Wer schuldet hier wem etwas: Debt for Climate stört Greenwashing-Konferenz in München
Mit einer Protestaktion boykottierte Debt for Climate das Greenwashing von IWF und Weltbank auf der Klimakonferenz für junge Menschen, die am Wochenende in München stattfand.
Vom 6. bis 8. Oktober fand an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) die vierte Local Conference of Youth – Junge Klimakonferenz Deutschland (kurz: LCOY) statt. Hierbei handelt es sich um eine Veranstaltungsreihe in einem weltweiten Netzwerk, die von der YOUNGO, der Jugendvertretung der Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, kurz: UNFCCC) lizenziert wird. Laut Selbstverständnis soll mit diesen Konferenzen ein Rahmen geschaffen werden, in dem junge Menschen „Ideen für eine nachhaltige, umweltfreundlichere Welt entwickeln“ können. Weiterhin dienen sie dem Erlangen von Fachkompetenz und der Ausarbeitung konkreter Vorschläge für die Conference of the Parties (kurz: COP). Ziel sei neben der Vernetzung junger Menschen vor allem der Austausch mit Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft sowie die Vermittlung von Wissen und Handlungsmöglichkeiten. Die Leitlinie bildet das Pariser Klimaabkommen von 2015, in dem auch das 1,5-Grad-Ziel verankert ist – laut Bericht des Weltklimarats IPCC allerdings wird diese maximale Grenze der globalen Erwärmung voraussichtlich bereits zwischen 2030 und 2035 überschritten werden. Als Partner stehen der LCOY Deutschland die Leuphana Universität, die Klimadelegation e.V., die LMU, die BUNDjugend sowie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zur Seite. Letzteres ist auch für die Finanzierung verantwortlich und stellt für die Jahre 2020-2023 ganze 812.729 Euro zur Verfügung.
Drei Tage demnach, in denen Jugendliche und junge Erwachsene diskutieren, kritisieren und wirksame Strategien im Kampf gegen die Klimakrise erarbeiten? Betrachtet man das Programm, wird schnell deutlich, dass es sich vor allem um eine Plattform für Politiker:innen, Unternehmen, Wissenschaftler:innen, NGOS und weitere „Expert:innen“ handelt. Und so finden sich unter den eingeladenen Speaker:innen Gäste von CDU, SPD, den Grünen, der Grünen Jugend, der Jungen Union, aber auch McKinsey, Microsoft, Flughafen München GmbH, Munich Re Investment Partners GmbH, G20 Youth Summit, Deutsche Bank und viele weitere, die man nicht zwingend mit fortschrittlichen Vorhaben im Bereich Klimaschutz intuitiv in Verbindung bringen würde. Vielmehr stehen sie stellvertretend für das, was das BMWK mittels hoher Fördergelder zu inszenieren versucht: eine Greenwashing-Konferenz. Jugendliche sollen schließlich Klimaschutz im Sinne von Politik und Konzernen erlernen und nicht auf die Idee kommen, dass sie genau von diesen immer wieder mit Versprechen abgefertigt oder gleich ganz verraten werden.
Nach der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) Anfang September holte sich München also gleich nochmal ein Event im Sinne eines Abbilds des „grünen Kapitalismus“ in die Stadt. Dazu passte auch der Vortrag von Ricarda Lang, der Bundesvorsitzenden der Grünen, am Sonntagmorgen. Danach gefragt, ob „grüner Kapitalismus“ denn überhaupt möglich sei und ob sich Klimaschutz mit permanenten Wachstum vereinbaren ließe, gab sie zu bedenken, dass eine Notwendigkeit des massiven Wachstums in bestimmten Sektoren bestehe, während andere Sektoren schrumpfen müssten. Man wolle sich in eine „post-fossile“ Zukunft bewegen. Auch an Lang sind die Kontroversen beispielsweise um das Heizungsgesetz nicht vorbeigegangen. In ihrer Schlussfolgerung hierzu übte sie sogar einen Hauch an Selbstkritik, insofern die Grünen den Menschen zu lange erzählt hätten, dass sich nichts in ihrem privaten Leben verändere und die Menschen nun aber feststellten, dass Klimaschutz eben Veränderung für alle bedeute. Hierin sieht sie zudem einen wesentlichen Aspekt des Kulturkampfes, der nicht nur queere Themen angreift, sondern auch den Klimaschutz beinhaltet. Lang betonte, dass es bei allen Verschiedenheiten der politischen Parteien und ihrer Politik einen Konsens brauche, der da laute: Wenn die Feinde der Demokratie einen angreifen, stehen alle Demokrat:innen zusammen. Dass die Grünen als Teil der Ampel-Regierung mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem das Recht auf Asyl de facto abschaffen, also rassistische Asylpolitik umsetzen, und als Mitglied in einer schwarz-grünen Koalition unter anderem in Nordrhein-Westfalen dafür sorgten, dass Lützerath geräumt wurde, um von RWE abgebaggert zu werden, blieb unerwähnt. Mit fünfzehnminütiger Verspätung war Langs Keynote inklusive Q&A schließlich beendet, sodass die nächste Podiumsdiskussion mit dem Titel „Reform of the International Financial Architecture“ folgen konnte.
Schulden zu streichen, ist eine Grundvoraussetzung für Klimaschutz
Spannend zu werden versprach die Veranstaltung schon aufgrund der Zusammensetzung der Diskutant:innen: Iliriana Shala (Research Assistant bei der Deutschen Bundesbank), Ekaterina Grushko (vormals Delegierte für den G20 Youth Summit), Dr. Ralf Ernst Schröder (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), Aleksandar Medjedovic (International Finance Corporation, eine Entwicklungsbank und Mitglied der World Bank Group) und Esteban Servat (Debt for Climate). Nach einer Vorstellungsrunde bekamen alle Teilnehmer:innen Zeit, ihre Position darzustellen, wie beispielsweise nachhaltige Klimafinanzierung aussehen könnte und was die Aufgaben der jeweiligen Akteure seien. Bereits im Beschreibungstext der Podiumsdiskussion wurde darauf verwiesen, dass insbesondere den Ländern im Globalen Süden die finanziellen Mittel fehlten, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen und sich zugleich auf die Auswirkungen des Klimawandels entsprechend vorzubereiten. Es lag an Esteban Servat, der letzte Diskutant in der Vorstellungsrunde, das Gespräch zu eröffnen. Und das tat er. Zu erwarten war, dass alle Teilnehmer:innen davon berichten, wie ihre jeweiligen Institutionen sich um die Herausforderungen der Gegenwart kümmern und einen großartigen Beitrag zur Reform der internationalen Finanzarchitektur leisten – also wie sie weiterhin im Interesse der Banken und Konzerne wirken und das ganze mit einem etwas grüneren Image aufpolieren können. Anstatt also bei dem engen zeitlichen Rahmen zu bleiben, verwies Servat darauf, dass alle anderen Gäste von Institutionen kommen, die Teil des Problems seien und die dafür sorgten, Länder im Globalen Süden mit massiven Schulden zu unterdrücken und sie dadurch zur Ausbeutung der fossilen Rohstoffe vor Ort zu zwingen. Begleitet wurde er von Aktivist:innen, die sich mit einem Banner mit der Aufschrift „Stop Greenwashing Colonialism – Cancel the Debt!“ direkt vor dem Podium platzierten, während im Publikum Informationsblätter von Debt for Climate verteilt wurden. Servat und die Aktivist:innen forderten die Zuhörer:innen auf, ihnen nach draußen zu folgen und dort zu diskutieren. Zur Überraschung des vollkommen perplexen Podiums folgten viele dem Aufruf, sodass sich eine Gruppe von mehr als 50 Personen vor dem LMU-Gebäude zusammenfand und dort dem Vortrag der Aktivist:innen zuhörten sowie Fragen zum Programm und zur Aktivität von Debt for Climate stellten. Der Hörsaal der eigentlichen Podiumsdiskussion dürfte 90 Minuten lang recht leer gewesen sein.
Debt for Climate ist eine Bewegung, die von Ländern aus dem Globalen Süden initiiert und angeführt wird. Ziel ist es, eine Kraft aufzubauen, indem sich Arbeiter:innen, Indigene, Feminist:innen, Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegungen im Globalen Süden wie auch Globalen Norden zusammenfinden und so für die Streichung der finanziellen Schulden des Globalen Südens kämpfen. Denn es sind eben jene Schulden, die dazu führen, dass Länder vor allem in Südamerika und Afrika gezwungen sind, Raubbau an der Natur zu betreiben, das heißt Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle grenzenlos auszubeuten. Hierfür sind insbesondere und allen voran die G7 Staaten, die Weltbank sowie der Internationale Währungsfonds (IWF) verantwortlich. Die betroffenen Länder sind zugleich diejenigen, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Dadurch geraten sie gewissermaßen in eine Art Abwärtsspirale: Sie benötigen Geld, um die Schulden zu begleichen und angemessen auf die zerstörerischen Folgen der Klimakatastrophe reagieren zu können. Weil sie aber so stark davon betroffen sind, werden Kredite für sie teurer, da Gläubiger hier von riskanten Investitionen ausgehen. Debt for Climate betont, dass dieses finanzielle Druckmittel sich zu einem politischen wandelt, insofern die Regierungen der Länder des Globalen Nordens sowie ihre Finanzinstitutionen zu „Quasi-Herrschern“ der Länder des Globalen Südens werden. Schulden seien daher ein mächtiges Instrument zur Aufrechterhaltung neokolonialer Machtbeziehungen. Weiterhin sichere sich der Globale Norden auf diese Weise Zugang zu billigen Arbeitskräften und Ressourcen, wodurch Konzerne ihre Profite maximierten.
Paradox an dieser Situation ist darüber hinaus, dass die Industrieländer des Globalen Nordens hinsichtlich der weltweiten CO2-Emissionen am meisten beisteuern und somit hauptsächlich für die Klimakrise verantwortlich sind. Jene Emissionen, so Debt for Climate, seien eine Folge der Ausbeutung des Globalen Südens, da so ein System aufrechterhalten werde, das den verschwenderischen Konsum und die Profitsteigerung der herrschenden Klassen in den reichen Ländern auf Kosten der Menschen und der Natur im Globalen Süden vorantreibt. Servat hebt hervor, dass die Streichung der Schulden damit zu einer Grundvoraussetzung für Klimaschutz wird. Daher nimmt sich Debt for Climate vor, der Ausbeutung und Unterdrückung durch Weltbank, IWF, aber auch riesigen, mächtigen Konzernen wie BlackRock entgegenzutreten und in einer gemeinsamen Mobilisierung von Aktivist:innen in Afrika, Lateinamerika, Asien, Europa und Nordamerika auf eine vom Globalen Sünden angeführte Alternative zum derzeitigen Wirtschaftssystem zu drängen. 2025 dient als strategischer Horizont, insofern in Anlehnung an das letzte „Schuldenerlassjahr“ 2000 das Thema in den Mittelpunkt der Debatten gerückt werden kann; weiterhin findet die COP30 im gleichen Jahr im Amazonasgebiet, das heißt einem Inbegriff von Umweltzerstörung einerseit, zugleich aber auch indigenem Widerstand andererseits. Der brasilianische Präsident Lula da Silva und sein kolumbianischer Kollege Gustavo Petro brachten das Thema der Schulden bereits im August auf dem Amazonasgipfel in Belém in den politischen Diskurs ein und drängen auf dringende Maßnahmen zum Schutz des Amazonasgebiets. Sich auf einzelne fortschrittliche Politiker:innen zu verlassen, ist jedoch keine Perspektive. Und so wollen auch Debt for Climate mit Streiks, Demonstrationen, direkten Aktionen und Bildungsmöglichkeiten bis 2025 eine größere Bewegung aufbauen, um ihre Ziele durchzusetzen. In der Diskussion mit den Jugendlichen bei der LCOY erörterte Servat diesbezüglich auch die besondere Relevanz von Arbeiter:innen und Gewerkschaften in diesem Kampf. Die Bewegungen, das heißt auch die Klimabewegung, müssen eine Verbindung herstellen, insofern es die Arbeiter:innenklasse sei, die mit Streiks ein gesamtes Land lahmlegen könne.
Der Kampf gegen die Klimakrise findet nicht auf der LCOY statt
Mit der Kampagne #WirFahrenZusammen von Fridays For Future (FFF) und ver.di gibt es bereits eine gemeinsame Allianz aus Klimaschutzbewegung und Gewerkschaft. Gemeinsam stellen die Akteur:innen Forderungen unter anderem nach einer breiten staatlichen Investitionsoffensive, mehr Personal sowie einer Verdopplung von Bussen und Bahnen bis 2030 auf. Anfang 2024 wird es hier eine neue Tarifrunde geben. Trotz aller Fortschrittlichkeit zeigte sich in der Vergangenheit, dass vor allem eine Vernetzung zwischen FFF und der ver.di-Führung hergestellt wurde, sodass die Beschäftigten in der Tarifrunde 2020 kaum Entscheidungsrechte hatten und ein bundesweiter Rahmentarifvertrag nicht erkämpft werden konnte.
Um effektiv gegen die Klimakrise zu kämpfen, brauchen wir eine Strategie, die letztlich zum Aufbau einer eigenständigen, selbstorganisierten Kraft gegen Ausbeutung und Unterdrückung führt. Dies kann nur gelingen, indem Arbeiter:innenklasse, Klimabewegung, Studierende, Jugendliche und weitere Aktivist:innen einen gemeinsamen Kampf führen. Eine solche revolutionäre Organisierung kann jedoch nicht im Rahmen von Konferenzen wie der LCOY stattfinden. Deren Charakter ist ein anderer; so erläutert Servat seinen Boykott der Podiumsdiskussion wie folgt: „Es ist eine Schande, dass der Weltbank eine Plattform geboten wird, um jungen Menschen, die etwas über echte Maßnahmen gegen die größte Bedrohung der Menschheit, die Klimakrise, lernen wollen, eine Gehirnwäsche zu verpassen, damit sie glauben, dass die Lösungen für unsere aktuellen Probleme von denselben Institutionen kommen werden, die sie überhaupt erst verursacht haben.“
Vorhaben, wie einen „grünen Kapitalismus“ zu schaffen, sind Illusionen, die letztlich in der Aufrechterhaltung der Profitmaximierung der Kapitalist:innen münden – ein ökologischer Reformismus des Kapitalismus ist nicht möglich. Weiterhin ist der Kapitalismus auch dasjenige System, das die Länder im Globalen Süden durch Schulden in Abhängigkeit, Unterdrückung und ausbeuterischen Verhältnissen hält. Daher bedeutet der Kampf gegen die Klimakatastrophe immer auch einen Kampf gegen den Kapitalismus! Für die Streichung aller erdrückenden Schulden aller abhängigen Länder und gegen die zerstörerische Ausbeutung von Menschen und Natur durch Banken und Konzerne!