Wer ist denn bitte nicht für einen Wirtschafts-Lockdown!?

23.01.2021, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Alexandros Michailidis/shutterstock.com

Teil der Debatte über #ZeroCovid ist die Frage nach der Durchsetzbarkeit eines umfassenden Lockdowns. Zentral ist dabei, ob es eine breite Zustimmung gegenüber einem Wirtschafts-Lockdown gibt und welche Rolle den Gewerkschaften dabei zukommt.

Die #ZeroCovid-Kampagne hat einen erfolgreichen Start hingelegt: In etwas mehr als einer Woche haben über 80.000 Menschen den Aufruf unterzeichnet und noch weit mehr Menschen sind durch mediale Präsenz und Diskussionen mit den zentralen Vorschlägen in Kontakt gekommen. Damit hat die Initiative auch dazu beigetragen, dass jetzt im ganzen Land nicht nur über Home Office, sondern auch die Frage des Wirtschafts-Lockdowns diskutiert wird. Angesichts der umfassenden Maßnahmen, die das Privatleben einschränken, ist es aber auch nicht überraschend, dass viele Menschen sich die Frage stellen, warum Großraumbüros, Baustellen und Fabriken weiterhin geöffnet bleiben. Nach dieser simplen Erkenntnis erfolgt dann häufig der Einwand dass viele sich aus Angst um ihren Arbeitsplatz vor den Folgen eines Wirtschaft-Lockdowns fürchten würden.

Am besten hat es Simon Poelchau in Neues Deutschland zusammengefasst. Er argumentiert, dass ein wirtschaftlicher Lockdown, wie er von #ZeroCovid gefordert wird:

„das einzig Sinnvolle im Kampf gegen das Virus [sei]. Das Problem ist nur, dass es dafür keine reale Machtbasis gibt. So tun sich auch die Gewerkschaften mit dieser Forderung schwer. Schließlich mehren sich schon jetzt die Meldungen von Stellenabbau und Massenentlassungen. Da möchte sich keiner ausmalen, wie die Situation nach einer mehrwöchigen Betriebsschließung ist, geschweige denn, wie es mit dem Gehalt in der Zeit ist. Die Menschen haben einfach Angst um ihren Job. Deswegen gehen sie denn doch lieber zähneknirschend arbeiten und begeben sich in Ansteckungsgefahr. Deswegen müssen sich die Initiatoren der #ZeroCovid-Kampagne auch die Frage stellen, wie Risiken für Beschäftigte vermieden und Härten abgefedert werden können.“

Weiterhin argumentiert er, dass es für einen solidarischen Lockdown eine reale Machtbasis braucht, die die Forderungen durchsetzen kann. Sonst bleiben sämtliche gut gemeinten Appelle und Aufrufe lediglich Symbolpolitik.

Was die Symbolpolitik angeht, stimmen wir ihm völlig zu. Aber wir denken dass es für einen solidarischen Wirtschafts-Lockdown eine reale Basis in den Betrieben gibt: Natürlich haben die Beschäftigten kein Interesse daran, ihre Gesundheit für die Profite der Kapitalist:innen aufs Spiel zu setzen. Laut einer Umfrage sprechen sich immerhin 70 Prozent für eine Home-Office-Pflicht aus. Das ist noch kein Lockdown, aber es zeigt eine Tendenz in die richtige Richtung. Und auch wenn es an präziseren Umfragen mangelt, gibt es genug Indizien für eine gewisse Kampfbereitschaft in den Betrieben: So gab es direkt zu Beginn der Pandemie in Europa große Streiks in Italien und Spanien, die unmittelbar auf die Schließung der Fabriken und umfassenden Gesundheitsschutz zielten. Als am 11. Januar in Berlin die Schulen teils wieder geöffnet werden sollten, wurde dies unter anderem durch Proteste von Lehrer:innen verhindert. Wie aus einer Mail der GEW an ihre Mitglieder hervorging, hatte es durchaus auch Bereitschaft zu Streiks gegeben.

Die entscheidende Frage ist aber weniger, ob die Mehrheit der Beschäftigten pauschal eine Schließung aller Betriebe befürwortet. Vielmehr geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen ihnen eine solche Schließung zumutbar oder sogar erstrebenswert erscheint. Denn die Bedenken darüber, wer am Ende für die Kosten der Krise aufkommt, sind berechtigt. Allerdings hat der Lockdown in seiner aktuellen Form bereits erheblichen Einfluss auf die Wirtschaft, insbesondere auf Gastronomie und Einzelhandel. Und die generelle Frage, wer am Ende die Zeche zahlt, steht auch jetzt schon im Raum.

Eine zeitweise Schließung aller nicht-essentiellen Unternehmen würde auch größere Einschnitte für die Profite der Bosse bedeuten. Aber nur, wenn dieser Wirtschafts-Lockdown von der Arbeiter:innenklasse selbst durchgesetzt wird, kann es auch einen Lockdown in ihrem Interesse geben. Wenn die konsequenten Schließungen mit Hilfe von Streiks erzwungen werden, eröffnet das außerdem die Möglichkeit, sich auch gegen die folgenden Angriffe zur Wehr setzen und für weitere Verbesserungen kämpfen. Also zum Beispiel für die notwendige Reform des Gesundheitswesen und die Einführung einer Reichensteuer. Damit stellt sich aber auch die Frage nach der Rolle der Gewerkschaften.

Warum haben wir in Deutschland trotzdem noch keine flächendeckenden Streiks für einen Lockdown? Das liegt vor allem an der bürokratischen Führung der Gewerkschaften, die sich fast durchgehend gegen einen Shutdown aussprechen. “Zum Schutz der Wirtschaft“ – also zum Schutz der Profite einer kleinen Minderheit und zu Lasten der Gesundheit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.

Es ist eben nicht so, dass die Beschäftigten weiterhin zähneknirschend zur Arbeit gehen und sich in Ansteckungsgefahr begeben, weil sie um ihren Job fürchten, sondern weil die Gewerkschaften nicht zu konkreten Kampfmaßnahmen aufrufen, sowohl gegen die Pandemie als auch gegen deren wirtschaftliche Folgen.

Deswegen stimmt es, dass gut gemeinte Appelle und Aufrufe unzureichend sind. Wenn die #ZeroCovid-Kampagne erfolgreich sein soll, muss sie auch Forderungen sowohl gegenüber den Gewerkschaften, als auch gegenüber Linkspartei und SPD aufstellen. Die Linkspartei könnte Druck auf die Gewerkschaften machen, damit diese zu einem Streik für den Wirtschafts-Lockdown aufrufen. Stattdessen verweist Katja Kipping darauf, dass sie #ZeroCovid nicht vereinnahmen wolle und Sahra Wagenknecht spricht sich sogar explizit gegen eine Schließung nicht-essentieller Betriebe aus.

Warum aber stellt sich die Gewerkschaftsführung überhaupt gegen eine so sinnvolle wie notwendige Forderung? Weil ihre Posten und Gehälter davon abhängen, eine vermittelnde Rolle zwischen Kapital und Arbeit zu spielen. Wegen dieser Abhängigkeit sind sie unfähig, von sich aus radikale Kampfmaßnahmen gegen die Profite der Kapitalist:innen durchzusetzen. Nur so kann überhaupt der Eindruck zustande kommen, dass es keine Basis für einen Lockdown der Wirtschaft gäbe. Erst wenn es Forderungen an die Gewerkschaften und einen energischen Kampf gegen ihre bürokratische Führung gibt, kann die breite gesellschaftliche Basis für einen echten Lockdown einen realen Ausdruck bekommen. Von genau diesem Standpunkt kann man nicht bloß einen Kampf für Einschränkungen der Wirtschaft führen, sondern eben auch dafür, dass die Bosse für die Folgen zur Kasse gebeten werden.

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