Wer sind die Trotzkist*innen von Babylon Berlin?

08.12.2017, Lesezeit 5 Min.
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Jemand musste Leo Trotzki verleumdet haben. Denn in der ARD-Sky-Produktion Babylon Berlin werden nur ahistorische Pseudo-Trotzkist*innen gezeigt.

Die ARD-Sky-Serie Babylon Berlin bemüht sich um eine historisch akkurate Darstellung. Am 1. Mai 1929 sehen wir, wie Schupos in Neukölln mit Maschinengewehren um sich ballern und unschuldige „Rote“ töten. Das mag surreal wirken – ist aber ziemlich nah am „Blutmai“.

Eine Gruppe wird hier allerdings komisch dargestellt: die Bande von Trotzkist*innen. Mit der kommt die Geschichte der Serie ins Rollen, wenn ein Güterzug in der Sowjetunion entführt wird. Der Plan: Gold aus Russland zum exilierten Anführer nach Istanbul zu schmuggeln. Leo Trotzki, der einst den Petrograder Sowjet und die Rote Armee geleitet hatte, saß im Jahr 1929 im türkischen Exil auf der Insel Prinkipo.

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In der ersten Folge von Babylon Berlin lernen wir den Anführer der Berliner Trotzkist*innen-Filiale kennen. Der Russe Alexej Kardakow (Ivan Shvedoff) ist tags Avantgarde-Geigenspieler, dessen Gesicht auf Plakaten von exklusiven Tanzlokalen prangt. Nachts wird er zum feurigen Leiter der Gruppe „Rote Festung“, die für den Sturz des Stalin-Regimes eintritt. In einem Köpenicker Keller druckt die Gruppe Flugblätter. Auf Deutsch und Russisch heißt es: „Arbeiter! 1. Mai: Tritt heraus und kämpfe für eine Vierte Internationale und die Weltrevolution! ‚Stalin ist der Totengräber der Revolution.‘ – Leo Trotzki“

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An der Wand des Kellers hängt ein Porträt von Stalin. Warum? Wenn die Gruppe die Nachricht bekommt, dass der entführte Zug erfolgreich die Grenze überquert hat, werfen die Trotzkist*innenen aus Freude Küchenmesser auf das Bild.

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Wo soll der*die Historiker*in da anfangen?

Die Vierte Internationale ist im September 1938 gegründet worden – acht Jahre nach dieser Handlung. In der Romanvorlage von Volker Kutscher ist nur von „kommunistischen Abweichlern – wie Trotzki“ die Rede. Die Fernsehproduzent*innenen haben sich den unmittelbaren Trotzki-Bezug selbst ausgedacht – und trotz 38-Millionen-Euro-Budget nicht auf Wikipedia nachgeschaut.

Die „Rote Festung“ sehen wir ausschließlich beim Fälschen und Schmuggeln. Auf den glücklosen Kardakow wird immer wieder geschossen. Sein einziger politischer Satz lautet: „Mein Land ist dem Untergang geweiht. Ich muss helfen, das zu verhindern.“ Deswegen geht er einen Deal mit einem armenischen Mafiaboss ein, um das Gold doch noch zu Trotzki zu bringen.

Ein bemerkenswertes Bekenntnis, stand Stalin doch für die Theorie des „Sozialismus in einem Land“. Ihm ging es um die Interessen des russischen Staates. Die linke Opposition unter Trotzki hielt dem entgegen, dass nur das Voranschreiten der Weltrevolution die junge Räterepublik retten könne. Hätte Kardakow also Sorgen um „sein Land“ gehabt, wäre er sicher Stalinist gewesen.

Was weiß der gemeine Mensch über den Trotzkismus? In den Moskauer Schauprozessen hieß es, es handele sich um Verräter*innen, die mit Sabotage und Terror das Sowjetregime stürzen wollten. Bei der Bundeszentrale für politische Bildung wird festgehalten, dass es keine wesentlichen politischen Differenzen zwischen Stalin und Trotzki gab – hinter den Diskussionen über innerparteiliche Demokratie habe ein persönlicher Machtkampf gesteckt. Irgendwie hält sich auch der Mythos, bei der Vierten Internationale gäbe es nur Klüngel von verträumten Bohemes. All diese Verleumdungen werden nun bei Babylon Berlin vermischt.

Die echte Geschichte ist dramatischer. Ein Anführer der Berliner Trotzkisten war Anton Grylewicz – ein deutscher Metallarbeiter, der mit 33 Jahren als Mitglied der Revolutionären Obleute den aufständischen Generalstreik vom 9. November 1918 mitorganisierte. Später gehörte Grylewicz zur „ultralinken“ Bezirksleitung der Berliner KPD, im März 1930 gründete er die erste trotzkistische Gruppe in Deutschland, die Linke Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten). Grylewicz ist keine Ausnahmeerscheinung: Der Historiker Marcel Bois hat nachgewiesen, dass die Mehrheit der Linken Opposition aus Arbeitern bestand.

Die echten Trotzkist*innen haben geschmuggelt; aber kein Gold, sondern Zeitungen und Broschüren. Sie waren eine externe Fraktion der Kommunistischen Internationale, die für eine Rückkehr zur ursprünglichen revolutionären Linie kämpften.

Über die Trotzkist*innen von Babylon Berlin erfahren wir nicht viel. Bis auf Kardakow werden alle schnell von Agent*innen der sowjetischen Botschaft ermordet.

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Die Ironie dabei? Stalins Bürokratie hat in den 1920er Jahre Oppositionelle in den diplomatischen Dienst geschickt, um sie von Fraktionskämpfen fernzuhalten. Der damalige Botschafter in Berlin, Nikolai Krestinski, war einstiger Linksoppositioneller. Zu seinen Mitarbeiter*innen gehörten Sergei Bessonow und Alexander Gerzberg – eher unwahrscheinlich, dass diese Leute einen Massenmord an Trotzkist*innen organisierten. Natürlich haben die Stalinist*innen Attentate im Ausland durchgeführt – Trotzki selbst wurde 1940 von einem Agenten in Mexiko ermordet. Aber diese waren aufwendige Geheimoperationen – kein Geheimdienst konnte so sorgenlos in einer fremden Hauptstadt Dutzende niederschießen.

Es gibt wohl keine schlechte Publicity. Der Trotzkismus lebt weiter. In Ländern wie Irland oder Argentinien sitzen trotzkistische Parteien heute im Parlament. Kleiner Tipp für weitere Staffeln von Babylon Berlin: Ein trotzkistischer Historiker als Berater wäre sehr billig zu haben. Ich kenne sogar jemanden.

Dieser Artikel in Der Freitag

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