Wie sich israelische Geheimagent*innen ins britische Parlament einmischen

17.01.2017, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Sechs Monate lang hat sich ein Undercover-Reporter des Senders „Al-Jazeera“ als Mitglied der britischen Labour Party und Israel-Freund ausgegeben. Mitarbeiter*innen der israelischen Botschaft koordinierten sich mit ihm. Eine vierteilige Dokumentation zeigt, wie pro-zionistische Politik im Westen funktioniert.

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Ein gutbekleideter, ambitionierter junger Mann sitzt in einem Londoner Café. Er redet leidenschaftlich, hat große politische Pläne. Ihm gegenüber sitzt eine Mitarbeiterin eines britischen Parlamentsabgeordneten. Neben ihm sitzt ein weiterer Mann, den er nur als „Robin“ kennt. Robin ist ein vielversprechender junger zionistischer Aktivist, genauso ambitioniert wie sein Mentor. Das Gespräch wird ernst: Der gutbekleidete Mann, ein Mitarbeiter der israelischen Botschaft Namens Shay Masot, schlägt vor, Parlamentsabgeordneten, die nicht zur politischen Linie der israelischen Botschaft passen, „zu Fall zu bringen“ – also mit gezielten Diffamierungskampagnen aus dem Weg zu räumen. Robin hört interessiert zu und beteiligt sich am Gespräch. Mit einer kleinen versteckten Kamera nimmt er das Ganze auch auf. Denn „Robin“ ist ein verdeckter Journalist des bürgerlichen katarischen Nachrichtensenders „Al-Jazeera“ und arbeitet seit sechs Monaten daran, die Einmischung der israelischen Botschaft bei pro-zionistischen Lobby-Gruppen innerhalb der britischen Labour-Partei und anderen Organisationen zu enthüllen.

Masot, unfreiwilliger Protagonist der Dokureihe, ist Ex-Offizier der israelischen Kriegsflotte. Bei dem verdeckten Journalisten gibt er sich als wichtiger Mann in der israelischen Botschaft, der an vielen Strängen zieht und wichtige Menschen kennt. Er stellt „Robin“ anderen Schlüsselfiguren in Gruppen und Organisationen vor, die angeblich unabhängig sind und mit offiziellen israelischen Staatsorganen nichts zu tun haben. Dabei wird klar, dass diese Gruppen zum großen Teil von der Botschaft gesteuert und auch finanziert werden. Einige ihrer Mitarbeiter*innen – wie Ella Rose, Vorsitzende der zionistischen Lobby-Gruppe „Jewish Labour Movement“ – gelangen an ihre Positionen, direkt nachdem sie in der Botschaft gearbeitet haben.

Masot wurde sofort nach der Ausstrahlung der Dokureihe den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Von seiner Stelle in der Botschaft wurde er entlassen, seine Rolle dort wurde in offiziellen Stellungnahmen heruntergespielt. Was man im Dienst machen und sagen soll, das darf man nicht unbedingt auch vor laufender Kamera tun. Jetzt fordern britische Politiker*innen einen Ermittlungsausschuss. Denn die Einmischung eines fremden Staats in der britischen parlamentarischen Politik grenzt für manche an Spionage.

Hintergrund der Reportage

Um die Reportage von Al-Jazeera im Kontext zu verstehen, muss man sich erst die letzten Entwicklungen in der globalen Boykottkampagne gegen israelische Apartheid (BDS) ansehen, bei der Großbritannien als ein Hauptort gilt. Nach den Erfolgen und rapidem Wachstum der Kampagne in letzten Jahren wurde in der israelischen Regierung ein neues Ministerium gebildet, „das Ministerium für strategische Aufklärung“. Ziel des Ministeriums und seines Ministers, Gilad Erdan, ist es, die „Delegitimierung“ Israels und die Boykott-Bewegung zu bekämpfen. Dafür sind anscheinend alle Mittel koscher.

Nachrichtenminister Israel Katz hat letztes Jahr auf einer Anti-BDS-Konferenz in Jerusalem zur „zivilen gezielten Vereitlung“ von BDS-Aktivist*innen aufgerufen. „Gezielte Vereitlung“ ist der militärische Begriff für außergerichtliche Hinrichtungen von palästinensischen Kämpfer*innen, hauptsächlich durch Drohnen. Das Ministerium arbeitet dafür mit den israelischen Botschaften, höchstwahrscheinlich auch mit ihren Sicherheits- und Nachrichtenorganen (also dem Mossad), eng zusammen. Dazu gehört, neben angeblichen Bedrohungen von Menschenrechtsaktivist*innen, auch die Arbeit der Botschaften mit Lobby-Gruppen vor Ort.

Auch in Deutschland

Für Aktivist*innen stellen die Erkenntnisse vielleicht nichts Neues dar. Doch die vierteilige Doku bietet interessante Einsichten in die Arbeit des israelischen Propaganda-Ministeriums. Dieses koordiniert angeblich unabhängige „Graswurzelngruppen“ rund um die Welt. Tatsächlich sind diese Gruppen eher „Astroturf“ (der englische Begriff für „künstlichen Rasen“). Denn sie präsentieren sich als unabhängig und selbstorganisiert, aber repräsentieren in Wirklichkeit mächtige Interessen.

Diese Enthüllungen stellen auch viele Fragen bezüglich der Gruppen, die in Deutschland für den Zionismus aktiv sind: zum Beispiel die AJC, deren Mitarbeiter*innen ehemalige israelische Diplomat*innen sind, deren Berlin-Büro sich vor antimuslimischer Hetze nicht scheut, um seine rassistische Agenda durchzusetzen. Oder Gruppen wie das „Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“ (JFDA), deren Mitarbeiter*innen auf linken Demonstrationen Genoss*innen aufnehmen und im Netz diffamieren, und deren Vertreterin, Lala Süskind, beispielsweise auch Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist.

In Deutschland ist die Situation aber vielleicht doch anders: Viele deutsche Politiker*innen brauchen keine koordinierende Hand der Botschaft, um pro-zionistisch zu agieren. Das gleiche gilt leider seit Kurzem auch für deutsche Universitäten wie die FU in Berlin, die einer rechten Hetzkampagne gegen eine junge Palästina-solidarische Akademikerin gefolgt ist.

Zionismus und Antizionismus

Oft wird der Zusammenhang zwischen Judentum und Zionismus im Mainstream schon so stark etabliert, dass es für vielen Menschen gar nicht mehr so außergewöhnlich vorkommt, wenn angeblich unabhängige jüdische Organisationen im Dienst des zionistischen Staates arbeiten. Um das klarer zu machen, nennt der Journalist Peter Borne in der Al-Jazeera-Sendung ein einfaches Beispiel: Was würde passieren, wenn eine muslimische oder pro-iranische Graswurzel-Organisation sich als von Teheran gesteuert entblößen würde? In Deutschland müssen wir nicht zu theoretischen Fällen greifen: Man muss sich nur die Affäre um die DITIB und das AKP-Regime anschauen. Wo darin die Problematik liegt, ist den meisten hier im Lande hoffentlich klar. Das, was Israel in Großbritannien macht, ist nicht viel anderes.

Für uns als Linke oder Menschen, die sich mit der Palästina-Debatte viel auseinandersetzen, ist der interessanteste Aspekt die wiederkehrende Instrumentalisierung der Antisemitismus-Vorwürfe. Denn in Großbritannien wie in Deutschland dient dieser Vorwurf häufig dazu, um von anderen Debatten abzulenken. Jackie Walker, ein jüdisch-schwarzes Mitglied der Labour Party, deren Engagement für Palästina fast ihre politische Kariere beendet hat, bringt das Thema schön auf den Punkt: „Ich bin Antizionistin, du bist Zionist, lass uns dann diese Debatte führen, statt über angeblichen Antisemitismus zu reden“.

Aber die Zionist*innen sind an einer sachlichen Diskussion zu Palästina und dem Zionismus nicht interessiert, da sie diese Diskussion sehr wahrscheinlich verlieren würden. Es bleibt dann unsere Aufgabe, dafür einzustehen, dass sie trotz aller Hetze weitergeführt wird.

Die vierteilige Al-Jazeera Doku: Teil I, Teil II, Teil III und Teil IV

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