Wie erkämpfen wir die Arbeitszeitverkürzung?

04.05.2023, Lesezeit 7 Min.
1
Foto: Simon Zinnstein

Nachdem die IG Metall ankündigte, bereits in den kommenden Tarifrunden in der Stahlindustrie für eine 4-Tage-Woche einzustehen, entbrannte nun rund um den 1. Mai erneut die Diskussion.

Die IG Metall fordert in Vorbereitung auf die kommenden Tarifverhandlungen in der Metallbranche eine 32-Stunden- bzw. Vier-Tage-Woche – bei vollem Lohnausgleich. Mehr als 100 Jahre nach der Erkämpfung der 40-Stunden-Woche durch die Novemberrevolution wäre eine solche Forderung angesichts der enormen Produktivitätssteigerungen – insbesondere in den imperialistischen Zentren wie Deutschland – gesamtgesellschaftlich absolut durchsetzbar. Einzig die kapitalistische Profitlogik verhindert es, dass Produktivitätssteigerungen zur Entlastung von der Arbeit und zur Herstellung von mehr Freizeit eingesetzt werden.

Die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, argumentiert für eine 4-Tage-Woche, da es Studien gebe, „wonach Menschen in einer auf vier Arbeitstage reduzierten Woche effektiver arbeiten“, da diese die Zufriedenheit der Arbeiter:innen erhöht. „Sicher braucht man einen Lohnausgleich“, so Esken weiter, da bereits jetzt viele nicht von ihrem Lohn leben können.
Hermann Gröhe (CDU), stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, reagierte folgendermaßen auf Eskens Forderung: „In Zeiten von Fachkräftemangel die Arbeitszeit zu verkürzen und die Arbeit zu verteuern, würde der Wettbewerbsfähigkeit einen Bärendienst erweisen“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Auf dem Weg wirtschaftlicher Vernunft zeigt sich die SPD-Chefin einmal mehr als Geisterfahrerin.“

Die ehemalige SPD-Generalsekretärin und jetzige Vorsitzende des DGB, Yasmin Fahimi, möchte sich hingegen nicht allgemein für eine 4-Tage-Woche aussprechen. Dies müsse „in jeder Branche“ und „vor allem über Tarifverträge geklärt und abgesichert sein“, sagte sie im Deutschlandfunk.

Die Senatorin für Arbeit und Soziales im neuen Berliner Senat, Cansel Kiziltepe (SPD), begrüßte die Diskussion in Hinblick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes: „In den kommenden acht Jahren werden mehr als 44.000 Mitarbeitende der Berliner Verwaltung in Rente gehen. Wenn wir als Land Berlin ein attraktiver Arbeitgeber sein wollen, müssen wir jungen Menschen gute Angebote machen, wenn wir sie für Jobs in der Verwaltung begeistern wollen.“ Deshalb erwägt sie ein Modellprojekt für die Berliner Verwaltung.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai erklärte, in Zeiten des Fachkräftemangels sei ein Vorstoß für eine Vier-Tage-Woche „befremdlich“. „Mit einer Verkürzung der Arbeitszeit würde man dem Wirtschaftsstandort Deutschland massiv schaden und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes gefährden“.

In typisch sozialpartnerschaftlicher Manier argumentiert hingegen der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, gerade unter dem Aspekt der „Wettbewerbsfähigkeit“ für die Vier-Tage-Woche, unter anderem auch mit einem seiner Meinung nach feministischen Aspekt. So ist er der Ansicht, ein 32-Stunden-Modell würde mehr Frauen zur Rückkehr an Vollzeitarbeit bewegen, da nun Lohnarbeit und Care-Arbeit in der Familie nun unter einen Hut passen würden.

„Würden nur zehn Prozent der Frauen in Teilzeit auf die Vier-Tage-Vollzeit gehen, würde das Arbeitsvolumen stärker steigen als durch die von der Regierung angestrebte Fachkräfteeinwanderung von 400.000 Menschen pro Jahr“, so Hofmann.

Der Arbeitgeber:innenverband BDA hat Forderungen nach einer 4 Tage Woche mit Lohnausgleich scharf zurückgewiesen. »Deutlich weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich – wirtschaftlich ist das eine Milchmädchenrechnung«, so Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. »Nur mit mehr Bock auf Arbeit und Innovationen werden wir unseren Sozialstaat und den Klimaschutz auf Dauer finanzieren können.«

Warum bürgerliche Argumente uns in der Diskussion nicht weiter bringen

Die Diskussion, die die IG Metall mit ihrer Forderung für eine 32 Stunden Woche eröffnete, ist wichtig. Dazu muss gesagt werden, dass in der Stahl- und Autoindustrie bereits eine 35 Stunden Woche besteht, die tatsächliche Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich im Vorschlag der IG Metall also lediglich drei Stunden die Woche betrifft. Für Millionen von Arbeiter:innen, die bisher 40 Stunden pro Woche arbeiten müssen, wird diese Forderung seitens der IG Metall vorerst nicht formuliert.

Dabei dürfen wir jedoch nicht stehenbleiben. Wir müssen dafür kämpfen, dass in allen Branchen und Betrieb die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf ein Minimum reduziert wird. Doch wie können wir dieses Ziel erreichen?

Alle oben aufgeführten Argumente des Für und Wider haben im Kern eines gemein: ihren bürgerlichen Charakter. Entweder ist man dafür, um angesichts von Fachkräftemangel aufgrund verheerender Arbeitsbedingungen die Lohnarbeit attraktiver zu machen und so die Produktivität zu steigern und Care-Arbeit und Lohnarbeit zu verbinden, oder aber man ist dagegen, weil die 4-Tage-Woche den Fachkräftemangel ankurbeln und die Gewinne von Aktionär:innen und Besitzenden minimieren würde. Besonders deutlich wird dieses Dilemma in den Vorschlägen, die nicht wie die IG Metall die 32-Stunden-Woche formulieren, sondern die Vier-Tage-Woche ausgehend von der bisherigen 40-Stunden-Vollzeit diskutieren. Hier wird dann gleich gar keine Arbeitszeitverkürzung mehr angenommen, sondern einfach die Aufteilung der 40 Wochenstunden auf vier statt fünf Tage – also eine Mehrbelastung und die Öffnung von zehnstündigen Arbeitstagen als neuen Normalfall. Oder aber die Verkürzung der Arbeitszeit geht mit einem Lohnverlust einher.

Dass es auch andere Möglichkeiten gibt, zeigt ein Blick nach Argentinien: Die PTS (Partei der sozialistischen Arbeiter:innen) ist wie RIO mit unserer Zeitung, Klasse gegen Klasse, Teil einer internationalen Strömung, der FT-CI (Trotzkistische Fraktion für die Vierte Internationale). Sie fordert in ihrem Wahlkampf die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich sowie die Verteilung der Arbeit, um so die Gewinne der Kapitalist:innen anzugreifen und so gegen die Krise zu kämpfen.

Ähnlich muss die Diskussion hier in Deutschland geführt werden. Die 32-Stunden-Woche der IG Metall ist vor allem dann ein progressives Vorbild für alle Sektoren der Arbeiter:innenklasse, wenn sie die Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und ohne Arbeitsverdichtung beinhaltet. Sie darf kein Hintertürchen für Kapitalist:innen sein, die Arbeitszeitregelungen, die erkämpft wurden, zu umgehen.

Wenn sie real erkämpft werden kann, kann diese Forderung ein Weg sein, um den Kämpfen gegen die Krise und für einen Inflationsausgleich eine offensive Perspektive und neuen Atem zu geben. Schenken werden uns die Kapitalist:innen und die Regierung dies nicht. . Erkämpfen müssen wir die 30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich selbst, mit Wohlwollen der herrschenden Klasse werden wir nur eine entstellte Version einer 4 Tage Woche bekommen.

Um zum Beginn dieses Textes zurück zu kommen: Die 40-Stunden-Woche existiert seit über 100 Jahren. Die Steigerung der Produktivität im Kapitalismus seitdem hat nicht zu weiteren Reduzierung der Arbeitszeit geführt, sondern einzig zu höheren Profiten der Kapitalist:innen. Das zeigt selbst die aktuelle Krise: Während aufgrund der Inflation Reallohnverluste in der Mehrheit der Bevölkerung stattfinden, haben Großkonzerne Rekordprofite gemacht. Wir wollen Produktivität nicht im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft steigern. Nein, die 4 Tage Woche und die erhöhte Produktivität müssen zum Ziel haben, die Arbeit auf ein Minimum zu reduzieren.

Der einzige Weg, dass die Steigerung der Produktivität in der Verringerung der Arbeitslast für die Gesamtheit der Arbeiter:innenklasse mündet, ist durch die Überwindung des Kapitalismus selbst, durch eine demokratisch geplante sozialistische Wirtschaft. Der offensive Kampf für die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich kann ein Sprungbrett sein, um Millionen von Arbeiter:innen für eine Gesellschaft zu begeistern, in der nicht der Profit einiger weniger, sondern die Bedürfnisse der großen Mehrheiten im Zentrum stehen.

„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.“ – Karl Marx

Mehr zum Thema