Wie Musk die Brandmauer zu Fall brachte

03.02.2025, Lesezeit 7 Min.
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Foto: photocosmos1 / Shutterstock

Der deutsche Transatlantizismus trumpisiert sich: Mit den Stimmen von Union, FDP und AfD ist am Mittwoch vergangener Woche das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Abstimmung im Bundestag mit Hilfe von Faschist:innen entschieden worden. Dies ist ein klares Symptom der tiefen Krise, die den deutschen Imperialismus durchzieht.

36 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, der die kapitalistische Restauration der DDR einläutete, fiel am vergangenen Mittwoch eine weitaus weniger stark befestigte Mauer, die sowieso sehr niedrig und mit zahlreichen Durchlässen errichtet worden war. Es bedeutet eine beispiellose Rechtsverschiebung des Regimes der BRD: Die sogenannte Brandmauer gegen rechts ist gefallen. Das bedeutet die Integration der AfD in das Regime der BRD. Auch wenn am darauffolgenden vergangenen Freitag aufgrund der Massenproteste die Union damit scheiterte, mit der AfD einen sehr rassistischen Gesetzesentwurf durchzubringen, kaschiert dieser kurzfristige Erfolg von SPD und Grünen nur ihre große Niederlage um den Kampf der Integration der AfD ins Regime. 

Scheitern des AfD-Verbotsverfahren: Niederlage des Linksliberalismus

Während die Union erfolgreich Front mit der AfD machte, wurde über den AfD-Verbotsantrag erst gar nicht abgestimmt. Das Projekt um den Verbotsantrag war das in die Institutionen kanalisierte Produkt aus den Massenprotesten gegen die AfD Anfang 2024, als hunderttausende auf die Straße gingen, weil die Massendeportationsphantasien von Teilen der Partei ans Licht kamen. Dieses Projekt war vor allem im Linksliberalismus populär, während die Union es mehrheitlich ablehnte, wenngleich einer der wichtigsten Initiatoren, Marco Wanderwitz, aus der CDU ist. 

Niemand konnte ernsthaft glauben, dass ein AfD-Verbotsverfahren erfolgreich in dem Sinne werden würde, dass eine Partei, die in allen 16 Landesparlamenten vertreten ist und wahrscheinlich mindestens 20 Prozent bei der Bundestagswahl erhalten wird, tatsächlich vom Bundesverfassungsgericht verboten werden würde. Vielmehr sollte das Verbotsverfahren die Möglichkeit eröffnen, die AfD durch die Drohung mit dem Parteiverbot bzw. mit anderen negativen Folgen, wie einem Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung oder dem Verbot von Teilstrukturen, unter Druck zu setzen. Unter diesem Druck sollte sie sich „demokratisieren“ und zurück an den Tisch der „demokratischen Mitte“ kommen.

Stattdessen kommt die Integration der AfD von Rechts: Die offene US-amerikanische Einflussnahme auf den Bundestagswahlkampf durch Elon Musk und seinen virtuellen Auftritt beim AfD-Parteitag haben den Ausschlag gegeben, dass die Union mit der AfD paktierte. 

Auf kurze Frist erlaubte Merz‘ Pakt mit der AfD einen Disziplinierungsversuch der künftigen Koalitionspartner SPD und Grüne. Die Drohung: Wenn sie zu viel Soziales fordern sollten in einer künftigen Bundesregierung, dann gibt es immer noch die Möglichkeit, sich auf die AfD zu stützen.

Die Gretchenfrage des deutschen Imperialismus: Transatlantizismus oder der Griff nach Osteurasien?

Doch auf lange Sicht dürfte es sich um etwas anderes, um eine längerfristige Orientierung handeln. Die eigentliche Brandmauer galt nicht der AfD als Ganzes, sondern insbesondere dem pro-russischen und an China orientierten Teil der Partei, der mehrheitlich durch den faschistischen Flügel ausgedrückt wird. Der transatlantischere Flügel der AfD, angeführt durch die Co-Vorsitzende Weidel, befindet sich durch Musks Unterstützung im Aufwind. Der nach Osteurasien ausgerichtete Teil befindet sich hingegen in der Defensive – auch durch das Scheitern des AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl, Maximilian Krah, der wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit Russland zurücktreten musste.

Die stetig sinkenden Umfragewerte des BSW zeigen ebenfalls, dass sich mit dem Näherrücken des Amtsantritts Trumps die pro-russischen Positionen abgeschwächt haben. So schien Ende Herbst 2024 ein Einzug in den Bundestag des BSW fast als sicher, während es aktuell in kaum einer Umfrage über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. 

In Wirklichkeit eröffnet so die Stärkung der transatlantischen Position innerhalb der AfD für die CDU-geführte Union die Möglichkeit einer häufigeren Zusammenarbeit. Die CDU ist die historische Säule des transatlantischen Bündnisses der BRD, während die bayerische CSU immer eine gewisse Brücke des Konservatismus nach Osten bilden konnte. 

Natürlich kann sich die Union für eine transatlantische Position auf die Grünen verlassen, die in der Vergangenheit als eine Art Botschafter der US-Regierung innerhalb der Bundesregierung fungierten. Doch die demokratische US-Regierung, der sie „angehörten“, ist abgewählt.

Mögliche Neuorientierung des deutschen Transatlantizismus als Reaktion auf die tiefe Spaltung des US-Imperialismus

Die Spaltung der politischen Lager in den USA ist tief. Diese tiefe Spaltung kann für eine transatlantische Orientierung nicht ohne Folgen bleiben. Die transatlantische Orientierung der Grünen drückt hierbei eher die der Demokratischen Partei aus. Der erstarkte Transatlantizismus in der AfD steht hingegen klar für Trump, der über seinen Verbündeten Musk interveniert. Hinzu kommt, dass eine scharfe Brandmauer eine scharfe Ablehnung der Regierung Trumps bedeuten würde und dass man sich klar gegen den reichsten Menschen der Welt positionieren würde – ein Risiko, das die deutsche Bourgeoisie nicht eingehen will.

Und so geht es bei der Brandmauer um die Gretchenfrage der deutschen Bourgeoisie: Ost oder West? Gerade trumpisiert sich der deutsche Transatlantizismus, der eine Fortführung des Bündnisses mit den USA bedeuten würde, aber auf radikalisierter Grundlage nach innen und geringeren Bündnisleistungen der USA. 

Für die Union bietet so die Stärkung der transatlantischen Position in der AfD die Möglichkeit, Druck auf die Position in der SPD zu machen, die die historische Säule der deutschen Ostpolitik ist und bewusst die Unterstützung für die Ukraine geringer hält, als es sich viele in der Union wünschen, um sich eine bessere Hintertür nach Osten offen zu halten. 

Gleichzeitig deuten die geplanten Maßnahmen von Merz an, wie autoritär eine von ihm geführte Regierung werden könnte. Das bewusste Hinwegsetzen über Europarecht und das deutsche Verfassungsrecht, wie es in den im Bundestag abgestimmten Vorlagen zum Ausdruck kommt, deutet eine Bonapartisierung an, die jedoch ihren ersten Schlag aufgrund der breiten Proteste auf der Straße bereits zwei Tage nach ihrer Geburt erhielt.

Merz als Bundeskanzler: Mehr Autoritarismus und schwacher Bonapart?

Es deutet sich so eine schwache Regierung Merz an, die Tendenzen eines schwachen Bonapartismus haben wird, ständig unter Druck von der AfD, die aller Voraussicht nach die Opposition anführen wird. Noch wird die AfD keine Option für eine Bundesregierung sein. Doch sofern sich die trumpisierte transatlantische Position durchsetzen wird, wird die Union mit ihrer Abspaltung koalieren können. Auch die zunehmende materielle Unterstützung durch Teile der Bourgeoisie sowie eine Relativierung von Positionen durch Weidel, die sagt, dass sie weder für den Austritt aus der EU noch für die Wiedereinführung der D-Mark ist, deuten darauf hin, dass eine AfD-Koalition für die Bourgeoisie durchaus vorstellbar wäre. Doch davor wird es noch zu heftigen Kämpfen innerhalb der AfD kommen. Der faschistische Teil der AfD, der von einem ausgeprägten Anti-US-Amerikanismus geprägt ist, wird versuchen, das zu verhindern. Je nachdem, wie tief die Gräben sein werden, könnte dies bis zu einer Spaltung der AfD führen.

Die Krisentendenzen im Überbau werden immer stärker und zeigen die tiefe Krise des deutschen Imperialismus und seinen Versuch einer Neuausrichtung nach der schroffen Zerstörung seines Wirtschaftsmodells durch den Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Das eröffnet neue Momente der Polarisierung auch nach links, was sich im laufenden Jahr ausdrücken könnte, worauf auch die großen Massenproteste gegen den Pakt der Union mit der AfD hindeuten, wenngleich diese sehr stark vom Wunsch der Wiedererrichtung der Brandmauer geprägt sind. Doch wie vor 36 Jahren ist klar: In der Geschichte werden die Uhren nicht einfach zurückgedreht, sondern laufen weiter.

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