Wie im Mittelalter…
// Studentische Kämpfe gegen ständische Pseudodemokratie an den Unis
und marxistische Alternativen für die Studierendenbewegung //
Nach den großen Bildungsstreiks in den Jahren 2009 und 2010 haben die deutschen Universitäten keine großen Kämpfe der Studierenden mehr gesehen.[1] Viele AktivistInnen der „alten“ Generation haben sich zurückgezogen, die Neuen haben ihre Kämpfe noch nicht begonnen. Wir von RIO (als überwiegend studentische Gruppe) konnten jedoch im letzten Jahr an kleineren Kämpfen an zwei Universitäten teilnehmen. Sowohl an der Münchner LMU als auch an der Berliner FU handelte es sich um demokratische Kämpfe, in denen die Studierenden sich gegen die selbst für bürgerliche Verhältnisse zutiefst undemokratischen Strukturen wehrten.
An der Ludwigs-Maximilians-Universität intervenieren wir seit den Bildungsstreiks als Teil des Arbeitskreis Gewerkschaften (AKG) des Studierendenkonvents. Im Sinne der Einheit von Arbeitenden und Studierenden versuchten wir mit unabhängigen Studierenden, Kämpfe an der Uni mit den Kämpfen der Lohnabhängigen zu verbinden. Unabhängige, linke Meinungsäußerungen in Verteidigung der Interessen der lohnabhängig Beschäftigten waren der studentischen Bürokratie ein Dorn im Auge und Mitte des Jahres wurde dem AKG das öffentliche Rederecht entzogen.[2] Später erregte die im Hinterzimmer ausgehandelte Entscheidung der Universitätsleitung, Annette Schavan – als Bildungsministerin verantwortlich für eine Reihe von neoliberalen Attacken – in den Hochschulrat der LMU zu berufen, Empörung bei den aktiven Studierenden.[3] Mehre Fachschaften und Hochschulgruppen protestierten gegen diese Berufung, möglich geworden nur durch die undemokratischen Strukturen der Universität.
An der Freien Universität in Berlin wurde in ähnlicher Hinterzimmermanier im letzten Jahr vom Präsidium eine neue, repressive Rahmenstudien- und -prüfungsordnung (RSPO) entworfen. Durch den beharrlichen Widerstand von Studierenden, die über ein Semester lang mit aller Kraft die Sitzungen des Akademischen Senats sprengten, konnte das Präsidium sie allerdings erst im März diesen Jahres durchsetzen. Wir von RIO intervenierten im Rahmen von Waffen der Kritik in diese Proteste.[4]
In beiden Fällen wurden die Proteste im Wesentlichen von kleinen Kernen von AktivistInnen getragen. An der FU konnten sich durch die Teilnahme von hunderten Studierenden an den einzelnen Vollversammlungen und Blockaden Elemente einer Bewegung entwickeln. Jedoch an beiden Unis sahen wir Kämpfe gegen die undemokratischen Strukturen, die aufgrund ihrer unzureichenden Programmatik keine Aktivität der Massen der Studierenden entfalten konnten und damit letztlich nicht von Erfolg gekrönt waren. Welches Programm braucht aber nun eine kämpferische Studierendenbewegung?
Die Un-Demokratie an den Unis
An an den Unis sind die elementarsten Grundsätze auch nur bürgerlich-parlamentarischer Demokratie nicht umgesetzt. Konfrontiert mit einer linken Mehrheit unter den aktiven Studierenden infolge der 68er-Bewegung, stellte die herrschende Klasse mittels eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von 1973 sicher, dass in den universitären Gremien ihre Interessen durchgesetzt würden: Die absolute Mehrheit in den Akademischen Senaten wird von den ProfessorInnen gestellt, obwohl sie unter den Angehörigen der Universitäten immer klar in der Minderheit sind.
In manchen Teilen der BRD gingen die Herrschenden noch weiter: In Bayern ist die verfasste Studierendenschaft (Studierendenparlamente und Asten) ganz abgeschafft. Im restlichen Bundesgebiet ist sie durch das sogenannte hochschulpolitische Mandat darauf konditioniert, sich bloß mit universitärem Klein-Klein zu beschäftigen, zu „außeruniversitären“ politischen Themen darf sie sich nicht äußern.
Darüber hinaus werden die Studierenden durch die neoliberalen Angriffe der letzten Jahrzehnte (wie die Umstellung auf das Bachelor/Master-System) so stark atomisiert, dass für viele an die Wahrnehmung der demokratischen Rechte gar nicht zu denken ist: Wenn der Zeitplan voll ist mit immer neuem Unistress, der Notwendigkeit der Lohnarbeit und vielem mehr, wer soll dann noch die Zeit finden, sich außerdem an kraft- und zeitintensiven politischen Auseinandersetzungen zu beteiligen?
Das Hinterzimmer
In den Kämpfen standen wir oft Seite an Seite mit engagierten AktivistInnen, von denen viele reformistisch oder vor allem autonom geprägt sind. Wir halten es aber für wichtig, innerhalb der AktivistInnen zu einer Klärung beizutragen, warum diese Strategien die Kämpfe beschränken und so letztlich in eine Sackgasse führen.
In den Kämpfen an der LMU und der FU konnten wir beobachten, wie sich studentische ReformistInnen unter dem Vorwand des Pragmatismus darauf konzentrierten, Arbeit in den Gremien zu machen. Man versuchte zum Beispiel an der FU, in Sitzungen des Akademischen Senats (AS) mit Anfragen und Anträgen zur Tagesordnung sowie durch Verhandlungen mit einzelnen ProfessorInnen die RSPO zu verhindern oder wenigstens abzuschwächen. Die Bewegung der Studierenden war dabei faktisch zur Unterstützung der Gremienarbeit da. Letztlich führt so etwas zu einer politischen Arbeit, in der sich einzelne Wenige, die Zeit und Nerven haben, die Paragraphen in die Schlacht zu reiten, abkoppeln von den Studierenden. Anstatt dem Aufbau breiten Widerstandes der Studierenden zu dienen, entwickelt sich so eine Hinterzimmerpolitik.
Autonome AktivistInnen, gerade an den Berliner Unis recht stark, setzen zwar in Worten deutlich mehr auf die Selbsttätigkeit der Studierenden, ihre politischen Konzepte führen in der Realität leider zum Gegenteil: Strukturiert im AStA und den Fachschaftsinitiativen haben sie eine deutlich breite Basis unter den Studierenden. Doch da richten sie sich unglücklicherweise auch ein: Nicht nur, dass sie gerade an der FU Berlin in geradezu erschreckender Angst vor der möglichen Repression mit teilweise absurd technischen Diskussionen das hochschulpolitische Mandat durchsetzen; in den Kämpfen setzen sie auf kleine Gruppen von AktivistInnen, die nach Konsens- und Initiativprinzip arbeiten. Dadurch vereinzeln sie aber die Kämpfenden und schließen faktisch Studierende von der Aktion aus, die nicht an langen AktivistInnentreffen teilnehmen und alles stundenlang bis zum Konsens ausdiskutieren können. Dagegen betonen wir als MarxistInnen, dass die Kämpfe auf Vollversammlungen aller kämpfenden Studierenden diskutiert werden müssen: Diese sind Räume, an denen die Schritte diskutiert und in demokratischen Mehrheitsentscheidungen beschlossen werden müssen, die SprecherInnen der Kämpfe müssen ebenfalls demokratisch gewählt und wenn nötig auch abgewählt werden können.
Rückzug in die Uni?
Die Organisierung und das Bewusstsein der Studierenden sind zweifellos am Boden. Die kapitalistische Atomisierung verhindert eine breite Beteiligung an gemeinsamen Kämpfen, seien sie an der Universität selbst oder außerhalb ihrer. Zudem führt die bürgerliche Ideologie zu einem unerträglichen Bewusstsein, man gehöre zu den „Chefs von Morgen“, wodurch die Mehrheit der Studierenden nicht ihre gemeinsamen Interessen mit den Lohnabhängigen erkennt und somit auch nicht die Notwendigkeit, diese zu unterstützen und sich mit ihnen zu verbinden. Dabei ist ein Großteil der Studierenden schon jetzt dazu gezwungen, zu arbeiten, und die allermeisten von ihnen werden nach dem Studium in prekären Verhältnissen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen.
Die vorherrschenden Vorstellungen unter studentischen AktivistInnen, sei es in den Bildungsstreiks oder in den aktuellen demokratischen Kämpfen, kann dem nicht viel entgegensetzen. Die Utopie einer freien, selbstbestimmten Bildung, quasi eines Freiraums Uni, ist eine Überbetonung des Humboldtschen Bildungsideals, das bereits von Marx als losgelöst von der realen sozialen Situation der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung erkannt wurde. Wir als Studierende können eben nicht im Kapitalismus einfach nur für uns lernen – wir brauchen eine Orientierung auf die lohnabhängige Mehrheit, die ArbeiterInnenklasse.
Es ist für uns MarxistInnen unzweifelhaft, dass wir die Demokratisierung der Uni nicht ohne die Beschäftigten an der Uni selbst erkämpfen können – letztlich nicht ohne die Werktätigen insgesamt. Wollen wir eine Universität, in der die Studierenden nicht im Sinne des Kapitals ausgebildet werden, müssen wir das Programm einer Uni im Dienste der Unterdrückten aufstellen.
Das heißt zum Einen: Die Universität im Kapitalismus dient der Ausbildung hoch qualifizierter ArbeiterInnen und Intellektuellen für das Kapital – eine kämpferische Studierendenbewegung muss der Ort der Ausbildung von Kadern und Intellektuellen der ArbeiterInnenklasse und der unterdrückten Schichten der Bevölkerung sein.
Zum Anderen: Wenn die Demokratisierung der Uni ohne die Lohnabhängigen nicht zu machen ist, müssen wir auch die fortschreitende Elitisierung der Universitäten im Allgemeinen angreifen. Ein zentraler Punkt einer kämpferischen Studierendenbewegung muss die Öffnung der Universitäten sein: Mit der Abschaffung des NCs muss ein breiter Zugang zur Uni ermöglicht werden. Sie muss ein Raum werden, wo alle, die wollen, hohe Bildung genießen können, unabhängig davon, ob sie aus AkademikerInnenhaushalten oder den Kernsektoren der ArbeiterInnenklasse kommen. Die Uni muss von den Arbeitenden und Lernenden selbst kontrolliert werden. Wir müssen fordern, dass jedeR Angehörige der Uni eine Stimme hat, im Gegensatz zu der jetzigen erzwungenen Überrepräsentation der ProfessorInnen.
Eine Universität im Dienste der Unterdrückten kann auch ganz praktisch sein: Als die ArbeiterInnen der mittlerweile emblematischen Keramikfabrik Zanon in Neuquén (Argentinien) in Reaktion auf die Schließung die Produktionsmittel an sich rissen und seitdem in Selbstverwaltung produzieren, stellten Studierende und Beschäftige der örtlichen Universität ihr technisches Wissen zur Verfügung, damit die ArbeiterInnen den Produktionsprozess reorganisieren und verbessern konnten.[5] Darüber hinaus haben Studierende enorme Möglichkeiten, ArbeiterInnen bei Streiks und Kämpfen zu unterstützen, nicht nur in Buenos Aires bei dem Streik in der Lebensmittelfabrik Kraft im Jahr 2009, als sich hunderte Studierende an Blockaden der zentralen Zufahrtsstraßen beteiligten, sondern auch beispielsweise beim aktuellen Streik im Einzelhandel, wo Studierende der Berliner Universitäten regelmäßig an Streikposten teilnehmen und dort zum Beispiel Aktionen tragen, die die Beschäftigten selbst aus Angst vor Repression durch die Bosse nicht durchführen wollen oder können.[6]
Letztendlich brauchen wir auch hier eine starke und breite Mobilisierung in der Gesellschaft, ein Bündnis mit der ArbeiterInnenklasse. Denn eine wirklich freie Bildung kann es nur in der freien, klassenlosen Gesellschaft geben.
Fußnoten
[1]. Für eine ausführliche Bilanz der Bildungsstreiks und ein marxistisches Programm für die Uni, siehe die Broschüre: Der Bildungsstreik: Hintergründe, Bilanz und Perspektiven der bundesweiten Proteste von SchülerInnen, Studierenden und Azubis.
[2]. AK Gewerkschaften: Erstreiten wir uns das Recht auf Redefreiheit und Meinungsäußerung!
[3]. AK Gewerkschaften: Stellungnahme zur Berufung der Elite- und Plagiatsministerin Schavan in den Hochschulrat der LMU.
[4]. Waffen der Kritik: Kleiner Aufstand an der FU. In: Klasse Gegen Klasse Nr. 6.
[5]. Siehe die Broschüre: Zanon gehört den ArbeiterInnen!
[6]. Wladek Flakin: Studierende in Solidarität mit den Streiks.