Wie die Clubkultur in Berlin zugrunde geht

18.09.2023, Lesezeit 10 Min.
Gastbeitrag

Ein Beitrag von Pauli Hirsch, einem Berliner DJ, zur Veränderung und der aktuellen Lage der Berliner Technoclubkultur.

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Foto: Shutterstock, Yevgen Belich

Techno ist komplett im Mainstream: Deutschrapper:innen und Popstars rappen auf Techno-Beats, auf Tiktok werden Trance- und Technosongs überspielt, bis sie nur noch ein Meme sind und weiße, heterosexuelle Männer kaufen sich für über Hundert Euro Fetischkleidung von Modedesignern, um mit dem Techno-Trend mitzuhalten.

Das ist eine überraschende Entwicklung, wenn man sich die Geschichte von Technomusik näher anschaut. Das Genre wurde in den 80er und 90er Jahren in Detroit in der BIPoC Community etabliert und hatte ursprünglich einen unkommerziellen und antikolonialen Charakter. Kurz darauf entwickelte sich auch in Deutschland eine blühende Subkultur um das Genre herum. Besonders in Großstädten wie Berlin und Frankfurt wird die neue Musik als Freiheitsbringer gefeiert und Clubs als Orte, wo sich jeder Mensch ausleben kann, wie er möchte, egal welche Sexualität oder welches Einkommen die Person hat. Doch während die Musik innerhalb der Szene florierte, war der Mainstream nie wirklich begeistert davon. Techno-Fans wurden oft als schmutzige Drogenkonsument:innen dargestellt. Als Menschen, die nichts anderes zu tun hätten, als jedes Wochenende zur selben „monotonen“ Musik zu feiern. Das Umfeld der Szene wurde durchweg kriminalisiert.

Während und vor allem nach den Lockdowns der Corona-Pandemie, änderte sich das scheinbar plötzlich: Berlin erklärt Technoclubs zu Kulturgut und erst kürzlich tanzte der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) mit Szene-Urgestein Dr. Motte auf einem Wagen der „Rave The Planet“-Parade. Zeitgleich sieht man auf den Berliner Untergrund-Fetischparties – die sonst weltweit bekannt für ihre strenge Türpolitik sind – auf einmal überwiegend weiße hetero Männer ohne T-Shirts, die vollkommen entfremdet vom Prizip einer queeren Party sind und keinerlei Verbindung zu den unkommerziellen Werten der Technokultur haben. Es läuft die ganze Nacht Hardtechno: Ein Subgenre, das durch seine höhere Geschwindigkeit, die verzerrten Sounds und die treibenden Percussioninstrumente nun eben besonders hart klingt. Andere Arten der vielfältigen Musik finden weniger Spielplätze. Die Gäste scheinen die Regeln in den Räumen kaum noch wertzuschätzen und filmen die Tanzenden unerlaubt, so gehen zum Beispiel Aufnahmen der Panorama Bar im Berghain auf Tiktok viral.

Diese Entfernung der Feiernden von den ursprünglichen Werten der Szene ist den meisten Fans, die schon vor Corona dabei waren, ein Dorn im Auge. Niemand hat Lust auf eine Party zwischen pöbelnden Touristen, die ihr Limit nicht kennen in einem Club, der 8 Stunden lang dieselbe Musik spielt, welche einem als Tänzer:in keine Sekunde zum Atmen gönnt. Während Berlin früher bekannt für seine einzigartige Feierkultur war, die auf der einen Seite frei und offen für jeden und zeitgleich doch geschützt und versteckt vor den Menschen, die sich nicht auf den ungeschriebenen Feierkodex der Stadt einlassen wollen, ist sie heute kaum noch zu unterscheiden von Partykultur in anderen Großstädten der westlichen Welt.

Eine Frage, die sich nun nicht nur die Techno-Fans, sondern auch die Mainstream-Medien stellen, ist natürlich: Wie konnte das passieren? Und vor allem innerhalb so kurzer Zeit? Arte Tracks hat im Juli dazu die DJs Tham und Alva sowie den Rapper Ski Aggu zu genau diesen Themen in einer kurzen Doku interviewt und mit ihnen zusammen die Gründe für diesen Wandel erörtert. Dabei haben sie festgestellt, dass der Hauptgrund für das Phänomen wohl TikTok und der Hype von Techno auf dieser App sei: Während der Pandemie liege die einzige Möglichkeit, Techno zu hören, online. So entstanden Trends um Techno-Tänze und viele Techno Sounds gingen auf der App viral. Die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer:innen sei so gering, dass die Content-Creator quasi dazu gezwungen sind, immer härtere Songs in ihren Videos zu nutzen, um sich gegenseitig zu übertrumpfen und die 15 Sekunden Videos maximal mit Energie aufzuladen.

Kurz darauf sprangen dann natürlich viele Unternehmen und Plattenlabels auf diesen Trend auf und vermarkteten Musik, Fashion und Techno-Lifestyle-Accessoires auf der App. In der Doku wird die These aufgestellt, die jungen Nutzer wüssten sonst gar nichts über die Musikrichtung und bildeten sich ihre Meinung darüber ausschließlich über TikToks und DJ-Livestreams auf Online Radios wie zum Beispiel HÖR Berlin. Nach dem Lockdown kamen sie dann unbeholfen in die Clubs, wo sie niemand über die Werte, die die Szene einst verkörperte, aufklärte.

Während es unbestreitbar ist, dass Online-Medien und vor allem TikTok-Content einen großen Einfluss auf das Verhalten seiner Nutzer haben und auch großes Potential hat, Trends und die öffentliche Meinung zu verändern, sind wir der Meinung, diese Analyse ist unzureichend. Nur weil Techno auf TikTok trendet, bedeutet das nicht, dass Clubs plötzlich ihre Veranstaltungskonzepte drastisch ändern, sodass die Stimmung in den einstigen Schutzräumen kippt und queere Menschen auf queeren Partys eine Minderheit sind.

Ein offensichtlicher Grund für die Veränderung innerhalb der Berliner Szene ist die Veränderung im politischen Spektrum der Stadt. Während Berlin vor zehn Jahren noch günstigen Wohnraum und bezahlbare Spaces für Subkultur anbieten konnte und durch seinen Ruf als arme und dreckige Stadt Menschen abseits des Mainstreams herzog, ist es heute meilenweit davon entfernt, auch nur den Urberliner:innen ein Leben ohne finanzielle Probleme hier zu ermöglichen. Noch schlimmer ist es für geringverdienende Menschen, die ohne ein existierendes Netzwerk hierher ziehen wollen.

Der Investitionshochstand, den es auch schon vorher gab, wurde durch die Corona Lockdowns noch einmal verstärkt, sodass während der Pandemie unzählige kulturelle Einrichtungen schließen mussten oder geräumt wurden. An deren Stelle kamen dann neue Co-Working-Spaces, StartUp-Hubs und Luxus-Eigentumswohnungen. Übrig geblieben ist nun eine Stadt voll mit Jungunternehmer:innen und Zugezogenen mit reichen Eltern, die es mit ihrem Ruf als die Hauptstadt der elektronischen Untergrundmusik geschafft hat, weltweit gutsituierte Touristen anzuziehen, die keinerlei Verbindung zu den Werten eben dieser Musikszene haben.

Für den Berliner Senat ist das ein willkommener Marketingtrick. Auf der einen Seite wird Berlin weltweit als alternative und offene Stadt gesehen, wo Menschen für eine Weile hinziehen können und den Berliner-Techno-Spirit genießen können, ohne sich großartig Gedanken machen zu müssen, wie man sich innerhalb der Szene benimmt und woraus diese Subkultur eigentlich entstanden ist. Die Techno-Szene ist ein attraktiver Grund für junge Menschen hierher zu ziehen, wenn sie es sich leisten können und neben dem Start-Up-Founding noch eine Instagram-Persona als individualistische:r Kulturliebende:r zu entwickeln.

Auf der anderen Seite sterben die wirklich alternativen Clubs und subkulturellen Räume, die progressive Ideen verbreiten, reihenweise aufgrund politischer Entscheidungen weg und der Senat scheint sein Bestes dafür zu geben, diese Verwandlung weiter voranzutreiben und die freiwerdenden Flächen für riesige Investitionsprojekte zu nutzen. Kürzlich wurde bekannt, dass der Berliner Club „Mensch Meier“ Ende dieses Jahres geschlossen werden muss und damit ist er nicht allein: Während sich das Mensch Meier vor allem wegen der gestiegenen Lebensunterhaltungskosten nicht mehr halten kann, werden fast alle Clubs auf dem RAW-Gelände, darunter der Suicide Club und das Urban Spree den Betrieb einstellen, um in den nächsten Jahren zu hippen Bürohochhäusern umgebaut zu werden.

Perspektivisch werden allerdings noch deutlich mehr Clubs in Berlin sterben. Allein für den Ausbau der Stadtautobahn A100 sieht die Berliner Clubcommission mindestens 21 Clubs und Kulturorte bedroht, die entlang des geplanten Straßenverlaufs liegen. Die nächsten Bauabschnitte, die vom Treptower Park aus am Berliner S-Bahn-Ring entlang führen, könnten das Ende für die Renate, Club Ost, ://about blank, Void, OXI und viele weitere Orte bedeuten.

Nicht einmal die alteingesessenen Berliner Techno-Institutionen fühlen sich in dieser Stadt noch sicher. In einem Interview mit Resident Advisor spricht Dimitri Hegemann über die Angst, dass der Mietvertrag des Tresor-Clubs bald auslaufen könnte und der Club sich in Berlin nicht in Sicherheit wiegen könnte. Hegemann hat 1991 den Club mitgegründet und zu einem der wichtigsten kulturellen Orte des wiedervereinigten Berlins gemacht. Eine Schließung des Clubs wäre allerdings keine Neuheit, denn schon 2004 wurden sie aus ihrer ersten Location in der Leipziger Straße vertrieben.

Während sich Kultursenator Chialo den einen Tag fröhlich auf dem Veranstalterwagen bei Rave The Planet fotografieren lässt, spricht er sich nur kurze Zeit später gegen die Pflicht von Awareness-Teams bei Veranstaltungen aus und begründet dies mit der kaufmännischen Freiheit in der Privatwirtschaft. Falls weniger Menschen aufgrund des Fehlens von Awareness-Teams zu Konzerten kämen, würden Veranstalter perspektivisch vom Markt gezwungen werden, solche Teams einzusetzen. Dass diese neoliberale Argumentation nicht aufgeht, ist allgemein bekannt, allerdings unterstellt er den Kulturschaffenden mit seinem Statement auch, dass deren Hauptmotivation darin besteht, möglichst viel Geld zu verdienen. Das mag bei einigen Mainstream-Musikplattformen der Fall sein, ist aber schlichtweg eine dreiste und falsche Aussage in Bezug auf den Untergrund und Subkulturkünstler:innen.

Die Berliner Technolandschaft ist nun in ein Dilemma. Verraten vom Senat, der scheinheilig so tut als wäre er auf der Seite der Clubs und Kulturschaffenden, während er die Szene und ihre Ideen eigentlich aktiv aus der Stadt verdrängt, bleibt vielen Clubs nichts weiter übrig als zu schließen oder Veranstaltungen für Wohlhabende zu machen, die genug Geld ausgeben können, sodass sich der Club auch weiter in der teuren und gefährdeten Lage halten kann. So kommt es, dass die Interessen der eigentlich alternativen Szeneanhänger:innen bei der Programmauswahl und der Türpolitik außen vor stehen bleiben und sich Techno in Berlin selber zu einem einzigen traurigen Meme reduziert.

Was können wir nun gegen diese Entwicklung tun? Wir fordern eine Distanzierung der Szene von der Berliner Regierung und deren exekutiven Organen. CDU-Funktionäre auf Paraden einzuladen oder ganze Wägen zu unseren Events beisteuern zu lassen, solidarisiert sich mit den Kräften, die uns aktiv aus der Stadt vertreiben wollen. Wir fordern außerdem einen Ausbaustopp der A100, eine Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co. enteignen sowie ein bedingungsloses Grundeinkommen, um Kulturschaffenden in der Stadt den Raum und die Möglichkeiten zu bieten, die sie brauchen, um frei von kapitalistischen Zwängen das Stadtbild prägen zu können.

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