Wie der Staat mit öffentlich geförderten Projekten prekäre Arbeit finanziert
Der Staat finanziert jährlich mit Milliarden an öffentlichen Geldern private Träger in verschiedenen Kontexten. In diesem Erfahrungsbericht schildert ein Beschäftigter, wie mit öffentlichen Geldern ein Regime von Prekarität, Intransparenz und Ausbeutung errichtet wird.
Allein über den Europäischen Sozialfonds (ESF) haben Bundesregierung und Landesregierungen in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2020 Projekte privater Träger im Umfang von 7,5 Milliarden Euro gefördert. Das erklärte Ziel dabei ist „Investitionen in die Menschen“, um ihnen bei der „Bewältigung wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen“ zu helfen. Was abseits der betriebswirtschaftlichen Rhetorik vielleicht gut und richtig klingt, bedeutet für Beschäftigte in diesen Projekten häufig prekäre und nicht nachhaltige Arbeit – mit staatlichem Gütesiegel.
Ich arbeite für einen Betrieb, welcher ein Träger mehrerer ESF-geförderter Projekte ist. Unsere Projekte richten sich unter anderem speziell an Frauen und Künstler:innen, die sich neben ihrer abhängigen Beschäftigung eine berufliche Selbstständigkeit aufbauen möchten oder müssen. Dazu bieten wir Workshops und Einzelberatungen in den Themen Marketing, Steuern und Buchführung sowie Vertragsrecht an.
Meine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit liegt bei 30 Stunden pro Woche, obwohl ich tatsächlich 40 bis 50 Stunden die Woche arbeite. Als Projektleiter organisiere ich diese Workshops und Beratungen, indem ich fachlich geeignete Dozent:innen akquiriere. Außerdem gehört es zu meinen Aufgaben in der Öffentlichkeit auf unser Angebot aufmerksam zu machen, um mögliche Interessent:innen zu gewinnen. Dazu kommen Verwaltungsaufgaben wie die Erfassung von Teilnehmer:innendaten und die Berichterstattung an den Fördermittelgeber.
Ein weiterer wichtiger Aspekt meiner Arbeit ist das Kooperationsmanagement, bei dem ich mich in regelmäßigen Abständen mit Beschäftigten anderer öffentlich geförderter Projekte zu möglicher inhaltlicher Zusammenarbeit austausche.
Dabei kommen auch die Verhältnisse, in denen wir uns als Beschäftigte befinden, immer wieder zur Sprache. Obwohl ich und die Kolleg:innen, mit denen ich spreche, für ganz vielfältige Träger und Projekte arbeiten, haben wir doch eines gemeinsam: Unser Arbeitsalltag besteht zunehmend aus Überforderung, Leistungsdruck, Verschleiß und Existenzängsten.
Dauerhafte Befristung der Arbeitsverträge
Die überwältigende Mehrheit der bewilligten Projekte hat eine maximale Laufzeit von ein bis drei Jahren. Für die Beschäftigten in diesen Projekten heißt das eine dauerhafte Befristung ihrer Arbeitsverträge. Dabei erzeugt diese dauerhafte Befristung natürlich großes Leid in der Arbeit und im Privatleben.
Wer dauerhaft befristet ist, bekommt keinen Kredit bei einer Bank oder einen Mietvertrag. Wer dauerhaft befristet ist, übt bereitwillig auf sich selbst einen enormen Leistungsdruck aus und setzt sogar seine Gesundheit aufs Spiel, um den nächsten Arbeitsvertrag zu bekommen. Wer dauerhaft befristet ist, der organisiert sich nicht gewerkschaftlich und gründet keinen Betriebsrat, um Missstände im Betrieb anzugehen.
Tariflöhne durch Arbeitsverdichtung und Quasi-Akkordarbeit untergraben
Dabei sind diese Missstände nicht unerheblich. Weil der Staat die Projekte an Träger vergibt, die den konzipierten Vorschlag vor allem günstig anbieten, entsteht ein großer Kostendruck, der von den Trägern an die Beschäftigten weitergereicht wird. Größter Kostenpunkt ist die Belegschaft, die in öffentlich geförderten Projekten nach Tarifvertrag im öffentlichen Dienst bezahlt werden muss.
Um die Personalkosten trotz tariflicher Vergütung gering zu halten, greifen die Träger zu perfiden Tricks. Zum einen wird das Arbeitsgebiet der Beschäftigten in Projekten kontinuierlich verdichtet. Gab es früher in einem Projekt jeweils einen Beschäftigten für die Kommunikation mit Teilnehmer:innen, die Öffentlichkeitsarbeit, die Verwaltung und Berichterstattung sowie die Leitung, wird dies heute von zwei Beschäftigten übernommen.
Weiterhin wird durch Zielindikatoren eine „Quasi-Akkordarbeit“ hergestellt. Beispielsweise sagen Träger schon bei der Antragstellung zu, dass ein Projekt mindestens 100 Personen pro Jahr als Teilnehmer:innen aufnimmt und sie in diesem Zeitraum durch mindestens 30 Workshops schleust. Die Anhebung dieser Zielindikatoren bei Verausgabung von gleichbleibenden Mitteln ist eine weitverbreitete Methode, sich im Konkurrenzkampf mit anderen Trägern, um die Projektvergabe durchzusetzen.
Werden diese Zusagen nicht erreicht, ist der Träger verpflichtet, bewilligte Summen zurückzuzahlen. Damit werden die Beschäftigten faktisch zu unbezahlten Überstunden gezwungen, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit nicht zur Erfüllung der Zusagen reicht, was sehr häufig der Fall ist.
Outsourcing an Honorarkräfte
Um weitere Personalkosten zu sparen, greifen Träger vermehrt auch zur Ausweitung der als Honorarkraft tätigen Personen in Projekten. Als Beispiel: Das Projekt, das ich leite, ist mit zwei festangestellten Beschäftigten geplant und mit vier Honorarkräften, die dauerhafte Aufgaben im Projekt übernehmen.
Honorarkräfte haben für den Träger den Vorteil, dass sie keine Arbeitsmaterialien, keinen Arbeitsplatz und keinen bezahlten Urlaub zur Verfügung gestellt bekommen müssen und jederzeit kündbar sind. Arbeitet eine Honorarkraft als Selbstständige:r für wenige Träger, erhöht sich ihre Abhängigkeit und damit auch der Leistungsdruck. Bezahlt werden sie nach Honorarordnung, die aktuell 45,00€ bis maximal 60,00€ pro Stunde vorsieht. Die gewerkschaftliche Organisation ist, bis auf wenige gesetzliche Ausnahmen, für sie ausgeschlossen.
Intransparente Unternehmensführung und Privatisierungsorgien
Trotz des Drucks, dem ich mich ausgesetzt sehe, versuche ich immer wieder den Mut zu finden, Missstände anzusprechen. Dann bekomme ich oft zu hören, dass die Geschäftsführung meines Betriebs „auch nicht reich mit diesen Projekten wird“ und es nichts gibt, was sie ändern können. Inwieweit diese Aussage stimmt, kann ich schon allein deshalb nicht beurteilen, weil mir als Beschäftigter des Betriebs keine Rechenschaft seitens der Geschäftsführung abgelegt werden muss. Hier erweisen sich das Recht auf wirtschaftliches Privateigentum und das Geschäftsgeheimnis wieder als zwei der schärfsten Schwerter gegen die Interessen von Beschäftigten.
Doch ebenso niederschmetternd ist, dass die Missstände für die Beschäftigten in öffentlich geförderten Projekten nicht gegen den Willen des Staates oder ohne seine Kenntnis erzeugt werden. Die herrschenden Verhältnisse sind ein bewusst herbeigeführtes und bitteres Ergebnis der wahnwitzigen Privatisierungsorgien der Politik, wie wir sie in Deutschland in den letzten Jahrzehnten schon in der Gesundheitsversorgung, der öffentlichen Infrastruktur und kommunalen Daseinsvorsorge erleben und wo sie die gleichen verheerenden Auswirkungen haben.
Abwicklung des Projektunwesens und Rückbesinnung des Staates auf seine Aufgaben
In der aktuellen Situation wird durch das Wesen der öffentlich geförderten Projekte nur erreicht, dass windige Inhaber:innen privater Träger ihre Profite mit der Ausbeutung von Beschäftigten und der Verschlechterung der Qualität in sozialen und kulturellen Angeboten für Arbeiter:innen, Student:innen, Rentner:innen, Erwerbsunfähige, Arbeitssuchende sowie Kinder und Jugendliche erwirtschaften. Dies widerspricht den Interessen der Arbeiter:innenklasse, aus deren Wertschöpfung das Geld entspringt, welches in diesen Projekten eigentlich für die allgemeine und gezielte Verbesserung der Gesellschaft eingesetzt werden soll. Daher muss die gesamte Struktur der öffentlich geförderten Projekte in privater Trägerschaft abgewickelt werden.
Neben der Abwicklung dieses Projektunwesens sollte es zum Ziel des gewerkschaftlichen Kampfes gehören, den Staat zur Übernahme seiner vitalen Aufgaben zu zwingen und den Privatisierungswahn zu beenden. Aufgaben öffentlich geförderter Projekte in privater Trägerschaft müssen vollständig an den Staat übergehen und von ihm im Sinne der Arbeiter:innenklasse organisiert werden. In der Frage der Arbeitsstandards darf sich der Staat nicht länger am ‘race to the bottom’ beteiligen. Er muss für eine ausreichende Anzahl unbefristet Beschäftigter zur Erfüllung der notwendigen Aufgaben sorgen und diese nach Tarifvertrag im öffentlichen Dienst bezahlen.