Wie stehen Marxist:innen zum Attentat auf Trump?

25.07.2024, Lesezeit 15 Min.
1
Foto: Jonah Elkowitz/shutterstock.com

Die Bilder vom versuchten Attentat auf Donald Trump gingen um die Welt. Die gesamte bürgerliche Öffentlichkeit zeigte sich entsetzt und verurteilte jede Form von “politischer Gewalt”. Welche Position nehmen Marxist:innen zu diesem Attentat ein?

Am Samstag, den 13. Juli, schoss der 20-jährige Thomas Matthew Crooks bei einer republikanischen Wahlkampfveranstaltung im Bundesstaat Pennsylvania auf Donald Trump. Er befand sich auf einem Flachdach, ungefähr 150 Meter von der Bühne entfernt. Trump erlitt lediglich einen Streifschuss am Ohr, während ein 50-jähriger Zuschauer tödlich getroffen wurde und zwei weitere Zuschauer:innen schwere Verletzungen davon trugen. Wenige Sekunden nach dem Attentatsversuch wurde Brooks von den Scharfschützen des Secret Service erschossen. Während das Sicherheitspersonal Trump von der Bühne eskortieren wollte, richtete sich dieser in kämpferischer Pose auf und es entstand wohl der Schnappschuss des Jahres 2024. Blutend, mit erhobener Faust und US-Flagge im Hintergrund konnte sich Trump damit als nationaler Held darstellen. Dies dürfte seine Chancen bei den Präsidentschaftswahlen im November deutlich verbessern. Über das Motiv des Schützen ist bisher nichts bekannt.

Weltweit zeigten sich die führenden Politiker:innenkreise „entsetzt“ über das Attentat und wünschten Trump eine schnelle Genesung. Joe Biden verurteilte das Attentat als „krank“, solche politische Gewalt habe in Amerika keinen Platz. Ex-Präsidenten Obama, Bush, Clinton und hunderte weitere Politiker:innen aus beiden Lagern der bürgerlichen USA taten es ihm gleich. Auch international scheinen sich alle einig zu sein. Selbst der Kreml verurteilte das Attentat. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat „verabscheuungswürdig“ und wünschte Trump eine rasche Genesung. Unser ewig moralischer Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb in seiner Erklärung: 

„Gewalt darf keinen Platz haben in unserer Demokratie – nicht in Amerika, nicht bei uns. Ächten wir Gewalt in der politischen Auseinandersetzung! Drängen wir Hass und Hetze zurück aus Wahlkämpfen und Debatten!“

Während das Bürgertum die Reihen schließt und die ganze Gesellschaft zur „friedlichen“ Debatte aufruft, hört man von der US-Linken entweder gleichlautende Verurteilungen oder große politische Verwirrung. Die führenden Figuren der sozialdemokratischen „Democratic Socialists of America“ (DSA) Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez verurteilten das Attentat mit den gleichen Argumenten wie ihr Präsident. Sanders schrieb

„I would hope that every American, regardless of political views, condemns the assassination attempt against former President Trump. American democracy must be a clash of ideas, not political violence.“ 

Das einflussreiche Jacobin Magazin schloss sich dieser Position an und forderte die politische Linke auf, mit der Forderung nach einer Verschärfung der Waffengesetze politisch auf das Attentat zu reagieren.

Die sozialdemokratisch degenerierte „Communist Party USA“ (CPUSA) verurteilte „Violence and Terror“, denn diese würden lediglich „Hate and division“ fördern. Die Parteiführung beschwor ihre Mitglieder, an „non-violent forms of struggle“ festzuhalten und bezog sich dabei auf das Erbe von Martin Luther King und der Civil-Rights-Bewegung der 50. und 60. Jahre. 

Auf der anderen Seite gibt es einen breiten, meist unorganisierten Teil der US-Linken, die verschiedenen Verschwörungstheorien anhängen, nach welchen das Attentat in der ein oder anderen Form von Trump, den Behörden, dem Geheimdienst und dem „Deep State“ inszeniert worden sei. Wahlweise, um Trump loszuwerden oder seinen Sieg zu garantieren. 


Auch gibt es einen nicht kleinen Anteil der Bevölkerung, der ein erfolgreiches Attentat auf Trump durchaus als Sieg gefeiert hätte. Mit Trump verbinden solche Menschen zurecht ein ganzes Bündel reaktionärer Politik, angefangen bei seiner restriktiven Migrationspolitik über seine geplanten Angriffe auf den Lebensstandard von Millionen Arbeiter:innen, bis hin zu seiner öffentlichen Unterstützung für den Genozid Israels an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza. Auch in Deutschland waren Ausdrücke des Bedauerns über das Misslingen des Attentats durchaus nicht abwesend. Der bekannte linke Komiker El-Hotzo verlor aufgrund eines Tweets, der in eine solche Richtung ausgelegt werden könnte, seinen Job beim rbb.

All diesen Positionen gelingt es jedoch nicht, den konsequenten Standpunkt der Arbeiter:innenklasse gegenüber solchen Attentatsversuchen einzunehmen. Dies ist jedoch unabdingbar, will man gegen Donald Trumps Präsidentschaft in spe und sein reaktionäres Programm sowie gegen den Aufstieg der internationalen Rechten einen Kampfplan aufstellen, der auch wirklich das Potenzial hat, erfolgreich zu sein. 

Wessen Gewalt?

Zunächst einmal müssen wir uns fragen, was Biden, Scholz, Sanders und Co. überhaupt meinen, wenn sie gebetsmühlenartig die „politische Gewalt“ verurteilen und alle Teile der Gesellschaft zum „friedlichen Aushandeln“ aufrufen. Oberflächlich betrachtet, könnte man annehmen, all diese Herren seien lupenreine Demokraten, die mutig für eine freizügige und offene Gesellschaft streiten, in der jeder ohne Angst seine Meinung sagen kann. Doch diese Rhetorik lenkt von der eigentlichen Bedeutung ihrer Aufrufe ab. Denn innenpolitischer „Frieden“, die Abwesenheit von „politischer Gewalt“ unter kapitalistischer Vergesellschaftung bedeutet nicht den allgemeinen Frieden und die allgemeine Gewaltlosigkeit, sondern lediglich die staatlich verordnete und mit Polizeigewalt durchgesetzte Abwesenheit von Gewalt der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker. Wer wie Biden, Scholz und Sanders leere Phrasen gegen die „politische Gewalt“ drischt, der stärkt dabei nur diejenige Gewalt, die exklusiv vom bürgerlichen Staat zur Aufrechterhaltung der Ausbeutung von Millionen und Abermillionen Lohnsklav:innen angedroht oder notfalls angewandt wird. Das ist die gleiche staatliche Gewalt, die die Ermordung von zahllosen Migrant:innen an den Außengrenzen des jeweiligen Nationalstaates organisiert. Die staatliche Gewalt die Menschen in bitterster Armut vom Brot auf der anderen Seite der Glasscheibe abhält und Menschen gewaltsam aus ihren Wohnungen räumt, sobald sie ihre Miete nicht mehr zahlen können. Diese staatliche Gewalt ist es auch, die Hunger und Tod über all diejenigen Menschen bringt, die das Pech haben, auf der falschen Seite der internationalen Lieferketten geboren zu sein, sie ist es, die heute den Krieg im Jemen, in Nordsyrien, in der Ukraine, die Vernichtung Gazas und die fortgesetzte Besatzung der Westbank zu verantworten hat. Der russische Marxist Leo Trotzki schrieb deshalb in seiner „Rede über den Terror“ von 1911: 

„Und die einzige Frage bleibt, ob die bürgerlichen Politiker das Recht haben, kübelweise moralische Entrüstung über den proletarischen Terrorismus auszugießen, wenn ihr ganzer Staatsapparat mit seinen Gesetzen, seiner Polizei, seiner Armee nichts anderes als ein Apparat für kapitalistischen Terror ist!“

Marxist:innen werden sich daher hüten, allgemeine moralische Verurteilungen gegen die „politische Gewalt“ als solche auszusprechen, denn sie werden nicht freiwillig vor der bürgerlichen Gewalt kapitulieren und sich ihrem „Frieden“, ihrer Ordnung kampflos unterwerfen. Dennoch haben Marxist:innen historisch, wie auch heutzutage Akte des Individuellen Terrorismus stets abgelehnt und terroristische Tendenzen in den Reihen der Arbeiter:innenbewegung stets bekämpft. Dies taten sie jedoch nicht vom Standpunkt der angeblich „universellen“, bürgerlichen Moral, sondern vom Standpunkt der nüchternen Strategie und Taktik der Arbeiter:innenbewegung im Kampf für die Selbstemanzipation des Proletariats. Aus dieser Warte heraus ist auch das Attentat vom 13. Juli ganz eindeutig abzulehnen. Mit der nun folgenden, rein taktischen Begründung dieser Ablehnung dürften die Herren Biden, Scholz und Sanders allerdings weniger zufrieden sein. 

Alexander II., Alexander III. und so weiter

In der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung gab es immer wieder Phasen, in dem sich der individuelle oder organisierte Terrorismus als politische Taktik großer Beliebtheit erfreute. 1878 schoss die damalige russische Sozialrevolutionärin Vera Zasulich auf den Sankt Petersburger Stadtkommandanten Fyodor Trepov, weil dieser die Auspeitschung eines Mitgefangenen angeordnet hatte. Dieser Akt des individuellen Terrors, mit dem Ziel der politischen Rache, trat eine ganze Serie von Terroranschlägen auf führende Politiker und Offiziere des zaristischen Systems los. 1881 mündete dies in die erfolgreiche Ermordnung des Zaren Alexander II. durch zwei Studenten der Gruppe „Narodnaja Wolja“ (genannt die „Narodniki“, d.h. Volkstümler). Zwar war dieses Attentat ein Schock für das Regime, doch auf Alexander II. folgte bald Alexander III., der sogleich damit begann, das zaghafte Reformwerk seines Vaters rückwärts abzuwickeln. Auch gründete er den berüchtigten russischen Geheimdienst „Ochrana“, welcher die Narodniki noch härter verfolgte. Die meisten ihrer Anhänger:innen wurden entweder hingerichtet oder ins Exil nach Sibirien verbannt. Unter den Hingerichteten war auch ein gewisser Alexander Iljitsch Uljanow, der Bruder Lenins.

Nicht nur in Russland war Terror im ausgehenden 19. Jahrhundert ein beliebtes Mittel der politischen Linken. Auch in Westeuropa wurde er regelmäßig angewandt, hauptsächlich von kleinen anarchistischen Untergrundgruppen oder Einzeltäter:innen. Das politische Ziel dahinter: durch die „Propaganda der Tat“ das „Volk aufrütteln“ und zum revolutionären Kampf gegen die Herrschenden ermutigen. Das Attentat auf die österreich-ungarische Kaiserin Elisabeth (Sisi) durch den italienischen Anarchisten Luigi Lucheni im Jahre 1898 ist weltberühmt geworden. Der spanische König Alfons XII. und seine krisengeschüttelte Herrschaft erlebte gleich mehrere erfolglose Attentate durch Anarchist:innen, wiederum beantwortet mit Verfolgung, Verhaftungen und Hinrichtungen von Revolutionär:innen. Nach der Ertränkung der Pariser Kommune im Blutmai 1871 und den darauffolgenden Dekaden tiefer Reaktion und damit einhergehend der enttäuschten Apathie vieler Arbeiter:innen, wurde der Terrorismus auch in Frankreich beliebt. Als Rache für den Schusswaffengebrauch der französischen Polizei gegen die 1. Mai Demonstration von 1891 begannen Anarchist:innen mit einer Serie von Bombenattentaten gegen hochrangige Polizisten und Minister. Im Dezember 1893 warf der französische Anarchist Auguste Vaillant schließlich, wiederum aus Rache für die Hinrichtung einer seiner Genossen, eine selbstgebaute Nagelbombe in den vollen Sitzungsraum der Nationalversammlung. Die Explosion verletzte über 50 Menschen. Vaillant wurde daraufhin ein Schauprozess gemacht und er wurde kurz darauf guillotiniert. Die reaktionäre Regierung von Präsident Jean Casimir-Perier reagierte auf den Anschlag mit der Verhängung von Notstandsgesetzen, die die Pressefreiheit und Organisationsfreiheit der Arbeiter:innenbewegung massiv beschränkten.

Aus diesem kurzen Ausschnitt aus der Geschichte der terroristischen Tendenzen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung lässt sich bereits erkennen, dass es kaum ein Beispiel gibt, in welchem die Ermordung eine:r einzelnen Politiker:in etwas Grundlegendes an den Verhältnissen geändert hätte. Im Gegenteil, alle genannten Versuche, das politische Regime durch Terror zu verändern, oder das „Volk“ zum Kampf zu ermutigen, schlugen letztlich fehl und führten anschließend zu einer Ausweitung staatlicher Verfolgung und gewaltsamer Repression gegen jede Art von Arbeiter:innenorganisation.

Trump I. oder Trump II.? 

Wenn man annimmt, dass der Schütze vom 13. Juli mit der Ermordnung Trumps bezweckte, dass damit „Schlimmstes“ verhindert werden würde, so können wir aus der historischen Erfahrung heraus schließen, dass dem auch heute nicht so wäre. Im Falle einer erfolgreichen Ermordung Trumps wäre ihm ein anderer rechtsradikaler Politiker als Kandidat gefolgt. Wenn man sich das politische Profil seines designierten Vizepräsidenten J. D. Vance anschaut, so lässt sich erkennen, dass dieser ein nahezu deckungsgleiches Programm wie Trump vertritt. Israel solle in Gaza doch bitte „seinen Job zu Ende bringen“, Frauen sollten nicht legal über ihren eigenen Körper entscheiden dürfen, „dirty migrants“ aus Mexico müsse man mit einer Mauer aussperren und die Klimakrise existiere gar nicht. Auch das schnelle Abtreten Bidens und die inoffizielle Designierung von Kamela Harris am Sonntag zeigt gut, wie ersetzbar einzelne Politiker:innen im Parlamentarismus sind und wie wirkungslos eine politische Ermordung Trumps eigentlich wäre. 

Zudem hätten die Republikaner gewiss eine konstruierte Verbindung des Attentäters mit der radikalen Linken oder dem Iran, der Hamas oder auch nur den pro-palästinensischen Studierenden aus dem Hut gezaubert, wie es bereits jetzt getan wird. Die militante Anhängerschaft Trumps hat bereits jetzt Rache geschworen, man stelle sich nur vor, was sie tun würden, wenn Trump einen Märtyrertod gestorben wäre. Das wäre ein kleiner „9.11.-Effekt“ gewesen und unter dem Vorwand der „Terrorbekämpfung“ hätten die Sicherheitsbehörden die perfekte Gelegenheit gehabt, die Daumenschrauben für die US-amerikanische Arbeiter:innen- und Palästinabewegung nur noch härter anzuziehen. Nebenbei laufen die Kriege, die Umweltzerstörung, die Hungerkatastrophen im Kongo, im Sudan und in Gaza ungebremst weiter und das Rad der kapitalistischen Ausbeutung steht keine Sekunde lang still. All diese möglichen Ausgänge würden das reaktionäre Klima in den USA nur verschärfen und die Möglichkeiten der radikalen Linken noch weiter einschränken.

Was stattdessen tun? 

Angenommen, die Mehrheit der Arbeiter:innenbewegung wäre heute der Ansicht, dass man seine politischen Probleme einfach mit dem Revolver lösen kann. Die Konsequenzen für die Möglichkeiten eines erfolgreichen Kampfes wären katastrophal. Die Arbeiter:innenklasse würde nicht länger kollektiv und mit den Kampfmitteln ihrer Klasse handeln, sondern kleine einige wenige Verschwörer:innen würden anstelle der Massen handeln. Diese Aktionsform führt in letzter Konsequenz zur Ersetzung des Klassenkampfes als zentralen Hebel der Befreiung und zur Ersetzung jeder Arbeiter:innenorganisation, wie Gewerkschaften, Aktionskomitees und politische Parteien durch kleine klandestin arbeitendete Verschwörergruppen, die diletantisch zusammengerührten Sprengstoff unter den Autos von Politiker:innen anzubringen versuchen. Was für ein Geschenk wäre das an unsere Klassenfeinde, die im Angesicht dieser vollkommen ineffektiven Kampfmethoden ihre eigene Herrschaft schon verewigt sehen würden! Man denke nur zurück an die Tage im Herbst 1977. Wie kläglich scheiterte doch damals der Versuch, eine bewaffnete „Stadtguerilla“ in der BRD aufzubauen und wie übermächtig erwiesen sich die Gewaltapparate des bürgerlichen Staates bei der Aufspürung und Verhaftung der RAF-Gründer:innen. Nein, der individuelle politische Terrorismus ist zahnlos, er führt in eine Sackgasse und kann nur zu Enttäuschung führen und die politische Apathie der Massen fördern.

Nicht Terror, sondern Streik, der ökonomische und schließlich der politische Massenstreik ist die adäquate Kampfmethode der Arbeiter:innenbewegung. Trotzki schrieb dazu 1911:

„Ein Streik, sogar von mäßigem Umfang, hat soziale Konsequenzen: Stärkung des Selbstvertrauens der Arbeiter, Anwachsen der Gewerkschaften, und nicht selten sogar ein Fortschritt in der Produktionstechnik. Der Mord an einem Fabrikbesitzer bewirkt nur Folgen polizeilicher Natur, oder einen Wechsel der Besitzer, völlig ohne jede soziale Bedeutung. Ob ein terroristischer Anschlag, sogar ein „erfolgreicher“, die herrschende Klasse in Verwirrung stürzt, hängt von den konkreten politischen Umständen ab. In jedem Fall kann die Verwirrung nur kurzlebig sein; der kapitalistische Staat selbst stützt sich nicht auf Minister und kann nicht mit ihnen beseitigt werden. Die Klassen, denen er nützt, werden immer neue Leute finden; der Mechanismus bleibt intakt und funktioniert weiter.“

Im Kampf gegen Trump und den internationalen Rechtsruck, gegen die kapitalistische Krise, die Klimakrise und den Krieg reicht es also nicht aus, das Spitzenpersonal des bürgerlichen Staates auszutauschen – ob mit dem Gewehr oder an der Wahlurne – denn es ist der Staat selbst, welcher das selbstmörderische kapitalistische System solange weiter aufrechterhält, bis von der menschlichen Zivilisation nur Ruinen übrig sind. In gewisser Weise gleichen sich hier terroristische Anarchist:innen und Sozialdemokrat:innen, wie Bernie Sanders in ihrem Politikansatz, beide hoffen sie im Prinzip auf bessere Vertreter:innen, erkennen dabei aber gleichzeitig den politischen Rahmen, den das Bürgertum für sich geschaffen hat als gegebene Größe an.

Der Erfolg von Trumps Kandidatur lebt nicht in erster Linie von seiner Persönlichkeit, sondern ist hingegen von viel tieferen ökonomischen und politischen Ursachen ermöglicht worden. Die schlingernde ökonomische Entwicklung der USA, der relative Niedergang des US-Imperialismus und das Erstarken seiner internationalen Konkurrenten und die daraus resultierende Destabilisierung des Zwei-Parteien-Systems bilden den Hintergrund vor dem Trump aufsteigen konnte. Er schafft es dabei geschickt, Millionen verzweifelte Menschen, die von relativem Abstieg, von Zukunftsängsten und Armut bedroht sind, für sich zu gewinnen, weil er sich das Image eines Kämpfers gegeben hat. Seine Tiraden gegen das professionelle Politestablishment, seine Weigerung, sich deren Politikstil anzueignen, die juristischen Versuche seitens der Demokraten, seine erneute Kandidatur zu verhindern, seine sozialpatriotische Erzählung von „american jobs first“ gepaart mit antimigrantischer Rhetorik und sein Versprechen, den US-Imperialismus wieder zu altem Glanz zu verhelfen, wirkt auf all diejenigen Menschen potenziell anziehend, die sich eine:n „Kämpfer:in“ und keine seelenlose Technokrat:in an der Spitze wünschen, die auch tatsächlich ihre Interessen vertritt. Natürlich plant Trump, genau das nicht zu tun, im Gegenteil, sein „Project 2025“ wäre eine Katastrophe für die Arbeiter:innenklasse, aber durch seine geschickte Demagogie, kann er dieses unzufriedene und potenziell widerständige Wähler:innenpotenzial in der Arbeiter:innenklasse für sich mobilisieren und es damit politisch in reaktionäre Bahnen lenken.

All dies zeigt nur noch deutlicher wie wichtig der Aufbau einer dritten Kraft, einer Arbeiter:innenpartei ist, die nicht nur leere Versprechungen machen kann, sondern die wirklich in der Lage wäre, einen offensiven Kampf für die Interessen der Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung zu führen, einen Kampf für den Sozialismus mit dem Kampfmittel des Massenstreiks. Die Arbeiter:innenbewegung war zu lange ein Anhängsel der Demokratischen Partei, sie kann sich nicht länger von ihnen führen lassen, denn diese Führung verfolgt ganz andere Interessen. Denken wir nur zurück an die großen UAW-Streiks vor knapp einem Jahr. Dort tat die Demokratische Partei alles, um den Arbeitskampf in der US-Autoindustrie mit faulen Kompromissen frühzeitig zu beenden, bevor die Streikbewegung ihr ganzes Potenzial ausgespielt hatte. 

Gerade jetzt, wo die US-Liberalen Kamala Harris als neue Heilsbringerin allen Arbeiter:innen schmackhaft machen möchten, ist es Zeit, sich endgültig von den Demokraten zu trennen und den Aufbau einer unabhängigen sozialistischen und antiimperialistischen Arbeiter:innenpartei, anzugehen, die im Streik, in der Bewegung ihre Stärke findet. Natürlich ist der Aufbau einer solchen Organisation langwierig und man gelangt durch ihn nicht zu zweifelhaftem „Ruhm“ wie durch einen selbstmörderischen Attentatsversuch, mitsamt unschuldiger Toter und Verletzter. Doch sie ist die einzige Arbeit, die sich lohnt, denn nur sie hat das Potenzial, die Herrschenden wirksam herauszufordern, ihren Staat letztlich zu überwinden und den Aufbau des Sozialismus im Weltmaßstab in Angriff zu nehmen.

Mehr zum Thema