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Wer waren die K-Gruppen? Kleine Geschichte des deutschen Maoismus (Teil 2)

24.01.2017, Lesezeit 9 Min.
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Im ersten Teil der Artikelreihe erklärten wir, warum wir uns überhaupt mit der Geschichte der K-Gruppen auseinandersetzen wollen. In diesem zweiten Teil besprechen wir die Entstehungsgeschichte des deutschen Maoismus.

Teil 2: Hundert Blumen blühen: Die K-Gruppen entstehen

Der Maoismus ist ein chinesisches und internationales Phänomen, das wir in einem anderen Artikel behandelt haben. Kurz zusammengefasst: Ab 1959 kam es zum Bruch zwischen den Führungen der Sowjetunion und der Volksrepublik China. Dabei waren die gesellschaftlichen Verhältnissen in beiden Ländern sehr ähnlich: Alle Produktionsmittel befanden sich in den Händen des Staates; eine privilegierte Bürokratie monopolisierte die politische Macht; jeder Ansatz der proletarischen Demokratie wurde gewaltsam unterdrückt. Ein solches System lässt sich als „degenerierter Arbeiter*innenstaat“ oder schlicht „Stalinismus“ beschrieben.

Marx, Lenin und andere hatten die zentrale Bedeutung von Organen der proletarischen Selbstorganisierung (Kommune, Sowjets, Räte usw.) betont – für Stalin und Mao jedoch war Sozialismus mit der Herrschaft einer monolithischen Partei gleichzusetzen. Die politische Führung lag jeweils in den Händen einer bürokratischen Kaste, die immer nur auf ihre eigenen Interessen achtete. Deswegen war es geradezu unvermeidlich, dass sich solche Bürokratien entlang nationaler Linien spalteten.

Dieser materiell bedingte Bruch zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik wurde von allerlei stalinistischem Kauderwelsch ideologisch unterfüttert. Mao nannte das Nachbarland „kapitalistisch“, später „imperialistisch“, dann sogar noch „faschistisch“. Anlass dafür war, dass Nikita Chrustschow beim XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 eine Geheimrede hielt, in dem er den Personenkult um Stalin kritisiert hatte. Diese „Entstalinisierung“ diente dazu, die Unzufriedenheit der Massen mit der Bürokratie umzulenken. Aber für Mao bedeutete es das Ende des Sozialismus – als ob der Klassencharakter eines Staates davon abhängen würde, ob die Person Stalin genug oder richtig verehrt wird.

Der Marxismus analysiert in erster Linie die Produktionsverhältnisse:

Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären.“ (2)

Im Gegensatz dazu interessierte sich Mao für das Bewusstsein von einigen Menschen in der Führung. Er behauptete, dass die Fabrikdirektor*innen in der UdSSR von sozialistischen Kadern zu einer neuen Bourgeoisie geworden waren – weil ihr Bewusstsein sich verändert hatte. Ein trotzkistischer Autor kritisierte diesen Subjektivismus sehr treffend:

[Die MLPD] wiederholt die übelsten Methoden bürgerlicher, subjektivistischer Geschichtsschreibung mit umgekehrten Vorzeichen. Hatten sich bürgerliche Historiker jahrzehntelang bemüht, die Oktoberumwälzung nicht als eine durch die Arbeiter und Bauernmassen getragene Revolution, sondern als einen von bolschewistischen „Verschwörern“ organisierten Putsch gegen die „Demokratie“ darzustellen, so erklärt nun die MLPD ihrerseits, daß sie durch eine Verschwörung Chrustschows ohne die geringste Reaktion und Beteiligung der Massen wieder rückgängig gemacht werden konnte. Das sonst ständig beschworene „Proletariat“ ist völlig von der Bildfläche verschwunden. Glaubt man [der MLPD], so wurde in Russland die Oktoberrevolution, deren Sieg nur durch den Einsatz der Energien von Millionen von Arbeitern und Bauern möglich war, durch … eine Rede rückgängig gemacht“ (3)

Die maoistische Analyse erinnert weniger an Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie und mehr an religiösen Eifer einer neuen Kirche: Entscheidend ist nicht eine bestimmte Strategie, sondern die Treue zu einem unfehlbaren Individuum, das die Menschheit erlösen soll.

Der Maoismus präsentierte sich in den 60er Jahren zunehmend als politische Alternative zu den kommunistischen Parteien sowjetischer Prägung. Ab 1964 erschien die Pekinger Rundschau in deutscher Sprache. Ab 1966 wurde die „Mao-Bibel“ mit banalen Sprüchen des Großen Vorsitzenden milliardenfach (!) durch die Welt gestreut. Aber warum stieß diese Richtung besonders an den westdeutschen Universitäten auf so große Resonanz?

Deutsche Faktoren

Joscha Schmierer war Chef der mit Abstand größten maoistischen Gruppe in Westdeutschland, dem KBW. Später war er ein führender Funktionär des deutschen Imperialismus im Auswärtigen Amt. Rückblickend nennt er vier zentrale Komponenten der 68er Bewegung (4):

1. antikolonialer Befreiungskampf

2. antibürokratische Bewegung

3. antisowjetische Bewegung

4. Jugendrevolte im Westen

Auf diese vier Komponenten hatte der Maoismus Antworten, die für Schmierer und andere westdeutsche Studierenden anziehend wirkten. Die Volksrepublik zeigte sich solidarisch mit der Jugendrevolte im Westen (Pariser Mai) und auch mit den antibürokratischen Bewegungen in den degenerierten Arbeiter*innenstaaten (Prager Frühling). Mit der „Kulturrevolution“ sah es sogar von außen so aus, als würde Mao gegen die Bürokratie im eigenen Land vorgehen – obwohl lediglich ein Flügel der Bürokratie gegen einen anderen mobilisierte.

Nach der Auflösung des SDS am 21. März 1970 und dem Niedergang der Student*innenbewegung ging ein Teil der Aktivist*innen zum Maoismus über. Kleine Zirkel, „Rote Zellen“ (RZ) oder „Sozialistische Arbeiter- und Lehrlingszentren“ (SALZ) schossen in den Germanistik-Fakultäten und den Gymnasien wie Pilze aus dem Boden.

Der Student Christian Semler – Sohn eines CSU-Mitbegründers und BMW-Aufsichtsratsmitglieds – war exemplarisch für diese Entwicklung. Als Teil der Außerparlamentarischen Opposition (APO) hatte er „Stalinist“ als Schimpfwort benutzt. Doch ein Jahr später war er Vorsitzender einer Organisation, die Stalin auf jedem Zeitungskopf verehrte. Wie kann man sich diesen Schwenk vorstellen? Der bürgerliche Historiker Kühn urteilt:

Der Organisationsfetisch entsprach einer tiefempfundenen Ohnmacht, denn die studentische Linke hatte es nicht vermocht, die Arbeiter oder auch nur eine breitere Bevölkerungsmasse für ihre Ideen zu begeistern. (…) Die Studenten galten als undiszipliniert und arbeitsscheu. Was lag dann näher, als die Faktoren ‚Disziplin‘ und ‚Arbeit‘ ins Zentrum der eigenen Überlegungen zu rücken? Kam das Proletariat nicht zu den Studenten, so mussten die Studenten zum ‚Proletariat‘ oder dem, was sie dafür hielten, aufbrechen.“ (5)

Sechs Verbände

Nach und nach schlossen sich die Zirkel zu sechs größeren Verbänden zusammen, die meist eine eigene regionale Hochburg hatten – dazu gab es noch kleinere lokale Gruppen. Die sechs großen K-Gruppen hatten zwischen einigen hundert und einigen tausend Mitgliedern, plus Sympathisant*innen in diversen Vorfeldstrukturen (sogenannte „Massenorganisationen“). Die größte K-Gruppe, der KBW, kam in der zweiten Hälfte der 70er Jahre auf 2.700 Mitglieder. Alle sechs beanspruchten für sich, die einzige Partei des deutschen Proletariats zu sein. Als erste gründete sich die KPD/ML – pünktlich zum 50. Jahrestag der KPD-Gründung –, und danach folgten weitere:

Dezember 1968: Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML)

Die KPD/ML hatte eine gewisse personelle Verbindung zur illegalen KPD, über Ernst Aust und Willi Dickhut. Sie war bundesweit vertreten, aber vor allem in NRW präsent. Sie war besonders stolz auf ihren kleinen Ableger in Magdeburg in der DDR – obwohl dieser schnell von Spitzeln durchdrungen wurde.

Februar 1970: Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO)

Diese Gruppe ging aus der Westberliner Studierendenbewegung hervor. Ihr Vorsitzender war der bereits genannte Christian Semler, Spross der bayerischen Bourgeoisie. Diese Gruppe wurde auch spöttisch „A-null“ genannt, was der Zahl der bei ihr organisierten Arbeiter*innen entsprechen sollte.

November 1971: Kommunistischer Bund (KB)

Dieser Zusammenschluss aus studentischen Zirkeln war vor allem in Hamburg vertreten und wurde deswegen auch „KB (Nord)“ genannt. Die am wenigsten dogmatische unter den K-Gruppen hat den größten ideologischen Einfluss auf die radikale Linke heute – die Zeitung „AK“ geht auf den KB zurück.

August 1972: Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands (KABD)

Willi Dickhut trennte sich von Ernst Aust und bildete eine eigene Gruppierung, die am hartnäckigsten um eine Basis im Industrieproletariat rang. Sie war vor allem in Baden-Württemberg und NRW vertreten – und existiert als einzige K-Gruppe bis heute in nennenswerter Form (als MLPD).

Mai 1973: Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB)

Diese Gruppe ging aus der Münchner Studierendenbewegung hervor und war fast nur in Bayern vertreten. Eine kleine Gruppierung besteht auch heute fort und konzentriert sich auf Theateraufführungen.

Juni 1973: Kommunistischer Bund Westdeutschlands (KBW)

Dieses Projekt aus Heidelberg konnte die meisten restlichen studentischen Zirkel aufsaugen, die noch nicht in einem anderen Verband waren. So war der KBW am breitesten verteilt, vor allem in kleineren Städten. Ihre Zentrale in Frankfurt hatte einen Wert von 30 Millionen D-Mark.

Diese Gruppen waren politisch heterogen und konkurrierten untereinander. Die KPD/ML und die KPD/AO waren am stärksten an der Politik der Volksrepublik orientiert – sie traten leidenschaftlich für deutschen Nationalismus und eine Stärkung der Bundeswehr ein, als diese Linie in Peking verordnet wurde. Aber andere K-Gruppen waren distanzierter: Der KB (Nord) kritisierte hin und wieder die Kommunistische Partei Chinas und war nicht mal besonders begeistert von Stalin. (6)

Eine einheitliche Politik des deutschen Maoismus gab es nie. Aber KPD/ML und KPD/AO konnten diesen Titel am Ehesten für sich beanspruchen, da sie sich am Engsten an die Vorgaben Maos hielten. Zusätzlich zu diesen sechs Verbänden gab es noch zahlreiche Kleinstgruppen, auf die hier nicht eingegangen werden kann.

Fußnoten

(2) Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort.
(3) Peter Schwarz: Marxismus gegen Maoismus: Die Politik der MLPD. S. 110-11.
(4) Joscha Schmierer: K-Gruppen oder: Die kurze Blüte des westdeutschen Maoismus, in: Christiane Landgrebe und Jörg Plath (Hrsg.): 1968 und die Folgen. Ein unvollständiges Lexikon. Berlin. 1998. S. 49.
(5) Andreas Kühn: Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre. Frankfurt am Main 2005. Kühn. S. 294.
(6) Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991. Berlin 2002.

Im dritten Teil beschäftigen wir uns mit Elementen der Ideologie der K-Gruppen.

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