Wie kann Sprache Krieg legitimieren – eine Reflexion angesichts der türkischen Intervention in Afrin

01.02.2018, Lesezeit 8 Min.
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Mit dem türkischen Angriff auf den Kanton in der demokratischen Föderation Nordsyriens begann ein Kampf um eine systematische Deutungshoheit der Wörter wie Krieg und Frieden. Ein Gastbeitrag von Halis Yıldırım.

Die offizielle Sprache titelte diesen Krieg als „Olivenzweig“. Der Olivenzweig, der international für den Frieden steht, ist selbst eine Benennung des Krieges geworden. Der türkische Staat versucht jegliche Bezeichnung zum Krieg zu vermeiden. „Es sei kein Krieg. Es sei eine militärische Operation, die die Grenzen der Türkei in Schutz zu nehmen beabsichtig, die allerdings zeitlich nicht begrenzt sei“, so laut Erdogan.

Der Staat, der die Gesellschaft enthusiastisch in den Krieg mitnehmen will, sorgt dafür, dass die Sprache umgedeutet wird. Das ist gleichzeitig ein sprachliches Bollwerk vor der Realität. Das hat eine lange Tradition und ist eine mächtige Struktur zur Verdeckung der Wahrheit. Das Verhältnis der Sprache als Instrument zur Verdeckung ist international, daher wird in diesem Artikel hingearbeitet, das Universelle in Erdogans Ansatz zur Sprache zu entdecken, obwohl die konkreten Schritte überall unterschiedlich sein können.

Die menschliche Geschichte ist voll mit den Aufständen, Revolutionen, Widerständen, Massenbewegungen, welche auch irgendwann eine gesellschaftliche Hegemonie erreichen. Manche Wörter desqualifizieren sich in der Öffentlichkeit, wie der Krieg, Rassismus, Sexismus usw. Der vernünftige Mensch tritt in der Öffentlichkeit nicht mehr für den Krieg und Rassismus ein. Das ziemt sich nicht. Diesem Menschen würden fast alle Inhalte der Literatur, Philosophie, Religionen, Lehren der Aufklärung usw. widersprechen. Keine Macht kann derzeit ohne weiteres sich als Kriegs- und Rassismuspartei erklären, egal wie viele Kriege und Rassismus diese verursacht.

Deshalb wird der Krieg mit positiv besetzen Wörter zusammengebracht, wie Freiheit, demokratisches Rechte, Frauenrechte und zuletzt der Olivenzweig. Solche Adjektive kehren die Deutung des Wortes um. Beim Zusammenbringen von Freiheit und Krieg wird das Adjektiv das Ziel und der Krieg wird damit nur nebensächliches Mittel dazu. Der Krieg wird sprachlich verdeckt. Man könne nicht mehr den Krieg kritisieren, sondern muss sich damit auseinandersetzen, wie eine*r zu den demokratischen Rechten oder Freiheit usw. stehen würde. Die Diskussion wird bewußt auf diese positiv belegten Wörter verleitet, um die Diskussion über den Krieg zu erschweren.

Diese ganzen Begriffe stehen in weiterem Kontext mit dem Krieg gegen Afrin. Die Türkei würde diese Region befreien um dieses Gebiet den Geflüchteten aus Syrien wieder zur Verfügung stellen. 3.5. Millionen Geflüchteten sollen dort ihr Heimat wiederfinden. So lautet die Ansage Erdogans. Erdogan gelingt es trotzdem nicht, diesen Angriff noch mehr mit Freiheit und Demokratie in Verbindung zu bringen. Weil die Struktur, die er derzeit angreift, noch mehr demokratische Ansätze als in seinem bonapartistischen Regime besitzt, wie die gleiche Vertretung der Frauen und Männer in der dortigen regionalen Struktur und das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Völker und Religion dort, wie die Christen und Moslems, sowie Yeziden usw.

Den Krieg sprachlich zu verdecken geht aus diesem Grund in eine tiefere Ebene hinein. Die sprachliche Verdeckung verkompliziert sich, indem der Krieg als solches nicht existent erklärt wird. Es werden die Unterkategorien des Krieges eingesetzt, um den Krieg zu verharmlosen. Es sei nur eine Operation. Es gehe nur um die Sicherung der Grenze. Es geht natürlich einerseits, dass die Türkei die anderen beteiligten Staaten beruhigen möchte, dass die Türkei diesen Krieg sehr schnell und gezielt beenden werde, wie eine Operation. Die gängige Definition von Carl von Clausewitz bestimmt den Krieg allerdings so: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“ Das zeigt nicht nur die Unhaltbarkeit der These diesen gestarteten Angriff auf Afrin als Operation zu bezeichnen, sondern bestätigt diesen als einen kriegerischen Akt, indem die Türkei ihren Willen dort mit Anwendung der Gewalt zur Geltung bringen will.

Carl von Clausewitz, selbst ein General, hat eine andere Sprache, die nicht verdeckt war. Es ist sehr bezeichnend, dass er in seinem Satz das Personalpronomen „uns“ ins Spiel gebracht hat. Der kriegerische ist nicht das Fremde, sondern wir selbst. Der Bezug auf „wir“, das den Krieg anzettelt, hat eine radikale Offenheit, die viele Menschen zum revoltieren bringen könnte. Deshalb verschwand in dem modernen Sprachgebrauch den Bezug auf wir zwischen Krieg und Krieges. Diese Entfremdung zwischen Subjekt und den Akt schlägt sich in gesellschaftlichem Bewusstsein nieder. Der Krieg wird ohne Subjekt definiert.

Es gibt eine gesellschaftliche Erziehung, die nicht nur auf die Universitäten und Schulen zu beschränken ist. Es ist die Hegemonie bestimmter Ideen, die die Menschen auch erziehen. Die Französische Revolution hat ihre Ideen auf die Welt ausgebreitet. Gleichheit, Geschwisterlichkeit und Freiheit. Diese universalen Werte, die sich allerdings in Rahmen der Nationen stattfinden, setzen ihre Beschränkung voraus. Wenn der Rassismus z.B. an den Schulen und Universitäten behandelt wird, wird er als ein Gegensatz zur Gleichheit der Menschen verstanden. Der Rassismus wird allerdings achronologisch und inhaltsleer dargestellt. Der Rassismus, der einmal gegeben haben soll, habe man derzeit in der modernen Gesellschaft überwunden. Die Gesetze, die Menschen daran hindern würden, die gleiche Rechte im Staat zu erhalten, sind längst verschwunden, also sei das ein Akt der Vergangenheit.

Die Transformation des Rassismus bedeutet nicht, dass der alte Rassismus verschwunden ist. Die Kultur als festes und unveränderbares Element zu betrachten ist eine andere Erscheinung des Rassismus. Der Rassismus durch die Bürgerrechte ist die inzwischen gerechtfertigte Formation des Rassismus. So werden aus der Gesellschaft, zumindest in den westlichen Ländern nicht die Leute mit einer bestimmten Hautfarbe oder Religion offiziell ausgeschlossen. Dass sich die Armut und Arbeitslosigkeit immer noch zum größten Teil nach Farben, Religion und Nationalität sich einfach in großten teil bestimmen lässt, weist auf ein anderes Merkmal dieser Transformation hin. Der Rassismus ist nach den vorhandenen Rechten der Menschen bestimmt. Ein Teil der Gesellschaft werden von Bürgerrechten wie Aufenthalt und Arbeitsrecht ausgeschlossen oder beschränkt, so dass diese nicht Vollständig in die Gesellschaft aufgenommen sind. Die Türkei will die Menschen wieder nach Syrien zurückschicken, die seit Jahren in der Türkei als Geflüchtete leben und kein volles Staatsrecht bekommen. Diese werden jedes Mal von der Türkei am Verhandlungstisch instrumentalisiert, wie bei den Gesprächen bei so genannten Geflüchteten Krise mit der EU und jetzt beim Afrin Krieg. Es gibt in der arabischen Bevölkerung in der Türkei Staatsbürger, denen die Geflüchten nicht gleichgestellt sind, obwohl sie die gleiche Sprache, Religion usw. besitzen. Die Parteien wie AKP, MHP und CHP sind sich einig, diese Geflüchteten nach Syrien wieder abzuschieben, sie sind sich nur nicht einig wann. „Der Rassismus sei nur eine überwundene historische Erscheinung“, dient als Aussage den jetzigen Rassismus zu legitimieren.

Das zweite Erklärungsmuster des Rassismus ist, dass dieser Beispiele erzählt wird, die mit der türkischen Gesellschaft nicht zu tun hätte. Der Rassismus fand in Afrika, oder in den USA oder in Europa statt. Die Türkei habe sowas nicht erlebt. So haben wir einen Begriff von Rassismus, der historisch nicht mit der türkischen Gesellschaft zu tun hatte, geschweige denn den jetzigen Rassismus als existent zu bestimmen. Der Unterschied wird in Bezug auf Genozide klar, während in Deutschland Holocaust anerkannt und den Rassismus durch die Zerstörung der Nazi Herrschaft überwunden sieht und den Rassismus höchstens als Politik der marginalen Gruppen definiert, bleibt in der Türkei Genozid immer noch nicht anerkannt, so dass die Legitimation für den Genozid sich in der Gesellschaft durchschlägt. Wer Landesverräter wie die Armenier*innen sei, wird genauso bestraft. Dieses ungeschriebene Gesetz des türkischen Nationalismus entlädt sich gerade in der Diskussion: Wer den Krieg als Krieg bezeichnet, ist Landesverräter*in. Das Universelle haben wir in diesem Fall bereits entdeckt: In den Beschreibungen verschwindet das Subjekt, wenn höchstens taucht es nur in fremden Kontexten zumal wird das Verhältnis zur gegenwärtigen und bestehenden eigenen Gesellschaft ignoriert oder relativiert. Begriffe wie Rassismus und Krieg sind sehr eng definiert, um den aktuellen Ausdruck zu leugnen. Jeder Verstoß gegen dieses Tabu wird bestraft. Der politische Kampf beginnt in der Türkei, um die sprachliche Hegemonie. Wer über den Krieg reden musste, muss erst mal erringen, dass ein Krieg existiert. Wenn international über den Krieg gesprochen wird, stört es den sprachlichen Betrieb der herrschenden Hegemonie in der Türkei.

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