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Wie können wir Antisemitismus bekämpfen? (III)

17.03.2017, Lesezeit 8 Min.
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Nachdem wir im ersten und zweiten Teil dieses Artikels über historische und aktuelle Grundlagen des Antisemitismus geschrieben haben, widmen wir uns nun der Frage, mit welchem Programm er am besten bekämpft wird.

I. Antisemitismus, Antizionismus und Revolution
II. Antisemitismus in der Esoterik und in der „Neuen Rechten“
III. Wie bekämpfen wir Antisemitismus?
IV. Für einen revolutionären Antizionismus!

Am besten wird der Antisemitismus – allgemein gesagt – mit einem Programm der Einheit der Arbeiter*innenklasse gegen das Kapital bekämpft, das die Ideologie des Antisemitismus zusammen mit dem Nationalismus einstampft und durch ein Programm der Führung der Arbeiter*innenklasse unabhängig vom Kapital ersetzt. Dafür ist es gleichermaßen notwendig, die gesellschaftlich wirksame antisemitische Ideologie als eine Form der Unterdrückung anzuerkennen.

Führen wir uns als Kontrapunkt unserer Klasse nochmal den „antikapitalistisch-kapitalistischen“ Charakter des Kleinbürger*innentums vor Augen, das den Antisemitismus am meisten hervorbringt und fördert:

(Das) Kleinbürgertum ist nicht nur eine kapitalistische Klasse, d.h. eine Klasse, die alle kapitalistischen Tendenzen in Miniatur in sich trägt. Es ist zugleich antikapitalistisch. Es hat das starke, wenn auch vage Bewußtsein, vom Großkapital ausgeplündert und ruiniert zu werden. Aber sein Doppelcharakter, seine Lage zwischen zwei Klassen, erlaubt es ihm nicht, die wirkliche Struktur der Gesellschaft und den wirklichen Charakter des Großkapitals zu durchschauen. Es ist unfähig, die tatsächlichen Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen, denn es ahnt, daß für es selbst diese Entwicklung nur tödlich sein kann. Es will antikapitalistisch sein, ohne aufzuhören, kapitalistisch zu sein. Es will den schlechten Charakter des Kapitalismus zerstören, d.h. die Tendenzen, die es selbst ruinieren, und zugleich den ‚guten Grundcharakter‘ des Kapitalismus erhalten, der es ihm erlaubt zu leben und sich zu bereichern. (Abraham Léon: Die jüdische Frage, Kap. 8)

Nicht nur Aufklärung…

Der Kampf gegen den Antisemitismus kann nicht ausschließlich mit Aufklärung über falsche gegen Juden*Jüdinnen gerichtete Vorwürfe geführt werden. Er kann nicht „dekonstruiert“ werden, denn seine „Konstruktion“ ist die bürgerliche Nation selbst.

Es reicht also nicht, die wahre Ansage zu machen, dass die FED-Zentralbank ein Instrument der mehrheitlich weißen und christlichen US-Bourgeoisie und mitnichten eine „zionistische Verschwörung“ ist. Die Belehrung über die Trennung des Staats Israel von „den Juden“ und ihren Interessen, die es als Ganzes gar nicht gibt, die aber mehrheitlich Arbeiter*inneninteressen sind, ist richtig. Doch beendet sie noch nicht das irrationale Vorurteil.

Die marxistische Wissenschaft muss zwar über die Identität von Bank- und Industriekapital im Imperialismus aufklären, denn es gibt keinen Unterschied zwischen „raffendem und schaffendem“ Kapital, sondern die produzierenden Sektoren und die Anlagemärkte sind miteinander verschmolzen. Doch auch das wird nicht genügen, denn wie stets beim Rassismus ist die Dummheit nicht sein Ausgangspunkt, sondern seine Folge.

Wir müssen den Nationalismus als Wurzel des Rassismus ausreißen, indem wir seine Institutionen bekämpfen und Vorurteile in der Arbeiter*innenklasse durch eine klassenkämpferische, sozialistische Weltanschauung ersetzen. Damit der Nationalismus als Grundlage des Antisemitismus „raus aus den Köpfen“ kommt, muss er raus aus den Betrieben, Schulen, Universitäten. Diese Orte müssen für die Sache der internationalen Arbeiter*innenklasse gewonnen werden, sie müssen selbst erkämpft werden. Das wichtigste Gegengift gegen den falschen Vorwurf des „internationalen Juden“ ist proletarischer Internationalismus.

Doch innerhalb des Kapitalismus kämen wir selbst mit einer Partei gar nicht mit der Erziehung nach, soviel neuer Unsinn sprießt aus reaktionären Kleinbürger*innenköpfen hervor und verteilt sich via YouTube und Facebook in den Massen. Allein der Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ ist völlig unzureichend.

…sondern Kampf gegen den Nationalismus

Der irrationale Verdacht, der aus dem Kleinbürger*innentum kommt, reicht bis tief in unsere eigene Klasse hinein. Er kann in der Massenaktion dieser Klasse gegen das „Vaterland“ materiell am schärfsten angegriffen werden, also im politischen Streik gegen die nationalistische Unterdrückung und den „Standort“, gegen die Senkung des Lebensstandards in der Krise, gegen die Unterwerfung Europas und der ganzen Welt durch Kapital aus Deutschland.

Die Perspektive der Zerschlagung des bürgerlichen Nationalstaats zugunsten proletarischer Föderationen ist schließlich die einzig realistische Möglichkeit, den Antisemitismus loszuwerden. Die Arbeiter*innen sind eine Klasse ohne Vaterland, wie die Juden*Jüdinnen in der Diaspora zu einem Volk ohne Vaterland gemacht wurden. Es gibt keine Zuflucht für sie in der bürgerlichen Nation – auch nicht in Israel, aber dazu mehr im vierten Teil unserer Artikelreihe.

Und es gibt keine Zuflucht in der Klassenversöhnung: Das Kapital gibt sich manchmal „philosemitisch“, doch schürt selbst den Nationalismus mit seinen Grenzen, Kriegen und Gesetzen. Im Extremfall der revolutionären Situation griff es, um die organisierte Arbeiter*innenklasse loszuwerden, auf den Faschismus einer kleinbürgerlichen Massenbewegung zurück. Deren Antisemitismus stützte sich zusätzlich zur ideologischen Komponente auf die Aneignung des Besitzes von Jüdinnen*Juden und die Ausschaltung jüdischer Konkurrent*innen.

Das stets schwankende Kleinbürger*innentum, das rassistische Verschwörungstheorien am meisten entwirft und glaubt, das nach jedem Strohhalm des Privateigentums mit Gewalt greift, können wir rein intellektuell nicht überzeugen. Wir können es – wenn überhaupt – nur in der Praxis von der revolutionären Führungsrolle der Arbeiter*innenklasse überzeugen.

Bereits jetzt müssen wir alle antisemitischen Vorurteile besonders in der antiimperialistischen Jugend und in den Organisationen der Linken und der Arbeiter*innenklasse konsequent bekämpfen. Die Einheit der Linken und der Arbeiter*innen wird in der Realität nur auf Grundlage eines Programms geschaffen, das jede Unterdrückung konfrontiert. Besonders braucht die Einheit, die siegreich gegen das Kapital sein kann, eine Freiheit von nationalistischer Ideologie, da sie unserer Klasse am meisten schadet. Daher ist auch ein ideologischer Kampf innerhalb der Linken nötig, um Antisemitismus ernst zu nehmen und nicht zu dulden.

Verteidigung gegen Antisemitismus organisieren

Die Tragödie an der Existenz des „antideutschen Spektrums“ ist, dass es Antisemitismus in der Linken gibt, die Antideutschen ihn aber erstens falsch analysieren, nämlich idealistisch statt materialistisch, und ihm zweitens nichts als eigenen Chauvinismus und Rassismus entgegenzusetzen haben. Viel zu wenige antiimperialistische Gruppen stellen ein Programm gegen Antisemitismus auf und überlassen damit kleinbürgerlich-reaktionären Strömungen das Feld, die Marx durch Adorno und den Internationalismus durch die Israelfahne ersetzt haben.

Wir kämpfen gegen den Antisemitismus nicht nur aus „taktischen“ Gründen, um der Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus entgegenzuwirken. Wir kämpfen auch für die Emanzipation von antisemitischer Unterdrückung, weil dieser Kampf ein Teil des Kampfs für die Emanzipation der Menschheit, den Kommunismus, ist.

Jeder Brandanschlag auf eine Synagoge ist ein Angriff auf dieses Ziel, aber auch jede antisemitische Karikatur auf Facebook, jede antisemitische Parole auf einer Demo. Die Gleichsetzung von Juden*Jüdinnen mit Israel oder dem Judentum mit dem Zionismus dürfen Linke nicht tolerieren. Wir dürfen uns auch von den zahlreichen Codes nicht irritieren lassen – selten fällt direkt das Wort „Jude“ –, wenn antisemitische Bemerkungen gemacht werden. Oft hilft nachfragen, was gemeint ist, und das Gespräch zeigt dann schon, aus welcher Richtung der Wind weht.

Wir sind uns darüber bewusst, dass die notwendigen Übergangsphasen zum Kommunismus die Frage des Antisemitismus nicht sofort lösen können, genauso wie sie die Frauenunterdrückung, die Unterdrückung von LGBTI* oder den Rassismus nicht sofort mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel unter Arbeiter*innenkontrolle und dem politischen Monopol der Arbeiter*innenklasse besiegen werden. Der Antisemitismus wird erst endgültig aufgehoben sein, wenn die Nationalstaaten und seine Vorurteile endgültig aufgehoben sind und es schließlich keine Klassen mehr gibt, also im Kommunismus selbst.

Bis dahin müssen wir überall für den Schutz von Juden*Jüdinnen und ihren Einrichtungen vor Rassismus eintreten und gegen antisemitische Lügen vorgehen. Zu unserem Programm gehört daher, dass das Recht auf freie Ausübung der Religion und Kultur geschützt und das jüdische Leben in Deutschland und weltweit anerkannt werden muss. Die politische Linke und die Gewerkschaften müssen außerdem für die Verteidigung von Juden*Jüdinnen und ihren Einrichtungen gegen Angriffe selbst eintreten, anstatt auf den Staat zu vertrauen.

Im vierten und letzten Teil dieses Artikels stellen wir ein revolutionäres antizionistisches Programm vor.

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