkreten Situation“, die Lordon uns doch beibringen wollte, hinter uns und erweitern wir seine Überlegungen. Die NFP befindet sich zwar in einer „Situation hegemonialer Instabilität“, wie Stathis Kouvélakis sie definiert. Doch so instabil sie auch sein mag, ist es die brutalste imperialistische und arbeiter:innenfeindliche Komponente der NFP, die in den letzten Wochen einen Aufstieg erlebt hat. Nach 2022 hat die von Mélenchon konzipierte und umgesetzte NUPES-Front („Neue ökologische und soziale Volksunion“) die PS bei den Parlamentswahlen gerettet, die so trotz eines historisch niedrigen Ergebnisses bei den vorigen Präsidentschaftswahlen ihre Parlamentsfraktion erhalten konnte. Dies war für die PS ein Sprungbrett, um wieder in die Offensive zu gehen, indem sie dem Regime immer mehr Geschenke machte und La France Insoumise scharf attackierte. Mit ihren 14 Prozent bei den Europawahlen setzte sich die PS erneut an die Spitze der institutionellen Linken – nach einer brutalen Kampagne, die den Militarismus und das Projekt, jegliche Radikalität, welche die LFI in den letzten Jahren in der institutionellen Linken verkörpern konnte, in den Mittelpunkt stellte2. Nach den Neuwahlen könnte die Abgeordnetenzahl der PS stark wachsen, nachdem sie 100 Wahlkreise mehr als im NUPES-Abkommen von 2022 ergattern konnte. Auch wenn LFI die größte linke Fraktion behalten könnte, könnte die Summe ihrer drei Konkurrenten sie in die Minderheit bringen, wie man bei den Diskussionen um die Methode zur Auswahl des künftigen Premierministers einer möglichen NFP-Regierung gesehen hat. Schließlich ist bekannt, dass die Möglichkeit eines Abkommens mit den Mitte-Links-Kräften eine der Pisten Macrons zu seiner Rettung nach dem 7. Juli [dem Tag der Stichwahlen, A.d.Ü.] ist. Macrons Koalition ruft bereits jetzt dazu auf, im Falle von Stichwahlen gegen die RN für die Kandidat:innen der PS, der Grünen oder der KPF zu stimmen..

Man ist versucht, sich zu fragen, ob Lordon dem Thema nicht aus Angst davor ausweicht, Verantwortung für die Mängel seiner Argumentation und für seine Rolle als „radikaler“ Bürge dieser großen Operation übernehmen zu müssen, eine Amnestie für die „rechte Linke“ zu organisieren. 2017 verspottete er noch den „Fusionskrampf“, der durch das Duell Macron-Le Pen ausgelöst wurde, und prangerte die moralischen Aufforderungen zur republikanischen „Brandmauer“ an. Nicht alle Kräfte der „Neuen Volksfront“ können mit Macron auf eine Stufe gestellt werden, aber ein Teil von ihnen könnte ihm ähnlich sein, sobald sie im Falle eines Sieges bei den Parlamentswahlen an der Macht sind. Das stellt beispielsweise der französische Ökonom Bruno Amable fest, der die Möglichkeit einer Neuzusammensetzung des „bürgerlichen Blocks“ unter der Ägide eines Teils der institutionellen Linken erwähnt. Aber im Gegensatz zu 2017 nimmt Lordon diesmal an der herrschenden Einmütigkeit teil, indem er sich weigert zu sehen, dass es sich um die gleiche Dynamik handelt, die er damals anprangerte. So unterstützt er letztlich die kommende Rehabilitierung von Varianten der „republikanischen Front“ und des „kleineren Übels“, die stets das Schlimmere vorbereiten.

Panik oder strategische Diskussion?

Die Gefahren im Land und auf internationaler Ebene häufen sich. Um denen, die dagegen kämpfen, Orientierung zu bieten, ist es wahrscheinlich nicht das beste Mittel, die Tugenden des Brot-[ oder Kröten-]Schluckens zu preisen und auf eine schematische Rhetorik zurückzugreifen, um so gut wie alles mögliche zu rechtfertigen. Um seinen Standpunkt zu untermauern, stellt Lordon auf anschauliche Weise dar, was es seiner Meinung nach bedeuten würde, wenn die RN an die Macht käme. Die aktuelle Situation kündigt in der Tat eine Zeit großer Instabilität und abrupter Wendungen an. Mit seiner gescheiterten Wette hat Emmanuel Macron den Zusammenbruch des Zentrumsblocks beschleunigt und dem „extrem rechten Block“ den Weg geebnet. Dieser wird seither unter der Ägide des RN immer mehr vereinheitlicht, nach einer Vereinbarung mit Éric Ciotti, der bei den traditionell rechten Republikanern (LR) vorerst relativ isoliert bleibt, und mit einigen Führungskadern der etrem rechten Reconquête („Rückeroberung“) von Éric Zenmour. Auf der anderen Seite sichert die „Neue Volksfront“ der Linken eine Stärkung in der Nationalversammlung, ohne aber einen Sieg zu garantieren. In diesem Bild überwiegt die Polarisierung zwischen den beiden Gegenpolen, aber die Wahlen könnten auch dazu führen, dass es keine absolute Mehrheit gibt, was den Weg zu einer Situation der Unregierbarkeit, zu einer technischen Regierung oder zu eigentümlichen Koalitionen ebnen würde.

Anstatt dazu beizutragen, diese komplexe Situation zu beleuchten, konzentriert sich Lordon auf eine einzige Möglichkeit: nämlich diejenige, dass die RN an die Regierung kommt, was er als unmittelbaren Beginn eines faschistischen Regimes beschreibt, in dem Schüsse auf Demonstrant:innen, das Verbot von Gewerkschaftsorganisationen und die Entfesselung von Neonazi-Milizen in den Straßen vorherrschen würden. Die Beschreibung der angekündigten Katastrophe steht in einem umgekehrten Verhältnis zur Entwicklung einer umfassenden Reflexion über die Situation. Anstatt einen Abstand zu schaffen, nährt Lordon die panische Angst, die bereits einen großen Teil der Linken erfasst hat, was wenig mit der „kalten, strategischen Übung“ zu tun hat, die Lordon in seinem Text beansprucht.

Zweifellos würde eine Regierungsübernahme durch die RN eine Vertiefung der autoritären und rassistischen Politik bedeuten, die sich in den letzten Jahren bereits verschärft hat. Das hätte unmittelbare Folgen für ausländische Menschen und Minderheiten. Demonstrationsverbote, die Auflösung von Organisationen, die Ausweisung von Imamen, die Entfesselung von Polizeibrutalität gegen Demonstrationen oder gegen Aufstände in den Arbeiter:innenvierteln oder in der Kolonie Kanaky – all das würde sich mit der Machtübernahme durch den RN-Vorsitzenden Jordan Bardella verstärken, der versuchen wird, ein Zeichen zu setzen, dass er in diesen Bereichen weiter gehen kann als Macron. Die Repression gegen die radikale Linke wird ebenfalls auf der Tagesordnung stehen, da die Sprecher:innen des RN in den letzten Tagen bereits mit großem Tamtam angekündigt haben, gegen die „Ultralinke“ vorgehen zu wollen, und sich so darauf vorbereiten, die von Innenminister Darmanin begonnene Arbeit der Kriminalisierung der Opposition fortzusetzen.

Im Gegensatz zu dem, was Lordon und andere Intellektuelle schreiben, wäre ein solches Regime jedoch nicht faschistisch, sondern entspräche einer härteren und gewalttätigeren fremdenfeindlichen Form des „Bonapartismus“, das heißt einem Regime, in dem das Gravitationszentrum der Macht eher beim Staatsapparat, insbesondere bei der Polizei und der Armee, als im Parlament angesiedelt ist. Trotzki betont diese Unterscheidung zwischen „Bonapartismus“ und Faschismus“ in seinen Texten über Deutschland in den 1930er Jahren, nicht um die Gefahr des ersteren herunterzuspielen (Trotzki kämpft entschieden gegen den blinden Optimismus der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands und verteidigt angesichts der immensen Risiken der Situation eine konsequente Einheitsfrontpolitik), sondern um genau zu bestimmen, wie weit der Zerfall der Weimarer Republik und das Vordringen der faschistischen Kräfte fortgeschritten ist. Wie Ernest Mandel in seiner Broschüre „Über den Faschismus“ zusammenfasste, ist der Faschismus „nicht bloß eine neue Etappe der Stärkung und Verselbständigung der Exekutive des bürgerlichen Staates. Er ist nicht bloß ‚die offene Diktatur des Monopolkapitals‘. Er ist eine besondere Form der ’starken Exekutive‘ und der ‚offenen Diktatur‘, die sich durch völlige Zerschlagung sämtlicher Arbeiterorganisationen – auch der gemäßigten, sicher der sozialdemokratischen – kennzeichnet.“

Hier müssen zwei Dinge hervorgehoben werden. Erstens stehen Bardella und Le Pen anderen Figuren der zeitgenössischen extremen Rechten wie Trump, Bolsonaro, Orban oder Meloni viel näher als Hitler oder Mussolini. Diese „rechtsradikalen“ Kräfte können zwar Teil dessen sein, was Enzo Traverso eine „faschistische Matrix“ nennt, aber alle haben an der Macht die autoritärsten und reaktionärsten Hebel ihrer jeweiligen Regime verstärkt, ohne einen qualitativen Wandel zu vollziehen. Das bedeutet nicht, dass ihre Regierungen nicht brutal, gewalttätig und tödlich sind oder waren, ob man nun über die verschiedenen autoritären und fremdenfeindlichen Politiken hinaus an die Umgestaltung des Obersten Gerichtshofs denkt, die den historischen Angriff auf das Recht auf Abtreibung in den USA ermöglichte, oder an Bolsonaros kriminellen Umgang mit der Pandemie. Diese Art von Macht muss jedoch von faschistischen Regimen unterschieden werden. Solche Regime bleiben Teil des Entwicklungshorizonts des verrottenden Kapitalismus, falls die kapitalistische Krise und die Kriegstendenzen weitere Sprünge machen. Aber sie entsprechen noch nicht der Art von Regime, mit der wir in Frankreich nach den Parlamentswahlen konfrontiert sein werden, falls RN eine absolute Mehrheit erreicht. Man könnte dieser Feststellung die Widersprüche hinzufügen, die dem Projekt und der zusammengestückelten sozialen Basis der RN innewohnen und die sich zuspitzen werden, sobald sie an der Macht ist. Ähnliches gilt für die Grenzen ihrer Mobilisierungsfähigkeit von unten, die nichts mit den paramilitärischen Gruppen faschistischer Organisationen zu tun haben, trotz der Existenz und sogar der Dynamik einiger Gruppierungen, die mehr oder weniger geheime, aber nicht konfliktfreie Beziehungen zur RN unterhalten.

Lordon hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass der bonapartistische Staat in Frankreich, eine Säule des autoritärsten Regimes im Westen, nicht der italienische Staat ist und dass er mehr Werkzeuge für eine sehr harte Offensive bietet, falls die extreme Rechte an die Macht kommt. Giorgia Meloni ist zudem ein Grenzfall der totalen Ausrichtung einer extrem rechten Anführerin auf das US-amerikanische und europäische Establishment, untrennbar verbunden mit ihrem persönlichen Werdegang3 und der Situation des italienischen Imperialismus, der in Europa und in seiner mediterranen Einflusszone geschwächt ist und von schweren wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen ist. Als eine Art „Syriza für die extreme Rechte“ kann das Beispiel der italienischen Anführerin nicht mechanisch übertragen werden, um sich die Situation vorzustellen, falls RN an die Macht kommt. Allerdings ist die Dynamik des Klassenkampfes in Frankreich auch nicht dieselbe wie in Italien, wo die Linke dank der neoliberalen und EU-freundlichen Politik der Freunde der PS rund um die Demokratische Partei, die aus der alten KPI hervorgingen, praktisch verschwunden ist und die stärkste kommunistische Partei des Westens verschwinden ließ. So würden die Offensiven einer extrem rechten Regierung auf Widerstände stoßen, die in Frankreich noch lange nicht liquidiert sind. Es sei denn, man erklärt den 2016 eröffneten Zyklus der Kämpfe vorzeitig für beendet und betrachtet einen möglichen Sieg von oben am 7. Juli als gleichbedeutend mit einer Zerschlagung der Arbeiter:innenbewegung auf der Straße. Trotz der angehäuften Niederlagen ist die Energie der Hunderttausenden, die in den letzten Tagen demonstriert haben, wie auch die der Millionen von Arbeiter:innen, die vor einem Jahr von den Gewerkschaftsführungen mobilisiert wurden, noch lange nicht erloschen.

In einer für das Regime äußerst angespannten Situation, in der Macrons bevorzugtes Szenario darin besteht, den „Zentrumsblock“ wiederzubeleben – koste es, was es wolle –, wäre Bardella sicherlich ein Beschleuniger der „Faschisierung“, der auf eine aufgehetzte und verstärkte Polizei zählen kann. Bardella wäre aber keine omnipotente Macht, die keinen Widerspruch duldet, so wie es Lordon sich eher auf der Grundlage eines Gefühls als auf Grundlage einer Prüfung der Kräfteverhältnisse vorstellt. Dies zu sagen bedeutet nicht, dass man sich die Taschen voll lügt oder dass man es wünschenswert fände, dass die extreme Rechte an die Macht kommt, wie diejenigen behaupten, die die kritischen Stimmen der NFP als „Akzelerationismus“ bezeichnen. Die zunehmende politische Verwurzelung der extremen Rechten bedeutet jedoch, dass man über den Tellerrand hinausblicken muss. Und man muss alle Herausforderungen der Situation berücksichtigen, in der der Kampf gegen alle Formen der Kooptation/Kanalisierung der Massenbewegung eine Schlüsselfrage ist. Wenn man versucht, die Arbeiter:innenavantgarde zu beruhigen und eine soziale Explosion zu verhindern, könnte eine Rückkehr der „rechten Linken“ zu einer tiefen Demoralisierung führen und die Möglichkeiten der extremen Rechten, 2027 an die Macht zu kommen und sich dort zu halten, vervielfachen.

Die „alte“ Volksfront und die Herausforderung einer vom Regime und seinen Parteien unabhängigen Politik

Diese Überlegungen sind unerlässlich, um die zentrale Frage zu beantworten, die vor uns liegt: Wie kann die Dynamik der RN wirklich gebrochen werden, die – unabhängig von ihrem Endergebnis am 7. Juli – seit mehreren Jahren politisch und sozial verwurzelt ist, insbesondere in den armen Schichten? Lordon schlägt vor, den „Gegensatz von ‚Wahlen‘ und ‚Straße'“ zu überwinden und schließt seinen Text mit dem Aufruf, „sich abseits der Institutionen aufzubauen, abseits aller Vermittler, die entweder gescheitert oder in die Logik des institutionellen Gesamtsystems verstrickt sind, offizielle Parteien, Gewerkschaftsbünde“. Doch anstatt den Gegensatz zu überwinden, breitet unser Genosse einen zerstückelten Vorschlag aus, der glauben lässt, dass jede Wahlpolitik mit jeder Politik auf dem Gebiet des Klassenkampfes vereinbar wäre.

Lordon unterschlägt die strategischen Auswirkungen seiner Wahltaktik, indem er die Tatsache ausklammert, dass die Dynamik der NFP auf dem Bewusstsein der Avantgarde-Sektoren lastet und ihre Widerstandsfähigkeit untergraben könnte. Auf der Ebene der Parteikonkurrenz sollte der Kampf auf Leben und Tod zwischen PS-EELV-KPF einerseits und LFI andererseits eine Vorstellung davon vermitteln, warum Wahlpolitik in ihren Auswirkungen nicht neutral ist, so wie die Geschichte der verschiedenen Sequenzen der „Einheit der Linken“ uns ihre Fähigkeit lehrt, die Arbeiter:innenrbewegung zu passivieren/kooptieren. Entgegen der landläufigen Meinung sind die großen Krisenmomente nicht nur durch den Triumph ultrareaktionärer politischer Strömungen gekennzeichnet, sondern auch durch verschiedene Versuche, die Impulse der Arbeiter:innen und der Massen zu kanalisieren, was jedoch systematisch den Boden für die reaktionären Kräfte bereitet.

Eher als aus Hoffnung in die Vereinigung der Linken sündigt Lordon hier aus Anhaftung an eine mythisierte Geschichte der Volksfront in Frankreich. In diesem Zusammenhang schreibt er: „Die wahre Geschichte der Volksfront beginnt nicht am 3. Mai 1936 am Abend des zweiten Wahlgangs, sondern am 11. Mai mit den ersten Arbeitsniederlegungen. Es war jedoch ein Programm von bemerkenswerter Weichheit, das an die Macht gebracht wurde. Das war egal: Er hat eine Situation geschaffen“. Somit wäre das „Butterbrot mit Scheiße“ nicht mehr nur ein schlechter Moment, den es zu überstehen gilt, sondern könnte potenziell eine Bresche für die Massenbewegung schlagen. Lordon übertreibt hier die Möglichkeiten, die ein Wahlsieg schaffen könnte, und schließt sich einer gängigen Idee der „radikalen“ Flügel der institutionellen Linken an, wonach die Eroberung der Macht durch Wahlen eine nützliche, wenn nicht gar unverzichtbare Voraussetzung für jede revolutionäre Bewegung wäre. Leider zeigt die „wahre Geschichte“ der „Volksfront“ genau das Gegenteil.

Diese beginnt weder am 3. noch am 11. Mai 1936, sondern im Februar 1934, als die Arbeitermassen nach faschistischen Unruhen eine Aktionseinheit zwischen der stalinistischen KPF und der sozialdemokratischen SFIO erzwangen. Das Wahlbündnis zwischen den beiden großen französischen Arbeiter:innenparteien und einer Stütze der Dritten Republik, der kleinbürgerlichen Radikalen Partei, wurde in der Tat von der Agenda der sowjetischen Bürokratie diktiert. Diese war darauf bedacht, diplomatische Beziehungen mit Frankreich aufzubauen, um angesichts der Bedrohung durch das Hitler-Regime Verbündete zu gewinnen. Die Politik der KPF spielte eine Rolle als Tauschmittel mit dem französischen Staat, indem sie eine loyale Beziehung zu seinen Institutionen garantierte. Das drückte sich emblematisch in dem Druck der KPF aus, das Volksfrontprogramm abzumildern, ebenso wie in der nationalistischen Wende der Partei oder auch ihrer Verurteilung der Arbeiter:innenmobilisierungen in den Arsenalen von Brest und Toulon im Sommer 1935. Die Arbeiter:innen, die sich den Sparmaßnahmen der Laval-Regierung widersetzten, wurden blutig unterdrückt und von der KPF als „Provokateure“ beschuldigt. Die Volksfront unterhielt somit von Anfang an ein Verhältnis der Zurückhaltung gegenüber den Massen, und das ist auch der Grund, warum die damaligen französischen trotzkistischen Aktivist:innen, die Anfang der 1930er Jahre an vorderster Front für die Verteidigung der Einheit der Arbeiter:innenorganisationen eintraten, einen intensiven politischen Kampf gegen die Volksfront führten.4 Und als 1936 die Massen trotz der Wahl der Volksfrontregierung auf die Straßen gingen, dann nicht, weil sich „eine Situation eröffnet hat“, sondern weil die Volksfront nicht in der Lage war, die bereits existierende Situation, gegen die sie sich in Stellung gebracht hatte, vollständig zu kanalisieren.

Zwar führte die große Streikbewegung mit Fabrikbesetzungen zu sozialen Errungenschaften, aber diese waren das Produkt eines groß angelegten Kampfes und des Willens der Volksfrontregierung, einen Ausweg aus „dieser fürchterlichen Situation, dieser Situation, die ich nicht als revolutionär, sondern als quasi-revolutionär bezeichnet habe“, wie Léon Blum einige Jahre später sagte, zu finden. Diese Politik verhinderte, dass die großen Streiks die Machtverhältnisse im Land dauerhaft umkehren konnten, und führte schnell zu einer Rückkehr der arbeiter:innenfeindlichen, autoritären und fremdenfeindlichen Politik. Die Volksfrontregierung ging schnell zur Repression – auch blutiger – aller Kräfte über, die sie als zu radikal im Land ansah, ob es sich nun um die Kolonisierten handelte, die „eine Welle von Repressionen, Inhaftierungen, die Auflösung von Bewegungen und Erschießungen“5 erlebten, um die antifaschistische radikale Linke, wie bei den Schüssen in Clichy im März 1937, oder um Ausländer:innen, die von einer ultra-fremdenfeindlichen Politik betroffen waren, die ab 1938 von der Rechten und der extremen Rechten diktiert wurde.

Der Mythos um die Volksfront blendet diese Fragen aus und suggeriert, dass eine Politik der Unterstützung für die Abkommen der Einheit der Linken ein einfacher „taktischer“ Moment ohne Konsequenzen wäre.6 Sie steht im Einklang mit dem „Punkt L“, einer von Lordon definierten strategischen Hypothese, die die Kombination aus einer linken Regierung und einer Massenbewegung zum bevorzugten Szenario für die Entfaltung einer revolutionären Bewegung macht. Diese Hypothese überschätzt die Möglichkeiten, die ein Wahlsieg eröffnet, und unterschätzt umgekehrt die Auswirkungen von Wahlillusionen auf die Avantgarde und die Herausforderung, unabhängige revolutionäre Organisationen aufzubauen. Historisch kritisierten solche Organisationen die verschiedenen „Volksfront“-Ausprägungen offen und kämpften gegen die charakteristischen Illusionen und Desillusionierungen ihrer Zeit.7 Damit verteidigten sie die Bedingungen der Möglichkeit für die Art von unabhängiger Politik, die Lordon fordert. Genau in diesem Ansatz liegt die „leninistische“ Logik, auf die sich Lordon beruft, während er Lenin dennoch auf einen Ultra-Pragmatiker und einen Virtuosen der politischen „Taktik“ reduziert.

Lenins strategischer Kompass war jedoch nicht einfach „der Sturz des Kapitalismus“, sondern die entschlossene Verteidigung der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenmassen und ihrer Institutionen vom Staat und von der bürgerlichen Hegemonie. Der Aufbau einer revolutionären Partei, die für eine Orientierung der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten von denjenigen Parteien und Bürokratien, welche sich den herrschenden Klassen unterordnen, kämpft, war eine zentrale Aufgabe, ohne die jede revolutionäre Perspektive neutralisiert zu werden drohte. Die Weigerung, sich den verschiedenen Flügeln des Regimes anzupassen, seien sie liberal (die Kadetten), „radikal“ (die SR) oder sogar bekennende Sozialist:innen und Arbeiter:innen (die Menschewiki), leitete fast 20 Jahre lang den politischen Kampf der Bolschewiki und führte regelmäßig zu Prozessen gegen Lenin wegen „Unnachgiebigkeit“. Es war jedoch diese Logik, die es den russischen Revolutionär:innen 1917 ermöglichte, sich der „Volksfront“ entgegenzustellen, die von der Provisorischen Regierung unter dem Vertreter der liberalen Bourgeoisie Kerenski verkörpert und von den „gemäßigten“ sozialistischen Parteien unterstützt wurde. Sie stellten sich den Versuchen entgegen, die Sowjets der Provisorischen Regierung unterzuordnen und waren gleichzeitig bereit, sie gegen die Bedrohung durch faschistische Kräfte zu verteidigen, wie beim drohenden Kornilowputsch.

Diese Erfahrung war für die Dritte Internationale eine strategische Schule und ein kanonisches Beispiel dafür, dass Revolutionär:innen den Kampf sowohl gegen die reaktionären faschistischen Kräfte als auch gegen die Agent:innen der Eindämmung der Arbeiter:innenbewegung führen müssen. Die verschiedenen Varianten der Volksfront in Frankreich, Spanien und Chile haben letztlich die Machtübernahme des Faschismus vorbereitet, indem sie die Massenkämpfe entwaffneten, die die einzige Kraft sind, die sich ihm entschlossen entgegenstellen kann.

Für eine Einheitsfront im Kampf gegen Macron und die extreme Rechte

In den letzten Tagen hat das Aufkommen der NFP das Gefühl der Dringlichkeit des Kampfes gegen die extreme Rechte in eine Unterstützung für ein Abkommen zwischen Apparaten verwandelt, das auf eine enge Wahlperspektive beschränkt ist. Die Mobilisierung der linken Gewerkschaftszentrale CGT, die sich für eine Kampagne zur aktiven Unterstützung der NFP entschieden hat, ist Teil der gleichen Logik. Die „Neue Volksfront“ läuft nicht nur Gefahr, einen Teil unserer Klassenfeinde zu stärken, wie es immer deutlicher wird (auch für einen Teil derjenigen, die das Bündnis unterstützen), sondern sie lässt auch zentrale Fragen aus, um die extreme Rechte zurückzudrängen.

Das Programm der NFP ist moderater als das der NUPES und will die Linke „glaubwürdig“ machen, nach dem Vorbild des Auftritts von Eric Coquerel (LFI) und Boris Vallaud (PS) beim französischen Unternehmerverband Medef. Damit stellt die NFP die Rückgewinnung der „linken“ Enttäuschten des Macronismus in den Mittelpunkt ihrer Strategie. Diese Politik, die auf die Wähler:innenschaft der städtischen Mittelschichten ausgerichtet ist, trägt dazu bei, die Spaltung unserer Klasse aufrechtzuerhalten und zu vertiefen, indem sie einen Teil der verarmten Arbeiter:innen und Mittelklassen dem reaktionären Block der RN überlässt und der Linken erneut das Gesicht einiger der schlimmsten Feinde der Arbeiter:innen wie François Hollande verleiht. Dass François Ruffin, der in den letzten Jahren vorgab, eine Strategie der Vereinigung der Arbeiter:innenklasse zu vertreten, vom Symbol des „Nie wieder PS“ im Jahr 2016 zum heutigen Hauptarchitekten ihrer Rehabilitierung als Teil der NFP wurde, sagt viel über die laufenden Verschiebungen aus.

Gegen diese Absprachen von oben von Wahlapparaten, die mit dem Segen der Gewerkschaftsführungen geschlossen wurden, ist es notwendig, für eine Einheitsfrontpolitik zu kämpfen, die einen Kampfcharakter hat und wirklich in der Lage ist, Macron und die extreme Rechte zurückzudrängen. Der Kampf um die Renten, der Millionen von Menschen auf die Straße gebracht und die extreme Rechte monatelang zum Schweigen gebracht hat, zeigt, dass Kräfte vorhanden und verfügbar sind. Das gilt auch für die Kämpfe, die sich seit 2016 aneinandergereiht haben, vom Kampf gegen das Arbeitsgesetz über die Gelbwesten bis hin zum Aufstand in den Arbeiter:innenvierteln 2023 oder den Mobilisierungen in Kanaky in den letzten Wochen. Was diesen Dynamiken fehlt, ist eine Führung, die versucht, den Kampf bis zum Ende unerbittlich gegen Macron, die extreme Rechte und ihre Welt zu führen. Eine Führung, die ein klares Aktionsprogramm trägt, das auf den Forderungen unserer gesamten Klasse beruht, kompromisslos im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist und so versucht, sie im Kampf gegen die Großkapitalist:innen zu vereinen.

Nur eine solche Perspektive kann eine Alternative für die Millionen von Arbeiter:innen aufbauen, die die Deklassierung und die Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen erleben. Während ein immer größerer Teil von ihnen die verschiedenen Figuren des „Fremden“ zum Sündenbock für ihre Ressentiments macht, wird es nur im Kampf möglich sein, die Dynamik der extremen Rechten zu untergraben und sie zurückzudrängen, indem das Gefühl der Ohnmacht und die verkümmerten Bestrebungen der „rassifizierten sozialen Konkurrenzen“8 überwunden werden. Um diese Perspektive zu verteidigen, ist es zwingend notwendig, gegen diejenigen zu kämpfen, die von rechts, aus der Mitte oder von links eine Erneuerung des Regimes anstreben und die Kräfte neutralisieren, die sich dem entgegenstellen oder entgegenstellen könnten. Diese Herausforderung ist umso grundlegender in einem Moment der Krise, in dem der nationalistische und kriegerische Druck, der bei weitem nicht nur von der RN ausgeht, starke Faktoren für die Liquidierung der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse sind.

Angesichts der realen Gefahr, die die Verankerung der extremen Rechten darstellt, versucht die von Révolution Permanente im 2. Wahlkreis von Seine-Saint-Denis initiierte Wahlkampagne um Anasse Kazib und Elsa Marcel eine andere Logik zu verkörpern: Kampf statt Kompromiss, Revolution statt Hoffnung auf die Möglichkeit, die schlimmsten Auswüchse des Regimes auszumerzen. Im Gegensatz zu den Organisationen der radikalen Linken, die beschlossen haben, sich in der „Neuen Volksfront“ zu verwässern – wie die NPA-L’Anticapitaliste von Philippe Poutou, der nun in seinen Interviews erklärt, dass er nicht „gegen die Cops“ ist und eine „Einheit des gesamten linken Spektrums“ bis hin zu Hollande fordert –, übernehmen wir die Verantwortung dafür, eine Kampagne gegen den Strom zu führen. Die Rückmeldungen aus den Arbeiter:innenvierteln, in denen die Linke stark bleibt, aber die extreme Rechte auf dem Vormarsch ist und die Enttäuschung über die institutionelle Linke eine starke Demoralisierung nährt, bestärken uns in unserer Überzeugung, dass es darum geht, einen ganz anderen Diskurs zu führen. Denn die Arbeiter:innen und die unteren Schichten in diesem Land haben es allmählich satt, immer wieder neue Brote [oder Kröten] zu schlucken…

Dieser Artikel erschien zuerst am 23. Juni 2024 auf Französisch bei Révolution Permanente. 

Fußnoten

  1. 1.
    In Frankreich hat die trotzkistische Linke eine lange Tradition, an Wahlen teilzunehmen. Es wird übrigens niemandem entgangen sein, dass der Gründungsakt von Révolution Permanente die Präsidentschaftskampagne von Anasse Kazib war, was nur eines von vielen Beispielen für die lange Tradition der Beteiligung von Revolutionär:innen an Wahlen ist. In Argentinien hat die Schwesterorganisation der RP, die PTS, eine linksradikale Wahlkoalition, die FIT-U, initiiert, die nach den letzten Wahlen fünf trotzkistische Abgeordnete im nationalen Parlament hat.
  2. 2.
    Trotz der tiefen strategischen Grenzen der LFI, mit der wir in den letzten Jahren ausführlich diskutiert haben, hat Stathis Kouvélakis Recht, wenn er in Hors-Série daran erinnert, dass Glucksmanns 14 Prozent bei den Europawahlen nicht mit Yannick Jadots gleichwertigem Ergebnis 2019 gleichgesetzt werden können. Die Kampagne von Raphaël Glucksmann war in der Tat eine energische Verteidigung einer Rückkehr zu einer Regierungslinken, die für den Krieg, für europäischen Protektionismus, für die Abschiebung von „illegalen“ Migrant:innen und gegen Mélenchon ist.
  3. 3.
    Wie Gilles Gressani in Le Figaro schrieb, hat Giorgia Meloni im Gegensatz zu Marine Le Pen „nach einer militanten Jugend in den Nachfolgegruppen der faschistischen Partei Italiens einen erstklassigen institutionellen Werdegang hingelegt. Sie war die jüngste Vizepräsidentin der Abgeordnetenkammer, die jüngste Ministerin ohne Geschäftsbereich in der vierten Regierung Berlusconi. Heute ist sie die jüngste und die erste weibliche Vorsitzende des Ministerrats der Italienischen Republik. (…) Die Vereinigung der Rechten in Italien geht auf die Berlusconi-Ära zurück. Melonis einziger Bruch bestand darin, dass sie das Kräfteverhältnis innerhalb der ‚Mitte-Rechts‘-Koalition verändert hat.“
  4. 4.
    Siehe insbesondere „Trotsky et le Front Populaire“ von Jean-Paul Joubert und „Critiques de gauche et opposition révolutionnaire au front populaire (1936-1938)“ von Pierre Broué und Nicole Dorey.
  5. 5.
    Um Daniel Guérin zu zitieren, der in „Front Populaire, révolution manquée“ die Kolonialpolitik der Volksfront beschreibt, deren bekanntestes Symbol die Auflösung des Nordafrikanischen Sterns, einer algerischen Unabhängigkeitsorganisation, ist.
  6. 6.
    1936 polemisierte Trotzki mit der holländischen Revolutionären Sozialistischen Arbeiterpartei (RSAP) über die Volksfront in Spanien und Frankreich und stellte fest: „Die allerwichtigste Frage ist gegenwärtig die der Volksfront. Die linken Zentristen versuchen, diese Frage als ein taktisches oder gar ein technisches Manöver hinzustellen, damit sie mit ihrem Kram im Schatten der Volksfront hausieren gehen können. In Wirklichkeit ist die Volksfront die Hauptfrage proletarischer Klassenstrategie in dieser Epoche.“
  7. 7.
    Zu diesem Thema im Zusammenhang mit der Volksfront in Frankreich siehe „Front populaire, révolution manquée“ von Daniel Guérin. Als Mitglied des linken Flügels der SFIO, der eine Position der kritischen Unterstützung des Bündnisses einnahm, stellte er zum Beispiel fest: „Von allen begangenen Fehlern war der verhängnisvollste, die Arbeiter glauben zu machen, dass die Volksfrontregierung mit sozialistischer Führung und aktiver radikaler Beteiligung irgendwie ihre Regierung sei. Wie Trotzki betonte, waren die Arbeiter nicht in der Lage, den Feind zu erkennen, weil ‚man ihn als Freund verkleidet hatte‘. (…) So wurden die Massen davon abgelenkt, sich selbst zu retten.“
  8. 8.
    Um den Begriff aus Félicien Faurys in den letzten Wochen viel diskutiertem Buch über die Wahlunterstützung für RN, „Des électeurs ordinaires“, zu verwenden. Der Soziologe beleuchtet darin nicht nur die Bedeutung des Rassismus bei der Stimmabgabe für die extreme Rechte, sondern zeigt auch, wie ihr Primat im Bewusstsein der RN-Wähler:innen untrennbar mit einem Gefühl der Ohnmacht verbunden ist, etwas anderes als die Krümel zu fordern, die von den „Ausländern“ „gestohlen“ würden. Faury stellt beispielsweise fest: „Der Anstieg der Grundstückspreise und die Verschärfung der territorialen Konkurrenz, die durch ihre Ansiedlung ausgelöst werden, sind Phänomene, die in erster Linie als Gegebenheiten betrachtet werden, als Ergebnis wirtschaftlicher Prozesse, von denen man nicht annimmt, dass sie bekämpft werden könnten. Diese Resignation steht im Gegensatz zu der Art und Weise, wie nicht-weiße Präsenz, die mit Migration in Verbindung gebracht wird, behandelt wird. Sie werden als vermeidbar angesehen. In den Aussagen meiner Gesprächspartner wird die Einwanderung zu einer politisierten sozialen Tatsache in dem Sinne, dass es in ihren Augen durchaus möglich ist, die Migrationsströme sehr restriktiv zu regulieren, wenn die Politiker dies wirklich wollen würden.“

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